ERINNERUNG-FELD
golden glänzt du immerdar
überfeldliche g e i s t-k a m m e r! – und nur weil
ich aufgelöst
in diesem wehen war
verstand ich – in finsternis geraten –
die worte der ohnmacht… – daß in meiner seligen
aaaaabewußtlosigkeit
das gefühl allein nicht ausreicht
um fortzubestehn – mich gerade noch bewahrend
durch das gebet – an kalter
einheitlichkeit leidend o g e i s t-k a m m e r w o i c h b i n
ohne ein gran von können! – doch ich gedenke doch ich gedenke im vergessen
gleichsam – vielleicht – der leidenden widerscheine-zeichen des mittaglichts überm feld
überall leuchtende inmitten der stimmen – zusammen mit dem fernen sinn – jener stimmen
verweile ich
1985
wie Mosaiksteine zu einem Buch, das nie abgeschlossen sein wird. Von realitätsnaher, tschuwaschischer Volksdichtung kommend, hat sich Ajgis Bildsprache verdichtet und legt nunmehr Zeugnis ab von mystischer Offenheit gegenüber der inneren Wirklichkeit. Ajgi hat sich ganz der Poesie verschrieben, der ‚Literatur‘ und dem Literaturbetrieb gegenüber ist er gleichgültig – „ein Mallarmé von der Wolga“ (Antoine Vitez).
Leipziger Literaturverlag, Klappentext, 2009
Felder und Wälder spielen in der Dichtung des russisch schreibenden Tschuwaschen Gennadij Ajgi eine wichtige Rolle. Wobei die Felder auch als poetische Räume zu verstehen sind, die es schreibend zu schaffen gilt. Die Dinge mit Hilfe von Sprache in ihrer Komplexität aufscheinen lassen, das ist das poetologische Programm dieses Dichter-Schamanen. Ajgi, so der Künstlername des 1934 als Gennadij Nikolajewitsch Lissin geborenen und vor drei Jahren in Moskau gestorbenen Lyrikers, kann mit „der dort“ oder „derselbe“ übersetzt werden. Lange Zeit war er nur im Westen bekannt. In seinem Land durfte er lange nicht veröffentlichen. Bisweilen konnte er seine drei Kinder kaum ernähren. Im Westen – auch in Berlin war er ein gern gesehener Gast – erhielt er wenigstens Preise.
Immer anders auf die Erde ist der Titel einer von Walter Thümler besorgten und übertragenen Auswahl von Gedichten aus dem reichen Erbe Ajgis, der in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden wäre. Thümler hat vor allem Gedichte aus den 90er Jahren bis 2006 aufgenommen, darunter auch im Original Unveröffentlichtes. Immer wieder kommen die Felder Russlands zu Titelehren: „Mitten auf dem Feld“, „Feld – ohne uns“, „Beginnend mit dem Feld“, „Vollendung des Feldes“. Im Februar 1991 wohnte Ajgi für einige Tage in Paris bei einer alleinerziehenden Mutter. Zum Abschied reichte sie ihm ein Notizbüchlein mit der Bitte, einige Worte für seine Schwester Silvia hineinzuschreiben. In 32 Minuten verfasste Ajgi 32 Einzeiler, auf jeder Seite einen. So entstand das luftige Minipoem „27. Februar 1991“.
Sicher ist, dass man Ajgi ohne seine Landschaft nicht verstehen kann: „Es gibt ozeanische Kulturen, meine Kultur hingegen, die russische, ist eine Wald- und Feld-Kultur“, hat er einmal gesagt. Schon der Anordnung vieler seiner Texte auf der Buchseite mutet etwas Geographisches an. Die Zeilenlängen variieren, es gibt Gedankenstriche, Gedanken-Strich-Wörter und Auslassungspunkte, stockende rhythmische Bewegungen, Anführungszeichen. Vom Klassizismus seines Freundes Boris Pasternak ist Ajgi weit entfernt.
Felder und Wälder spielen in Gennadij Ajgis Poesie eine wichtige Rolle. Sie sind die Orte dieses Dichters, denen nicht allein im herkömmlichen Sinn Bedeutung zufällt. Nicht die sprichwörtlichen Weiten Russlands, die ausgedehnten Felder mit bekopftuchten Bäuerinnen sind hier gemeint, kein Klischee soll bedient werden. Vielmehr ist der Begriff Feld in der Bedeutung eines poetischen Raumes zu verstehen, den es zu schaffen gilt. Die Dinge sein und mittels Sprache in ihrer Komplexität aufscheinen lassen, das ist, kurz umrissen, das poetologische Programm dieses Dichter-Schamanen.
