JOHANN HEINRICH VOSS
Fürstenspiegel
Drei Lehren fass’ ein Herrscher wohl ins Herz.
Die eine: dass er über Menschen herrscht;
Die andre: dass er nach Gesetzen herrscht;
Die dritte: dass er nicht auf immer herrscht.
1794
Der wortgewaltige Dichter, Übersetzer, Philologe und Publizist Johann Heinrich Voß (1751–1826) liebte den polemischen Federkrieg gegen alle politischen und ästhetischen Positionen, die seiner Passion für die Antike und seinem aufgeklärten Protestantismus widersprachen. Auf ästhetischem Terrain ein Verfechter des „homerischen“ Griechentums, profilierte sich Voß noch unter absolutistischen Verhältnissen als antifeudaler und emanzipatorischer Geist – besonders in seinen Epigrammen.
In seinem 1794 entstandenen Fürstenspiegel, ursprünglich eine im Mittelalter an die herrschende Gesellschaftsklasse gerichtete Schrift, in dem Grundsätze richtigen Regierens formuliert werden, hat Voß bereits die Leitideen für ein modernes Demokratieverständnis zusammengefasst: Legalität und Legitimität, zeitliche Begrenztheit und garantierte Kontrolle der Macht. Im Untertitel seines Epigramms wählt Voß eine historische Maskierung, indem er den „drei Lehren“ ein antikes Gewand gibt: „Der Tragiker Agathon an den König Archelaus“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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