Reiner Kunze: die stunde mit dir selbst

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Reiner Kunze: die stunde mit dir selbst

Kunze-die stunde mit dir selbst

ÜBERSETZERPRIVILEG
Für Petro Rychlo

Das gedicht – ein hirnstoßdämpfer,
der die erschütterungen abfängt
auf dem kopfsteinpflaster der zeit
und der Czernowitzer altstadt

Wer in vieler sprachen poesie zu hause ist,
findet am grund der verzweiflung ein wort,
das lächelt

 

 

 

Reiner Kunze liest aus die stunde mit dir selbst am 3.9.2018 im Frankfurter Holzhausenschlösschen.

 

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Zehn Jahre nach lindennacht

erscheinen neue Gedichte von Reiner Kunze. In originären poetischen Bildern lässt er die Leser teilhaben an dem, was ihn beglückt oder erschüttert. Wohin es ihn in der Welt auch verschlägt, sei es nach Helsinki, Czernowitz und Kiew – man erfährt niemals nur, was er sieht, sondern stets auch, was in ihm geschieht. Entschieden bezieht er Position gegen Gewalt, Verrohung und gegen das Vergessen. Ein besonderer Charakterzug der Gedichte ist Behutsamkeit. Mit großer Schönheit und Zartheit spricht Reiner Kunze vom Alter und vom Abschiednehmen.

S. Fischer Verlag, Klappentext, 2018

 

Reiner Kunzes Blick auf die Welt

die stunde mit dir selbst ist der neue Gedichtband des 84-Jährigen mit 50 Werken in fünf Kapiteln überschrieben. –

die stunde mit dir selbst ist Reiner Kunzes Blick auf die Welt und seine Position als Dichter, mitunter inspiriert von Zitaten kritischer Denker und Dichter. „Die Menschheit mailt“ und der Dichter „sucht das wort, von dem du mehr nicht weißt, als dass es fehlt.“ In kleinen Alltagssituationen entdeckt Reiner Kunze die großen Probleme der Welt oder die Einsamkeit, auch Bedeutungslosigkeit des Einzelnen.
In fünf Kapiteln mit insgesamt 50 Gedichten verdichtet der 1977 aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelte Dichter wie immer mit poetischen Wortschöpfungen das Wesentliche des Lebens ohne Versmaß, mitunter so lakonisch wie ein Haiku.

blütenblatt im haar – kirschbaumweiß auf greisenweiß – frühling, unsichtbar

Jedes Gedicht von eindringlicher Prägnanz, manche Verszeile mit Aphorismusqualität. Mit einem fröhlichen Sommertag beginnt Reiner Kunze seinen Gedichtband „damit der Tag in seiner Seele wurzeln schlägt und er ihn für die dunklen zeiten in sich trägt“. Und diese dunklen Zeiten folgen sofort. Das „Menetekel“ des Klimawandels fließt genauso ein wie die Flut „Passau nicht geheuer“ und der „Jahrhundertschneefall“. Wunderbar überraschende Metaphern gelingen, mit subtilen Humor, der noch etwas Zuversicht zulässt.
Düsterer wird es im zweiten Kapitel, wenn Reiner Kunze noch einmal durch die Städte Europas reist, Helsinki am Kai entschwindet, in Porto bei einem Begräbnis der schwarze Tanker einläuft. In der Ukraine fokussiert er auf die Revolte am Maidan, erinnert an Paul Celans „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ und korrigiert resolut:

doch weiß man hier, der tod kam nicht aus deutschland nur.

In der Czernowitzer Altstadt angesiedelt ist „das gedicht – ein hirnstoßdämpfer, der die erschütterungen abfängt, auf dem kopfsteinpflaster der zeit“. Dann hinterfragt der 84-jährige Reiner Kunze den Dichter und seine Poesie selbst.

Hast du der welt an welt zugetan? – Und was an Welt?

Er antwortet mit einer klaren Absage an Ideologien, die Macht, thematisiert die Fragwürdigkeit des Glaubens. Mit Sorge, als „leichte beute“ sieht Reiner Kunze die Menschen, „sie halten sich am handy fest… doch sie wissen schon nicht mehr, was sie nicht mehr wissen.“
Am Schluss stellt sich Kunze der Endlichkeit, empfindet das Ende als „Verstummen“, „Zerfall“, „irreversibel“, wenn „stumm stehn am ausgang die verluste“. Wie ein Gefangener schreibt er eine „Kassiber“, eine Botschaft aus dem Gefängnis des Dichtens. „das schweigen ist die Antwort, das denken das gefängnis.“ Wie soll man da noch leben?

verneigt vor alten bäumen euch, und grüßt mir alles schöne.

Michaela Schabel, Mittelbayrische Zeitung, 30.7.2018

Stoßdämpfer für den Kopf

– Der Dichter Reiner Kunze wird 85 und baut sein Lebenswerk aus. –

Der Dichter ist beschäftigt. Auch der  85. Geburtstag, den Reiner Kunze an diesem Donnerstag feiert, hält ihn nicht lang von seinem Lebenswerk ab. „Wir verwalten und gestalten und komplettieren das Archiv“, sagt er am Telefon. Seit er und seine Frau Elisabeth im Jahr  2006  eine Stiftung gegründet haben, die nach dem Tod des Ehepaars das gemeinsame Haus in eine „Stätte der Zeitzeugenschaft und einen Ort des Schönen“ umwandeln soll, reißt die Arbeit nicht ab. Und über den eben erschienenen, neuen Gedichtband die stunde mit dir selbst (S. Fischer Verlag) will er in aller Bescheidenheit auch nicht  reden.
Das Buch sei draußen und müsse seinen Weg selbst finden, sagt sein Schöpfer. Elf Jahre sind seit dem vorherigen Gedichtband Lindennacht vergangen. Nein, er brauche nicht immer länger, wehrt Kunze ab. „Nur die Skrupel werden immer größer.“ Auf die Welt blickt er jedenfalls – daran lassen die Gedichte keinen Zweifel – voller Sorge. Trilliarden Sonnen treiben in Milliarden Galaxien von der Erde fort. „Sie fliehen uns, als wüßten sie, / vor wem sie fliehen“, heißt es in „Das Wesen  Mensch“.
Die aktuelle politische Entwicklung findet Kunze furchtbar. So eingekeilt zwischen Trump, Putin und Erdoğan – „Grund zur Weltangst besteht durchaus“, sagt er. Immerhin bleibt ihm die Poesie als „hirnstoßdämpfer“. Kritisch reflektiert er in den Gedichten sein Leben.

Nicht noch einmal
so verführbar
Nicht noch einmal
so gefährdet
Nicht noch einmal
eine mögliche gefahr.

