Robert Gernhardts Gedicht „Philosophie-Geschichte“

ROBERT GERNHARDT

Philosophie-Geschichte

Die Innen- und die Außenwelt,
die warn mal eine Einheit.
Das sah ein Philosoph, der drang
erregt auf Klar- und Reinheit.

Die Innenwelt,
dadurch erschreckt,
versteckte sich in dem Subjekt.

Als dies die Außenwelt entdeckte,
verkroch sie sich in dem Objekte.

Der Philosoph sah dies erfreut:
indem er diesen Zwiespalt schuf,
erwarb er sich für alle Zeit
den Daseinszweck und den Beruf.

1981

aus: Robert Gernhardt: Wörtersee. ZweitausendEins. Frankfurt am Main 1981

 

Konnotation

Zu den elementaren Denkfiguren der Philosophie gehört die Auseinandersetzung mit der sogenannten Subjekt-Objekt-Spaltung im Bewusstsein. Was bei Plato mit der Entdeckung des „Innen-“ und „Außenraumes“ beginnt und mit Hegels Erkundungen des Verhältnisses von Subjekt und Objekt vorangetrieben wird, beschäftigt das philosophische Denken bis heute. Robert Gernhardt (1937–2006), der Meister der Humoreske, macht daraus einen kleinen Denk-Slapstick.
Bei Gernhardt machen sich die philosophischen Kategorien selbständig und ordnen sich freiwillig jenen Orten zu, an denen sie das philosophische Systemdenken lokalisiert wissen will. Das 1981 erstmals in dem Band Wörtersee veröffentlichte Gedicht schließt mit einer ironischen Rechtfertigung philosophischen Denkens. Denn erst mit der willkürlichen Trennung des ursprünglich Ungeschiedenen hat die Philosophie ihre Legitimation gefunden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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