Eduard Mörikes Gedicht „Selbstgeständnis“

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EDUARD MÖRIKE

Selbstgeständnis

Ich bin meiner Mutter einzig Kind,
Und weil die andern ausblieben sind
– Was weiß ich wieviel, die sechs oder sieben, –
Ist eben alles an mir hängen blieben;
Ich hab müssen die Liebe, die Treue, die Güte
Für ein ganz halb Dutzend allein aufessen,
Ich wills mein Lebtag nicht vergessen.
Es hätte mir aber noch wohl mögen frommen,
Hätt ich nur auch Schläg für Sechse bekommen!

1837

 

Konnotation

Der unglückliche schwäbische Dichterpfarrer Eduard Mörike (1804–1875) hatte allen Grund, eine poetisch vertrackte Liebeserklärung an die eigene Mutter, die Pastorentochter Charlotte Bayer zu schreiben. Im Gegensatz zu der fiktiven Kinderperspektive seines Gedichts wuchs Mörike in einer kinderreichen Familie mit zwölf Geschwistern auf und blieb bis ins hohe Alter der behütete und dankbare Muttersohn.
Mörike hatte als Pfarrvikar eine lange Odyssee durch diverse schwäbische Bauerndörfer hinter sich, als er 1834 in Cleversulzbach im fränkischen Unterland eine Pfarrstelle antrat und mit seiner Mutter und seiner Schwester das Pfarrhaus bezog. Drei Jahre später, 1837, entstand das Gedicht, das in anrührendem Bekenntniston auf die mütterliche Behütung verweist. Das Gedicht hat aber einen doppelten Boden. Denn die Fürsorglichkeit der Mutter wird als etwas Gewaltsames markiert, das man „aufessen“ muss. Am Ende steht dann das Phantasieren einer schwarzen Pädagogik, die von „Schlägen“ lebt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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