Uwe Kolbe: Lietzenlieder

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Uwe Kolbe: Lietzenlieder

Kolbe-Lietzenlieder

LIBUŠE

Dich anzusprechen im Gedicht, ein jedes Du
wirkt kostbar, eitel, fällt zurück auf seinen Schreiber.
Der wieder kann nicht anders: Du magst ihm
aaaaaverzeihen.
So torkelt er auf dich, die Angesprochne, zu.

Wir trinken Wasser, das aus deinen Bergen kommt,
und können deine reiche Sprache doch nicht
aaaaasprechen.
Wir sind’s, die mit dem Pflug den Mutterboden brechen
auf dem von deinem Lande hergeschwemmten Grund.

Es nimmt jetzt zu, dass ich auf Wegen durch die Stadt
Gesichter sehe von Gestorbenen, so heute,
ach deins, als hätten wir die Freundschaft doch gewagt,

als hätten wir nicht nur versprochen uns die Freude,
als gäb’s nicht bloß den Brief, der dich zu kommen bat,
und deinen, der mir schon dein Sterben angesagt.

 

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Inhalt

Uwe Kolbe bleibt ein Suchender. Spielerisch und lustvoll erforscht er in Sonetten und freien Gedichten Gedanken und Erinnerungen. Vergleichend und assoziativ nähert er sich Fragen nach Heimat und Biographie, betrachtet Landschaften und Menschen, in den USA und Brandenburg. Auf dem Feld der Sprache wagt er sich vor, findet Leichtes und Schweres, zeigt immer wieder Überraschendes auf. Und beweist mit seinem neuen Gedichtband einmal mehr, dass er ein großer Kenner poetischer Traditionen und souveräner Sprachgestalter ist.

S. Fischer Verlag, Ankündigung

 

Engel an den Notausgängen

– Lust und Zweifel: Uwe Kolbes Gedichtband Lietzenlieder. –

Uwe Kolbes neuer Gedichtband dokumentiert eine neue Etappe in seiner Dichter-Biografie. In acht Kapiteln enthält er achtzig Gedichte. Zwei der Kapitel sind kleine Zyklen und tragen eigene Titel, das siebte heißt eben Lietzenlieder:

Im leicht gewellten märkischen Gebiet
der wohlgeformte See.

Das ist der Lietzensee in Berlin, der seinen Namen wohl von einem slawischen Wort geerbt hat, welches Sumpf und Schlamm bedeutet. Das erste Kapitel heißt „Lust, Umgang, Sprache“ und trägt den Untertitel „Curriculum vitae“.
Im Jahr 1995 hatte Uwe Kolbe in einem Vortrag einige seiner Gedichte, verfasst etwa vom 14. Lebensjahr an, daraufhin untersucht, wie das eine Ich, das erlebende, Abstand vom anderen Ich, dem erschriebenen, nimmt. Dazu hatte er sich eine Chronologie mit einem ironischen „Biorhythmus“ konstruiert: „Wir haben die Sieben als Takteinheit gewählt“. Der Zyklus am Anfang „Lust, Umgang, Sprache“ greift darauf zurück: sieben Gedichte vom siebten bis zum neunundvierzigsten Lebensjahr. Das letzte „49“, und nur dieses, ist ganz in etwas forcierten Blankversen geschrieben:

Bricht an die Zeit, du wähnst dich angekommen,
ein Menschenwesen, tauglich dem Planeten,
hast nur den übersehen, der zur Linken
des Herrn mitsingt und Ausschau hält, verfüg-
barster der Engel an den Notausgängen.

Da spricht formal die Klassik mit, und inhaltlich „der Geist, der stets verneint“. Er stellt den Dichter und sein Dichten in Frage:

itzt Staub. itzt Blatt, itzt windgetrieben… Papierbootkapitän
mit einer Mannschaft Sprachmatrosen

Nicht nur sprechen, sondern sagen zu können, das erhebt den Sprecher über die Sprache, das ist der Glaube, den alle Menschen mit den Dichtern teilen. Aber die Dichter machen ihn zu ihrem Thema und tragen mehr als alle anderen die Last des Zweifels an diesem Glauben. Er ist die leere Mitte des Dichterlebens. In einem späteren Kapitel steht „Kein Glaube an das Gedicht“:

ich glaub an die Wissenschaft,
sogar an die Macht des Wortes,
das in dem Gespräch fällt,
doch an das Heilige nicht, Gedicht.

Wir nehmen das beim Wort. Es ist eine Absage an Mystifikation und Verabsolutierung; das Gedicht ist kein Orakel. Es sagt nichts, was der Dichter nicht sagt. Es ist aber auch eine Absage an die lähmende Vorstellung, „geredet zu werden“. Die Lehre vom allmächtigen Diskurs beschreibt ja einen radikalen Enteignungsplan, gegen den jedes Individuum, jeder Demokrat und erst recht jeder Dichter protestieren müsste. Der Dichter muss die Macht des Wortes, jene also, an die er im Gespräch noch zu glauben behauptet, auch im Dichten ausüben.
Darum müssen die Blankverse im siebten Gedicht des Lebenslaufs nackt, ihrer traditionellen Aura entkleidet, auf die Bühne treten. Eine Gefahr ist dabei, was man das Grünbein-Syndrom nennen könnte: die Resistenz von Aura, vielleicht nur eines Fragments oder eines Hauchs davon, aber eben doch eines Sprechens vor dem Sagen. In einem frühen Gedicht hat Uwe Kolbe das mit äußerster Prägnanz notiert: „Verachtenswerte Allgemeinheit des Sprechens“. Beim Dichten die Souveränität des Sagens zu behaupten, das ist seit seinen Anfängen eine Sorge dieses Dichters. So ist im zweiten Kapitel der Lietzenlieder, das Spiegelungen aus Nordamerika enthält, ein erstaunliches Gedicht entstanden, das wir als Leseanleitung für den ganzen Band betrachten können. Es trägt den Titel „Das Werk“ und beginnt:

Sie haben für mich getanzt,
die letzten drei Käfer, die glühten
ein letztes Mal diesen Sommer

und es endet:

Des Einsamen Eitelkeit
gab ihrem Glühen. Absicht,
an seinem blaueren Licht
das Gedicht zu entzünden.

Wie schön hat da ein Dichter sein Dichten bedichtet! Mit behutsamer Leichtigkeit feiert es die Schöpferkraft, fast zu bescheiden, sodass man ihm mit Prometheus zurufen möchte: hast du nicht alles selbst vollendet! Wir brauchen nicht an das Gedicht zu glauben, aber ans Dichten und Sagen zu glauben, dazu macht es Mut.

Hans-Herbert Räkel, Süddeutsche Zeitung, 29./30.6.2013

Verwunschene Orte

Lietzenlieder – wohlgemerkt: keine Lieder vom Lietzensee, der sichelförmig und zauberhaft schön in Berlin-Charlottenburg liegt, sondern Lieder auf Lietzen in Märkisch-Oderland, verträumter noch, von den Templern in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gegründet, mit einer Komturei im Besitz derer von Hardenberg, die ein Nest des Widerstands gegen Hitler war.

