Christian Morgensterns Gedicht „Die beiden Esel“

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CHRISTIAN MORGENSTERN

Die beiden Esel

Ein finstrer Esel sprach einmal
zu seinem ehlichen Gemahl:

„Ich bin so dumm, du bist so dumm,
wir wollen sterben gehen, kumm!“

Doch wie es kommt so öfter eben:
Die beiden blieben fröhlich leben.

1905

 

Konnotation

Dass Todesverfallenheit und Lebensfreude in eins fallen können – diese Paradoxie kann es wohl nur bei dem grandiosen Humoristen und Nonsens-Dichter Christian Morgenstern (1871–1914) geben. Im unerschöpflichen Bestiarium seiner Galgenlieder (1905) gibt es zum Beispiel zwei einander angetraute Esel, die sich zu ihrer Dummheit bekennen. Der eine davon, ein besonders finsterer Geselle, hegt ob dieser Dummheit Todesgedanken.
Das Bekenntnis des Esels, der sich als Moribunder fühlt, ist nicht besonders haltbar – das „fröhliche Leben“ scheint unverwüstlich. Aber was ist nun als Triumph der Dummheit zu werten: der Umstand einer unbegründeten Todessehnsucht oder das „fröhliche“ Weiterleben? Selbst bei einer solch heiteren Tier-Anekdote können sich bei Morgenstern metaphysische Abgründe öffnen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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