NORBERT HUMMELT
der dunkle schwarm
der dunkle schwarm ist mir zuerst erschienen
über der backsteinmauer, nahe dem gerüst
doch wo sie landen ist noch nicht entschieden
noch ob sie anzusehen mir gegeben ist
weil diese gläser in ihrem etui
kannst du so leicht unter dem schuh zerbrechen
doch du u. ich, wir kennen die phobie
u. auch die furcht, davon zu laut zu sprechen
ich sah den baukran seinen arm bewegen
der ohne widerstand die weiche luft zerschnitt
der dunkle schwarm erzittert vor dem regen
u. meine wimperlinge zittern immer mit
2001
aus: Norbert Hummelt: zeichen im schnee. Luchterhand Literaturverlag, München 2001
Singvögel sind seit je die poetischen Wappentiere des 1962 geborenen Dichters und Neo-Romantikers Norbert Hummelt. Die Voliere seiner Gedichte wird bevölkert von diversen Amseln und Tauben, von Rotkehlchen, Drosseln, Schwalben und Turmfalken, nicht zuletzt von seinem Lieblings-Luftgeschöpf, dem Sittich. In einem Gedicht aus dem Band zeichen im schnee (2001) bildet ein „dunkler schwarm“ eine geheimnisvolle „Vogelschrift“ (Günter Eich).
Der Gesang der Vögel, so Hummelt in einer poetologischen Notiz, sei ihm immer als einleuchtendste Analogie zum Gedicht erschienen. Der „dunkle Schwarm“ taucht hier nun als unbestimmte Verheißung auf, der sich das lyrische Ich fast demütig nähert. Das Subjekt wird jedoch auf die Unzulänglichkeit der eigenen Wahrnehmung zurückverwiesen, auf die Fragilität der Seh-„Gläser“. In diesem offenen Verhältnis zwischen Beobachter und beobachtetem Phänomen liegt das romantische Moment dieser Dichtung. „Das Romantische“, so Hummelt, „ist eine Weise, die Dinge anzusehen, als könnten sie unseren Blick erwidern.“
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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