 

Welthaltigkeit
Verwunschene Orte sind die bevorzugten Schauplätze der Gedichte Uwe Kolbes. Vineta besonders, so auch der Titel eines seiner früheren Gedichtbände (1998). Kolbes Devise lautet: Zurückkehren in den „Raum der Gedichte“, wobei ihm das Gedicht auch „Ausflug“ ist, das „Queren eines Bergbaches“, ein „Hüpfen von Stein zu Stein“, wie es in Kolbes Text „Zehn poetologische Schattenspiele, die Tomas Tranströmer verstehen würde“ (1991) heisst. Der Verweis auf den bedeutendsten Lyriker Schwedens war Programm und ist es geblieben; denn wie dieser pflegt Kolbe das Unaufgeregte im lyrischen Ausdruck, die sprachliche Genauigkeit und Eingängigkeit der Verse sowie ihre schiere Welthaltigkeit, die aber nie forciert wirkt.
In den Lietzenliedern nun nimmt Uwe Kolbe die „Fussspur von Rilke“ auf, hat „John Cages japanische Gärten“ verinnerlicht, weiss sich zwischen „Klopstocks Grab“ und der Berggasse 19 in Wien. Das „Brackwasser Triests“ schwappt gegen die Planken der Verse, und dem „trail of tears“ entlang findet er bis nach Toronto. Ganz gleich, ob dieses Ich den Lawrence-Strom hinaufgeht oder in der „Misery Bay“ strandet oder ob es gar zurück „in das Raumschiff der Kindheit“ kriecht, letztlich überwölbt das kleine Lietzen alle geografischen und zeitlichen Dimensionen; es bestimmt auch die Ahnungen und Erinnerungen sowie das Gespräch mit den Toten (lange hat Kolbe ein solches Gespräch besonders mit Franz Fühmann geführt – in Lietzenlieder scheint es einstweilen verstummt). Das „Zurück“, „Rückwärts“ bestimmt viele dieser Gedichte, aber es ist ein Zurück-nach-vorne, ins bleibend Unbekannte, wo das, was man für vertraut hält, aus Selbsttäuschungen besteht.
Die Gedichte Uwe Kolbes, längst gehören sie zum Wichtigsten, was die deutschsprachige Lyrik seit den achtziger Jahren zu bieten hat, kommen ohne Aufgesetztheiten aus, ohne das Spektakuläre, Überzogene. Es ist dagegen eine Lyrik, die beispielsweise von einem „Mann aus Rheinsberg“ weiss, der „sich zum Singen“ durchgerungen,

was wohl an ein Wunder grenzt.
Mehr noch, es ist ein Wunder, wenn man recht bedenkt,
was sonst die Mark so ausmacht, sangesloses Land
der Birnen und der Gurken, was an Früchten schenkt
das Urstromtal des Märkers, der, stets angestrengt,
mit Tränen seiner Ahnen wässert seinen Sand.

 

Unvergleichliche Wendungen
Man darf bei solchen Versen an Fontane denken, an Bobrowski auch, an Huchel, an so viele, aber diese Wendungen, sie sind unvergleichlich. „Märkische Bewässerung“ lautet der Titel dieses sonetthaften Gedichts, und es beginnt mit dem Vers: „Der Quell ostdeutscher Flüsse ist ein Tränenstrom“ – und man wähnt sich auf vertrackte Weise – zu Hause. Man liest dieses Gedicht zwei-, dreimal und kann es auswendig. Kann das noch ein Kriterium für sprachlich-lyrische Güte sein? Oh ja, weil dergleichen so selten geworden ist.
Doch dieses Gedicht „Märkische Bewässerung“ wirft eine Frage auf, die sich aus einem der Mottos ergibt, die Kolbe seinem zweiten grossen Lyrikband (Abschiede und andere Liebesgedichte, 1981) beigegeben hatte: Kann, soll, darf es das noch geben, das „hohe und reine Frohlocken vaterländischer Gesänge“, von dem Hölderlin in einem Brief an seinen Verleger im Dezember 1803 gesprochen hatte? Bei Kolbes Gedicht „Märkische Bewässerung“ handelt es sich um einen solchen verantwortbaren „Gesang“, weil es dessen schwierige Voraussetzungen beim Namen nennt. Hier ist ein Dichter, der uns sprachgelenkig wie eh einen „Ambiguity Tango“ vortanzt, über „Mondseen“ geht (doch vielleicht den Lietzensee?!) und das Schweigen gegen den „Heidenlärm“ austariert.

Rüdiger Görner, Neue Zürcher Zeitung, 26.1.2013

In den Adern plätschern die Ahnen

– Uwe Kolbes neuer Gedichtband fragt nach Herkunft und Tradition, zwingt das widerspenstige Berlin ins strenge Gewand des Sonetts und singt mit den Blesshühnern. –

„Dieser Text ist verschwunden.“

Hineingeboren – ein Wort, das Uwe Kolbe anhängt, seit er sich 1980 mit seinem ersten Gedichtband unter diesem Titel zu Wort meldete und damit einer Generation von jungen Schriftstellern der DDR die Chiffre ihres Selbstverständnisses lieferte: Sie hatten dieses Land nicht aufgebaut, sie mussten mit ihm, so gut es ging, zurechtkommen.
Es ging nicht gut. Sie quälten sich. Sie suchten, umstellt von Zwängen, ihren eigenen Weg, schlossen Kompromisse oder leisteten Widerstand, schlugen der allgegenwärtigen Zensur ein Schnippchen, bemühten sich um Anerkennung. Das alles und mehr von Lebensgefühl und Lebenspraxis der um 1960 in der DDR Geborenen umfasste Kolbes Begriff „Hineingeboren“, der heute ein trockenes Diktum der Literaturgeschichte wäre, schleppten ihn nicht die Autoren selbst als Gepäck und Hintergrundmelodie ihres Werks mit sich herum. Für Kolbe, den Erfinder dieses Stichworts, gilt das in besonderem Maße. Er kommt nicht los vom Land seiner Sozialisation, allen neuen Erfahrungen zum Trotz. In seinen Büchern ist dieses Land stets präsent, auch im jüngsten Gedichtband Lietzenlieder.
„Landnahme war es, hineingeboren, / Anmaßung, selbstverständlich.“ So beurteilt Kolbe heute die einstige Diagnose seines einstigen Landes in dem Gedicht „h.m.e. beim Wiederlesen“. „landnahme“ heißt eines der Gedichte aus Hans Magnus Enzensbergers Gedichtband landessprache (1960); darin die vielzitierten Verse:

mein land, ich verschone dich nicht,
ich halte dich, selber sterblich,
in dieses sterbliche licht

