Heidi Patakis Gedicht „wien, zärtlich“

HEIDI PATAKI

wien, zärtlich

das schlagstockerl
das lenkwafferl
das bomberl
das kaffeetscherl

das stacheldrahterl
das betonbunkerl
das hakenkreuzerl
das knöderl

das stahlhelmerl
das kameraterl
das wolfshunterl
das achterl

das massengraberl
das lagerl
das wehrsportgrupperl
das glaserl

das schluckerl
schluckerl
schluckerl
schluckerl

nach 1990

aus: Heidi Pataki: Amok und Koma. Otto Müller Verlag, Salzburg 1999

 

Konnotation

Der ,poetische Akt‘ ist keine Spielerei. Ein ausgeklügelter Sadismus peitscht die Worte und ihre Bedeutungen zueinander, gegeneinander. Ein aufsässiges Monster hält sich den Spiegel der Sprache vors Auge!“ Die in der Tradition der konkreten Poesie stehende Österreicherin Heidi Pataki (1940–2006) hat ihre lyrische Arbeit immer auch essayistisch reflektiert: Es geht darum, die Alltagssprache durch den Filter des Bewusstseins zu schicken. Gewalt und Repression in der Sprache werden mit den Mitteln von Sprache demaskiert.
Das zeigt sich auch in dem Gedicht „wien. zärtlich“ aus dem Band amok und koma von 1999. Gegenwart und Vergangenheit, Friedliches und Gewalttätiges verschwimmen in der Verniedlichung jedes einzelnen Wortes. In der bewusst hölzernen Aufzählung wirken selbst Knöderl und Achterl fremd, bedrohlich. Ein sarkastischer Hinweis auf die ganz normale Anästhesierung im Alltag, auf eine Brutalität, die schließlich in vielen „schluckerln“ ertränkt und verdrängt wird.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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