PETER HACKS
Fin de Millénaire
Wer nie vom Schönen je vernahm, vermißt nichts.
Ein Bürokrat sucht Intendanten aus.
Müller kann nichts, weiß nichts, ist nichts.
Ein Irrer wickelt Lappen um ein Haus.
Ich gähne nur in jedem solchen Falle.
Gegen den Niedergang kommt keiner an.
Ich laß sie machen, weil ich sie nicht alle
In einem Dahmesee ersäufen kann.
Ja, wenn ich könnte. So verkroch ich mich
In einer Grotte des Jahrtausendendes,
Wo mich ein Schlafbedürfnis, ein horrendes,
Bis zur Betäubung übermannte. Ich,
Der ich rein körperlich zum Müdsein neige,
Vergebt mir, wenn ich keinen Zorn mehr zeige.
nach 1995
aus: Peter Hacks: Hacks Werke in fünfzehn Bänden. Band 1 – Die Gedichte. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2003
Als altkommunistische Lästerzunge, die sich über die heiligen Kühe der eigenen (DDR-)Gesellschaft lustig macht, war der Dichter Peter Hacks (1928–2003) eine außerordentliche Begabung.
Wer seine traditionell klassisch gebauten Gedichte mit ihrem scharfen Witz liest, wird verblüfft entdecken, dass dieser fast schon wieder vergessene Dichter – trotz seiner stalinistischen Neigungen – zu den literarischen Größen des 20. Jahrhunderts zu rechnen ist. Auch in seinem bösen Spott auf die Folgen des politischen Umbruchs von 1989/90, den er in Sonett-Form gefasst hat.
Schon der erste Vers formuliert die maliziöse Absage an die kulturellen Zustände im wiedervereinigten Deutschland. Seinen literarischen Erzfeind, den Dramatiker Heiner Müller (1929–1995), schmäht Hacks ebenso schroff wie den bulgarischen Verpackungskünstler Christo (geb. 1935), der 1995 in einer spektakulären Aktion den Berliner Reichstag verhüllte. Das lyrische Ich wendet sich gelangweilt vom Banausentum ab – aber selbst im stoischen Rückzug ist der „Zorn“, dem der Autor abschwört, noch präsent.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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