„Portraitfoto von sich selbst von vor sechzig Jahren“ hat er diese Verse genannt, eine Erinnerung an eine Zeit, als der 25-jährige Kunze noch zu den Hoffnungen der DDR zählt. 1933 als Kind eines Bergarbeiters und einer Heimarbeiterin im sächsischen Oelsnitz geboren, studiert er Philosophie und Journalistik in Leipzig, arbeitet als wissenschaftlicher Assistent. Als ihm Genossen 1959 vorwerfen, er würde Studenten im Unterricht negativ beeinflussen, kündigt er und arbeitet als Hilfsschlosser in einer Fabrik. Knapp zehn Jahre später tritt er, inzwischen freier Schriftsteller in Greiz, aus der SED aus; der Grund sind die sowjetischen Panzer, die den Prager Frühling erdrücken. Die Stasi legt eine Akte über ihn an. Kunze gibt sie 1990 in Auszügen heraus und entlarvt mit Deckname Lyrik Ibrahim Böhme, den Vorsitzenden der DDR-SPD, als langjährigen Mitarbeiter der  Staatssicherheit.
1976 erscheint im Westen der Prosaband Die wunderbaren Jahre. Kunze fliegt aus dem DDR-Schriftstellerverband, die Repressalien verdichten sich, eine Haftstrafe droht. Anfang 1977 stellt er für sich und seine Familie einen Ausreiseantrag. Binnen drei Tagen wird er bewilligt. Die Kunzes lassen sich in Erlau in der Nähe von Passau nieder. Der Schriftsteller hält auch in Westdeutschland an seiner DDR-Kritik fest. „Von dort, woher wir kommen, kommt kein neuer Anfang für die Menschheit“ – den Satz verübeln ihm die Linksintellektuellen jahrelang.
Doch Kunze bleibt konsequent. Als der westdeutsche Schriftstellerverband den Wiedervereinigungsanspruch aufgibt, tritt er sofort aus. All diese Geschichten hinter den Geschichten werden nachzuvollziehen sein in der „Stätte der Zeitzeugenschaft“. Natürlich kein Dichtermuseum – das würde Kunze peinlich finden –, sondern ein Angebot an die Nachgeborenen, das ihnen helfen soll, die jüngere Historie Deutschlands und damit den Hintergrund der Bücher Kunzes zu verstehen. Vielleicht immunisiert die Dokumentation auch gegen ideologisch motivierten Druck, all das, was lang Kunzes Alltag ausmachte. Und möglicherweise erklärt sie auch, woher die Kraft zum Widerstand kam. „Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt“ – die Zeile aus Paul Celans „Corona“ war in der DDR ein sicheres Erkennungszeichen für eine kritische Haltung. Im jüngsten Gedichtband taucht sie wieder auf, allerdings in abgewandelter Form.

Der stein hat zu blühen sich nicht bequemt, die welle glättet den  zorn.

Resigniert hat Kunze nicht.

Fern kann er nicht mehr sein,
der tod
Ich liege wach,
damit ich zwischen abendrot und morgenrot
mich an die finsternis gewöhne.

Tagsüber sucht er weiter nach Mitstreitern, die die Zukunft des Ausstellungshauses  sichern.

Sabine Reithmaier, Süddeutsche Zeitung, 15.8.2018

Sensible Wege, endlos

– Reiner Kunze: Zum 85. ein neuer Gedichtband – die stunde mit dir selbst. –

Diese Gedichte besitzen eine Zartheit, die unverwundbar bleibt. Sind Schmelze bis auf den Kern. Der leuchtet, ist kristallin. Was ist das: dichten?

Du suchst das wort, von dem du mehr nicht weißt,
als daß es fehlt

Literatur als jenes gefühlte Sehen, das die Welt aufscheinen lässt, indem ein Mensch nicht nach dieser Welt greift, sondern so unsicher wie vertrauend – nach ihr tastet. Dichtung, überlegen jedem Gesinnungsreiz und jedem Durchblicksgräuel, das alle Dinge einordnet, bevor sie überhaupt berührt wurden.
Mehr und mehr hat sich die hochkonzentrierte, dichte Poesie von Reiner Kunze ins Geheimnis des Unausgesprochenen, Umdunkelten gewagt. Ins klar gefasste Undeutliche. Zurück ins Nichtverstehen! Nach zehnjähriger Pause legt der Autor, der heute 85 wird, nun einen neuen Gedichtband vor: die stunde mit dir selbst. Wieder das Kunze-Erlebnis: dies Fromme, und im landläufigen Zerbersten der Verhältnisse doch immer ein trotzig leises Ja zum Dasein:

am grund der verzweiflung ein wort,
das lächelt

Das Leben muss der Mensch auf eigene Rechnung führen, aber er kann es durchaus – so der Titel eines früheren Gedichtbandes von Kunze – Auf eigene Hoffnung tun.
sensible wege (1969 im Westen erschienen, gewidmet dem tschechischen und slowakischen Volk), zimmerlautstärke, eines jeden einziges leben, ein tag auf dieser erde, lindennacht – weitere Buchtitel eines schmalen, aber europäisch großen Werkes. Ein Werk des Maßes, der selbstbewussten Zurückhaltung, des stolzen Bedenkens schriftstellerischer Bestimmung jenseits von Ideologie und Literaturbetrieb. Aufs Innenlicht mehr hoffen als auf sämtliche Scheinwerfer draußen. Die Stunde mit dir selbst: Wie viel Ehrlichkeit wagst du – dir gegenüber? Wie viel Wahrheit mutest du dir zu?
Der Bergarbeitersohn aus Oelsnitz, 1933 geboren, verließ 1977 mit seiner Familie die DDR, aufgewühlt, aufgerieben, aufatmend; er lebt seither im bayerischen Passau. Antifaschistisch befeuertes Aufbaupathos hatte früh zur SED-Mitgliedschaft geführt. Aber nach kurzem Dogmendienst an Leipzigs journalistischer Fakultät kamen bei Kunze das Erschrecken und das Widerrufen, kamen der Rückzug und der Protest.
Prag und Biermann waren die Endpunkte einer unaufhaltsamen Entfremdung. Besonders diesen Schriftsteller trafen alle schikanöse Energie und alle infame Schöpferkraft, für die Schriftstellerverband und Stasi ihre klassenkämpferische Liaison knüpften. Mielkes Aktenprosa über Kunzes Universitätszeit:

Während seiner Zeit als Assistent zeigte sich, daß er öfters politische falsche Anschauungen vertrat, die letzten Endes revisionistischen Charakter trugen.

Bei Betrachtung eines „Porträtfotos von sich selbst von vor sechzig Jahren“ resümiert Kunze schambewusst auch jene einstige sozialistische Gesinnungsfron, seinen vorübergehenden Idealismus, der in Bewusstseinsdressur überzugehen drohte.
Sein sehr persönliches „Nie wieder!“ damals:

Nicht noch einmal
so verführbar

 

Nicht noch einmal
so gefährdet

 

Nicht noch einmal
eine mögliche gefahr

Das sind auch Zeilen gegen Leute, die niemals erschüttert werden von dem, was sie anfällig macht; Leute, die es immer wieder schaffen, sich völlig schmerzfrei in ihrem Weltbild, also auch in den dialektisch gewundenen Begründungen ihres Versagens aufzuhalten.
Vor Jahren veröffentliche Kunze unter dem Titel Deckname Lyrik einen Teil der auf einer Müllkippe bei Pößneck gefundenen 3.500 Seiten Stasi-Denunziation. Atemlos machende Zeugnisse einer eiskalt organisierten Seelenverwüstung.

Misstrauen säen… Angst schüren… ins Verbindungssystem des K. eindringen… Gerüchte über die Ehefrau streuen… psychische Labilität des K. ausnutzen… Wohnung aufklären… aufweichen… zersetzen.

Dichter Wulf Kirsten kommentierte:

Wegen seiner Kompromisslosigkeit wurde Kunze als abschreckendes Beispiel eines Staatserschütterers vorgeführt. Öffentlich und heimlich bis unheimlich.

Einer der vermeintlichen Greizer Freunde, Manfred Böhme, erwies sich als einer der infamsten Spitzel, nannte sich später Ibrahim Böhme und machte in der Wendezeit SDP- und SPD-Karriere.
1973 hatte Reclam zwar noch die Gedichtsammlung Brief mit blauem Siegel veröffentlicht, aber das deutsch-deutsche Exil war nicht abzuwenden. Dem voraus ging die Entfernung aus dem DDR-Schriftstellerverband – wegen der Westveröffentlichung des Buches Die wunderbaren Jahre. Es erzählt in Gedichten und Miniaturen jene DDR, die es offiziell nicht geben durfte: die Militarisierung der Gemüter, den ideologischen Drill, die Zweizüngigkeit, den einschüchternden Unterstrom so vieler Lebensprozesse. Eine Kampfansage. Aus unseren propagandistischen Etagen ergossen sich daraufhin Gift und Galle. Jeden Traumatisierten verbuchte das System als Sieg.
Auch die nun veröffentlichten späten Gedichte offenbaren: Reiner Kunze ist aus gutem und aus bitterem Grund ein wählerischer, vorsichtiger Einzelgänger geblieben. Das Laute liegt für ihn stets in der Nähe des Gemeinen; er weiß, warum die Menschen die Stille meiden: weil wir sonst – wie es in einem früheren Vers von ihm heißt – die Schuld knien hörten in uns. Der neue Band führt uns auf Friedhöfe, er lauscht dem Wispern des unabweisbaren Todes, der Autor blickt genauer, beteiligter als je zuvor auf alles, was uns ins Verwittern treibt. Der Dichter träumt sein Leben altersbewusst, gleicht einem gestürzten Baum, „himmellos“.
Gute Gedichte sind eine Hochform von – Gelingen. Genau so, wie uns, gewissermaßen aus heiterem Himmel, Gott begegnen kann, so kann einem Leser dieses Gelingen begegnen. Durch das wir zum Schöpfungswunder Mensch gelangen, ein Wunder, ja, trotz allem:

ohne uns
gibt es die erde und das all,
nicht aber das gedicht

Vor Jahren hat Kunze auf jenes unabdingbare Verhalten verwiesen, den Strom des Lebens zu bewahren: ein Strom, in dem gegenläufig ein konservatives und ein progressives Konstruktionsprinzip wirken – aber in dieser Auseinandersetzung zwischen den Gegensätzen dürfe es keinen Sieger geben. Kunze, der seine Lyrik gern mit Zitaten einleitet, führt Karl Popper an:

