nua ka schmoez how e xogt!
nua ka schmoez ned..
reis s ausse dei heazz die bluadex
und haus s owe iwa r a bruknglanda!
fomiaraus auf d fabindunxbaun
en otagring..
daun woat a wäu
bis s da wida zuaqoxn is des loch
des bluadeche untan schilee
und sog:
es woa nix! oda: gemma koed is s ned!
waun s d amoe so weid bist
daun eascht schreib dei gedicht
und ned eea!
nua ka schmoez ned how e xogt!
nua ka schmoez..
heit drong s as nua z gean
eana heazz (de dichta
de growla de schmoezxön)
bei jeda glengheid
untan linkn goidzaun
oda r iwa n lean briafdaschl
wia r a monogram..
waun owa r ana r a gedicht schreim wüü
und iwahaubt no a weanaresch dazua
daun sol a zeascht med sein heazz
med sein bozwachn untan goidzaun
nua recht schnöö noch otagring ausse
oda sunztwo zu an bruknglanda gee!
H.C. Artmann liest „nua ka schmoez how e xogt!…“
Hochdeutschübersetzung von Katharina Laszlo hier.
H.C. Artmann liest Dialektgedichte in einer Studioaufnahme um ca. 1974 vermutlich aus dem Umfeld der Aufnahmen für die Quartplatte 12 des Wagenbach Verlags.
Ich betrachte die folgenden texte als bloße inhaltsverzeichnisse für den leser, als literarisierte inhaltsverzeichnisse freilich; als anhaltspunkte und als ideen für noch nicht existierende, erst in der vorstellung sich vollziehende gegebenheiten. Ich versuche mich also praktisch in ausgriffen auf die zukunft. Ein inhaltsverzeichnis weist auf etwas hin, das erst zu realisieren wäre: es ist ein vorentwurf, und ein solcher befaßt sich mit der zukunft.
Mit diesen texten soll ein weg, eine methode gefunden werden, um von der engen und allgegenwärtigen vergangenheit, wie sie da in der literatur als abgehalfterter Ahasver herumgeistert, wegzukommen. Hiermit soll der sehnsucht nach einer besseren vergangenheit entgegengetreten werden; wehmütiges sicherinnern ist fruchtlos, ein abgestorbner kirschbaum, der sich nie mehr beblättern wird. Wohl bin ich romantiker – aber war nicht jede romantik von etwas erfüllt, das uns hin und wieder gegen ende des winters gleich einer noch unrealen frühlingsbrise überfällt?
Auch die konventionelle science-fiction ist meist nichts anderes als in die zukunft projizierte vergangenheit (kenntlich allein schon am imperfektstil), obendrein dominiert der vergangenheitscharakter jedenfalls eindeutig in ihr.
Warum inhaltsverzeichnis? Warum so viel unausgeführtes? Warum nur angedeutetes? Warum nur versprechungen? – Warum denn nicht? Eine eindeutige antwort soll nicht gegeben werden, weil sprache festlegt; jeder leser mag jedoch für sich herausfinden, was diese texte ihm persönlich an möglichkeiten anbieten.
Auf die frage, welche von diesen möglichkeiten mir selbst am meisten am herzen liegen, kann ich nur antworten: jene, die in die westliche, in die atlantische richtung weisen, jene abenteuer, die ich bei der lektüre der fragmentarischen altirischen dichtung er-lebte, durch-lebte und noch heute weiter-lebe.
H.C. Artmann, aus: Unter der Bedeckung eines Hutes, Residenz Verlag, 1974.
Im vorliegenden Band sind zum ersten Mal die beiden großen Dialektgedicht-Zyklen – med ana schwoazzn dintn und rosn – vereint, ergänzt um die Sammlung med ana neichn schwoazzn dintn und das separat erschiene Gedicht „i bin a bluadbankdirekta“, das in rosn eingeordnet wurde.
Den Abschluß des Bandes bildet das Gedicht „requiem viennense“, das gemeinsam mit Gerhard Rühm geschrieben wurde.
Die Entstehungsdaten der Gedichte befinden sich im Inhaltsverzeichnis.
