INGEBORG BACHMANN
Enigma
Nichts mehr wird kommen.
Frühling wird nicht mehr werden.
Tausendjährige Kalender sagen es jedem voraus.
Aber auch Sommer und weiterhin, was so gute Namen
wie „sommerlich“ hat –
es wird nichts mehr kommen.
Du sollst ja nicht weinen,
sagt eine Musik.
Sonst
sagt
etwas
niemand
etwas.
1963–65
aus: Ingeborg Bachmann: Schriften Bd. IX, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1984
Zu den letzten vier Gedichten, die Ingeborg Bachmann (1926–1973) zu Lebzeiten veröffentlichte, gehört das Gedicht „Enigma“. Es datiert aus der Zeit zwischen 1963 und 1965, als die Dichterin in Berlin lebte und nach mehreren Klinikaufenthalten in „Süchte, Verzweiflungen“ gestürzt war – Verzweiflungen, von denen dann auch ihre Büchnerpreis-Rede 1964 handelte.
In seiner absoluten Negation jeder Zukunft ist das Gedicht Ausdruck jener „Hoffnungslosigkeit“, die Bachmann im Entwurf der Büchnerpreis-Rede umkreist. „Enigma“, ein griechisches Wort, bedeutet Rätsel – und in ihr poetisches Rätsel hat die Dichterin Hinweise auf Musik eingeschmuggelt. So ist dem Text die Widmung „Für Hans Werner Henze aus der Zeit der Ariosi“ vorangestellt. Neben den Liedern des mit ihr befreundeten Komponisten Henze sind es Motive aus den sogenannten „Altenberg-Liedern“ Alban Bergs und Zeilen aus einer Symphonie Gustav Mahlers, die in „Enigma“ aufgenommen wurden.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Sonst sagt
etwas
niemand
etwas.
Gerade ein lyrischer Text sollte fehlerfrei veröffentlicht werden.
Da gab es beim Lyrikkalender wohl einen Fehler. Wurde berichtigt. Danke.
Tolle Auswahl!!
Kompliment!
Es fehlt die Widmung: “Für Hans Werner Henze” und der Titelzusatz: “Aus der Zeit der Ariosi”.
Wenn schon, denn schon!
Frohen Gruß
Zypper
… das Gedicht wurde Ingeborg Bachmann: Schriften Bd. IX, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1984 entnommen und ist dort ohne die Zusätze erschienen. In der Ausgabe Ingeborg Bachmann: Werke. Band I: Gedichte ist es mit den zusätzlichen Informationen abgedruckt. https://www.planetlyrik.de/hans-ulrich-treichel-zu-ingeborg-bachmanns-gedicht-enigma/2019/11/