Kolbe kombiniert nachträglich den eigenen mit Enzensbergers Befund; mit ihm solidarisiert er sich so, als wären beide Unternehmungen vergleichbare Anmaßungen gewesen. Und ohne Scheu folgert der um über dreißig Jahre jüngere Kolbe: „Wir haben uns überlebt als Kommentatoren“, als forsche Kämpfer, die ihre rostigen Helme „auf den bald kahlen Schädeln“ tragen.
Konsequenterweise schließt Kolbes Gedicht mit dem Widerruf: „Dass ich mich angehörig wähnte / einer Generation, war damals ein Witz“, wobei offenbleibt, ob die damalige Selbsteinschätzung als „Witz“ qualifiziert wird oder ob es ein Irrtum war anzunehmen, es habe die Generation überhaupt gegeben, als deren Repräsentant Kolbe sich hätte fühlen dürfen. Auch Enzensberger kündigte bekanntlich seine Inanspruchnahme durch vermeintliche Sympathisanten auf, indem er sich zum „Fliegenden Robert“ mauserte. Insofern beruft sich Uwe Kolbe zu Recht auf ihn: Auch seine Gedichte sind Orte uneinschränkbarer Freiheit, die er sich nicht (mehr) nehmen lässt.
Doch wie verträgt sich mit einer solchen Ortsbestimmung Kolbes desillusionierendes Bekenntnis „Ich glaube nicht mehr ans Gedicht“? Die Herzensangelegenheit Gedicht, die sogar pathetisch als das „Heilige“ bezeichnet wird, ist der Ausnahmefall, der vom Glauben nicht erreicht werden kann. Das Gedicht gewährt weder Sicherheit noch Vertrauen, weder Zuverlässigkeit noch Heilserwartungen. Es ist, folgt man Kolbes Versen, das absolut Unsichere, Riskante, ja Unglaubwürdige. Gerade der Unglaube dem Gedicht gegenüber zeichnet es als das „Heilige“ aus.
Nicht alle Gedichte aus Kolbes neuem Buch sind so gedankenschwer und provozierend dialektisch. Unter den „Lietzenliedern“, einem Zyklus von fünfzehn Sonetten, finden sich auch lockere Spielereien; so reiht Kolbe beispielsweise, um „ein paar Freunde zu begrüßen“, die Namen von 39 sorbischen Volksstämmen in alphabetischer Abfolge als „Tischkärtchen für Kito“ (womit der sorbische Dichterfreund Kito Lorenc gemeint ist) aneinander und zwingt sie in die strenge Form des Sonetts. Selbst der Stadt Berlin geht es nicht besser: „Berlin liegt am Wasser, das ist ein Gedicht, / doch ein Sonett ist es selten bis nicht“. Es geht prosaisch zu in Berlin: „wir führen den Hund aus am Schlachtensee / doch feinere lyrische Formen? Nee!“ Und so schließt das Gedicht folgerichtig: „Berlin im Sonett, das bleibt illusorisch“, womit witzigerweise gerade diese Behauptung widerlegt wird. Ganz neu ist diese Idee nicht. Sie gehört zum Grundbestand dichterischer Bemühungen in Deutschland seit dem Sonettenkrieg zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. Zuletzt hat Robert Gernhardt mit seinen „Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs“ („Sonette find ich sowas von beschissen“) ein vielzitiertes Exempel dieser Art statuiert.
Die Lieder der „Lietzen“ (das sind für Nichtberliner schlicht Blesshühner) zeichnen sich durch eine große Varietät der Töne und Rufe aus, gelegentlich auch durch eher herbe Melodiosität. Diese Charakterisierung können auch Kolbes Gedichte für sich in Anspruch nehmen. Es geht in ihnen überwiegend um Fragen nach der Herkunft, der Tradition und der Zugehörigkeit. Im titelgebenden „Lietzenlied“ wird das so formuliert:

in den Adern
in uns plätschern die unbekannten Ahnen.
Ob du es spürst, ist gleich, es bleibt doch wahr

Als Schlussgedicht der fünfzehn Sonette kommt diesem Lietzenlied ein besonderes Gewicht zu. In zunächst deutlicher Anlehnung an das Abschlussgedicht eines Sonettenkranzes, das sich aus den Anfangsversen der vierzehn vorangegangenen Sonette zusammensetzt, summiert das „Lietzenlied“ die Einzelaspekte der Gedichte zu einem poetischen Gesamtbild, das Preußisches und Slawisches, die Landschaft (den „wohlgeformten“ Lietzensee) und die Musik (slawische Lieder), eine kritische Selbstreflexion (Blick in den Spiegel) und Unbewusstes (das „frühe Träumen“) bis in die traditionelle Form des Sonetts hinein programmatisch miteinander verbindet: So, nämlich miteinander verbunden, ist es, und so soll es sein.
2007 ist dieser eindrucksvolle Sonettenzyklus mit fünfzehn Kaltnadelradierungen von Jean-Yves Klein als Künstlerbuch in winziger Auflage zuerst gedruckt worden. Jetzt setzt Uwe Kolbe mit einem „Curriculum vitae“ ein: sieben autobiographischen Gedichte, deren Titel nur die Ziffer des jeweils erreichten Lebensalters des 1957 geborenen Dichters im siebenjährigen Abstand von 7 bis 49 angeben. Der Zyklus reicht bis ins Jahr 2006. Sollte es eine Fortsetzung dieser fortlaufenden lyrischen Selbstvergewisserung für den nächsten Lebensabschnitt geben, so wäre sie in diesem Jahr fällig. Bis dahin und darüber hinaus sind wir hinreichend und genussvoll beschäftigt mit Kolbes kunstreichen Lietzenliedern.

Wulf Segebrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.4.2013

Blässhuhns Gedanken

– Nachrichten aus einer versunkenen Stadt: Uwe Kolbes Charlottenburger Lietzenlieder. –

Der Dichter Uwe Kolbe hat ein Faible für versunkene Reiche. Die sagenhafte Ostseeinsel Vineta ist seit jeher ein zentraler Topos in seinem Werk, eine Chiffre für Hoffnung und Verbrechen und für den Untergang einer einst ehrfürchtig umraunten politischen Utopie. In seinen neuen Gedichten entwirft er erneut die poetische Topografie einer untergegangenen Stadt: Im Lietzensee in Charlottenburg, so geht die Fama, ist dereinst eine ganze Stadt verschwunden, und mit ihr eine große Verheißung.
So eröffnet der 1957 in Ostberlin geborene Dichter, der dieses Jahr sowohl den Heinrich-Mann-Preis wie den Lyrikpreis Meran erhielt, in seinen Lietzenliedern einen großen kulturhistorischen Assoziationsraum.
Die Geschichte des mythisch beschworenen „Lietzow“ ist darin ebenso präsent wie die wenig charmante Vogelart, die das Charlottenburger Gewässer besiedelt – die Lietze nämlich, das profane Blässhuhn. Das Selbstporträt des Dichters als Vineta-Forscher und meckerndes Blässhuhn wird in großartigen Elegien im Ton von Hölderlin und Rilke vorgetragen.
Die famosen Lietzenlieder bilden im neuen Band einen Sonetten-Zyklus, in dem Berliner und Brandenburger Gewässer und ihre Vogelarten als Ort poetischer Selbstvergewisserung aufgerufen werden. In einer Elegie des Zyklus „Lust, Umgang, Sprache“, einer zwischen Pathos und Selbstironie, hohem Ton und Schnoddrigkeit changierenden Selberlebensbeschreibung, taucht der „Eisenhans“ auf, ein „wilder Mann“ aus den Märchen der Gebrüder Grimm, der seine Verfolger und Rivalen auf den Grund eines Tümpels zieht.
Nicht nur in diesem Gedicht bewegen sich Kolbes lyrische Protagonisten auf unsicherem Terrain. Denn als ein schlammiges Gelände enthüllen sich ganze historische Formationen: „Idyllen oben, unten Sedimente“. Nicht weit entfernt vom „Eisenhans“, der sich im Märchen vom „wilden Mann“ zum stolzen König verwandelt, bewegt sich eine andere Lieblingsgestalt Kolbes, der „Hans im Glück“, der durch seine eigensinnige Ruhelosigkeit das eigene Glück gefährdet. Als „Hans im Glück, der da den Goldklumpen schleppt“, ist Uwe Kolbe dereinst von seinem Mentor Franz Fühmann gewürdigt worden. Nun transformiert Kolbe den Stoff des Märchens zu einem schönen poetischen Vexierbild, das die alten Utopien des realsozialistischen Ostens mit den Lebenswegen eines Glückssuchers konfrontiert, „der aus dem Westen käme“.
Das geografisch-politische Koordinatensystem, das Kolbe hier aufspannt, verweigert eine wohlfeile Dichotomie von Gut und Böse. Wer hier „aus dem Schlangenland“ und „aus den roten Wüsten“ kommend in den Park der Muße eintritt, für den ist die Leichtigkeit des „Hans im Glück“ noch nicht gesichert. Das Gedicht hält die Richtungsentscheidung in der Schwebe und verharrt im Konjunktiv. Die Suchbewegung des Dichters, der sich absetzte aus dem „Vaterlandkanal“ der frühen DDR-Jahre, erlaubt bis heute keine Einkehr in eine poetisch oder politisch fixierbare Identität.
„Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ Auf Hölderlins Frage in der Elegie „Brod und Wein“ liefert Uwe Kolbe in seinem fabelhaften Gedichtbuch äußerst skeptische Antworten. Eine dieser Hölderlin-Resonanzen ist im aufregenden „Rilke-Entwurf“ enthalten. Rainer Maria Rilkes Bild vom „schrecklichen Engel“ wird hier nämlich der Gestalt des Dichters zugeschrieben, der als Strippenzieher und „gnadenloser Erzschelm“ charakterisiert wird. Der Dichter erscheint als ambivalente Gestalt – den Einflüsterungen der Macht ist er ebenso erlegen wie den Sehnsuchtsmelodien der Lyra, der „Leier“.
So ist der Lyriker immer beides: „wahnsinniger schrecklicher Engel“ und gefährdeter „Narr mit dem Splitter im Fuß“:

Er hat es mit allen, mit allen getan,
auf ihnen sich aufgerichtet, gereckt,
Schultern der Großen, der Größten
von Marmor, von Elfenbein, Söhne
und Töchter der Menschen, der Götter
trugen ihn, seine Leier, sein Eselsfell,
sein Mal auf der Stirn, diesen vom Kreuz
herunter dozierenden Narren
mit dem Splitter im Fuß.

Michael Braun, Der Tagesspiegel, 23.11.2012

Dichtung und Bemühen

Uwe Kolbe dürfte nach wie vor zu den allerersten lyrischen Stimmen Deutschlands zählen. Wer ihn liest, spürt, daß hier jemand den der Sprache eingeschriebenen Rhythmus beherrscht und zur Aussage den stimmigen Klang findet. Es geht ihm um Dichtung, also um einen Ausdruck, der bei Publikationen „neuer Lyrik“ längst nicht mehr Bedingung ist. Allerdings, die Aussage: Selbstverständlich fällt es schwer, in Zeiten, die nicht allzu viel Material bereithalten, an den furiosen Auftakt der ersten Bände, gerade der noch in der DDR erschienenen, im besten Sinne subversiven, anzuschließen. Vorrecht der Lyrik, konzentriert und introvertiert auszusprechen, was dann jedoch zuweilen fast idiomatisiert erscheint. Aufgeteilt in acht Kapiteln, wird eine Menge Text geboten. Besonders stark finde ich nach wie vor Gedichte, die das eigene Herkommen thematisieren: „Ostdeutsch“ etwa, „Ostdeutsch Appendix“ und „h. m. e. beim Wiederlesen“ sowie „Brecht am Schiffbauerdamm“. Andere spielen gekonnt mit dem lyrischen Genre selbst: „Ambiguity Tango“, „Kein Glaube an das Gedicht“. Immer dort, wo das Gefühl echt und elementar erscheint, sind es auch die Texte, u.a. „Nächte allein“, „Baches Töne“, „Eisvogel“, „Kein Anruf“. Und natürlich honoriert der Leser, wenn sich ein Dichter im 21. Jahrhundert an Sonetten versucht. Kolbe sammelt mehrere davon, die LIETZENLIEDER, an; allerdings fragt man sich bei den meisten, ob es vordergründig des Probierens wegen geschieht oder tatsächlich in der Manier früherer Meister eine gelungene oder gar überraschend verdichte Korrespondenz zwischen Inhalt und Form aufleuchten soll. Das nämlich geschieht selten, etwa in „So warten“ und „Was der wohl weiß“. Andere Texte wirken nicht gerade leicht, sondern eher bemüht, die Verse etwas bastelbogig verklebt. Aber wer wollte jetzt reinste jambische Fünfheber mit glasklarer These-Antithese-Synthese-Verwobenheit erwarten? Darüber hinaus findet man allerlei, was wohl dem Autor bedeutsam erscheinen mag, auf den Leser aber wirkt wie belanglose Etüden:

Der Schlüssel zu der Tür, die aus dem Leben führt,
gehörte lange Zeit zu meinem Handgepäck.
Gleich auf dem Bahnhof, früh, hast du ihn da gespürt
und meine Hand genommen, und ich warf ihn weg.

 

(„Eine Selbstverständlichkeit“)

Ja, man vollzieht das nach, der Reim wirkt artig beherrscht; man findet es nett, mit einem Schulterzucken. In ähnlicher Weise, formal aber anders gehandhabt, fallen alle Texte ab, die durch Reisen, vor allem in Amerika, inspiriert sind. Hier spürt man allzu sehr die Pflicht, etwas lyrisch protokollarisch vermerken zu wollen. – Insgesamt ein lesenswerter Lyrikband!

Heino Bosselmann, amazon.de, 17.2.2013

Das Literaturhaus Basel empfiehlt Lietzenlieder von Uwe Kolbe

Lyrikveranstaltungen sind eine doppelte Herausforderung: Für die Veranstalter, die das stille Genre ins eher ungewohnte Rampenlicht holen, aber auch für den Autor, der einen stark verdichteten Text dem Publikum vermitteln möchte. Der Lyriker, Übersetzer und Essayist Uwe Kolbe ist darin ein Meister. Er zeichnet sich nicht nur durch die hohe Qualität seiner Texte aus, sondern auch durch seine packende Vortragsart und die Dramaturgie seiner Lesungen. Dafür hat er 2006 den Preis der Literaturhäuser bekommen. Wer ihn nicht live hören kann, sollte sich trotzdem seinen letzten Gedichtband nicht entgehen lassen.
Uwe Kolbe, geboren 1957 in Ostberlin, reiste 1987 aus der DDR aus. In seinen Gedichten hat er von Anfang an über seine Herkunft, seine Heimat, seine Stellung als Dichter nachgedacht. In Hineingeboren, seinem ersten Lyrikband von 1980, ergriff er das Wort gegen die „zaundurchsetzte Ebene“ DDR, 1998 zog er in Vineta Bilanz über das Land seiner Jugend, das es inzwischen nicht mehr gab. Ausgangspunkt vieler seiner Gedichte ist die eigene Biographie. Der doppelte Fokus auf das sprechende Ich und zugleich auf die Gesellschaft hält die Texte in sicherer Balance: Uwe Kolbes Lyrik driftet weder in Egozentrik noch in den politischen Diskurs ab. In seinem letzten Band Lietzenlieder (2012) richtet sich das beharrliche Nachfragen wiederum auf seine eigene Geschichte ebenso wie auf die seines Landes. Hinzu kommen mannigfache Erfahrungen, die Kolbe während längeren Aufenthalten in den USA und auf Reisen in Ländern Asiens und Europas gemacht hat. Sie bringen in den Band eine spielerische Weltläufigkeit, die oft in Kontrast steht mit der strengen, sich an klassischer Dichtung orientierenden Form der Gedichte. Doch Kolbe lässt sich nicht festlegen, er kennt auch das augenzwinkernde Parlando und die scheinbar rasch hingeworfene Skizze. Stets ist sein Blick hellwach, unerbittlich dringt er unter die Oberfläche dessen, was ihm begegnet.

