BURGGRAF VON RIETENBURG
Sît si wil, daz ich von ir scheide
Sît si will, daz ich von ir scheide
– dem si dicke tuot gelîch –,
ir schoene und ir güete beide
die laze si, sô kete ich mich.
swar ich danne landes var,
ir lop der hôhste got bewar.
min herze erkôs mir diese nôt.
senfter waere mir der tôt,
danne daz ich ir diene vil,
und si des niht wizzen wil.
Da sie will, dass ich von ihr gehe
– oft zeigt sie es mir durch ihr Verhalten –
soll sie doch beides lassen:
ihre Schönheit und ihre Güte,
so kehre ich mich ab.
Wohin ich dann auch außer Landes gehe,
der höchste Gott möge ihr Ansehen bewahren.
Mein Herz erwählte mir dieses Leid,
sanfter wäre für mich der Tod
Als ihr so sehr zu dienen,
und sie davon nichts wissen will.
(Übersetzung: Doris Braun)
1150/1170
Der erste deutsche Minnesänger, der die enttäuschte Liebe und den Schmerz des Verlassenwerdens inständig besungen hat, war der Burggraf von Rietenburg, vermutlich ein Abkömmling eines hochadligen Geschlechts, der in der Mitte des 12. Jahrhunderts gelebt hat. In einem sehr bewegenden Gedicht umkreist Rietenburg die schwere Arbeit des Loslassens eines geliebten Menschen. Dem Dichter ist bewusst, dass die unglückliche Liebe für die „Minne“ wesenhaft ist. Das hilft jedoch kaum bei der Verarbeitung der emotionalen Zerreißprobe, wie sie erschütternd beschrieben ist im vorliegenden Gedicht.
Der Burggraf war auch der erste Minnesänger, der diverse Reimformen virtuos zu handhaben wusste. Für seinen unglücklichen Helden sieht er nur wenige Möglichkeiten jenseits des Kontaktabbruchs zur Geliebten. Der in seiner Sehnsucht Abgewiesene sinnt nach über die Form seiner Emigration. Vom Leid überwältigt und vom Todeswunsch bedrängt, versucht er von der Liebe abzulassen. Nicht aber vom Respekt gegenüber der Frau, die ihm „dieses Leid“ zugefügt hat. Ihr „Ansehen“ soll keinen Schaden nehmen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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