Joseph von Eichendorffs Gedicht „Das zerbrochene Ringlein“

JOSEPH VON EICHENDORFF

Das zerbrochene Ringlein

In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein’ Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.

Sie hat mir Treu’ versprochen,
Gab mir ein’n Ring dabei,
Sie hat die Treu’ gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

Ich möcht’ als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.

Ich möcht’ als Reiter fliegen
Wohl in die blut’ge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

Hör’ ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will –
Ich möcht’ am liebsten sterben,
Da wär’s auf einmal still!

1810

 

Konnotation

Eine Liebe ist verloren gegangen, und mit ihr zerbricht das Symbol des Treueschwurs: „das Ringlein“, Joseph von Eichendorffs (1788–1857) anrührendes Liebesgedicht spricht von der Vergänglichkeit der Liebe und vom Schmerz eines betrogenen Liebhabers. Als neunzehnjähriger Student war Eichendorff nach Heidelberg gekommen, wo er alsbald vom Schwung der romantischen Bewegung erfasst wurde. In Heidelberg-Rohrbach kam es zur Begegnung mit der Bürgertochter Katharina Förster, die sein Leben veränderte. Davon kündet das 1810 entstandene Gedicht.
An einem unheimlichen Ort, einer Mühle, ist das Schicksal dieser Liebe entschieden worden. Nach dem Bruch des Treueschwurs gibt es für den Betrogenen nur noch den Weg in die Poesie oder in den Todeswunsch. Selbst die Phantasie der dritten Strophe, die Flucht des Verlassenen in die Aggression, den Krieg, ist ja mit einem Todeswunsch gekoppelt. Die Befreiung von dem bohrenden Schmerz des Verlassenwerdens kann jedenfalls nur der Tod bringen. Nur er vermag es, das im Kopf sich drehende Mühlrad zum Stillstand zu bringen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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