Katrin Eckert, Intendantin Literaturhaus Basel, und Rudolf Bussmann, Präsident Lyrikfestival Basel, literaturhaus.net

 

Kolbes Kern

– Eine Miszelle zum Eingangszyklus in Uwe Kolbes neuem Gedichtband Lietzenlieder.

An den Anfang seines neuen Gedichtbandes Lietzenlieder stellt Uwe Kolbe sieben Gedichte, die Erinnerungsstollen im Abstand von je sieben Jahren in den Berg von Erfahrungen treiben, um was zu gewinnen: Pure Poesie, nicht zu verwechseln mit der „poésie pure“ von Mallarmés Gnaden. „(I)ch gehe nicht von irgendeiner Konstruktion aus, sondern ich lebe“, bekräftigt er schon 1986 im Gespräch, und weist erst kürzlich in Vinetas Archive auf die darauf folgende Arbeit des Grabens hin:

Gedichte (sind) oft so ’ne Art Durchschüsse von Vergangenheit in Gegenwart (…) Ich für meinen Teil leiste mir den Luxus der Erinnerung, des Grabens und Heraufholens so lange, bis die Bilder sprechen, ja ich empfinde diese Langsamkeit als Konstituens meiner Arbeit.

Der da etwa Fühmanns „Hans“-Zuschreibung 40 Jahre später ins neue Gedicht – „Ein Hufschuh von Gold und Wohnen auf Abriss“ – erinnert, ist im Glück, das gehobene Gold dem eingetauschten wieder beizugeben. Deshalb kann er nun unprätentiös auf die Anfänge zurückkommen. Und überhaupt: Die kursiv gesetzte Unterüberschrift Curriculum vitae zielt auf nichts weniger als ein Ganz-Leben, das, seit der Knabe ein wollfadengeheftetes Gedichtbuch seiner Mutter auf den Gabentisch legte, immer auch ein Dichterleben ist. „(I)ch hörte die Stimmen des Leibes… / Am Anfang die widerstandslose Wollust, / der Grundtext in meinem geliebten Deutsch“, bekennt das sprechende Ich. Fürwahr, die alle Sinne anfassende Lust, sich unter die Menschen, in die Welt, in die Geschichte zu begeben, ist das eigentliche Energiezentrum des Kolbeschen Werkes. Diesem Begehren haben wir übrigens einige der schönsten Liebesgedichte zu verdanken, die in den letzten fünfzig Jahren in deutscher Sprache geschrieben wurden.
Lust treibt zum Anderen, zu den Anderen; der Umgang mit ihnen ist, wo er denn nicht dialogisch ist, zumindest ein offener: mit den Geliebten, den Gefährten, den Feinden, den Göttern, den Dichtern. Was letztere betrifft, müssen ständig Stühle an den Tisch gestellt werden, über den das Gespräch wogt. Zu Hölderlin und den Expressionisten gesellen sich Mörike und Dante, die alten Griechen und neuen Chinesen, beispielsweise. „Geladen zur Welt“, eröffnen sich so überraschende Redeanschlüsse, in denen Pathos und Ironie, das „Pontifikale“ und das „Profane“ einander ergänzen können.
Da Lust und Angst, erst recht Wollust und bodenloser Schrecken einander bedingen, war es von Beginn an unabdingbar, dem Numinosen und Unheimlichen dieser Übergänge eine Sprache zu geben, die zugleich durchlässig und doch genau ist, noch in Metaphernkühnheiten, Mäandersätzen, Mythenresten. An diesem Abenteuer lesend teilzuhaben lädt der neue Gedichtband Uwe Kolbes – ich gebe zu: erwarteterweise – ein, zumal, wenn die eigentliche Überschrift über dem Eingangszyklus lautet:

Lust, Umgang, Sprache

Nochmaliger Destillation abgewonnene Urworte Kolbesch, wie weiland und immer noch „Kind“, „Dunkel“ oder „Wasser“.
In einem Essay im dieser Tage erschienenen Arbeitsbuch Uwe Kolbe (P. Lang Verlag, 2012) stellt der damalige Lektor Kolbes bei Aufbau Günther Drommer die Frage, ob er den Klumpen nun weggetauscht oder behalten habe. Beides natürlich!, was sonst.