Rainer Verlag und Klaus G. Renner Verlag
Die Idee zu einer mehrbändigen, aufgegliederten Ausgabe des damals schon auffällig vielschichtigen poetischen Œuvres von H.C. Artmann in der „Kleinen Reihe“ des Rainer Verlages – naheliegend erschien es damals – entstand 1967. Sie wurde – wie die meisten „Ideen“ von Verlegern – aufgrund dieser und jener Entwicklung (des Autors, seiner ständigen Wohnwechsel, des kleinen Verlages und seiner Probleme) ad acta gelegt, eigentlich aber nie aus dem Gedächtnis entlassen.
1969 erschien die von Gerald Bisinger mit Liebe und Fleiß betreute Sammlung Ein lilienweißer Brief aus Lincolnshire im Suhrkamp Verlag. 1978 auch in Taschenbuchform, die bis dahin vollständigste Zusammenstellung der Gedichte, welche bis heute Gültigkeit und Wirksamkeit erlangt hat.
Viele Jahre später, im Herbst 1991 also – was im Durcheinander der Frankfurter Buchmesse nicht möglich – nämlich bei einem Besuch der Renners bei Rainers im ungarischen Fünfkirchen, gerät diese „Idee“ wieder ins Blickfeld: ein mehrbändiges Werk, verteilt auf zwei Schultern.
Salzburg, Wohnort des H.C., liegt zwischen Fünfkirchen und München, zwischen Rainer und Renner. H.C. gibt also wenige Tage später sein Placet, bekundet Wohlwollen, avisiert gar seine Mitwirkung. Auch Klaus Reichert in Frankfurt am Main – nobilder und aufrechter Herausgeber vieler Werke H.C.s – wird sofort gewonnen.
1992 – Klaus Reichert hat seine nicht mühelose Arbeit angefangen, fortgeführt und mit H.C. abgestimmt – die, von den Verlegern übernommen, die Bandzahl der Gesamtausgabe auf zehn Stück (ursprünglich acht) ausgeweitet bzw. begrenzt. Die redaktionelle Arbeit des Herausgebers und des Autors ist vorläufig abgeschlossen.
Im Sommer 1993 beginnen Pretzell und Renner unter Nutzung der typographischen Vielfalt einer 1992 erworbenen leistungsfähigen Photosatz-Maschine die Ausführung der ersten Bände.
Frühjahr 1994 – Beendigung der Satzarbeiten. Die Drucklegung kann beginnen…
Klaus G. Renner und Rainer Pretzell, Nachwort
Fitzgerald Kusz: Kuppler und Zuhälter der Worte
Die Weltwoche, 18.8.1994
Andreas Breitenstein: Die Vergrößerung des Sternenhimmels
Neue Zürcher Zeitung, 14.10.1994
Thomas Rothschild: Die Schönheit liegt in der Abwesenheit von Nützlichkeit
Badische Zeitung, 15.10.1994
Franz Schuh: Weltmeister jedweder Magie
Die Zeit, 2.12.1994
Albrecht Kloepfer: Hänschen soll Goethe werden
Der Tagesspiegel, 25./26.12.1994
Karl Riha: Wer dichten kann, ist dichtersmann
Frankfurter Rundschau, 6.1.1995
Christina Weiss: worte treiben unzucht miteinander
Die Woche, 3.2.1995
Dorothea Baumer: Großer Verwandler
Süddeutsche Zeitung, 27./28.5.1995
Armin M.M. Huttenlocher: Narr am Hofe des Geistes
Der Freitag, 25.8.1995
Jochen Jung: Das Losungswort
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.1995
Über den Kopf des Salzlesers hinweg möchte ich dir ein Gabelrastel schenken, hab neulich ein japanisches gesehn aus Porzellan, das war wie dem Hänsel sein Gretel zum durch den Lastenaufzug stecken und damit winken. Wenn der Gaszähler kommt, kannst Du ihn vielleicht bezirzen. Auf dem Sofa Deiner Erbprinzessin kannst du seinen Vierkant-Schimmer (eines Talismans aus Büffelbutter) generös im Winkel offerieren, kleiner Nackenstreifen, wenn die Ratgeber sich betunken und zerbröseln. Sushi hatten wir ja auch zu viert verzwackt. Deine Polkappe leuchtete. Es war eine dieser Angelegenheiten septentrionaler Fasanerie, wie alles läuft und man das Gastrecht fast kosten kann. Im Lastenaufzug klirrten Ziehharmonikas der abgegessenen Teller beim Jonglieren einer Zeitungsente, es war einfach extra. Hommage.
