– Zu Durs Grünbeins Gedicht „Krater des Duris“. –
DURS GRÜNBEIN
Krater des Duris
Dieser da der Kerl
mit dem spitzen Bart der
listig Grinsende mit der Ferse
im Hinterhalt hellstirnig und beinah ein wenig
zu elegant war also Odysseus: ein Tonsprung scheint’s
aus trojanischer Zeit. (D.h. kurz bevor dieser Ruinenflüchtling
eifrig das Rad des nächsten Jahrtausends Geschichte in Gang schob:
Aeneas). Ausgerechnet mit Aias um eine Rüstung viel zu schwer
für ihn will er sich balgen. Nicht genug daß er der Sohn
eines Schurken ist: Sisyphos der ihm die Mutter aus
Rache beschlief muß er zu alldem noch zeigen wie
man den dümmsten Krieger im Handumdrehen zum
Platzen bringt. Als hätte er immer nur Streit
gesucht süchtig nach Schwierigkeiten
stößt er den Kopf vor: Schicksal
Ihr Lieben ist wie ein Rausch-
gift das lange vorhält. Im Grunde
genügt schon ein einziger Schuß.
Gefahr als Droge
Duris ist ein antiker Vasenmaler. Durs ist ein moderner Lyriker. Durs schafft einen kratér, einen Tonkrug, des Duris nach, nicht nur indem er ihn beschreibt, sondern auch in der äußeren Form des Gedichts. Nach dem Muster der barocken Bildgedichte stellt das Druckbild eine bauchige Vase dar, mit engem Hals und festem Fuß. Was Duris einst auf sein Gefäß gemalt hat, davon handeln die Verse des Durs. Die beiden Namen entsprechen in ihrem akustischen Gleichklang dem optischen Gleichklang der beiden Vasen: Duris steht zu Durs wie der alte Krater aus Ton zum neuen Krater aus Wörtern. Dazwischen liegen zweieinhalbtausend Jahre.
Das ist eine Spielregel. Sobald man sie erkennt, weiß man, daß dieser Sprung über die Jahrtausende – einen „Tonsprung“ nennt es das hübsche Wortspiel – auch die Lektüre steuern soll. Was Duris einst gemalt hat und Durs jetzt beschreibt, muß verstanden werden als die neue Gegenwart eines Uralten. Nicht im Sinne antiquarischer Versenkung, sondern im Sinne einer Wahrheit, die sich blank und unverändert durch die Geschichte der Menschheit zieht. Das ist klassisch gedacht. Viele sagen, so dürfe man heute nicht mehr denken. Durs Grünbein sagt: Seht her, so denke ich. Wenn ihr nicht einverstanden seid, widerlegt mich.
Auf den Krater gemalt und im Gedicht beschrieben ist Odysseus in seinem Streit mit Ajax um die Rüstung des toten Achill. Wer sie besitzt, ist der Größte. Man sieht Odysseus in der Sekunde des Kampfbeginns. Er wird siegen, und Ajax stürzt sich aus Wut in sein eigenes Schwert. „Zum Platzen“ bringen, sagt das Gedicht, wolle Odysseus den Gegner.
Was ist nun das Klassische an der Geschichte? Welche Wahrheit fährt da blank und unverändert durch die Jahrtausende? Daß der Schlaue, Flinke über den schwerfälligen Kraftmenschen siegt? Ajax gilt ja als stumpfsinniger Riese, ein Goliath vor Troja, und Odysseus ist schon in der dritten Zeile „der listig Grinsende“, ist, mit einem neuen Wort für die Klugheit, „hellstirnig“. Aber gerade darum geht es nicht. Dieses Thema läuft nur nebenher.
Worum es geht, ist das Risiko auf Teufel komm raus. Russisches Roulette als Droge, mehr noch, als Faktor der Weltgeschichte. Sinnlos, meint das Gedicht, ist für Odysseus die Balgerei um die Rüstung. Das Zeug ist ja viel zu schwer für ihn. Nicht den Schild und den Helm und die Beinschienen will er, er will den Hasard. Was ihn lockt und reizt, ist der Konflikt mit dem stärksten Mann, der wissentliche Schritt in den Bannkreis einer wütenden Gewalt. Er sucht die Ekstase der äußersten Gefahr. Sie braucht er wie ein Rauschgift.
Das ist nun deutlich mehr als das Klischee vom Kampf der List gegen die Kraft. Es ist unheimlicher und aktueller. Aber im rasanten Finale des Gedichts treibt Grünbein den Gedanken noch weiter voran. Jetzt fällt jener Begriff, der die alten Griechen regierte, der ihre Tragödie begründete, der durch jede Zeile Homers zu atmen scheint: Schicksal. Es ist das von den Göttern Geschickte, über einen Menschen, über ganze Städte und Völker Verhängte. So muß, weil es verhängt ist, Ödipus seinen Vater töten und die Mutter heiraten. Diesen feierlichen Begriff von Schicksal stellt das Gedicht auf den Kopf, und das ist seine Pointe.
Schicksal, so wird hier festgestellt, kann auch gewollt, gesucht und selbstverfertigt sein. Es kann der puren Sucht nach dem Risiko entspringen. Todesgefahr als Kick. Hinter dieser These steckt die historische Erfahrung des 20. Jahrhunderts, die Erfahrung der fürchterlichen Kriege, ihrer fürchterlichen Unnötigkeit, ihres prahlerischen Beginns. Deshalb taucht Sisyphos im Gedicht auf, als dessen unehelicher Sohn Odysseus nach einer alten Überlieferung gilt. Sisyphos nämlich ist das Urbild der Verwegenheit aus purer Lust. Ihn reizte es, die Götter übers Ohr zu hauen, einfach weil es tollkühn war. Wie sich der Fixer seinen Schuß setzt, warf er sich ins Wagnis. Es ging bös aus. Er endete bei dem großen Stein, der uns heute noch erschüttert. Als sein Schicksal. Grünbein sagt: als Zeugnis seiner Sucht.
Peter von Matt, aus Peter von Matt: Wörterleuchten, „Dieser Text ist verschwunden.“, 2009








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