UNTER UNS
So ruckt es an Es stockt Es geht So geht es los
So wird es gehn es geht schon gut so gut es geht
Und lebt sich fort kein schlechter Tag kein schlechter
aaaaaTausch
und läuft und stockt und läuft schon weiter wie
aaaaageschmiert
mit schrillem Schrei nach Norden
die Welt ist voller Morden
ja wunderbar sieht doch gut aus bei uns daheim
bei uns am Rande wo wir erst gelandet sind
ein heller Kopf ein schöner Tag ein schneller Tod
So wird es gehn es geht schon gut so gut es geht
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Dieses Debut
zeigt eine weitere Facette des anerkannten Autors, Übersetzers und Kritikers Heinrich Detering.
Seit einigen Jahren schon sind Gedichte von Heinrich Detering in Zeitschriften und Anthologien erschienen, unter anderem in der Neuen Rundschau und im Jahrbuch der Lyrik. In diesem Band sind zum ersten Mal ältere und neue Texte gesammelt. Sie bilden einen Zyklus musikalisch leichtfüßiger Poesie über Alltag und Epiphanie.
Aus dem Staube in den Staub
− Abwechslung der unerwarteten Art: Heinrich Deterings Gedichte. –
„Dieser Text ist verschwunden.“
Wulf Segebrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2004
Das Eichhorn turnt im Blau
Schwebstoffe: Ein halbes Hundert Gedichte von Heinrich Detering
„Mitglied in den Jurys für den Kleist-Preis, den Thomas-Mann-Preis, den Büchner-Preis und die Preise der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, den Lessing-Preis, den Mörike-Preis und den Fallada-Preis“, liest man in der Kurzbiographie des Literaturwissenschaftlers Heinrich Detering. Von Poesie versteht er da wohl eher zu viel als zu wenig, um selber zu dichten! „Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt“ – das hat Lessing zwar ein für allemal klargestellt: „Ich finde meine Suppe versalzen: darf ich sie nicht eher versalzen nennen, als bis ich selbst kochen kann?“ Aber was für eine Herausforderung für den Feinschmecker mit dem unbestechlichen Urteil, wenn er sich selbst unter die Köche begibt!
Die meisten Gedichte in diesem schönen Bändchen vermitteln beim ersten Lesen einen Eindruck von Spontaneität, von punktueller Inspiration. Sie geben gleichzeitig zu verstehen, dass der Dichter sie mit Eifer und Sorgfalt komponiert hat, ohne an ihre zukünftige Bestimmung für einen Gedichtband zu denken. Das ist ein Vorzug, es gibt den einzelnen Gedichten mehr Auslauf, thematische Nötigungen fallen weg, die Gedichte müssen sich nicht gegenseitig bespiegeln – aber es ist auch ein Nachteil, wenn sie dann doch ein Buch bilden und einer neuen ästhetischen Forderung, sozusagen einer zweiten Poetisierung gehorchen müssen. So findet sich vor und nach den vier Abteilungen von je zwölf Gedichten ein Prolog- und ein Epiloggedicht fast gleicher Form und sehr ähnlichen Inhalts: „ÜBER DEM EIS / niemandes Sprache…“ und „ÜBER DEM WALDMEER / das letzte Licht…“. Eine noch stärker bindende semantische Kraft geht vom Titel aus, der in ehrwürdiger Tradition einen Sachbegriff poetisch auflädt: „Schwebstoffe“, wie „Leaves of Grass“, „Tumulus“ oder „Katzenkopfpflaster“. Das Wort stammt aus dem Gedicht „in the balance“, das Bilder aus See und Sand evoziert, um in einer letzten Strophe den barocken Schluss zu ziehen: „Schwebstoffe die wir sind / machen wir uns aus dem Staube / leichthin auf in den Staub“ – ein Gedicht über die conditio humana, dem „wir“ die Zustimmung nicht versagen können. Aber hätte für das Sujet auch ein „Ich“ geradestehen können?
Ein Gelehrter, der dichtet, hat einen natürlichen Hang zum poeta doctus, das ist sozusagen seine erste Natur. Die beiden klug komponierten Gedichte unter der Überschrift „Carl von Linné schreibt an seinen Sohn“ repräsentieren ein solches Rollenspiel, wie vor allem Durs Grünbein es gern virtuos praktiziert. Eine Seite mit Anmerkungen hilft hier dem Leser weiter, der, wie gelehrt auch immer, für solche Hilfen viel dankbarer ist, als die Dichter sich vorstellen mögen.
