YVAN GOLL
Electric
Auf die Leiter des Eiffelturms steigt der Blaue Maschinist
Den Mond
Schutzmarke des Parfüms
Und der Friseure Schild herabzuhängen –
Aber die Welt strahlt weiter
Kupferne Ströme rauschen die Berge herab
Rhone
Montblanc
Mars
Elektrische Wellen fliessen durch blonde Nacht
Disken über uns
Das Lachen der Bahnhöfe
Das Perlenhalsband der Boulevards
Und still an eine Parklinde gelehnt
Mademoiselle Nature
Meine Braut
1919
aus: Yvan Goll: Die Lyrik. 4 Bände. Hrsg. v. B. Glauert-Hesse. Wallstein Verlag, Göttingen 1996
Als einer der ersten Lyriker der expressionistischen Generation forderte Yvan Goll (1891–1950) den „Überrealismus“, den er 1924 in Frankreich dann als „Surrealismus“ lancierte. Ein Glanzstück dieser neuen surrealistischen Imagination ist das 1919 erstmals in der Zeitschrift Der Sturm publizierte Gedicht „Electric“ – ein Hymnus auf das neue Zeitalter der Elektrizität und auf die Symbole des Industriezeitalters.
Die Schönheit der reinen Natur und die industriell generierten Faszinationen – Bahnhöfe, Boulevards, elektrische Wellen – fließen hier ineinander: Das Leuchten der Metropole gleicht dem Selbstdarstellungsritual einer schönen Frau. So präsentiert Goll seinen schrillen Hymnus auf die Großstadt als Liebesbekenntnis an die erhabene Natur wie auch an das Strahlen einer neuen Braut – der nächtlichen Großstadt: „Mademoiselle Nature / Meine Braut“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
Schreibe einen Kommentar