Peter Geist, Park, Heft 65, Dezember 2012

„Der Brandungen langlebiger Hall“

Lietzenlieder – wohlgemerkt: keine Lieder vom Lietzensee, der sichelförmig und zauberhaft schön in Berlin Charlottenburg liegt, sondern Lieder auf Lietzen in Märkisch-Oderland, verträumter noch, von den Templern in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gegründet, mit einer Komturei im Besitz derer von Hardenberg, die ein Nest des Widerstands gegen Hitler war.
Verwunschene, vergessene, verlorene Orte sind die bevorzugten Schauplätze der Gedichte Uwe Kolbes. Vineta besonders, so auch der Titel eines seiner früheren Gedichtbände (1998). Kolbes Devise lautet: Zurückkehren in den „Raum der Gedichte“, wobei ihm das Gedicht auch „Ausflug“ ist, das „Queren eines Bergbaches“, ein „Hüpfen von Stein zu Stein“, wie es in Kolbes Text „Zehn poetologische Schattenspiele, die Tomas Tranströmer verstehen würde“ (1991) heisst. Der Verweis auf den bedeutendsten Lyriker Schwedens war Programm und ist es geblieben; denn wie dieser pflegt Kolbe das Unaufgeregte im lyrischen Ausdruck, die sprachliche Genauigkeit und Eingängigkeit der Verse sowie ihre schiere Welthaltigkeit, die aber nie forciert wirkt.
In den Lietzenliedern nun nimmt Uwe Kolbe die „Fußspur von Rilke“ auf, hat „John Cages japanische Gärten“ verinnerlicht, weiß sich zwischen „Klopstocks Grab“ und der Berggasse 19 in Wien. Das „Brackwasser Triests“ schwappt gegen die Planken der Verse und dem „trail of tears“ entlang findet er bis nach Toronto. Und doch – ganz gleich ob dieses Ich den Lawrence Strom hinauf geht oder in der „Misery Bay“ strandet oder ob es gar zurück „in das Raumschiff der Kindheit“ kriecht, letzlich überwölbt das kleine Lietzen alle geografischen und zeitlichen Dimensionen; es bestimmt auch die Ahnungen und Erinnerungen sowie das Gespräch mit den Toten (lange hat Kolbe ein solches Gespräch besonders mit Franz Fühmann geführt – in Lietzenlieder scheint es einstweilen verstummt). Das „Zurück“, „Rückwärts“ bestimmt viele dieser Gedichte, aber es ist ein Zurück-nach-vorne, ins bleibend Unbekannte, wo das, was man für vertraut hält, aus Selbsttäuschungen besteht.
Die Gedichte Uwe Kolbes, längst gehören sie zum Wichtigsten, was die deutschsprachige Lyrik seit den achtziger Jahren zu bieten hat, kommen ohne Aufgesetztheiten aus, ohne das Spektakuläre, Überzogene. Es ist dagegen eine Lyrik, die beispielsweise von einem „Mann aus Rheinsberg“ weiss, der „sich zum Singen“ durchgerungen, „was wohl an ein Wunder grenzt. / Mehr noch, es ist ein Wunder, wenn man recht bedenkt / was sonst die Mark so ausmacht, sangesloses Land / der Birnen und der Gurken, was an Früchten schenkt / das Urstromtal des Märkers, der, stets angestrengt / mit Tränen seiner Ahnen wässert seinen Sand.“
Man darf bei solchen Versen an Fontane denken, an Bobrowski auch, an Huchel, an so viele, aber diese Wendungen, sie sind echt Kolbesch. „Märkische Bewässerung“ lautet der Titel dieses sonetthaften Gedichts, und es beginnt mit dem Vers: „Der Quell ostdeutscher Flüsse ist ein Tränenstrom“ – und man wähnt sich auf vertrackte Weise – zu Hause. Man liest dieses Gedicht zwei-, dreimal und kann es auswendig. Kann das noch ein Kriterium für sprachlich-lyrische Güte sein? Ich finde ,ja‘, weil dergleichen so selten geworden ist.
Doch dieses Gedicht „Märkische Bewässerung“ wirft eine Frage auf, die sich aus einem jener Motti ergibt, mit dem Kolbe seinen zweiten großen Lyrikband (Abschiede und andere Liebesgedichte, 1981/83) gestellt hatte: Kann, soll, darf es das noch geben, das „hohe und reine Frohlocken vaterländischer Gesänge“, von dem Hölderlin in einem Brief an seinen Verleger im Dezember 1803 gesprochen hatte? Bei Kolbes Gedicht „Märkische Bewässerung“ handelt es sich um einen solchen verantwortbaren „Gesang“, weil es dessen schwierige Voraussetzungen beim Namen nennt.
Hier ist ein Dichter, der uns sprachgelenkig wie eh einen „Ambiguity Tango“ vortanzt, über „Mondseen“ geht (doch vielleicht den Lietzensee?!) und das Schweigen gegen den „Heidenlärm“ austariert.
„nur wo wir beide gingen, / ist fester Grund“ sagt er von sich und seiner „Wasserjungfer“, wenn er als sein lyrisches Ich das Gehen neu einübt – und das Schreiben, ohne das was uns umgibt spürbar weniger wäre – ohne das Dichten des Uwe Kolbe.

Rüdiger Görner, in Rüdiger Görner: Wortspuren ins Offene. Lyrische Selbstbestimmungen, Universitätsverlag WINTER, 2016

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Michael Braun: Die Sprache geht ins Land
literaturkritik.de, Oktober 2012

 

Der Schriftsteller ist eine private Person

– Laudatio auf Uwe Kolbe zum Heinrich-Mann-Preis 2012. –

1

Der Holzbock fliegt den Balken schräg an.

Diesen an Sprüche der Vorsokratiker erinnernden Satz hörte ich vor Jahren von einem Dachdecker auf dem Land, aber keine Angst: Dies ist keine Abhandlung über Holzschädlinge in Fachwerkhäusern und auch kein Essay über Erich Honecker, der gelernter Dachdecker war, bevor er zum Staatsratsvorsitzenden aufstieg. Doch ich kann der Verlockung nicht widerstehen, einen expressionistischen Dichter zu zitieren, der Honeckers Sturz und das Ende der DDR prophezeit hat: „Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei“ heißt es in Jakob van Hoddis’ Gedicht „Weltende“, dessen Eingangsvers als geflügeltes Wort weiterlebt:

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut.

Ein Beispiel für den Kunstgriff der Inversion, denn in Prosa übersetzt, wird der Vers entzaubert und klingt banal: Dem Bürger fliegt der spitze Hut vom Kopf…

„Der Holzbock fliegt den Balken schräg an.“: Auf Kunst und Literatur übertragen, besagt der Handwerkerspruch, dass Dichter, Maler und Bildhauer, vermutlich auch Komponisten, den Stier nicht bei den Hörnern packen: Das heißt, sie gehen ein selbstgewähltes oder vorgegebenes Thema nicht frontal an, sondern nähern sich ihm auf Umwegen, hinterrücks und lautlos, so wie Winnetou den an den Marterpfahl gefesselten Old Shatterhand befreit – anschleichen heißt das passende Wort dafür. Diese Strategie ist älter als die europäische Literatur, sie findet sich voll ausgebildet bereits bei ihrem Stammvater Homer, wo die Namenslisten der griechischen Helden, die Beschreibung des Achillesschilds oder des von Odysseus gezimmerten Ehebetts keine Nebensachen, sondern die Hauptsache sind. Ähnliches gilt für das Alte Testament – man denke nur an die lange Liste der Nachkommen Noahs, an die endlose Aufzählung der Gebote und Verbote im fünften Buch Moses oder an die monotonen Geschlechtsregister im ersten Buch der Chronik. Bei Licht betrachtet, ergibt die Unterscheidung von Haupt- und Nebensachen keinen Sinn, denn im archaischen Epos steht die Nebenhandlung gleichberechtigt neben der Haupthandlung, falls es eine solche überhaupt gibt. Der Umweg ist die Quintessenz des Erzählens und nicht einfach ein retardierendes Moment, das ohne Substanzverlust wegfallen kann. Der Weg ist das Ziel, oder, um einen Aphorismus von Kafka zu zitieren:

Der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden. Es scheint mehr bestimmt, stolpern zu machen, als begangen zu werden.

Das gilt für die Urtexte der Literatur, das Gilgamesch-Epos und Homer, für die französischen Dialoge in Krieg und Frieden oder im Zauberberg sowie, nicht zuletzt, für die ausufernden Romane von Proust, Joyce und Musil, wo Abschweifungen und Exkurse kein bloßes Beiwerk sind, sondern die Sache selbst. Aber lässt sich diese Erkenntnis auf die Lyrik übertragen?

 

2
Für eine Laudatio auf Uwe Kolbe bin ich schlecht qualifiziert, denn ich bin kein Kenner seines Werks. Nur einmal habe ich mich an einem Text von ihm vergriffen – vergriffen im wahrsten Sinn des Worts, und da es sich um ein kurzes Gedicht handelte, das als Klappentext auf der Rückseite seines bei Suhrkamp erschienenen Lyrikbands stand, lasse ich es hier folgen:

DER HOCHSITZ

 

Er steht nach hinten rechts
auf einem langen Bein.
Links stützt er seinen Arm
auf einen Weidenast.
Vorn halten lange Nägel
an Pfosten sieben Sprossen fest.
Auf deren letzter oben
zwei Füße in Sandalen.

