EINE UHR IN JAPAN
Sie geht richtig,
kommt aus dem Schwarzwald,
überwand den Zeitsprung,
bleibt im Gehäuse.
Massen betören sie,
das Gestöber der Ziffern,
in Ordnung gebracht von einer
nichteuklidischen Geometrie,
auch sie gehört dazu.
Sie braucht Lymphe,
das miniatürliche Perlen
des Wassers in den Wäldern
der Kapillaren des Tangs,
eine Erinnerung, als stellte sie
ihre digitalen Löffel hoch.
So gerät sie in ein Fünfersystem
der Knöchel und des Gemengels
morgens auf Bahnsteigen
bei Tau und Lehm
von Jesus nach Osaka.
Die Standhaftigkeit, das Klatschen
die nicht benützten Ferien
der Bevölkerung holen sie ein,
diese Pausen ißt der Kaiser.
Ein Sandkorn im Binären
wird als Überfluß
zum Wärmetod führen.
Kleine Batterie, sagt sie,
du auch?
Seufzende Symmetrie.
Das Lager versammelt Gedichte von Günter Herburger aus den Bänden Ventile (1966), Training (1969), Operette (1973), Ziele (1977), Orchidee (1979) und Makadam (1982). Die Gedichte sind chronologisch nach ihrem Erscheinungsdatum geordnet und geben in dieser Vollständigkeit zum ersten Mal einen Überblick über das lyrische Werk Günter Herburgers.
Sind es Collagen, die ich lesen möchte? Oder suche ich nach einer Balladenform? Mir sind ein, zwei Gedanken jedenfalls zu wenig, mit denen sich Gedichte meistens zufrieden geben. Ich wünsche mir Gedichte, wie vollgestopfte Schubladen, die klemmen.
Luchterhand Verlag, Klappentext, 1984
In der Sammlung Luchterhand erschienen Günter Herburgers Ausgewählte Gedichte. Der seit seinen Studienjahren in München lebende Allgäuer bevorzugt das lange, prosanahe Gedicht. Er widerstand allen Anflügen von Hermetismus, Konkretismus und anderem sprachlichen Tiefsinn im Gedicht. Als andere Lyrikautoren, sprachliche Reduktion übend, immer kürzere Texte von sich gaben, da schrieb er lustvoll seine langen Erzählgedichte weiter. Er vertraut weder metaphysischer Hermetik noch einer verhirnten Ideologie. Seine Gedichte gehen fast immer von Realerfahrungen aus. Sie zeigen dem Leser Außenwelt und lassen ihn zugleich die Herzwärme des Autors spüren. Subjektivität, Sensibilität und politisches Engagement heißt Herburgers poetische Trias. Persönliche Zärtlichkeit und kontrollierter öffentlicher Zorn vereinen sich in seinen Gedichten. Sie teilen die reale Familiengeschichte des Autors mit, die schockartig erzwungene Abnabelung vom Nazivater, die tränenreiche Geburt der eigenen Tochter, die unglückliche Geschichte seines schwäbischen Bruders, des sich verschuldenden Häuslebauers. Die aus sieben Bänden ausgewählten Gedichte erzählen den „Traum des Indianers“ und die Erfordernisse des „Parteitags“ der Arbeiterklasse, die Geschichte vom „reichen Mann, der auch Politiker ist“ und das Bekenntnis „Ich liebe Gott“. Die Distanz zwischen poetischer Produktion und erfahrener Realität wird bei Herburger bewußt gering gehalten. Aus der persönlichen Sehnsucht entwickelt Herburger die öffentliche Utopie. Er wünscht die Natur eins mit dem Menschen, unsere natürlichen Fähigkeiten nicht verkümmert und unsere technischen Fähigkeiten nicht als Instrumente der Herrschaft und Zerstörung degeneriert und mißbraucht.
Als überzeugter Sozialist hat er Einwände gegen eine Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher werden. Herburger läßt uns teilnehmen an persönlichen Entwicklungen. Er sondiert aus Erfahrung und Wissen Lebenslehren für sich und seine Leser. Manche Verse verheimlichen nicht ihre predigthafte Absicht. Ihm liegt das Öffentliche am Herzen. Er kritisiert aus dem Horizonteiner sozialen Friedens- und Lebensidee. Herburger, Anwalt des Kindes, Anwalt der Natur, des unverstellten, kommunizierenden Lebens, scheut nicht die poetische Tendenz.
Brechts Lieblingstier war der Elefant. Herburgers Vorstellungs- und Identifikationstier scheint der Wal zu sein. In den 70er Jahren hat er das langstrophige Gedicht „Der Gesang der Wale“ geschrieben. Daraus die zweite und die sechste Strophe als Vorstellungs-, Identifikations- und Ausdrucksmuster:
Man muß sich vorstellen,
wir könnten so sein:
übermächtig gelassen, schlau und kräftig,
zugleich kindlich neugierig,
während aus dem Atemloch Fontänen steigen
und der Schwanz gleich einem Tankruder
immer wieder ins Meer hineinschlägt,
Echo gebend von Schelf zu Schelf.
Entfernungen sind der Beweis
für Übersicht und Dauer,
ausgestattet mit einem Selbstverständnis,
das sich nicht mehr um Platz zu kümmern braucht.
…
Manches Mal, wenn ich traurig bin,
bilde ich mir ein, ich sei ein Wal,
ein tonnendicker Lungenfisch,
der nicht mehr ins Trockene zu kriechen braucht,
um sich zu veredeln, ausgesetzt Regen und Wind
und der messerscharfen Konkurrenz der Menschen,
die nicht so leben mögen wie er.
Ich lehnte den biologischen Wandel ab,
verringerte freiwillig die Zahl
der nicht benützten Gehirnzellen
und stürzte mich in die Fluten zurück,
wieder einig mit meinem Pfand,
das Antwort fände in den langsamen,
überlegten Bewegungen der Wale,
ihre Leiber wälzend wie Berge
und Melodien erzeugend gleich deren Hall,
geborgen in einem Element,
größer als jedes Land.
Paul Konrad Kurz, Bayerischer Rundfunk, 5.11.1984
Dietmar Dath: Schritt für Schrift
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.4.2012
Detlef Kuhlmann: Schriftsteller und Langstreckenläufer…
germanroadraces.de, 8.4.2012
Konstantin Ulmer: Der ewige Vagabund
der Freitag, 6.4.2012
Michael Buselmeier: Mein Brieffreund und ich
Der Tagesspiegel, 5.4.2012
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