Wenn wir die Welt nicht wieder ins Unglück stürzen wollen, müssen wir die Träume der Weltbeglückung aufgeben.

Nicht aufzugeben ist auch, bitte, die Liebe zum Deutschen:

Die Muttersprache ist jener Daseinsbereich eines Volkes, in dem es sich zurechtfindet ohne Stern.

Sagt Kunze in einer Rede vor christdemokratischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, sie ist dem Band angefügt und bekräftigt, dass ein Reden an politischer Kanzel Sprachverneigung sein kann.
Getreidefelder, Nachtgedanken, Mittsommer, die Heimat Passau, Schneefall, Handywahn, die beschwipste Öde der Tageszeitungen – alle Wahrnehmung mündet in ein Zaudern, das um die Revision handelsüblicher Verhaltensweisen ersucht. Das schmerzvolle Staunen geht barfuß, und an Zielen liebt es die Umwege. Und was ist am Alter entdeckenswert?

blütenblatt im haar
kirschbaumweiß auf greisenweiß
frühling, unsichtbar

Auch diese jüngsten Gedichte Kunzes kreisen um den Preis, sich nicht brechen zu lassen. Es gibt eine Standhaftigkeit, die besteht in einer Art glückhafter Kapitulation: Wir unterwerfen uns lesend einem Ton, der uns bis eben gefehlt hat. Und der lebensrettend in uns anschlagen kann. Und der uns stärker macht, als die Wirklichkeit zulassen möchte. Kunze ist ein schmächtiger, zerbrechlich anmutender Dichter, aber: Die Stirn, die er bietet, lässt doch auf Grundhärte schließen: Der Panzer ist nicht Eisen, er heißt Gedächtnis. Poesie als Wort-Schatz eines grandios Machtlosen, der nicht bereit ist, seine Erfahrungen zu entwürdigen. Geh hinaus. Geh ins Offne. Aber sieh das Spalier:

stumm stehn am ausgang die verluste

Hans-Dieter Schütt, neues deutschland, 16.8.2018

Literatur auf Leben und Tod

– Neue Gedichte zum 85. Geburtstag von Reiner Kunze. –

Nichts ist aussichtsloser als eine Warnung auf Leben und Tod. Alles ein alter Hut! – langweilt sich der Informierte. Diese Hysterie! – winkt der Gelassene ab und ahnt schon, da will ihn höchstwahrscheinlich wieder jemand erziehen und bevormunden, und das lässt er sich nicht bieten. Zwei gängige Muster, eins so fatal wie das andere, beiden ist gemein: Ändern wird sich nichts, am wenigsten ich mich.
Mit faszinierendem Sinn dafür, was Menschen umtreiben sollte und nicht umtreibt, sagt Reiner Kunze: „Die erlösung des planeten von der menschheit / ist der menschheit mitgegeben / in den genen“ – wissend, dass Mahnungen sinnlos sind, formuliert es Kunze als Faktum: Der Mensch, weil er so ist, wie er ist, wird vergehen wie so viele Arten vor ihm. Der Dichter hat da keine Illusion.
Kunze wird gern apostrophiert als sensibel, leise, zurückhaltend, aus der Zeit gefallen, eremitisch gar. Was aber der Lyriker, Erzähler, DDR-Zeitzeuge und Wahlbayer, der am Donnerstag, 16. August, 85 Jahre alt wird, in seinem neuen Band die stunde mit dir selbst vorlegt, das hätte die Wucht von Peitschenhieben. Wenn man es ernst nehmen wollte.
In Erlau bei Passau fand er mit seiner Frau Elisabeth eine neue Heimat. Dort, vor seiner Haustür, findet Kunze die leisen Zeichen einer Erde, die einst womöglich unbewohnbar sein wird:

Selbst der himmel scheint zu erblassen
vor der gnadenlosigkeit der sonne
Der fluß, gestriemt vom föhn,
bleckt die zähne

Die Gluttage, die Hundszeit, abgeworfene Blätter im Juli, ein Himmel, der vom Wettersatellitenbild in Passauer Altstadtstuben quillt, Schnee bis zum Himmel, die Jahreszeiten aus den Fugen. Auch Menetekel einer Klimakatastrophe fasst Kunze in singuläre Sprachkunstwerke. Aus knappsten Worten spricht die Verwunderung, dass der Menschen vor Überleben oder Untergang gar so schulterzuckend steht. Der Mensch, ein reichlich hoffnungsloser Fall beim späten Reiner Kunze. Doch so sehr dem Dichter auch grausen mag, so unerschütterlich hält er am Menschen fest: „Die menschen setzten die menschheit / aufs spiel / Doch du kommst von den menschen nicht los / Das nichts strahlt wärme nicht zurück, / noch licht“ – der Mensch, das dümmste und das liebste Wesen. Was für ein vom Leben ernüchterter, reifer Humanismus.

(…)

Mit 85 Jahren nimmt Reiner Kunze in diesem Band Abschied. Vom guten Gedächtnis, von der eigenen Sprachmacht, von der Bühne, von so vielen Freunden.

Das erdreich setzt dir seine schwarzen male ins gesicht
damit du nicht vergißt,
daß du sein eigen bist

Unwillkürlich kommen einem die Male in Kunzes Gesicht vor Augen. Der Dichter ist dabei, sich an den Tod zu gewöhnen. Der Leser darf sich ihm lernend anschließen.

Fern kann er nicht mehr sein,
der tod
Ich liege wach,
damit ich zwischen abendrot und morgenrot
mich an die finsternis gewöhne
Noch dämmert er,
der neue tag
Doch sag ich, ehe ich’s
nicht mehr vermag:
Lebt wohl!
Verneigt vor alten Bäumen euch,
und grüßt mir alles schöne

Raimund Meisenberger, Passauer Neue Presse, 14.8.2018

Verneigt vor alten Bäumen euch

– Der Schriftsteller Reiner Kunze wird 85 Jahre alt. Mit seinem neuen Gedichtband zieht er sich aus der großen Öffentlichkeit zurück. –

die stunde mit dir selbst heißt der neue Gedichtband von Reiner Kunze. Es ist, nehmen wir die Verse beim Wort, kein Buch eines künftigen Abschiednehmens, sondern des Abschieds. Der Schriftsteller, der heute 85 Jahre alt wird, zieht sich von den großen Bühnen zurück. Das ist in seinem Fall keine Kleinigkeit. Wie kein zweiter deutscher Dichter der Gegenwart füllte Reiner Kunze bei Lesungen bis zuletzt Säle. In West und Ost.
Die immer schon zarten, epigrammatisch schlanken Verse des Dichters der „sensiblen wege“, sind noch einmal zarter und schlanker, fast durchscheinend geworden. Aber nicht sentimental. Oder bitter. Kunze widersteht den Verführungen des Alters, das er schonungslos schildert:

Das soeben noch gewußte
verläßt dich auf dem weg ins wort.
Die bühne ist nicht mehr dein ort,
stumm stehn am ausgang die verluste.