Ich habe eine Abneigung gegen dunkle und unverständliche Gedichte – das habe ich von Marcel Reich-Ranicki gelernt, für dessen Frankfurter Anthologie ich die Verse besprach. Was mir gefiel, war deren Kürze und Gegenständlichkeit: Die Wahrheit ist konkret, lautet eine überstrapazierte Devise von Brecht, und in diesem Sinn könnte Uwe Kolbes Gedicht Ikea als Anleitung zum Bau eines Hochsitzes dienen. Ich weiß nicht mehr, welcher Teufel mich ritt, aber ich machte einen Verbesserungsvorschlag, der eine Verschlimmbesserung war:

Vielleicht ist es der Dichter selbst, der als Voyeur im Hochstand sitzt – ein Waidwerk, das weniger blutig, aber nicht weniger spannend ist als die Jagd auf Rehe, die nicht gern allein grasen… „Hast ein Reh du lieb vor andern, lass es nicht alleine grasen“, heißt es bei Eichendorff. – Wie wäre es, wenn sich auf der obersten Sprosse zwei Paar Füße begegnen würden? Der eigenwillige Charakter des Gedichts würde dadurch zerstört, das wortkarge Epigramm würde zum redseligen Poem. Also lassen wir die Finger davon…

Es gibt einen Vers von Uwe Kolbe, den ich auswendig kann, obwohl oder weil er in keinem seiner Bücher steht:

Der Ostfriseur kann schon die Westfrisur.

Für mich war das ein gültiges Fazit der Wiedervereinigung, obwohl ich im Nachhinein feststellte, dass ich den Vers falsch memoriert hatte. Er entstand am 3. August 1991 im Wendland, genauer gesagt auf Schloss Gümse, wo wir mit den Rixdorfer Druckern Gedichte zu Papier brachten. Wir – das waren Peter Rühmkorf, H.C. Artmann, Helmut Eisendle, Reinhard Lettau und Sarah Kirsch, die nicht mehr unter uns sind, Uwe Kolbe sowie der Chinese Yang Lian, und der genaue Wortlaut hieß:

Der Westfriseur kann schon die Ostfrisur.

Wie man sich irren kann!

Was mich an Kolbes Lyrik fasziniert, sind beiläufig wirkende Zeilen, triviale Alltagsbeobachtungen, wenn man so will, die durch das Versmaß geadelt werden:

Helle Verkäuferinnen öffnen
die komplizierten Ladentüren.
Schon raucht man hier und da
die erste
Victory
gemeinsam

 

In ihren Kästen wie Aquarien
sieht man sie stricken, nicken, lesen, träumen.
Und eine sagt der andern was von oben.

Diese Art des unangestrengten Redens – casually heißt das englische Wort dafür – ist in der angelsächsischen Literatur zu Hause, und der New Yorker Erzähler Donald Barthelme hat sie so charakterisiert:

Wir mögen Bücher, die eine Menge dirt enthalten. Materie, die sich nicht als relevant darstellt, aber einen Sinn beisteuert für das, was passiert. Diesem Sinn ist nicht beizukommen, indem man zwischen den Zeilen liest (denn es gibt nichts in diesen weißen Zwischenräumen), sondern indem man die Zeilen selbst liest.

 

3
Ich weiß nicht warum, aber ich mag Buchtitel, in denen Zahlen vorkommen: Drei Musketiere, Fünf Wochen im Ballon, 20.000 Meilen unter dem Meer, Winnetou 1, 2 und 3. Deshalb war ich positiv voreingenommen, als mir ein junger Autor sein druckfrisches Buch überreichte mit dem Titel Bornholm II. Das war am 31. Januar 1987 in den Offenbach-Stuben am Prenzlauer Berg, wo die Malerin Sarah Haffner ein Fest feierte. Der Dichter hieß Uwe Kolbe, und er schrieb eine nicht allzu originelle Widmung in den Lyrikband:

Für HC Buch, ein Buch aus O’berlin

Beim Stichwort Bornholm dachte ich an Vineta, eine in der Ostsee versunkene Stadt, die in Kolbes Poetik eine Rolle spielt, und erst beim Durchblättern des Buchs entdeckte ich eine Fußnote, die ein grelles Schlaglicht auf den Titel warf:

Bornholm I, Teil der Kleingartenanlage Bornholm, direkt am Grenzübergang Bornholmer Straße nach Berlin (West).

Der Hinweis auf die Berliner Mauer war unter DDR-Bedingungen ein Sakrileg, ein Tabubruch, den erst Gorbatschows Perestroika in der Endphase der DDR ermöglichte. Doch die Veröffentlichung im Aufbau Verlag hatte ihren Preis: Zwanzig politisch verfängliche Gedichte fielen unter den Tisch und wurden von Uwe Kolbe als hektographierte Broschüre an Freunde verteilt – ein Nebenprodukt der Untergrundzeitschrift Mikado, die er damals mit Bernd Wagner herausgab. Demnach war die römische Zwei im Titel des Buchs keine Anspielung auf Rolf Dieter Brinkmanns Lyrikband Westwärts 1 & 2, sondern ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse der Zensur!
„Der Holzbock fliegt den Balken schräg an.“: Ein schöneres Beispiel für die Wahrheit dieses Satzes lässt sich kaum denken, denn die Staatsgrenze West, pathetisch ausgedrückt die Teilung Deutschlands, wurde für den Autor zum Lebensthema, an dem er sich wider Willen bis heute abarbeitet, auch wenn Uwe Kolbe dies nicht wahrhaben will. Zum besseren Verständnis füge ich an, wie er in einem Essay die Dinge beim Namen nennt:

Nach Schließung der Grenze spielte ich mit Freunden Fußball in Spuckweite des unbetretbaren S-Bahnhofes… Wer den Ball zu steil getreten hätte, der hätte einen neuen heranschaffen müssen… „Na, steig mal rüber!“, hätte ein Junge zum anderen sagen können, mit einem Grinsen Richtung Stacheldraht… Westautos rollten über die Brücke. Die Familie holte die Westoma ab. Ihre glatte Bräune, das blondierte Haar, die helle Kleidung, sie bestätigten die Unwirklichkeit all dessen, was jenseits der Brücke lag. So sah keine hiesige Oma aus. So sah überhaupt keine Oma aus.

 

4
In Haiti kenne ich mich besser aus als in Frankreich, wo ich zur Schule ging, aber ich bin kein Verehrer von Heinrich Mann. Damit meine ich nicht so sehr die Romane des Meisters, die Kurt Tucholsky als „ein bisschen mit dem Hammer“ bezeichnet hat, sondern die Essays, in deren Tradition der Uwe Kolbe zuerkannte Heinrich-Mann-Preis steht. Vielleicht kann das folgende Zitat verdeutlichen, woher meine Allergie kommt:

Aber dies sind die Moskauer Prozesse, (…) der große Dialog zwischen dem Staatsanwalt und dem Journalisten Radek: wörtlich könnte er bei Dostojewski stehen. Derselbe psychologische Kampf um den Besitz der unterirdischen Wahrheit – nicht um die Bestrafung oder Straflosigkeit, das scheint beiderseits vergessen: nur um die Wahrheit. Der Angreifer, der Verteidiger haben zusammen den einen, zwingenden Ehrgeiz, zu wissen, was in dieser Seele war, wohin die Worte dieser Lippen, genau genommen, gezielt hatten und welche Wege diese Füße gegangen? (…) Die Gestalten aus den Moskauer Prozessen sind getötet oder eingekerkert. Entsündigt – auf psychologischem Wege wie bei Dostojewski – waren schon in der Verhandlung vielleicht nicht sie, aber die Revolution war es.