Oskar Pastior
braucht man nicht vorzustellen, dürfte das auch gar nicht müssen, jedes Schulkind müßte eigentlich ihn und seine Gedichte kennen, zumindest am Ende der Schulzeit; aber das ist bei unserem Bildungs- und Gesellschaftssystem und dessen Werten leider nicht der Fall. Ich traf nur ein paar Mal privat auf den Artmann. Das erste Mal bei einer Art Spontantheateraufführung in der Galerie Basilisk von Lingens und Kettner in der Schönlaterngasse in Wien. Worum es da genau ging, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls spielten „die alten Hasen“ – der Konrad Bayer, der Gerhard Rühm und der H.C. Artmann – auf einer provisorischen Bühne vor ausgewähltem Publikum so etwas wie einen Sketch. Alle lachten, auch die Schauspieler-Dichter. Es war eine Hetz. Am meisten lachte der Doderer, der in der ersten Reihe saß und immer wieder begeistert klatschte. Das muß so um 1960 gewesen sein, als ich gerade nach Wien gekommen war. Das zweite Mal trafen wir bei einem Morgen-Kreis-Symposium in Ottenstein aufeinander. Ich fotografierte ihn, weil er ein so lustiges Kappel auf seinem Kopf hatte. Er war, glaub ich, nur auf einen ganz kurzen Besuch da, zum Mittagessen, dann verschwand er wieder. Das dritte Mal traf ich auf ihn im Foyer des Ronacher, als sich die beiden Roth-Zwillingsschwestern um ihn drängelten und von mir mit dem Artmann fotografiert werden wollten. Ich glaube, der Artmann wußte gar nicht, wer die beiden Damen waren, aber die waren sehr attraktiv, und das gefiel ihm. Und so gestattete er mir, diese Szene zu fotografieren. Das war bei „Fest für H.C. Artmann“; wann genau weiß ich nicht mehr. Die vierte und letzte „Begegnung“ war bei seiner Verabschiedungsfeier in der Feuerbestattungshalle am Wiener Zentralfriedhof. Ich stand seitlich am Rand der Halle, hörte die Reden, dachte an das Artmann-Gedicht mit dem „Wiener Zentral“ und verabschiedete mich auch von diesem großen Dichter und Poeten und gebildeten Menschen H.C. Artmann, als der Sarg langsam durch eine Öffnung im Boden wie in ein Niemandsland hinabglitt und sich dann die beiden Türen wieder schlossen. Was übrig blieb, war eine Trauergemeinde, Familie, Freunde, Kollegen, von denen dann viele ins nahe Wirtshaus gingen; ganz im Sinne von H.C. Artmann; denn er hätte das in einem solchen Fall wahrscheinlich auch getan.
Peter Paul Wiplinger: Schriftstellerbegegnungen 1960–2010, Kitab-Verlag, 2010
Es ist gewiß nicht richtig, Lyrik nach der Zahl der verkauften Bände zu beurteilen, vor allem, wenn es sich um einen neuen Autor handelt; denn was sollte man schon aus ein paar verkauften Exemplaren mehr oder weniger schließen können? Die Ziffern sind niedrig genug. Sie bewegen sich, wenn das Buch in einem anständigen Verlag erschienen ist (z.B. bei Piper, Hanser oder Otto Müller) zwischen etwa 200 oder 600 Exemplaren; manche Verlage, wie Bechtle, limitieren eine erste Auflage mit 500 Stück. Es ist bereits ein Zeichen echter Breitenwirkung, daß Dichter wie der in Paris lebende Paul Celan und die Wienerin Christine Busta 1.500 und mehr zahlende Bewunderer ihrer Bücher finden.
