ALEXANDER XAVER GWERDER
Kam je ein Strom einmal zurück
Was soll ich am Ufer noch warten?
Der Strom geht ganz allein.
Wohl denk ich noch an die Zeit zu zwein
und spür die Blüten wieder schnein –
Aber, es sank ja der Garten.
Kam je ein Strom einmal zurück?
Es müssten Sterne in ihn fallen –
Oh, die Stunde zitterte in allen
und die Herzen würden überwallen
und der Strom überschwemmte vor Glück!
1952
aus: Alexander Xaver Gwerder: Gesammelte Werke. Bd. 1: Lyrik. Limmat Verlag, Zürich 1998
In einem Brief vom Mai 1951 schwärmte der junge Schweizer Lyriker Alexander Xaver Gwerder (1923–1952) von seinem großen Vorbild Gottfried Benn: „Was verachtet und verrückt gehalten abseits lag (…), wird durch ihn legitimiert und die brachen Explosionen dürfen sich in offensichtlichen Bildern zur rücksichtslos eigenen Welt entfalten.“ Den Statischen Gedichten Benns nacheifernd, evozierten Gwerders eigene Verse das Benn’sche Lebensgefühl einer „großen Verlorenheit“.
Das Gedicht entwirft die elegische Sehnsuchtsmelodie eines melancholisch verschatteten Ich, das Abschied nimmt von einer großen Liebe, der „Zeit zu zwein“. Das Bild des stetig dahinfließenden Stroms repräsentiert die Vergänglichkeit, die Beschwörung des sinkenden Gartens erweist sich wie so vieles in den Gedichten Gwerders als direkte Anleihe bei der Metaphorik des späten Benn.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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