Magdalena Sadlons Gedicht „Tongesichter muß ich machen“

MAGDALENA SADLON

Tongesichter muß ich machen

Gut so, mein Scheitern! Schmach,
Schoß meiner guten Macht. Ich,
ich Schneerose stumm an Gicht.
Immer sachte, sich gut schonen
(Mime sucht noch Angstschreie)
Name „Schüchtern“ sog mit sich
mein Getto Schrei. Schmach uns,
ich muß echt schmoren – ein Tag
um acht morsche Sinne. Gesicht!
Ich muß Tongesichter machen.

1987/88

aus: Jahrbuch der Lyrik 1988/89. Hrsg. von Christoph Buchwald und Friederike Roth. Luchterhand Literaturverlag, Darmstadt 1988

 

Konnotation

Die 1956 in Zlaté Moravce/Slowakei geborene Magdalena Sadlon, Schauspielerin und Slawistin, lebt abwechselnd in Wien und in der Slowakei. Auf den ersten Blick wirkt ihr Gedicht wie die versprachlichte Pointierung eines produktiven Scheiterns. In diesem Sinn ist die „Schneerose“ zu Beginn des Gedichts, der traditionell heilige Kräfte zugesprochen werden als Symbol zu verstehen: Der Aberglaube schreibt ihr die Fähigkeit zu, böse Geister auszutreiben oder tödliche Krankheiten zu heilen.
„Ich muß Tongesichter machen.“ Das Gedicht kann als Ausdruck einer persönlichen Krise gelesen werden, die von Zeile zu Zeile Selbstgewissheit und Sinne des lyrischen Subjekts befällt. Dieser Prozess kulminiert in der letzten Zeile, die jedoch auch als Ursprung des Gedichts verstanden werden kann. Hier erweist sich der bisher persönlich gelesene Text als (intentional) freieres Anagramm-Spiel. Ich-Verlust und Zweifel mögen daher Produkte der Form sein und nicht inhaltliche Vorgaben.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00