Kunze lässt hier, was er sonst niemals tut, die Sätze mit Punkten enden. Letztgültige Auskünfte. Er stellt fest:

Das vorratsfach für schwarzumrandete kuverts
ist leer

Er sieht:

Das erdreich setzt dir seine schwarzen male ins gesicht

Fünf Abteilungen zählt das Buch, das Gedichte der Jahre 2010 bis 2017 versammelt. Sie schreiben die Themen von lindennacht fort, des letzten, 2007 veröffentlichten Lyrikbandes. Der Alltag des bei Passau hoch über der Donau lebenden Dichters, Szenen einer Natur, die immer unruhiger wird („Im juli / warfen die bäume die blätter ab“), das Europa der Ränder, Städtebilder aus Helsinki, Czernowitz und Kiew, das Fortwirken des gewalttätigen 20. Jahrhunderts, die an Camus geschulte geistige Widerständigkeit – das alles ist enthalten. Wie stets sind Motti beigegeben. Eines stammt von Reinhold Schneider:

Ich bin nicht lebensmüde; aber es reicht, ich habe genug gesehen für mein Billet.

Reiner Kunze ist ein Überlebender genauso wie ein Übriggebliebener, einer der Letzten, der in den sechziger Jahren zur öffentlichen Geltung gelangten großen ostdeutschen Dichtergeneration, zu der Sarah Kirsch, Volker Braun und Karl Mickel gehörten. Mit 16 Jahren als sächsischer Bergmannssohn in die SED gezogen, studierte und lehrte Reiner Kunze am „Roten Kloster“ in Leipzig Journalistik, bis er 1959 aus dem Betrieb gedrängt wurde, 1968 die Partei verließ und 1977 als Staatsfeind von Ost nach West vertrieben wurde.
Andererseits: Seine 1973 veröffentlichte Gedichtauswahl brief mit blauem siegel war – mit zwei nicht beworbenen, aber sofort vergriffenen Auflagen von jeweils 15.000 Exemplaren – die wahrscheinlich erfolgreichste Lyrik-Edition eines Einzelautors in der DDR. Seine nur im Westen veröffentlichte Prosasammlung Die wunderbaren Jahre war eine Wahrheitsschule für die Jugend im Osten. 1977 erhielt Reiner Kunze den Büchnerpreis. Heinrich Böll hielt die Laudatio.
Im Rückblick ist da kein Triumph, eher eine Verunsicherung. „porträtfoto von sich selbst von vor sechzig jahren“ heißt ein Gedicht von 2016. Kunze blickt also auf den 23-jährigen, noch parteifrommen Dichter, der er 1956 war:

NICHT NOCH EINMAL

 

Nicht noch einmal
so verführbar

 

Nicht noch einmal
so gefährdet

 

Nicht noch einmal
eine mögliche gefahr

Gegen diese wappnet das Gedicht. Reiner Kunze ist, bei aller Zuneigung für kirchliche Musik und Kunst, kein religiöser Mensch. Er glaubt an keinen Gott, keine letzte Lehre, aber er glaubt an das Gedicht. Das ist klüger als sein Autor: „Verlangt vom dichter nicht, / was einzig das gedicht kann leisten“, schreibt Kunze. Sein „Epitaph“ für die Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger, die 1924 in Czernowitz geboren wurde und 1942 im Arbeitslager Michajlovka starb, zählt nur vier Zeilen:

Dem tod war es gegeben,
sie zu holen aus dem leben,
doch nicht
aus dem gedicht

Reiner Kunzes Lyrikband verspricht nicht die Stunde „mit mir“, sondern „mit dir“ selbst. Das ist ein Unterschied. Kein Greisengemurmel wird hier geboten. Keine Stimmungen werden ausgekippt. Kunzes Buch ist keine Nabelschau. Dieses mit kunstvoller Klarheit gestaltete Werk interessiert sich für die Welt. Es ist eine Einladung:

Möge ihn beglücken, was er sieht,
damit der tag in seiner seele wurzeln schlägt
und er ihn für die dunklen zeiten in sich trägt

Bei allem Ernst hält Reiner Kunze immer die Balance. Er ist bis zuletzt ein entschiedener Zuarbeiter der Nichtverzweiflung. Auch im Abschiednehmen. „Noch dämmert er, / der neue tag“, heißt es im letzten Gedicht des Bandes. Das endet mit einem Punkt:

Doch sag ich, ehe ich’s
nicht mehr vermag:
Lebt wohl!

 

Verneigt vor alten bäumen euch,
und grüßt mir alles schöne.

Christian Eger, Frankfurter Rundschau, 16.8.2018

„Doch sie wissen schon nicht mehr, was sie nicht mehr wissen“

– Reiner Kunze, als Lyriker ein Meister beredter Verknappung, legt mit die stunde mit dir selbst einen Gedichtband vor, der wie ein Vermächtnis klingt. –

Zehn Jahre nach seinem bislang letzten Gedichtband hat der mittlerweile 85 Jahre alte Reiner Kunze, einer der feinsinnigsten zeitgenössischen Lyriker, vor einiger Zeit einen neuen vorgelegt, der schmal nur dem Umfange nach ist. Wiewohl die stunde mit dir selbst nur 42, oft nur wenige Verse lange Gedichte umfasst, hebt sie ihr poetischer Nachhall doch heraus aus der Lyrikproduktion dieses Jahres.
Kaum war der 1933 im tiefsten Erzgebirge als Sohn eines Bergarbeiters und einer Näherin geborene Kunze 1977 nach Jahren des dichterischen Berufsverbots in der DDR als Dissident in die Bundesrepublik übergesiedelt, wurde ihm dort sogleich der Büchnerpreis zuerkannt. Nicht zuletzt für seinen unvergessenen Prosaband Die wunderbaren Jahre, wohl eine der subtilsten Abrechungen mit der DDR überhaupt. Seit damals wohnt Kunze mit seiner Frau in dem unweit von Passau gelegenen 500-Seelendorf Erlau, in dessen angrenzenden Wäldern einst Adalbert Stifters Roman Witiko spielte. Fern allen Stadtgemurmels formt Kunze dort seit über 40 Jahren seine lyrischen Miniaturen.
In fünf Abteilungen geordnet – sie kreisen um die Gesichter der Jahreszeiten, um Ferne und Gedenken (in Gestalt von neun Reisegedichten), die Wörterarbeit und die gewonnenen Einsichten, das Zustandsbild der Welt sowie um Alter und Tod – liest sich der Band wie eine Lebensbilanz, wie ein Vermächtnis. Mit dem in Reichweite lauernden Tod als dem bewegendsten Schusskapitel. „Die kleinen heimaten in fremden ländern / sind nicht mehr // Das vorratsfach für schwarzumrandete kuverts / ist leer // Die zunge wird vom schweigen schwer“, schreibt Kunze in „Verstummen“. Wie ein Epitaph liest sich das letzte Gedicht seines von allem Überflüssigen bereinigten Buchs:

Fern kann er nicht mehr sein,
der tod

 

Ich liege wach,
damit ich zwischen abendrot und morgenrot
mich an die finsternis gewöhne

 

Noch dämmert er,
der neue tag

 

Doch sag ich, ehe ich’s
nicht mehr vermag:
Lebt wohl!

 

Verneigt vor alten bäumen euch,
und grüßt mir alles schöne.

