MICHAEL SPEIER
der moment wo meer und haut sich trafen
fanden uns auf dem rücken des wals
später schlägt unruhig der schwanz
der dogge an den küchentisch
die katze ist auch schon da
die tödliche blume
schwankt im fenster
niemand trocknet den schweiss
des vertobten nachmittags
rauch der sterne
krümelt das gesicht
wo du mich berührst
war noch keiner
nicht mal ich
nach 2000
aus: Michael Speier: Welt/Raum/Reisen. Gedichte. Mit einem Vorwort v. U. Draesner. Aphaia Verlag, Berlin 2007
„Gedichte“, hat der 1950 geborene Dichter Michael Speier einmal gesagt, „sind Weltempfänger – im Miniformat“. Dabei ist die Musikalität des Gedichts, seine Fähigkeit zur klanglichen Verzauberung das Maß aller Dinge. Jedes Zeichen soll den nur ihm gemäßen Platz finden, alles wird „haargenau in eine tobende Ordnung gebracht“, wie es Speier mit dem Hinweis auf den französischen Surrealisten Antonin Artaud (1896–1948) formuliert.
So können auch in der poetischen Momentaufnahme einer Offenbarung am Meer die Bilder zum Klingen gebracht werden. Die Begegnung von „Meer und Haut“ – sie lässt sich auch als zarte Liebesszene lesen, als fantastisches Erlebnis einer Rettung oder als Erfahrung des Übertritts in eine neue Lebenssphäre. Wo Gefahr ist, in Gestalt der „tödlichen Blume“ oder des Wals, wächst auch das Rettende – nämlich die glückhafte Vereinigung auf dem Rücken des Wals oder eine Berührung, durch die man die Welt neu sehen lernt: „wo du mich berührst / war noch keiner / nicht mal ich“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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