Erich Frieds Gedicht „Die Maßnahmen“

ERICH FRIED

Die Maßnahmen

Die Faulen werden geschlachtet
die Welt wird fleißig

Die Häßlichen werden geschlachtet
die Welt wird schön

Die Narren werden geschlachtet
die Welt wird weise

Die Kranken werden geschlachtet
die Welt wird gesund

Die Traurigen werden geschlachtet
die Welt wird lustig

Die Alten werden geschlachtet
die Welt wird jung

Die Feinde werden geschlachtet
die Welt wird freundlich

Die Bösen werden geschlachtet
die Welt wird gut

1957

aus: Erich Fried: Befreiung von der Flucht. Gedichte und Gegengedichte. Claassen Verlag, Hamburg 1968

 

Konnotation

Es gehört zu den verheerendsten Utopien seit den Zeiten der Aufklärung: Man will die schöne neue Welt herbeizwingen durch Vernichtung des Unproduktiven, Hässlichen oder Kranken. In lakonischer wie illusionsloser Nüchternheit, formal dargeboten in streng parallel gebauten Versen, hat Erich Fried (1921–1988) die Konsequenzen dieser mörderischen Utopie in einem ganz frühen Gedicht durchgespielt. In der Beschränkung auf einfache wie elementare Wörter arbeitet sein Text mit einem fast biblischen Ton, der an die „Seligpreisungen“ der „Bergpredigt“ erinnert.
Gegenüber seiner ersten Verlegerin Hilde Claassen hat Erich Fried seinen 1957 entstandenen Text als eins der ganz wenigen „politischen Gedichte“ innerhalb seiner eher „zeitlos“ daherkommenden Lyrik bezeichnet. Tatsächlich ist seine harte Fügung von falschen politischen Logiken auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Niederschrift von unerhörter Aktualität. Denn dieser Vernichtungs-Wille beherrscht noch immer die Regime des Terrors, die sich heute in „ethnischen Säuberungen“ austoben.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

7 Antworten : Erich Frieds Gedicht „Die Maßnahmen“”

  1. Paul Pfeffer sagt:

    Neue Maßnahmen 2023 (nach Erich Fried)

    Die Rechten werden geschlachtet.
    Die Welt wird links.

    Die Weißen werden geschlachtet.
    Die Welt wird schwarz.

    Die Ungläubigen werden geschlachtet.
    Die Welt wird gläubig.

    Die Männer werden geschlachtet.
    Die Welt wird weiblich.

    Die Normalen werden geschlachtet.
    Die Welt wird queer.

    • Sabine Salzig sagt:

      Da hätte sich Herr Fried aber gefreut, sein tiefsinniges Gedicht so wunderbar aus Sicht Ihrer Ideologie der Angst vor Randgruppen neu interpretiert zu sehen. Ich hoffe Ihr hartes Leben voller Unterdrückung und Verleumdung wendet sich bald zum Besseren. Beste Grüße

      • Dirk sagt:

        Falls es ihnen nicht aufgefallen ist: Hier wurde mitnichten Unterdrückung und Verleumdung beklagt, sondern hinterfragt, ob die aktuelle Vorgehensweise bei der Bekämpfung rechter Tendenzen der gleichen Denkstruktur folgt, wie die von Fried beklagte (so verstehe ich es, optimistischer Weise). Das ist sicher maßlos überzogen, aber man darf auch ruhig den Anfängen wehren. Ich selbst bin jedenfalls auf diese Seite gestoßen, als ich zu dieser möglichen Parallele und möglichen Interpretierbarkeit Information gesucht habe. Ach könnten wir doch alle ohne diese Vorurteile jedweder Richtung sein und uns der Suche nach dem verbindenden öffnen.

  2. Egmont Hesse sagt:

    Der Erste der HERZ auf SCHMERZ reimte war ein Genie, der Zweite nur noch KI.

  3. Robert Lembke sagt:

    hoffe meinerseits, Ihr weiches zum Besseren hingeneigtes Leben trifft zukünftig nicht auf ein hartes leben in dem Sie Paul Pfeffer verorten.
    Hochmut kommt vor ….

  4. Mark sagt:

    Die AfD wird verboten die Ossis werden xenophil.
    Die ADHSler bekommen Ritalin die Jungs werden ruhig
    Die Prüfungen werden einfacher die Zeugnisse endlich besser

  5. GöttlichsterUntertan sagt:

    Das Falsche ist also der Versuch der Aufhebung der Dualität?
    Der höchste Weeg ist nicht schwer…nur ohne Wahl

    Fried war jeder Form der Herrschaft, sei sie von links oder rechts
    geistig, moralisch und ästhetisch überlegen. Er schiß auf die Gruppe 47!

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