Unpolitisch hat man Kunze oft genannt – und als Konservativen gescholten, weil er auch nach dem Ende der DDR Kritik am Sozialismus übte. Ein Gedicht wie „Ukrainische Nacht“ im neuen Band zeigt, dass sich solche vorschnellen Etikettierungen von selbst erledigen, schaut man nur genauer hin und liest. Die Dichterin Rose Ausländer zitierend, heißt es darin „Das land, / verstümmelt, / veruntreut, / verraten, / hob mich auf den rücken der Karpaten, / und im wachtraum hörte ich / die dichterin die mutter fragen, / was diese gern geworden wäre, und die mutter sagen: / eine nachtigall“. Und im Titelgedicht liest man als verkappten Steckbrief in eigener Sache:

Die menschheit mailt
Du suchst das wort, von dem du nicht mehr weißt,
als daß es fehlt

Dass die Welt auf ein Display passen soll, das heute viele als Ausweis ihrer Selbstherrlichkeit betrachten, ist Kunze suspekt. In „Leichte Beute“ genügen ihm sechs Verse zur Klarstellung:

Sie halten sich am handy fest

 

Was ist und war
ist abrufbar
mit der fingerkuppe

 

Doch sie wissen schon nicht mehr,
was sie nicht mehr wissen

Kann ein 85-jähriger Dichter seiner Zeit treffender die Leviten lesen? Nur: Wen interessiert’s?

Christoph Schreiner, Saarbrücker Zeitung, 2.12.2018

„Wir wateten im grünen laub und traten den sommer mit füßen“

– Wie geschaffen für diese heißen Tage: In seinem neuen Gedichtband zeigt sich die leise, weise Melancholie von Reiner Kunze, der jetzt 85 Jahre alt wird. –

Sage noch einer, Lyrik wäre nicht aktuell. Bei Reiner Kunze hat man den Eindruck, seine Gedichte wären ihm unter der Hand zu Menetekeln geworden, als wären sie geschrieben auf diesen heißen Sommer  2018  und hätten das Kunststück fertig gebracht, schon vorzuliegen, bevor das Thermometer wochenlang auf  35  Grad verharrte. In diesen Versen scheint selbst „der himmel zu erblassen vor der gnadenlosigkeit der sonne“, der Fluss „bleckt die Zähne“ und die Bäume werfen im Juli die Blätter ab:

Wir wateten im grünen laub
und traten den sommer mit füßen

Dabei ist unverkennbar, dass die Natur für den Dichter immer noch der Ort ist, an dem die „seele wurzeln schlägt“, wenn das Licht dem Schläfer sanft das Augenlid hebt und der neue Tag beginnt. Ach, was sind das für Zeiten, in denen das Gespräch über Bäume notgedrungen auf die Verbrechen der Menschheit zu sprechen kommen  muss!
Zehn Jahre nach seinem letzten Gedichtband lindennacht legt Reiner Kunze mit die stunde mit dir selbst noch einmal einen schmalen Band mit Gedichten vor, kurze und kürzeste poetische Skizzen, die mit einem sehr dünnen Bleistift geschrieben zu sein scheinen. In diesem Büchlein gibt es mehr weißen Raum als Textzeilen, aber die Leere und die Weite, in der jedes dieser Gedichte ruht, sind eine notwendige Bedingung dieser poetischen  Weltsicht.
In fünf thematische Kapitel hat Kunze den Band unterteilt, die einen Bogen schlagen von der bedrohten Natur zur Fragilität der politischen Welt und weiter zur Suche nach einer Sprache, in der die Frage nach dem, was der Mensch ist und was Alter und Tod bedeuten, gestellt werden könnte. „Du suchst das wort, von dem du nicht mehr weißt / als dass es fehlt“, heißt es im titelgebenden Gedicht des Bandes, bevor die Erinnerung zurückführt in eine Kindheit, in der das Sehen und das Benennen zusammenfielen, als Weizen noch Weizen und Roggen noch Roggen war und die Wörter „kurze grannen und lange“ hatten.
Jedem Abschnitt und auch vielen Gedichten hat Kunze Zitate als Motti vorangestellt. So befindet er sich im Gespräch mit den Stimmen von Rose Ausländer, Paul Celan, Hannah Arendt oder René Char, dessen Satz den dichterischen Ort von Kunze sehr genau beschreibt:

Dichtung ist Einsamkeit ohne Abstand inmitten der Geschäftigkeit aller; das will besagen: Einsamkeit, die die Möglichkeit hat, sich anzuvertrauen.

In dieser Doppeltheit aus Zuwendung und Abschiednehmen schreibt Kunze; nur da ist die Begegnung mit sich als Teil der Welt  möglich.
Immer dann, wenn die Sprache selbst zum Thema und zum Ereignis wird und alles Meinen und Mahnen verschwindet, gelingen Kunze Verse von ungemeiner Präzision und Eindringlichkeit. Unter dieses Niveau gerät er, wenn der kulturkritische Blick zu sehr an die Oberfläche dringt. Dann ist der Sprachverlust jenseits der Poesie nur noch die Konsequenz einer Gegenwart, in der gemailt statt geschrieben und aufs Handy gestarrt wird, statt zu sehen. Das mag als Zeitdiagnose ja zutreffen, als poetischer Gegenstand ist es aber zu  dünn.
Dass Kunze, der am  16. August  85  Jahre alt wird, mit der Nähe des Todes lebt, ist klar. Schon vor zehn Jahren in lindennacht hatte er versprochen, mit der Stunde, wenn sie denn nahe, nicht zu hadern. Jetzt schreibt er:

Fern kann er nicht mehr sein
der tod

 

Ich liege wach,
damit ich zwischen abendrot und morgenrot
mich an die finsternis gewöhne

Das Verschwinden, die Loslösung und die Liebe zu einer Welt, die auf alle erdenkliche Weise verloren zu gehen droht, ist der Grundton dieser Verse. In ihnen schwingt eine leise und sehr weise Melancholie, die doch voller Freundlichkeit ist und voller  Zuversicht.
Zur Schönheit und Eigenwilligkeit dieser angenehm altmodischen Lyrik gehört, dass Kunze den Reim nicht scheut, ja, ihn rehabilitiert. Er zeigt, dass sich mit den Reimen aus dem Klang der Wörter heraus Bedeutungen ergeben, die über das hinausgehen, was jedes Wort für sich alleine bedeuten könnte. So endet das Gedicht auf den nicht mehr fernen Tod und die Finsternis „an die ich mich gewöhne“ mit dem Hinweis, dass es besser sei, sich jetzt schon zu verabschieden und mit einem Gruß an die Zurückbleibenden:

Verneigt vor alten bäumen euch
und grüßt mir alles schöne

Das sind Verse, die man sich auch auf einem Grabstein denken könnte – so wie Kunze der jungen Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger aus Czernowitz, die  1942  in einem Arbeitslager ums Leben kam, einen lapidaren Grabspruch widmet:

Dem tod war es gegeben,
sie zu holen aus dem leben,
doch nicht
aus dem gedicht

Darin steckt der Glaube des Dichters, dass es die Sprache ist, die überlebt. Da mag er sich noch so leise verabschieden. Seine Verse werden hörbar  bleiben.

Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung, 13.8.2018

Verneigt vor alten Bäumen euch

– Der Dichter Reiner Kunze wird 85 und zieht jetzt seine lyrische Lebensbilanz. –

Selbst die Sonnen fliehen vor der Erde, die in Reiner Kunzes neuem Lyrikband die stunde mit dir selbst in Chaos und Gewalt versinkt. Er mahnt vor den demagogischen Kriegstreibern und dem Machtwillen der Despoten. Vor allem dem Osten Europas gilt sein Blick, wo die Ukraine als „land / verstümmelt, veruntreut / verraten“ worden sei. Dem lyrischen Ich bleibt da einzig die traurige Erkenntnis:

Die erlösung des planeten von der menschheit
ist der menschheit mitgegeben
in den genen

Dabei sind die Traumata, die politische Irrwege und Kriege hervorrufen, längst bekannt. Wer das Lamento auf unsere Zeit genau liest, wird auf Zitate von Paul Celan stoßen. Mit ihm schimmert die Geschichte durch den rissigen Boden der Gegenwart. Wie ein Mahnmal mutet ebenso Kunzes lakonische Hommage an die in einem Arbeitslager gestorbene jüdische Autorin Selma Meerbaum-Eisinger an:

Dem tod war es gegeben,
sie zu holen aus dem leben
doch nicht
aus dem gedicht

Ja, die Poesie bewährt sich, erweist sich als wachrüttelnder „hirnstoßdämpfer“ und stellt sich gegen die Rohheit des Daseins. Dass der Lyriker oftmals auf schlichte Paarreime zurückgreift, zeigt nicht die Hilflosigkeit, sondern die Stärke seiner Sprache an. Sie hält zusammen, was zu zerbrechen droht, ringt in unsicheren Zeiten um eine Form. Überdies schließt sie Erinnerungen ein – für eine Gesellschaft, die droht den Blick für ihre Vergangenheit zu verlieren, wie für den Einzelnen.
Neben den kulturkritischen Miniaturen trifft man daher auch auf sehr persönliche Texte des 1933 geborenen Kunze – über das Schreiben, das Innehalten, die Choreografie der Wolken und nicht zuletzt über das Altern. Verse wie „stumm stehn am ausgang die verluste“ oder „Fern kann er nicht mehr sein, / der tod“ zeugen von der spürbaren Dringlichkeit eines Romantikers, noch einmal Bilanz ziehen zu wollen. Der Dichter wurde in den siebziger Jahren berühmt mit seinem die Verhältnisse in der DDR messerscharf sezierenden Prosaband Die wunderbaren Jahre; prompt wurde er aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und 1977 in den Westen vertrieben. Jetzt ruft er, zehn Jahre nach seinem Band lindennacht, seinen Lesern nun ein „Lebt wohl!“ zu. Es ist gerade der existenzielle Tenor, der die Lektüre zu einer berührenden Naherfahrung werden lässt.
Der Dichter verzichtet dabei völlig auf ausschmückendes Beiwerk. Volksliedartig klingen seine Sätze. Intensität entsteht hier durch Reduktion. Denn wo kein Wort zu viel gesetzt ist, bleibt pure Essenz. Obgleich man schnell den Eindruck gewinnen könnte, dass an diesem freigelegten Urgrund der Sprache nichts als der Tod wartet, belehren uns die Gedichte durchaus eines Besseren. „Du suchst das wort, von dem du nicht mehr weißt, / als daß es fehlt“, heißt es in einem Poem. Schreiben bedeutet für Kunze ein Vortasten und In-Bewegung-Sein. Insbesondere dann, wenn Melancholie alles zu verdunkeln droht. Doch steht sie für mehr als nur Abschied. Kunze erkennt auch ihre musische Kraft. Gerade weil er in das Grauen gesehen hat, weiß er vom Guten zu träumen. Und so lesen sich die letzten Verse dieses Bandes wie eine hoffnungsvolle Versöhnung mit der Welt:

Verneigt vor alten bäumen euch,
und grüßt mir alles schöne.

Björn Hayer, Die Zeit, 9.8.2018

Konzentriertes Beobachten und gezielte Wortfindung

Es gibt ein Gedicht, mit dem die Faszination der Lyrik Reiner Kunzes für mich begann:

Rudern zwei
ein boot,
der eine
kundig der sterne,
der andre
kundig der stürme,
wird der eine
führn durch die sterne,
wird der andere
führn durch die stürme,
und am ende, ganz am ende
wird das meer in der erinnerung
blau sein

Und Reiner Kunzes Lyrik ist noch dichter geworden.
Ein faszinierender Lyrikband, das einen auf einen selbst zurückwirft und zugleich die Verbindung mit der Welt hält. Über 40 Gedichte sind hier konzentriert in der Wortzahl, dicht in den Aussagen, reich an Bildern und Andeutungen und Bedeutungen.
Als ob Reiner Kunze schon den heißen Sommer 2018 geahnt hätte, schreibt er „Selbst der himmel scheint zu erblassen vor der gnadenlosigkeit der sonne“. Wenig später wird dann „Das gedicht – ein hirnstoßdämpfer, der die erschütterungen abfängt auf dem kopfsteinpflaster der zeit“. Und ganz nah noch an der medialen Nutzung, erklärt er die Nutzenden als „LEICHTE BEUTE // Sie halten sich am handy fest // Was ist und war / ist abrufbar / mit der fingerkuppe // Doch sie wissen schon nicht mehr, / was sie nicht mehr wissen“. Hieran schließt sogleich eine Momentaufnahme einer Zugfahrt an, „Entlang den windparkhorizonten, vorüber an verglasten wiesen… Mit hundert menschen, scheint’s / reisen neunundneunzig handys / und ein buch…“
Es sind diese dichten Beobachtungen, welche diesen Lyrikband zu einem Loblied auf die Poesie werden lassen. Mal gereimt, mal verdichtet, schenkt uns Reiner Kunze wieder Dichtung, die das Leben ausströmen lässt.
Und so ist auch das letzte Gedicht dieses Bandes eine Ahnung und Botschaft zugleich, wenn es heißt:

Fern kann er nicht mehr sein,
der tod…
Doch sag ich, ehe ich’s
nicht mehr vermag:
Lebt wohl!

 

Verneigt vor alten bäumen euch,
und grüßt mir alles schöne.

Die an den Gedichten angehängte Dankesrede vor Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2013 zeugt zudem von dem Europäer Reiner Kunze, der sich nicht einer Einheitssprache verschreibt, sondern vielmehr in Europa die „Verlockung für junge Menschen, zwei, drei Sprachen zu lernen“ sieht. Er plädiert für Muttersprachen, damit die „Gesamtheit dieser Ausdrucksmöglichkeiten… den Sprachhorizont der Menschheit“ erweitert. Die stunde mit dir selbst ist ein Erfassen der Gegenwart, ein Begreifenwollen der Vergangenheit und ein Ahnen an Zukunft.
In diesem Sinne ist Reiner Kunze ein klarer Dichter.
Ein brillanter Band, dem viel Entdeckungsfreude an Beobachtungspunkten und Wortfindungen zu wünschen ist!

Detlef Rüsch, amazon.de, 29.7.2018

Genug gesehn

Der S.-Fischer-Verlag hat zum 85. Geburtstag von Reiner Kunze einen Gedichtband herausgebracht. Darin hat der Büchner-, Hölderlin– und Trakl-Preisträger neue Gedichte nach 2000 auf seinem Dichter-Feld aufgelesen. Sie sind quasi die Ernte seiner Wörterähren mit „kurzen und langen Grannen“. Die stunde mit dir selbst scheint nur in gelassener Behutsamkeit der Reife zu gelingen, denn sie ist das Innehalten beim Abschiednehmen vor dem unausweichlichen Ende.
Die gereimten und ungereimten Gedichte, das „greisenweiße“ Haiku, die Celan-Gedenken und andere Nachdichtungen werden in aller Bescheidenheit mit einer fremden Widmung eingeleitet und deuten die Thematik an. Geordnet hat Kunze nach unterschiedlichen Orten, zu verschiedenen Zeiten, über das Gedicht als Werk des Menschen von Beginn an bis an den Schluss.
Der Dichter verabschiedet sich – vorläufig – mit einem frohen Lebewohl:

grüßt mir alles schöne.

Er habe „genug gesehen“. Wenngleich er auch eine gewisse Grundwehmut nicht verbergen kann und offensichtlich will, zum Beispiel wenn er das Infragestellen der Tatsachen und die Angst vor dem Anonymen in der gegenwärtigen Gesellschaft bemängelt.
Auch ein Passau-Gedicht als Reminiszenz an seine Wahlheimat (Im Jahr der Hochwasser-Studie 2010, drei Jahre vor dem tatsächlichen Jahrhunderthochwasser-Ereignis) ist wieder in der Sammlung, die dreimal die „Flügel“ der Sprachkunst besingt, nicht allein im Orgel-Gedicht mit den „stiebenden tönen im flügelwind“.
Im Anhang schüttet er vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments in einer Dankrede sein Herz aus.
Diese sich selbst gewidmete Stunde wirkt auf mich nicht wie eine ernüchternde oder erschütternde Lebensbilanz, sondern wie eine, die erfüllt ist von feinfühlender Dankbarkeit aus „wachsender Entfernung“ des „menschlichen Wesens“ von der Erde. Somit erhebt sie sich aus einer autobiografischen Innenbeschau hinaus auf eine mitsorgende Weltsicht für jeden Leser.