Die Sätze stammen aus Heinrich Manns Essay Ein Zeitalter wird besichtigt, der 1945 als Buch erschien und der SED zur ideologischen Vereinnahmung des Verstorbenen diente. In dem zitierten Text stimmt gar nichts, nicht mal – um beim Harmlosesten anzufangen – der Hinweis auf Dostojewski, dessen Werke unter Stalin auf dem Index standen. Die Geständnisse der Angeklagten wurden durch Folter erpresst, und der Schauprozess gegen den als Journalisten verhöhnten Karl Radek war nur ein Vorspiel zur Großen Säuberung, der nicht nur die Mitkämpfer Lenins und die Führung der Roten Armee, sondern zahlreiche Schriftsteller zum Opfer fielen: Isaak Babel, Sergei Tretjakow, Boris Pilnjak, Ossip Mandelstam – um nur diese Namen zu nennen.
Heinrich Manns Rechtfertigung der Moskauer Prozesse war kein Fauxpas, keine lässliche Sünde und kein ärgerlicher, aber vermeidbarer Fehler. Der Irrtum hatte Methode, und er sprach das selbst aus:

Als größter Realist unter den öffentlichen Männern hat Stalin sich der widerstrebenden Mitwelt herausgestellt. Gerade er verzichtet am wenigsten auf den Rang eines Intellektuellen. Eher noch ließe er seinen Marschallstitel fallen.

Das Herrscherlob in Manns zeitgleich entstandenem Roman Henri Quatre war eine Verneigung vor Stalin, und die Tatsache, dass auch Lion Feuchtwanger, Georg Lukács, Ernst Bloch und sogar Brecht dem Tyrannen huldigten, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer, weil es immer auch Gegenstimmen gab: André Gide und George Orwell zum Beispiel oder, nach dem Krieg, Czesław Miłosz und Albert Camus, der sich anders als Sartre mit den Streikenden des 17. Juni 1953 solidarisierte. Nicht zu vergessen Hans Sahl, der wegen seiner Kritik am Stalinismus politisch diffamiert und literarisch isoliert wurde. Dieser Traditionslinie – nehme ich zu seinen Gunsten an – steht Uwe Kolbe näher als poetischen Lobrednern Stalins wie Pablo Neruda und Stephan Hermlin, die er trotzdem nicht verdammt, weil ihm das Verdammen nicht liegt. Es genügt, Kolbes Kommentar zum Aufruf prominenter DDR-Bürger Für unser Land vom November 1989 in Erinnerung zu rufen:

Den Oppositionellen weiter östlich, etwa denen von Solidarność, den Aktivisten der Charta 77 und den Systemkritikern in der Sowjetunion, die für ihre Haltung in Lager, Verbannung oder in psychiatrische Kliniken gingen, all denen muss dies wie infantile Kakophonie geklungen haben.

 

5
Der Schriftsteller ist eine private Person, betonte der russisch-amerikanische Dichter Joseph Brodsky in seiner Nobelpreisrede, kein Sprecher einer Partei oder Regierung, kein Vertreter einer Nation oder Kultur, sondern ein Individuum, das weder die Literatur, großgeschrieben, noch eine Generation, Gruppe oder Clique repräsentiert, sondern nur sich selbst. Brodsky war das einzige Genie, das mir im Lauf meines mittlerweile langen Lebens begegnet ist, und er starb jung, weil er nach seinen Bypass-Operationen weiter Kette rauchte. Die Wirkung seines Werks erwuchs aus dessen Unverwechselbarkeit, was nicht heißt, dass er wie eine Leibniz’sche Monade nur auf sich selbst bezogen war. Im Gegenteil: Das Werk ist mehr als die Summe seiner Teile oder die Quersumme der Einflüsse, denen der Autor durch Freunde wie Feinde, Anreger oder Vorläufer ausgesetzt war. Brodsky hat die Entstehungsbedingungen der Gedichte und die Spuren seiner Biographie nachträglich aus den Texten getilgt – nicht zufällig, sondern mit Bedacht. Ossip Mandelstam war ein bedeutender Dichter nicht wegen, sondern trotz der Oktoberrevolution – auf diese Feststellung legte er Wert – und Mandelstam wäre dies auch gewesen, hätte er unter anderen Umständen gelebt. Joseph Brodsky war unerträglich arrogant, weil er an sich und seine Zeitgenossen den höchsten Maßstab anlegte, einen an den Klassikern der Antike geschulten Ewigkeitsmaßstab – mir fällt kein besseres Wort dafür ein. Er glaubte an die leibhaftige Existenz der Musen, die ihm beim Dichten über die Schulter schauten und notfalls die Hand führten – Clio, Erato, Kalliope und wie sie alle heißen. Diesen Aberglauben hat Brodsky mit Uwe Kolbe gemein, wie überhaupt vieles, was ich hier über den russisch-amerikanischen Poeten sage, auch für dessen preußischen Wahlverwandten gilt. Uwe Kolbes Grabrede auf seinen literarischen Lehrmeister Franz Fühmann oder die Hommage an seinen Freund und Weggefährten Wolfgang Hilbig sind Belege dafür. Joseph Brodsky behauptete allen Ernstes, er könne große Dichter an ihren Gesichtern erkennen, auch ohne eine Zeile von ihnen gelesen zu haben: Peter Huchel zum Beispiel, dem er durch Vermittlung von W.H. Auden begegnete. Ich widerstehe der Versuchung, einen Essay über die Physiognomie von Uwe Kolbe zu schreiben: Er ist der Jüngling geblieben, der er bei meiner ersten Begegnung mit ihm war. Doch der Augenschein täuscht, und ein Vergleich seiner frühen, expressionistisch angehauchten Verse mit der japanischen Haikus sich nähernden Lakonie des Spätwerks macht klar, durch welch hügliges Gelände der Autor seine Pflugscharen lenkt – der Vergleich des Dichtens mit dem Pflügen stammt nicht von mir. Dass Kolbe nicht vom Weg abkam auf dem langen Marsch durch die „Zone“ – das Wort bezieht sich auf ein nuklear verseuchtes Terrain in Andrei Tarkowskis Film Stalker –, ist kein geringes Verdienst.

Hans Christoph Buch, aus Hans Christoph Buch: Tunnel über der Spree. Traumpfade der Literatur, Frankfurter Verlagsanstalt, 2019

 

 

Uwe Kolbe und Max Czollek sprechen über Gedichte, die sie in einer bestimmten Zeit besonders geprägt haben.

 

 

Die Zeitschrift Belletristik fragt Uwe Kolbe

Konstantin Ulmer Interview mit Uwe Kolbe und Mach OneDie härteste Gangart am Start, Die Zeit, 18.6.2015

 

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Uwekolbe“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Kolbe, der“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Uwe Kolbe

 

Uwe Kolbe liest auf dem XX. International Poetry Festival von Medellín 2010.

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