Johann Wolfgang von Goethes Gedicht „Meeres Stille“

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JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Meeres Stille

Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche rings umher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuren Weite
Reget keine Welle sich.

1795

 

Konnotation

Eine der berühmtesten lyrischen Momentaufnahmen des Meeres liest man nicht ohne Beklemmung. Denn die spiegelglatte Fläche des Meeres ordnet sich hier nicht zu einem Bild der Idylle, sondern des Todesschreckens. Es hätte des im Gedicht bekümmert blickenden Seemanns nicht bedurft, um die Epiphanie des Nichts zu erfahren, die Goethe (1749–1832) in diesen acht Versen bedrohlich aufblitzen lässt.
Die Goethe-Forschung hat den Schrecken dieses 1795 entstandenen Gedichts zum Verschwinden bringen wollen, indem man der „Meeres Stille“ einen anderen Text zur Seite stellte, „Glückliche Fahrt“, der in fast allen Goethe-Ausgaben unmittelbar auf „Meeres Stille“ folgt. Auch im Erstdruck in Schillers Musenalmanach von 1796 stehen die beiden Gedichte unmittelbar hintereinander. In „Glückliche Fahrt“ löst sich die Todes-Gefahr auf, Land kommt in Sicht. Aber in Franz Schuberts (1797–1828) Vertonung von 1815 wird die Stille des Todes wieder vernehmbar – unversöhnt durch die „Glückliche Fahrt“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

1 Kommentar

  1. Glückliche Fahrt

    Die Nebel zerreißen,
    Der Himmel ist helle,
    Und Äolus löset
    Das ängstliche Band.
    Es säuseln die Winde,
    Es rührt sich der Schiffer.
    Geschwinde! Geschwinde!
    Es teilt sich die Welle,
    Es naht sich die Ferne;
    Schon seh ich das Land!

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