Magister Martinus von Biberachs Gedicht „Ich leb, und waiß nit wie lang,…“

Beitragsbild rechts für Lyrikkalender reloaded

MAGISTER MARTINUS VON BIBERACH

Ich leb, und waiß nit wie lang,
Ich stirb und waiß nit wann,
Ich far und waiß nit, wohin,
Mich wundert, das ich froelich bin.

um 1480

 

Konnotation

Dieser Grabspruch, über dessen authentische Urheberschaft seit langem gestritten wird, hat eine lange und nachhaltige Wirkungsgeschichte. Viel spricht dafür, dass dieser Vierzeiler, der ursprünglich wohl als Priamel (= mittelalterliches Spottgedicht mit überraschender Schlusswendung) verfasst worden ist, dem franziskanischen Theologen Martinus von Biberach (gestorben 1498 in Biberach) als Grabspruch diente. Martin Luther (1483–1546) kannte jedenfalls diesen Sinnspruch und kritisierte ihn als „Reim der Gottlosen“.
Der fragende, zweiflerische, fast agnostizistische Gestus des Vierzeilers hat Luther zu einem trotzigen Gegengedicht provoziert. Denn im Hingegebensein des Grabspruchs an das Fatum und das Zufällige der Existenz fehlte Luther die dezidierte Hinwendung zu Gott als dem Urgrund aller Schöpfung. Bis weit in die literarische Moderne adaptierten Dichter diesen Vierzeiler und erweiterten ihn. Variationen sind bekannt von Heinrich von Kleist, Bertolt Brecht, F.K. Waechter und zuletzt Wolf Biermann.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

„Suppe Lehm Antikes im Pelz tickte o Gott Lotte"

Schicksal

Schakal im Schlick; lass den Aal, iss Lachs! schick den Schal im Sack!

Michel Leiris ・Felix Philipp Ingold

– Ein Glossar –

lies Sir Leiris leis

Würfeln Sie später noch einmal!

Lyrikkalender reloaded

Luchterhand Loseblatt Lyrik

Planeten-News

Planet Lyrik an Erde

Tagesberichte zur Jetztzeit

Tagesberichte zur Jetztzeit

Freie Hand

Haupts Werk

Gegengabe

0:00
0:00