Gar nicht komisch

Bei Tschechow, bei Chaplin, sogar bei Beckett wird noch so gern gelacht. Ich kann nicht erkennen, was an und in ihren Werken komisch sein sollte. Eher ist’s doch umgekehrt, viel eher gehören diese Autoren − wie ein paar andere grosse Komiker noch − der tragischen Sparte an.
Was sollte denn lustig sein daran, dass Dummköpfe, Aufschneider, Fresssäcke, Gauner oder auch bloss Menschen wie du und ich das Gesicht verlieren; dass sie in diese oder jene Falle tappen; dass sie der Tücke des Objekts erliegen; dass ihr „Antlitz“ von Brettern, Torten, Fäusten, Wassergüssen, Mehlwolken getroffen und − stereotyp von schadenfrohem Gelächter begleitet − verunstaltet wird?
Die Humoreske ist (wie die Tragödie) nicht am Einzelmenschen interessiert, es geht ihr stets um den Menschen oder die Menschen schlechthin; und schlecht sind sie eben alle, schlecht sind die dort genauso wie wir hier, und alle werden denn auch gleichermassen lächerlich gemacht und abgestraft. Alle haben es gleichermassen verdient, den Tritt ans Knie, das Brett vor die Stirn zu bekommen, und schlicht die Tatsache, dass es so ist − dass eben kein Mensch keinen Spott verdient, keine Rüge, keinen Fluch − dies allein ist doch desolat genug und spricht jeder Lustigkeit Hohn.
Man kann und mag dagegen dies und jenes einzuwenden haben; man mag Komik als verkappte Selbstbespiegelung beziehungsweise Selbstkritik verstehn, vielleicht auch als durchaus plausiblen Versuch, die Übermacht und Gegenwart des Tragischen wenigstens für den Moment eines spontanen Auflachens zu bannen.
Jeder kann getroffen werden, jeder in die Grube fallen. Ob es sich um einen Normalverbraucher, einen Meisterdenker, einen Alkoholiker, einen Diktator, ein Model, einen Oberrichter, einen Sehbehinderten handelt − alle müssen damit rechnen, dass ihre Menschenrechte tangiert werden, und wenn es geschieht, ist’s eher tragisch oder eher komisch?
Jeder kommt als Slapstickkandidat in Frage. Wäre aber jeder auch in Wirklichkeit eine Witzfigur, ob positiv oder negativ gepolt, dann würden − wir − alle zu tragischen Gestalten. Es braucht nicht allzu viel Skepsis, um dies einzusehn.
Doch gerade die Gemeinten sind’s, die am lautesten Beifall klatschen, wenn ihresgleichen auf der Bühne, auf der Leinwand, im Buch so perfide genarrt und so schmerzhaft getroffen werden; da sie’s aber immer nicht durchschauen, klatschen sie noch heute.

 

aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne

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