Vor diesem Hintergrund gesehen, sind Erfolge, wie die des legendären Legionärs George Forestier (mit 18.000 Exemplaren von Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straße) und der Kärntnerin Ingeborg Bachmann (mit ihrem im 6. Tausend vorliegenden Band Anrufung des großen Bären) einfach sensationell. Ist es auch nicht zulässig, den Wert von Gedichten ohneweiters am Echo zu messen, das sie im Publikum finden, so scheint es doch geboten, bei einem Gedichtband, dem außerordentlicher Erfolg beschieden ist, nach den Ursachen dieses Erfolges zu fragen; und zu fragen, ob er von Dauer sein wird. Bei Forestier war es in erster Linie die genial ersonnene Fabel, die den „Elsässer“ mit der „Grenze mitten durch das Herz“ zu einer archetypischen Figur unserer Zeit machte; doch hätte sie allein, wären die Gedichte ganz schlecht gewesen, nichts ausgerichtet. Bei Ingeborg Bachmann wird es wohl die mädchenhaft-frauliche Stille gewesen sein, in der eine chaotische Zeit ihre ordnende Mitte fand, die den Leser fasziniert hat.
Innerhalb eines Jahres hat nun der 37jährige Wiener Dichter Hans Carl Artmann, dessen Namen bisher nur Eingeweihten bekannt war, die zweite Stelle dieser Erfolgsliste neuer Autoren nach 1945 erreicht. Im vergangenen Herbst war sein Buch med ana schwoazzn dintn – gedichta aus bradnsee (Mit schwarzer Tinte – Gedichte aus Breitensee, verlegt bei Otto Müller) in Wien, Salzburg und anderen österreichischen Städten nach Boris Pasternaks Dr. Schiwago das bestverkaufte Buch; hinzu kommt der Schallplattenerfolg (auf ana schwoazzn blodn). So scheint es Artmann nun (und glücklicherweise noch zu Lebzeiten) ähnlich zu gehen wie dem skurrilen Fritz von Herzmanovsky-Orlando, der zuerst jahrzehntelang belächelt wurde, ehe seine Bücher als Quelle eines viel tieferen und gar nicht mehr mitleidigen Lächelns entdeckt wurden.
Wo liegt die Ursache für den spontanen Erfolg Artmanns? Das Neue, das Einzigartige an seinen Mundartgedichten ist: er hält die Sprache im Augenblick des Entstehens fest; da, wo sie Sprache wird, wo sie am lebendigsten, am ursprünglichsten ist. Er hat den Dialekt an der Wurzel gepackt, wo er aus sich selbst dichtet, wo er bei jeder Konfrontation mit der Wirklichkeit originär eine bildhafte, plastische Wendung hervorbringt, in der dieses Stück Wirklichkeit enthalten ist. So kommen uns alle seine Erfindungen und Neuschöpfungen ganz selbstverständlich vor: die Sprache erfindet für ihn, er braucht nur den Mund aufzumachen.
Nun, da wir die Gedichte Artmanns kennen, die den Dialekt, den Wiener Dialekt, für die moderne Dichtung entdeckt haben, fragen wir uns: warum waren uns Mundartgedichte eigentlich so unerträglich? Der Grund ist wohl darin zu suchen, daß der Dialekt meist in dilettantische Vorstellungen dessen, was Dichtung zu sein hat, hineingepreßt und also vergewaltigt wurde („Gedicht ist, was sich reimt“): auch schien die Beschränkung auf eine bestimmte Mundart automatisch eine geistige Beschränkung und eine Beschränkung der Themenwahl zu bedingen; so daß der Dialekt, in ein Ghetto gesperrt, nur ausgetretene Pfade tappen konnte. Der Schreiber eines Dialektgedichtes dachte meist, er müsse sich nicht nur in ein literarisches Schema, sondern auch in eine simple Mentalität hineinempfinden; die Produkte wirkten dann durch ihren gewollt biederen Tonfall albern und durch die Wiederholung derselben Motive eintönig.
