CHRISTA REINIG
Gott schuf die Sonne
ich rufe den wind
wind antworte mir
ich bin sagt der wind
bin bei dir
ich rufe die sonne
sonne antworte mir
ich bin sagt die sonne
bin bei dir
ich rufe die sterne
antwortet mir
wir sind sagen die sterne
alle bei dir
ich rufe den menschen
antworte mir
ich rufe – es schweigt
nichts antwortet mir
1963
aus: Christa Reinig: Sämtliche Gedichte. Eremiten-Presse, Düsseldorf 1984
Die stärkste Waffe dieser Dichterin war ihre ästhetische Renitenz. Als uneheliche Tochter einer Putzfrau im Berliner Osten geboren, geriet Christa Reinig (1926–2008) schon früh in Konflikt mit den Doktrinen der DDR-Kulturpolitik. Erste Gedichte konnte sie in Peter Huchels legendärer Zeitschrift Sinn und Form veröffentlichen. aber bereits 1951 erhielt sie in der DDR Publikationsverbot.
Hier wird von der prekären Sonderstellung des Menschen im Kosmos erzählt. Der Titel des 1963 entstandenen Gedichts, der auf die biblische Schöpfungsgeschichte anspielt, legt nahe, dass das lyrische Ich hier gleichzusetzen ist mit jenem göttlichen Subjekt, das die Sonne erschaffen hat. Während dieses Subjekt mit den von ihm erschaffenen Elementen kommunizieren kann, versagt dieser Dialog bei der Kontaktaufnahme mit dem Menschen. Es ist jenes Schweigen, das für die metaphysische Entfremdung zwischen Gott und Mensch verantwortlich ist.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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