Lauter Glanz von innen
Eine profundere Gelehrsamkeit ist freilich da nötig, wo Anspielungen auf den literarischen Kanon begegnen, und da bleiben die Anmerkungen stumm: „Marduk, Bahnhofstraße“ zitiert den Moloch Großstadt oder Georg Heyms Baal, aber zeichnet ein trügerisch-idyllisches Gegenbild dazu: „und dabei sieht Frankfurt so still aus im Dunklen / so festlich so fern und so still aus im Dunklen / die gläsernen Wände selig scheinen sie in sich selbst“. Darf man das lesen, ohne an Mörike zu denken, an seinen geheimnisvollen Vers aus dem Gedicht „Auf eine Lampe“: „Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst“ – und an den Briefwechsel, den einer unserer bedeutendsten Philosophen, Heidegger, mit einem unserer damals bedeutendsten Literaturwissenschaftler, Staiger, über das Wörtchen „scheinen“ und die Ästhetik des Kunstschönen unterhalten hat? Wenn man denn daran denken muss, schlagen die Wellen von poetischer Überschussbedeutung vollends über einem zusammen. Aber die nächste Strophe sagt vielleicht ganz genau, was hier zu sagen war: „die Wände nichts als großer Glanz von innen“. Mörikes biedermeierliches „Kunstgebild der echten Art“ scheint da wie ein rücksichtsloser Störsender dazwischengefunkt zu haben.
Immer wieder findet Detering poetische Substanz im Alltag:
SELBST
die Dunkelheit kommt so
erscheint im Abteilfenster allmählich
mein Spiegelbild
allmählich erscheint im Abteilfenster
mein Spiegelbild so
kommt die Dunkelheit
Diese rückläufige Wiederholung ist zwar ein rhetorisches Klischee für einen Creative-Writing-Kurs, aber mit wenig Aufwand schweift so doch der Blick über das bloß Gesehene hinaus. Die Offensichtlichkeit des Mittels ist gewiss auch der Ausdruck einer Scheu des Autors vor undurchsichtigen poetischen Manipulationen. Das gilt auch für die gelegentlich benutzten Reime. Der Dichter scheut sich vor großen Worten – und sagt vielleicht deswegen gern englische Wörter, die sozusagen als fremde Gäste den Hauch des Poetischen schon mitbringen, parodistisch im „Nice to Meet You (St. Louis Ragtime)“, einschmeichelnd im „out of the blue“ von „Annunciation“. Manchmal nimmt er seine Leser mit zu einem virtuosen Sprung wie ihn amerikanische Eichhörnchen („squirrels“) ganz furchtlos praktizieren, wenn er sie „so beiläufig unter uns“ findet – „wie die Engel die Düfte die Stimmen der Toten.“
Hier mag mancher Leser noch ein Zögern spüren, besonders wenn ihm solche Tierchen wie „im Forest Park West St. Louis an der Eads Bridge am Fluss“ auch sonst häufiger begegnen – in der großen Evokation von Bob Dylan in „Phantom, Schmerz“ reißt der Dichter uns unwiderstehlich mit:
… wie mir
vor dreiundzwanzig Jahren das Feuerzeug in der Hand explodierte
im Olympiastadion als ich noch sehr jung war und er Saving Grace sang und tauben
Ohren predigte und ich zum ersten Mal dachte das
ist nun Dylan in Deutschland und meine Brandwunden leckte die ich
immer noch spüre.
Hans-Herbert Räkel, Süddeutsche Zeitung, 27.4.2005
Zwischen „Hälfte des Lebens“ und „Knocking on heavens door“
Dass Vögel keine Ornithologen seien, hat Jurek Becker einmal einigermaßen ärgerlich einer Literaturwissenschaftlerin vorgehalten, die von ihm eine allzu akademische Kommentierung seines Romanwerks verlangt hatte. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Wenn Literaturwissenschaftler poetische Texte schreiben, geht das oft nicht gut. Zu groß scheint der Horizont des Gelesenen und zu klein der der Erfahrung, zu erdrückend jener und nicht Inspiration genug dieser.