Artmann dagegen, und das ist das Neue, bleibt er selbst, auch wenn er Dialekt redet; er läßt den Dialekt aus dem Ghetto und frei im Reiche des Surrealismus und des schwarzen Humors herumstreifen; da kommt es dann zu seltsamen Begegnungen und Paarungen. Die Themen sind oft makaber, wie die Gedichte vom Ringelspielbesitzer, der ein Vorstadtblaubart ist und sich, der toten Frauen wegen, fürchtet, nachts ohne Licht zu schlafen. Ein ganz anderes, sehr gespenstisches Wien kommt hier zum Vorschein, dessen Atmosphäre auch Filme wie Der dritte Mann nicht annähernd einfangen konnten. Die Verwandlung des Alltäglichen ins Unheimliche erreicht Artmann mit sprachlichen Mitteln. So wird aus dem Winterhafen an der Donau, unterhalb dessen eine Wasserleiche angespült wird (in dem Gedicht „dod en wossa“, einer Paraphrase zu Eliots „Tod des Phlebas“ in Waste Land) durch die überraschende Voranstellung der Worte „en heabst“ plötzlich ein metaphysischer Ort. Artmann muß nicht den Kosmos und das Milchstraßensystem bemühen, er kommt mit den Requisiten des täglichen Lebens aus, so zum Beispiel, wenn er die Stimmung „noch ana sindflud“ schildert: verfaulte Fensterbretter, ein paar ertrunkene Käfer, und der Geruch im Kino, in dem in allen Reihen Hai- und Walfische gesessen sind. In einem anderen Gedichten entsteht aus der gutbürgerlichen Sonntagsruhe, durch Aufzählung geschlossener Lebensmittelgeschäfte, deren Rollbalken wie „Partezettel“ herabgelassen sind, durch das Fehlen von Maggiwürfeln, Salzgurken und Niveaschachteln eine geradezu existentielle Leere.
Man würde Artmann Unrecht tun, wollte man ihn nun, weil das erste Buch, das von ihm vorliegt (nach einem verschollenen Sonderdruck Sprüche, Reime, Formeln und Kirchhoflieder) im Dialekt geschrieben ist, als Mundartdichter festlegen. Diese Arbeiten, zuerst eher Spielerei, schließlich mit wissenschaftlicher Exaktheit betrieben (bis zur Entwicklung einer radikal phonetischen Lautschrift und eines umfangreichen Wörterbuches) sind nur Teil eines großen, noch nicht publizierten Werkes. Artmanns Leidenschaft gehört der vergleichenden Sprachwissenschaft; seiner ausgedehnten Kenntnis fremder und entlegener Literaturen verdankt ein Kreis junger Wiener Autoren vielfache Anregung.
Etwa 1950 begann sich eine Gruppe junger Schriftsteller, alle um die zwanzig, keiner älter als dreißig, regelmäßig zu treffen; in den Neuen Wegen, einer vom Theater der Jugend (einer Organisation, die Schülern verbilligte Plätze zu Burgtheater- und Staatsopernaufführungen besorgt) herausgegebenen Zeitschrift, hatte sie sich ein erstes Publikationsorgan geschaffen. Bücher lagen noch von keinem vor. Diesem Kreis gehörten an: Gerhard Fritsch, inzwischen mit vier Gedichtbänden und dem Roman Moos auf den Steinen hervorgetreten; Andreas Okopenko, dessen Gedichte (Grüner November) vor zwei Jahren bei Piper erschienen sind; Ernst Kein, der 1958 zusammen mit Herbert Eisenreich den Staats-Förderungspreis für Prosa erhielt; Friedrich Polakovics, der als Interpret Artmanns bekannt wurde. Zuweilen kamen zu den Zusammenkünften: Jeannie Ebner, von der im vergangenen Herbst der (zweite) Roman bei Kiepenheuer & Witsch herauskam (Wildnis früher Sommer); der Erzähler Herbert Eisenreich (Böse schöne Welt, Henry Goverts), der damals noch in der Zuckerfabrik in Enns arbeitete, um das schreiben zu können, was ihm vorschwebte; der Psychologiedozent Walter Toman, der bald eine Berufung an eine amerikanische Universität erhielt, seine Groteskgeschichten legte Biederstein auf. Busses kleines Welttheater. Es traf sich also dort gut die Hälfte einer neuen österreichischen Schriftstellergeneration, die Hans Weigel dann in den Jahren 1951–1954 in seinen Anthologien Stimmen der Gegenwart sammelte.
Artmanns Stellung in diesem Kreis darf vielleicht in etwa mit der Pounds in London bei Anbruch des Ersten Weltkriegs umschrieben werden. Er wirkte anregend und hinweisend; wenn auch das, was er vertrat, nicht immer und von allen hingenommen wurde und oft zu langen Debatten führte. Durch seine Kenntnis der großen Werke der Weltliteratur im Original war er den meisten überlegen; wer hatte schon Proust, wer den Ulysses, wer gar Finnegan’s Wake gelesen? Damals gab es kaum deutsche Übersetzungen, von Pound war nichts da, gerade Eliot allgemein bekannt und Hemingway dabei, stilbildend zu wirken. Die Franzosen (Eluard, St. John Perse) kannte man dem Namen nach. Artmann schuf für uns erste Übersetzungen, übertrug vor allem aus den weniger geläufigen Sprachen, so aus dem Spanischen (García Lorca, Ramón Gómez de la Serna, Rafael Alberti, Pablo Neruda). Daneben gehörte seine Liebe der alten keltischen Dichtung. Er reiste nach Spanien und Irland, um sich Bücher, die es in Wien nicht gab, zu besorgen.
