Else Lasker-Schülers Gedicht „Weltende“

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ELSE LASKER-SCHÜLER

Weltende

Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wär,
Und der bleierne Schatten, der niederfällt
lastet grabesschwer.

Komm, wir wollen uns näher verbergen…
Das Leben liegt in aller Herzen
Wie in Särgen.

Du! wir wollen uns tief küssen…
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
An der wir sterben müssen.

1903

aus: Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe Bd. I, 1: Gedichte. Jüdischer Verlag, Frankfurt a.M. 1996

 

Konnotation

Weltende“, eins der bekanntesten Gedichte Else Lasker-Schülers (1869–1945), hat man immer wieder in Zusammenhang bringen wollen mit dem gleichnamigen Gedicht des Expressionisten Jakob van Hoddis. Das „Weltende“ der Else Lasker-Schüler ist zeitlich allerdings früher als der Hoddis-Text entstanden. 1903 erstmals in einer Anthologie gedruckt, nahm es die Autorin in ihr zweites Gedichtbuch Der siebente Tag (1905) auf.
Das „Weltende“, von dem Lasker-Schüler in ihrem Gedicht spricht, ist nicht ein historisch bestimmbares – etwa das Ende der bürgerlichen Ordnung oder der Kunst –, in ihm manifestiert sich vielmehr eine Seelenlandschaft der Schwermut. Mit dem Bild des Weinens knüpft die Dichterin an alttestamentliche Motive an – an die Klage des Volkes Israel über die Zerstörung des Ersten Tempels in Jerusalem und über die Verschleppung nach Babylonien.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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