GÜNTER EICH
Im verflossenen Herbst
Birnen, Septembergeläut
über Kindern, die spielen.
Golden zu vielen
an dunkleren Stielen
in den Gärten verstreut, –
wie üppig sie fielen,
dran denke ich heut.
Daß mich zu wenig gefreut,
wie golden sie fielen,
daß zu Gärten und Spielen
den Tag ich gescheut,
oh, wie es mich reut,
so immer wie heut!
vor 1946
aus: Günter Eich: Gesammelte Werke, Band 1: Die Gedichte. Die Maulwürfe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1991
Vielen der während der NS-Herrschaft in Deutschland verbliebenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die nicht die Rigorosität der nationalsozialistischen Politik teilten, blieb oft nur der Ausweg, sich an den Rändern des zeitgeschichtlichen Geschehens in die innere Emigration zu begeben. Günter Eich (1907–1972) könnte man als einen solchen Autor betrachten, doch hat die Recherche des Eich-Exegeten Axel Vieregg ergeben, dass Eich aus Karrieregründen bereits im Mai 1933 sich um die Mitgliedschaft in der NSDAP bemühte – ohne sich jedoch danach weiter politisch zu exponieren.
Die Erinnerung an spätsommerliche unbefangene Kinderspiele lässt einen anderen, den fatalen September 1939 mitschwingen. „Im verflossenen Herbst“ darf auch als Beschreibung eines Gewissensbisses verstanden werden: Das Subjekt beklagt seine eigene Zurückgezogenheit in jener Zeit, „daß zu Gärten und Spielen / den Tag ich gescheut“. Vermutlich – doch das eine Spekulation – bezieht Eich sich auf seine Anfänge in denen das Naturgedicht, verstanden als Abkehr vom politischen Tagesgeschehen, das Zentrum seines Schaffens ausmachte.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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