Diese Übersetzungen und Arbeiten der Gruppe, die den Neuen Wegen zu „gewagt“ erschienen, kamen in hektographierten Publikationen heraus, die bis 1953 Okopenko und später Artmann betreute. Inzwischen stellte sich bei einigen der Erfolg ein, die Gruppe ging auseinander, die Publikationen ein.
Nach seinen Mundartgedichten haben die (verstreut publizierten, aber oft vorgetragenen) Husarengeschichten Artmann in Wien bekanntgemacht. Hier spricht der Dichter in der Maske eines barocken Chronisten zu uns; während in den Dialektgedichten das Breitenseer Idiom mit dem Surrealismus eine Ehe eingegangen ist, so hat sich hier skurriler, urösterreichischer Humor zu der Vagantengesinnung eines François Villon (dessen Gedichte Artmann übrigens ins Wienerische übertragen hat) gesellt – das Ergebnis reicht von der Erfindung toller Husarenlisten bis zur Beschreibung imaginärer barocker Wurstsorten. Wieder ist es die sprachliche Verwandlungskraft, die den Leser (oder Hörer) fasziniert; so wird einmal aus dem historisch greifbaren Amsterdam durch Änderung eines einzigen Buchstabens die mythische Stadt „Amsteldam“, der Hafen der Amseln.
Was ist es, das durch diese Sprache ans Licht will? Die einfachsten menschlichen Erfahrungen, die jeder kennt: Freude und Schmerz; Liebe und Tod; Angst und Verlassenheit. Es ist befreiend, vertrauten Empfindungen in fremden Gewande zu begegnen; und über das, was einen selbst betraf, lächeln zu können.
In allen Verkleidungen spricht Artmann als ein abenteuernder Sänger zu uns, als ein Barde, den es aus vergangener Zeit zu uns verschlagen hat, der mit allen sprachlichen Ingredienzien experimentiert, vielerlei Kunststücke beherrscht und mit einem weitreichenden Repertoire sein Publikum ergreift und fesselt, indes es glaubt, bloß unterhalten zu sein.
Wieland Schmied, Wort in der Zeit, Heft 1, 1959
GEHEIMSPRACHE FÜR H.C.
Lawrence of Arabia
griff von der Leinwand herab,
verzerrt, wir saßen in
der ersten Reihe, ganz außen.
(So entstehen Perspektiven.)
In deinem Zimmer
stülptest du
einen Pullover über mich:
zum Schutz für den nächsten Tag,
an dem ich Freiheit suchte,
die du, erfahrener, kanntest.
Dem Lehrmeister dankte ich.
Einmal im Süden des Landes,
du kamst aus dem Schilf
als Schäfer (der Dichter!),
nicht unweit, davon gedieh die Schäferin,
reifte heran für spätere Jahre.
Wir begleiten dich zur Schmiede,
zum Schuster. Deine Verwandlungen
verwandeln sich in Bilder,
auch Draculas Schrecken.
Wie immer, du warst die Nähe
der Poesie, der Flug
der Wörter ins Weite.
Gewahren und sanft
ist der Meister der Formen
für die Jüngeren der Jüngere.
Alfred Kolleritsch
MEINE SPRACHE IST MIR WALD GENUG
(für h.c.)