Ajgi, so der Künstlername des 1934 als Gennadi Nikolajewitsch Lissin in Schajmursino/Tschuwaschien geborenen Dichters, kann mit „der dort“, „derselbe“ übersetzt werden. Lange Zeit ist dieser Dichter nur im Westen bekannt gewesen. In seinem Land durfte er nicht veröffentlichen. Bisweilen lebte er von der Hand in den Mund und konnte kaum seine drei Kinder ernähren. Im Westen gab man ihm wenigstens Preise. Ob er auch viel gelesen wurde, steht auf einem anderen Blatt. Da ist es gut, dass, nach verschiedenen Ausgaben in den Verlagen Suhrkamp und Insel (in der schönen Übersetzung von Karl Dedecius), nun hierzulande der Leipziger Literaturverlag mutig die Editionsgeschichte dieses bedeutenden Dichters fortschreibt.
Immer anders auf die Erde ist der Titel einer von Walter Thümler besorgten und übertragenen Auswahl von Gedichten aus dem reichen Erbe Ajgis, der am 21. Februar 2006 in einem Moskauer Krankenhaus starb und in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden wäre. Thümler hat in seine Auswahl vor allem Gedichte aus den 90er und 2000er Jahren aufgenommen, nebst einigen auch im Original unveröffentlichten Texten. Immer wieder kommt das Feld, kommen die Felder Russlands zu Titelehren: „Mitten auf dem Feld“, „Feld – ohne uns“, „Beginnend mit dem Feld“, „Vollendung des Feldes“. Auch zu Kindern muss Ajgi ein besonderes Verhältnis gehabt haben, sie durchziehen, etwa als „Erleuchtung des Lebens“, sein ganzes Werk.
Im Februar 1991 wohnte Ajgi für einige Tage in Paris bei einer alleinerziehenden Mutter. Zum Abschied reichte die Mutter dem Dichter ein Notizbüchlein mit der Bitte, einige Worte für ihre Tochter Silvia hineinzuschreiben. In 32 Minuten schrieb Ajgi 32 einzeilige Texte in das Büchlein, auf jede Seite einen. So entstand das luftige Minipoem „27. Februar 1991“, welches später, zunächst ohne Ajgis Wissen, von einem Freund ins Französische übersetzt wurde. Die Spur von Silvia und ihrer Mutter verlor sich allerdings schnell und auch der Leser wird sich bestenfalls seine Gedanken darüber machen können, was aus ihnen geworden ist.
Sicher ist, dass man Ajgi ohne seine Landschaft nicht verstehen kann: „Es gibt ozeanische Kulturen, meine Kultur hingegen, die russische, ist eine Wald- und Feld-Kultur“, hat er einmal in einem Interview gesagt (auf die hervorragende zweibändige Ajgi-Ausgabe der Wiener edition per procura, die auch Gespräche, Reden und Essays Ajgis versammelt, sei hier nur am Rande hingewiesen).
Kein Zweifel, dass Ajgis Poesie aber zuallererst aus den Räumen kommt. Schon der Anordnung vieler seiner Texte auf der Buchseite mutet etwas Geographisches an: die Zeilenlängen variieren häufig, es gibt Gedankenstriche, Gedanken-Strich-Wörter und Auslassungspunkte, es gibt stockende rhythmische Bewegungen wie bei Zanzotto und es gibt in Anführungszeichen gesetzte Wörter. Vom Klassizismus seines Freundes Boris Pasternak ist Ajgi meilenweit entfernt. Man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass er einer der modernsten und verstörendsten Dichter ist, die wir in der europäischen Poesie haben. Ein Schwieriger, zu dem man leicht Zugang findet. Man muss nur aufhören, einem festgezurrten Sinn dieser Poesie hinterherzujagen, oder, wie Ajgi selbst sich ausdrückte:
Hinhören – statt zu reden.
Volker Sielaff, Ostragehege, Heft 57, 2010
Mónika Koncz: Platon auf dem Feld
fixpoetry.com, 27.7.2013
Volker Sielaff: Die Welt als Welt-All und Welt-Markt
poetenladen.de, 21.8.2009
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