R. Zenser, amazon.de, 13.9.2018

Abschied vom Leben und vom Dichten

Die wenigen, dem Leben der vergangenen zehn Jahre abgesparten Gedichte, sind nicht alles, was der schmale Band zu bieten hat. Stille und Schweigen, mehr noch als Worte, sprechen aus ihm. Und der Leser „reicht nicht hin, wohin sein Schweigen reicht“, wie es in einem früheren Gedicht Kunzes über den alten Vater heißt. Der Weltzustand, so beklagenswert wie gefährlich, ist wie er ist. Die Menschen, in rasanter Veränderung begriffen und der Verluste längst nicht mehr bewusst, sind dennoch alles, was wir haben. Kann man mit dem so offensichtlich Unheilen und Gefährdeten dennoch leben – weil es ist, wie es ist? Ist unser aller Leben, von außen besehen, das von Entwurzelten, horizontal ausgestreckt, himmellos, wie der Dichter im Traum sein Leben sah? Resignation, heißt es in einem früheren Band, ist keine Verzweiflung. Resignation führt Ihre Perspektive bis an den Rand des Dunkels, aber bewahrt Haltung auch vor ihm. Das Dunkel ist jetzt auch der nahe Tod, buchstäblich, der mit den unvermeidlichen Begleiterscheinungen des Alters näher rückt im 85. Lebensjahr. Freunde in aller Welt sind inzwischen gestorben. Das Wort, von dem man mehr nicht weiß, als dass es fehlt, das eben noch auf dem Weg war, entzieht sich, verschwindet. Das Bücken fällt schwer, nicht aber die Verneigung vor allem Schönen und der Natur. Mehr denn je leuchtet aus Kunzes Texten aus der poetisch erhellten Dunkelheit die unsagbare lichtvolle Weisheit des Zen, der es zum Staunen genügt, dass die Dinge sind.

Ein Leser, amazon.de, 1.8.2018

Eine Stradivari…

Reiner Kunze entstammt einer aussterbenden Spezies: Diejenige, die sprachlich knapp, aber nahezu digital präzise Dinge ausdrücken kann, die menschlich berühren. Keine Geschwätzigkeit, kein Wort zuviel, aber immer auf den Punkt exakt getroffen. Dabei möchte ich ihn mit einer Stradivari vergleichen: Er mag zwar alt geworden sein, aber der Ton ist noch immer umwerfend. Und, egal, wie alt das Instrument ist, wieviel Kratzer und Kerben es abbekommen haben mag, es klingt noch immer auf einem Niveau, das andere nie erreichen.
die stunde mit dir selbst – ein Meisterwerk, das einem Lachen und Weinen zugleich entlockt und das bei mir jetzt ein Sonderplätzchen auf dem Schreibtisch bekommen hat und in Arbeitspausen immer wieder in die Hand genommen wird. Ich bin eher Kunzes Enkelgeneration, aber es ist nicht wichtig, wie alt jemand ist, wenn er etwas zu sagen hat:

Mit schwarzen flügeln flog davon die rote vogelbeere
der blätter tage sind gezählt

 

Die menschheit mailt

 

Du suchst das wort, von dem du mehr nicht weißt,
als daß es fehl
t

Wie wohltuend filigran.
Ich hoffe sehr, dass uns Reiner Kunze noch lange erhalten bleibt.

Andrea Gryphius, amazon.de, 18.10.2018

Hellsichtig

– Der Schriftsteller Reiner Kunze hat seine Ukraine-Gedichte bereits 2016 geschrieben. Doch die Verse sind schmerzhaft aktuell. –

Ein blauer himmel über einem weizenfeld – so stand
bei minus zwanzig grad am straßenrand
das klavier

 

und die einen spielten
die hymne und Chopin,
und die anderen zielten
auf die hymne und Chopin

Entstanden ist Reiner Kunzes „Revolutionsgedicht“ im Jahr 2016, als er mit seiner Frau Elisabeth in die Ukraine reiste, um den Literaturwissenschaftler und Übersetzer Petro Rychlo bei der Vorstellung eines zweisprachigen Auswahlbands seiner Gedichte in Kiew und Czernowitz zu unterstützen. Sensible Wege, so der Titel, war die erste repräsentative Ausgabe seiner Werke in der Ukraine.
Kunze habe wegen seiner konsequenten politischen Position als Dissident in der ehemaligen DDR wenig Chancen gehabt, im postsowjetischen Kulturraum bekannt zu werden, schrieb Herausgeber Rychlo damals in einem einführenden Text.

Diese Tatsache bildet eine frappante Dissonanz zur Beliebtheit seiner Gedichte, die zu den feinsten Artikulierungen zeitgenössischer deutscher Lyrik gehören, in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern.

Kunzes Gedichte waren zu diesem Zeitpunkt bereits in mehr als 30 Sprachen übersetzt worden.
Die Beobachtungen des Schriftstellers während seiner Lesereise mündeten in eine Reihe von Ukraine-Gedichten, nachzulesen in seinem 2018 erschienenen Gedichtband die stunde mit dir selbst (Fischer). Hellsichtig nahm er die Schrecken der Wirklichkeit in seiner Umgebung wahr. Sah die Ukraine als „land / verstümmelt, veruntreut / verraten“. Sucht im „Ukrainische Nacht“ betitelten Gedicht das Gespräch mit zwei Dichtern aus Czernowitz: mit Rose Ausländer, deren Vers „Der Karpatenrücken… / lädt dich ein / dich zu tragen“ er dem seinen voranstellt. Und mit Paul Celan, „des dichters, dessen wort wir in uns tragen: / Der Tod ist ein Meister aus Deutschland / Doch weiß man hier, der tod / kam nicht aus Deutschland nur, er kam / mit zweierlei gesicht, / und riesig ist das land, wo man / ihm blumen steckt und ruhmeskränze flicht.“ Die Anspielung auf Russland ist nicht zu überlesen, genauso wenig wie die Mahnung zur Wachsamkeit vor Kriegstreibern.
Die Gedichte wirkten wie ein Kommentar zum gegenwärtigen Krieg Russlands gegen die Ukraine, findet Heiner Feldkamp, Mitglied des Stiftungsrats der Elisabeth-und-Reiner Kunze-Stiftung.

Ein poetischer Kommentar, der sich einbrennt ins Herz und ins Gedächtnis.

Der Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine habe den inzwischen 88-jährigen Kunze sehr erschüttert, berichtet er. Der Dichter und seine Frau Elisabeth leben seit 1977, als sie nach jahrelangen Schikanen und Bespitzelung durch die Staatssicherheit die DDR verließen, in Obernzell-Erlau im Landkreis Passau. Nach ihrem Tod soll sich ihr Wohnhaus in ein Museum wandeln, in „eine Stätte der Zeitzeugenschaft und einen Ort des Schönen“, dazu beitragen, „,Antikörper‘ zu bilden gegen ideologische Indoktrination“ (Kunze) und gleichzeitig zum Widerstand gegen totalitäre Gesellschaften ermutigen. Aber auch zeigen, woher die Kraft kam zu widerstehen: aus der Kunst.
Kunzes lebenslanges Anschreiben gegen die Verkehrung von Tatsachen drückt sich auch im „Diebeslied“ aus, einem Gedicht, das die Okkupation der Krim thematisiert.

Zeig dem Land, das dich betört,
das dir aber nicht gehört,
deine fürsorgliche liebe,
schenk ihm eine nacht der diebe,
die es stehlen ohne skrupel
und verkünde dann mit jubel
was dir pflicht war heimzuholen
kann nicht gelten als gestohlen.

