ACHIM VON ARNIM
Der Geist beim verborgnen Schatze
Ich habe einen Schatz und den muß ich meiden,
Muß von ihm gehn, kein Wort mit ihm zu reden,
Das Herze in dem Leibe möchte mir vergehn,
Den Sonntag, den Montag in aller fruh,
Schickt mir mein Schatz die traurige Botschaft zu,
Ich sollte ihn begleiten bis in das kühle Grab,
Dieweil er mich so treulich geliebet hat.
Ich habe ein Herz, ist härter als ein Stein,
Wo tausend Seufzer verborgen sein,
Viel lieber wär mirs, ich läg in einem Grab,
So käm ich ja von allem meinem Trauren ab.
vor 1806
aus: Des Knaben Wunderhorn
Was als „mündlich“ überlieferte Liebesklage eines „unbekannten Dichters“ in die romantische Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1806/1808) Eingang fand, hat in Wahrheit der Anthologie-Herausgeber Achim von Arnim (1781–1831) selbst geschrieben. Die Trauerarbeit, der sich das lyrische Ich hier unterzieht, stützt sich auf die gewaltsame Abspaltung einer überwältigenden Passion. Im Titel wird als Akteur ein „Geist“ beschworen – es ist indes der vom Schmerz zerwühlte Liebende selbst, der das Verlorene beschwört.
Die Trauer über den Verlust der Liebe hat hier alles verdunkelt. Die definitive Trennung von dem unerreichbaren „Schatz“ erscheint als einzig denkbare Lösung. Die „traurige Botschaft“ vom Ende der „treulichen Liebe“ kann das lyrische Subjekt offenbar nur ertragen durch Verhärtung. Das soeben noch erschütterte Herz versteinert – und dem Ich bleibt nur die Todesphantasie, um auch die Trauer auslöschen zu können.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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