Um so verblüffender dieses Bändchen, das der Göttinger Wallstein-Verlag im Herbst 2004 in gewohnt liebevoller Ausstattung herausgegeben hat. Der Autor, Heinrich Detering, ist Professor für Neuere Literaturwissenschaft in Kiel. Detering hat sich u.a. einen Namen als Thomas-Mann-Herausgeber, aber auch als Übersetzer von Andersen-Märchen gemacht. Gedichte sind von ihm bisher nur vereinzelt in der Neuen Rundschau oder dem Jahrbuch der Lyrik erschienen, sieht man ab von einem frühen Bändchen, Zeichensprache, das er 1978 herausgegeben hat, im Alter von 19 Jahren.
Dass Detering gelingt, woran so viele vor ihm gescheitert sind, scheint zum einen daran zu liegen, dass er sich Erfahrung und Beobachtung erlaubt, ohne in die zweifelhafte Poetizität von Verschenktexten zu verfallen: Eichhörnchen im Forest Park West St. Louis scheinen ihm „wie die Engel die Düfte die Stimmen der Toten“ in ihrem beiläufigen Sein bei den Menschen („Squirrels“).
Geräuschlosigkeit, so wird uns gezeigt, ist es, was das Besondere an jenen zu schüttelnden „Schneekugeln“ ausmacht. Wussten wir das nicht? Nein. Nicht bis zu diesem Gedicht. Nicht so. Und auch, dass im Bahnabteil mit zunehmender Dunkelheit immer deutlicher das eigene Spiegelbild im Fenster erscheint, ist uns wohl nicht neu, aber so wie es hier gesagt wird, in „Selbst“, haben wir es noch nicht gesehen – und erst recht nicht gelesen.
Das andere ist der Umgang mit dem Texthorizont, zu dem sich Detering geschickt bekennt. Ohne epigonal zu werden oder Zettelkastenpoesie zu betreiben, spielt er an auf das, was ihn anspielt, ordnet sich ein und zu und schwimmt gleichzeitig weg von seinen Anstößen. Das 18. Jahrhundert kann er nicht verleugnen, natürlich nicht Hölderlin, aber auch Entlegeneres nicht wie den Rokokodichter Johann Peter Uz. Ebenso wichtig sind ihm Bezüge zur Pop-, Jazz- und Folkgeschichte des 20. Jahrhunderts. Keiner ist da wichtiger als Bob Dylan. Von dem handelt dann auch das ganz wunderbare Gedicht „Phantom, Schmerz“, in dem eine Generationenerfahrung verarbeitet wird, wenn es heißt,
WIE MIR
vor dreiundzwanzig Jahren das Feuerzeug in der Hand explodierte
im Olympiastadion als ich noch sehr jung war und er Saving Grace sang und tauben
Ohren predigte und ich zum ersten Mal dachte das
ist nun Dylan in Deutschland und meine Brandwunden leckte die ich
immer noch spüre
Dann ist da noch eine, ohne die man diese Gedichte nicht versteht: Sarah Kirsch. Von ihr hat Detering gelernt, zwischen Zeilen und Strophen zu springen, und – mehr noch – dass moderne Naturlyrik weder anachronistisch sein muss noch Ökopoesie. Siehe da:
Siehe da wieder die ersten Mücken
und der Schlehdorn blüht wieder als wäre nichts
jetzt sind die Ulmen weg aber die Kastanien
schlagen an einigen Zweigen noch aus
nebenan geht die Autohupe stakkato eine Tür
fällt ins Schloss dann aus dem Dorf
vier unfeierliche Glockenschläge
dann noch mal die Autohupe
im Sandkasten wird die Welt
auf den Kopf gestellt und irgendwas
duftet sehr süß aus dem Garten herüber
Nicht schlecht sag ich Himmel und Erde
werden vergehen aber Hören und Sehen
werden uns nicht vergehen
Man möchte viel zitieren aus diesem Band und das ist ein gutes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass dieser Ornithologe nicht nur eine Menge von Vögeln versteht, sondern auch beeindruckend fliegt. Wäre er nicht ein so profilierter Germanist, müsste er sich irgendwann entscheiden.
Matthias Aschern, amazon.de, 30.12.2004
„Ich bin ein Konvertit ohne Eifer“ Heinrich Detering über die Bibel, Poesie und seinen Glauben
Zum 60. Geburtstag des Autors:
Georg Langenhorst: Germanist, Katholik, Poet – Heinrich Detering wird 60
feinschwarz.net, 17.10.2019








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