Sabine Reithmaier, Süddeutsche Zeitung, 28.3.2022

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Timo Brandt: Wehmut zu allererst – „und grüßt mir alle schöne“
signaturen-magazin.de

Dietmar Jacobsen: Gedichte sind schlauer als ihre Verfasser – ohne sie aber gäbe es sie nicht
literaturkritik.de, September 2018

Martin Straub: Verletzlichkeit der Poesie
LiteraturLand Thüringen, 11.8.2018

 

 

VERSUCH ÜBER SILBERDISTELN
für Reiner Kunze

es gibt die konstellationen
des südlichen und des nördlichen himmels,
und es gibt sie: die silberdisteln.

zu finden beim vieh, auf den weiden,
nicht in den glashäusern und parks.
ihr trick: so dicht am boden
noch schweben zu können,

in asterisken zu glimmen,
bevor die frühe nacht
als schatten einer kuh auf sie fällt.

auch jener astrologe,
der im dunkel zu lesen versteht,
barfuß über die wiese geht,
wird an sie denken.

Jan Wagner

 

DICHTERBILD

Reiner Kunze ist ein trauriger Dichter
der Spott als Waffe
gegen Traurigkeit nimmt
deshalb weint er mit einem Auge
und lacht mit dem anderen

Reiner Kunze kommt auch
aus dem Land der roten Taschenbücher
wo die Menschen nicht Herren waren
sondern Genossen

Reiner Kunze schreibt keine langen Gedichte,
da er weiß, dass niemand Zeit hat sie zu lesen
und dass langes Reden
Armut des Dichters bedeutet

Reiner Kunze schreibt Gedichte
durch unmittelbare Wirklichkeit angeregt,
da er weiß, dass deren Mitteilung
direkt zu Herzen geht

als unbequem betrachtet
hat man ihn zum Schweigen gebracht
zwölf Jahre lang mit einer einfachen
Partei- oder Staatsentscheidung

Reiner Kunze ist ein kluger Dichter
der sich ganz frei bewegt
in seinem eigenen magnetischen Feld.

Mircea M. Pop

 

Michael Wolffsohn: REINER KUNZE – der stille Deutsche

Herlinde Koebl spricht mit Reiner Kunze – „Einen weiteren Ansehensverlust der DDR wollte man vermeiden“, Die Zeit, 22.5.2019

In Lesung und Gespräch: Reiner Kunze (Autor, Obernzell-Erlau), Moderation: Christian Eger (Kulturredakteur der Mitteldeutschen Zeitung, Halle). Aufnahme vom 17.1.2012, literaturWERKstatt berlin. Klassiker der Gegenwartslyrik: Reiner Kunze. Wenn die post hinters fenster fährt blühn die eisblumen gelb.

 

 

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Harald Hartung: Auf eigene Hoffnung
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.8.1993

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Katrin Hillgruber: Im Herzen barfuß
Der Tagesspiegel, Berlin, 16.8.2003

Lothar Schmidt-Mühlisch: Eine Stille, die den Kopf oben trägt
Die Welt, 16.8.2003

Beatrix Langner: Verbrüderung mit den Fischen
Neue Zürcher Zeitung, 16./17.8.2003

Sabine Rohlf: Am Rande des Schweigens
Berliner Zeitung, 16./17.8.2003

Hans-Dieter Schütt: So leis so stark
Neues Deutschland, 16./17.8.2003

Cornelius Hell: Risse des Glaubens
Die Furche, 14.8.2003

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Michael Braun: Poesie mit großen Kinderaugen
Badische Zeitung, 16.8.2008

Christian Eger: Der Dichter errichtet ein Haus der Politik und Poesie
Mitteldeutsche Zeitung, 16.8.2008

Jörg Magenau: Deckname Lyrik
Der Tagesspiegel, 16.8.2008

Hans-Dieter Schütt: Blühen, abseits jedes Blicks
Neues Deutschland, 16./17.8.2008

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Jörg Bernhard Bilke: Der Mann mit dem klaren Blick: Begegnungen mit Reiner Kunze: Zum 80. Geburtstag am 16. August
Tabularasa, 18.7.2013

artour: Reiner Kunze wird 80
MDR Fernsehen, 8.8.2013

André Jahnke: Reiner Kunze wird 80 – Bespitzelter Lyriker sieht sich als Weltbürger
Osterländer Volkszeitung, 10.8.2013

Josef Bichler: Nachmittag am Sonnenhang
der standart, 9.8.2013

Thomas Bickelhaupt: Auf sensiblen Wegen
Sonntagsblatt, 11.8.2013

Günter Kunert: Dichter lesen hören ein Erlebnis
Nordwest Zeitung, 13.8.2013

Marko Martin: In Zimmerlautstärke
Die Welt, 15.8.2013

Peter Mohr: Die Aura der Wörter
lokalkompass.de, 15.8.2013

Arnold Vaatz: Der Einzelne und das Kartell
Der Tagesspiegel, 15.8.2013

Cornelia Geissler: Das Gedicht ist der Blindenstock des Dichters
Berliner Zeitung, 15.8.2013

Johannes Loy und André Jahnke: Eine Lebensader führt nach Münster
Westfälische Nachrichten, 15.8.2013

Michael Braun: Süchtig nach Schönem
Badische Zeitung, 16.8.2013

Jochen Kürten: Ein mutiger Dichter: Reiner Kunze
Deutsche Welle, 15.8.2013

Marcel Hilbert: Greiz: Ehrenbürger Reiner Kunze feiert heute 80. Geburtstag
Ostthüringer Zeitung, 16.8.13

Hans-Dieter Schütt: Rot in Weiß, Weiß in Rot
neues deutschland, 16.8.2013

Jörg Magenau:  Der Blindenstock als Wünschelrute
Süddeutsche Zeitung, 16.8.2013

Friedrich Schorlemmer: Zimmerlautstärke
europäische ideen, Heft 155, 2013

Zum 85. Geburtstag des Autors:

LN: Sensible Zeitzeugenschaft
Lübecker Nachrichten, 15.8.2018

Barbara Stühlmeyer: Die Aura der Worte wahrnehmen
Die Tagespost, 14.8.2018

Peter Mohr: Die Erlösung des Planeten
titel-kulturmagazin.de, 16.8.2018

Udo Scheer: Reiner Kunze wird 85
Thüringer Allgemeine, 16.8.2018

Jochen Kürten: Sich mit Worten wehren: Der Dichter Reiner Kunze wird 85
dw.com, 16.8.2018

 

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Lothar Müller: Widerstand in Jeans
Süddeutsche Zeitung, 15.8.2023

Cornelia Geißler: Dichterfreund und Sprachverteidiger
Berliner Zeitung, 15.8.2023

Antje-Gesine Marsch: Greizer Ehrenbürger Reiner Kunze feiert 90. Geburtstag
Ostthüringische Zeitung, 16.8.2023

Ines Geipel: Nachwort. Zum 90. Geburtstag von Reiner Kunze
S. Fischer Verlag

Ines Geipel: Mit dem Wort am Leben hängen
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.8.2023

Gregor Dotzauer: Mit den Lippen Wörter schälen
Der Tagesspiegel, 15.8.2023

Hans-Dieter Schütt: Das feingesponnene Silber
nd, 15.8.2023

Stefan Stirnemann: Ausgerechnet eine Sendung über Liebesgedichte brachte Reiner Kunze in der DDR in Nöte – und mit seiner späteren Frau zusammen
Neue Zürcher Zeitung, 15.8.2023

Christian Eger: Herz und Gedächtnis
Mitteldeutsche Zeitung, 15.8.2023

Matthias Zwarg: Im Herzen barfuß
Freie Presse, 15.8.2023

Marko Martin: Nie mehr der Lüge den Ring küssen
Die Welt, 16.8.2023

Josef Kraus: Mutiger Lyriker, Essayist, Sprachschützer, DDR-Dissident, Patriot – Reiner Kunze zum 90. Geburtstag
tichyseinblick.de, 16.8.2023

Erich Garhammer: Das Gedicht hat einen Wohnort: entlang dem Staunen
feinschwarz.net, 16.8.2023

Volker Strebel: Ein deutsch-deutscher Dichter
faustkultur.de, 29.8.2023

 

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shi 詩 yan 言 kou 口

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Reiner Kunze

 

 

Reiner Kunze – Befragt von Peter Voss am 15.7.2013.

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