dunkles gebäum und lichtfleckige lichtungen
die moosrosen
das ostergeknopse
wortstämme bestrahle ich
aaaaaaaaamit lichtfingern
im haselgestrüpp
aaalasse ich jetzt rascheln
wie eine köchin
aaadie fleisch und kräutlein
aaaaaain den topf geworfen
über ihre suppe staunt
lasse ich für h.c. einen kleinen wald aus sprache
aaaaaaaaaaaaaaaaaaawachsen
und wundere mich
aaaaaawie ich das machen kann
Elfriede Gerstl
Der Mond isst Äpfel… sagt H.C. Artmann. Die H.C. Artmann-Sammlung Knupfer
Clemens Dirmhirn: H.C. Artmann und die Romantik. Diplomarbeit 2013
Adi Hirschal, Klaus Reichert, Raoul Schrott und Rosa Pock-Artmann würdigen H.C. Artmann und sein Werk am 6.7.2001 im Lyrik Kabinett München
„Spielt Artmann! Spielt Lyrik!“ (Teil 1)
„Spielt Artmann! Spielt Lyrik!“ (Teil 2)
Michael Horowitz: H.C. Artmann: Bürgerschreck aus Breitensee
Kurier, 31.5.2021
Christian Thanhäuser: Mein Freund H.C. Artmann
OÖNachrichten, 2.6.2021
Christian Schacherreiter: Der Grenzüberschreiter
OÖNachrichten, 12.6.2021
Wolfgang Paterno: Lyriker H. C. Artmann: Nua ka Schmoez
Profil, 5.6.2021
Hedwig Kainberger / Sepp Dreissinger: „H.C. Artmann ist unterschätzt“
Salzburger Nachrichten, 6.6.2021
Peter Pisa: H.C. Artmann, 100: „kauf dir ein tintenfass“
Kurier, 6.6.2021
Edwin Baumgartner: Die Reisen des H.C. Artmann
Wiener Zeitung, 9.6.2021
Edwin Baumgartner: H.C. Artmann: Tänzer auf allen Maskenfesten
Wiener Zeitung, 12.6.2021
Cathrin Kahlweit: Ein Hauch von Party
Süddeutsche Zeitung, 10.6.2021
Elmar Locher: H.C. Artmann. Dichter (1921–2000)
Tageszeitung, 12.6.2021
Bernd Melichar: H.C. Artmann: Ein Herr mit Grandezza, ein Sprachspieler, ein Abenteurer
Kleine Zeitung, 12.6.2021
Peter Rosei: H.C. Artmann: Ich pfeife auf eure Regeln
Die Presse, 12.6.2021
Fabio Staubli: H.C. Artmann wäre heute 100 Jahre alt geworden
Nau, 12.6.2021
Ulf Heise: Hans Carl Artmann: Proteus der Weltliteratur
Freie Presse, 12.6.2021
Thomas Schmid: Zuhause keine drei Bücher, trotzdem Dichter geworden
Die Welt, 12.6.2021
Joachim Leitner: Zum 100. Geburtstag von H. C. Artmann: „nua ka schmoezz ned“
Tiroler Tageszeitung, 11.6.2021
Linda Stift: Pst, der H.C. war da!
Die Presse, 11.6.2021
Florian Baranyi: H.C. Artmanns Lyrik für die Stiefel
ORF, 12.6.2021
Ronald Pohl: Dichter H. C. Artmann: Sprachgenie, Druide und Ethiker
Der Standart, 12.6.2021
Maximilian Mengeringhaus: „a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden“
Der Tagesspiegel, 14.6.2021
„Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt“
wienbibliothek im rathaus, 10.6.2021–10.12.2021
Ausstellungseröffnung „Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!“ in der Wienbibliothek am Rathaus
Lovecraft, save the world! 100 Jahre H.C. Artmann. Ann Cotten, Erwin Einzinger, Monika Rinck, Ferdinand Schmatz und Gerhild Steinbuch Lesungen und Gespräch in der alten schmiede wien am 28.10.2021
Sprachspiele nach H.C. Artmann. Live aus der Alten Schmiede am 29.10.2022. Oskar Aichinger Klavier, Stimme Susanna Heilmayr Barockoboe, Viola, Stimme Burkhard Stangl E-Gitarre, Stimme
Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm Die Jagd nach H.C. Artmann von Bernhard Koch, gedreht 1995.
H.C. Artmann 1980 in dem berühmten HUMANIC Werbespot „Papierene Stiefel“.
Hallo!
Ich würde nur gerne wissen, wer für “das letzte Interview” mit Artmann genau verantwortlich ist (Redaktion)?
Mfg,
Margarethe Allmer
Sehr geehrte Frau Allmer,
Hier finden Sie die gewünschten Informationen: https://oe1.orf.at/programm/20101129/192579
Beste Grüße
Egmont Hesse