Johann Wolfgang von Goethes Gedicht „Wanderers Gemütsruhe“

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JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Wanderers Gemütsruhe

Übers Niederträchtige
Niemand sich beklage;
Denn es ist das Mächtige,
Was man dir auch sage.

In dem Schlechten waltet es
Sich zu Hochgewinne,
Und mit Rechtem schaltet es
Ganz nach seinem Sinne.

Wandrer! – Gegen solche Not
Wolltest du dich sträuben?
Wirbelwind und trocknen Kot
Laß sie drehn und stäuben.

1814

 

Konnotation

Der Goethe-Leser Gottfried Benn (1886–1956) fand in diesem Gedicht aus dem West-Östlichen Divan dereinst seine Lebensformel – die „Gemütsruhe“ des Wanderers übersetzte Benn in seine Poetik des geduldigen Stoizismus, in die Entschlossenheit, auszuharren inmitten misslicher Gesellschaftszustände. Das im November 1814 entstandene Gedicht Johann Wolfgang Goethes (1749–1832) findet sich innerhalb des Divan im „Buch des Unmuts“, das Denksprüche und Invektiven versammelt. Wenn die Niedertracht regiert, bleibt nur der Rückzug in die „Gemütsruhe“.
Goethe hatte das Gedicht nach immer häufiger aufflackernden Anfeindungen wegen seiner Napoleon-Verehrung geschrieben. Es ist nicht nur stoische Gelassenheit, die hier manifest wird, sondern viel mehr eine Verachtung jener Mächtigen, die zu Repräsentanten des „Niederträchtigen“ geworden sind. Der „Wanderer“ verkörpert dagegen die Freiheit. Er kann jederzeit nach eigenem Ermessen eine Wegrichtung einschlagen, unabhängig von den Vorgaben der herrschenden Niedertracht.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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