Rainer Gruenter: Zu Stefan Georges Gedicht „Komm in den totgesagten park und schau:…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Stefan Georges Gedicht „Komm in den totgesagten park und schau:…“ aus Stefan George: Werke. Ausgabe in zwei Bänden. –

 

 

 

 

STEFAN GEORGE

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade ·
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb · das weiche grau
Von birken und von buchs · der wind ist lau ·
Die späten rosen welkten noch nicht ganz ·
Erlese küsse sie und flicht den kranz ·

Vergiss auch diese letzten astern nicht ·
Den purpur um die ranken wilder reben
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.

 

Herbst des Gefühls

Das Gedicht eröffnet einen Zyklus von elf Gedichten, der „Das Jahr der Seele“ einleitet. Das Initial-Gedicht ist dem Herbst verpflichtet. Dinge und Vorgänge malen das späte Jahr. „Nach der Lese“ bezeichnet mit einem Wort der Winzersprache den Stimmungszustand des Gefühls, das den Reigen seiner Jahreszeiten mit dem Abschied beginnt. Abschied von einem Freund, einer Frau, dem Begleiter eines abgelebten Sommers.
Dieser Abschied ist eine Einladung in den „totgesagten Park“. Der Dichter sucht nicht die freie Natur, nicht die Wildnis ohne gebahnte Pfade und markierte Grenzen sondern den Park. Der Park ist geordnete und geschönte Natur. Die natürlichen Elemente, Bäume, Wasser, Hügel, Blumen werden einem Schönheitsplan anvertraut, der sie verwandelt und umformt. Sie werden ausgewählt, erlesen, komponiert. Der Park ist der paysage idéal des Gartenkünstlers, des Zwillingsbruders des Landschaftsmalers. Der Park ist ein Kunst-Werk, ein paradis artificiel.
Der „totgesagte Park“ des Dichters bleibt dem Profanen verschlossen oder verborgen. Der Park bedeutet Dichter und Dichtung zugleich, ihre erlauchte Abgeschlossenheit vor der Häßlichkeit und Gemeinheit der Zeit, ihre präraffaelitische Botschaft der Schönheit, ihr Mallarmésches Denkbild der Reinheit. Die Einladung in den Park ist prüfende Erwählung. Das unterscheidet sie von der erotischen Werbung. Der Zögling des Schönen ist kein flüchtiger Partner der Leidenschaft.
Die erste Strophe zählt zu den schönsten Zeugnissen lyrischer Landschaftsfeier. Hofmannsthal hat ihr ein erdachtes Gespräch gewidmet. Immer hat man gefragt, wo das Klassische im deutschen Gedicht angesiedelt sei. Ohne Zögern verweise ich auf diese Strophe. Ihr Wortkörper ist von allem Witz und Schnörkel gereinigt. Keine verbalen Entladungen und Neuheitslüste, kein sprachlicher Zwielichtszauber, keine bunte Sprachspreu virtuoser Einfühlsamkeit.
Die Wörter Gestade, Weiher, Pfade sind Wort-Normen – Normen des Klassischen gegen die faszinierende Abnormität des Worts und den Sprachrausch des modernen lyrischen Ichs. Solche Normen gestatten dem Dichter, seine Landschaft, den Rheingau, wie er sich mit Inseln, Hängen und Ufern im Süden von Bingen ausbreitet, in den großen Mustern der klassischen Ideallandschaft erscheinen zu lassen.
„Der schimmer ferner lächelnder gestade. / Der reinen wolken unverhofftes blau“ – das ist die Landschaft Poussins, dessen Wolken-Symbolik wie keine andere diesem Wolken-Vers des Dichters entspricht. Der Park des Dichters leuchtet im Licht dieser Landschaft. Sie erhellt seine Weiher und Pfade. Der „totgesagte Park“ ist in die Überlieferung des Klassischen eingebettet.
Die Farben des Vergehens sind Farben der Vornehmheit. Das tiefe Gelb, das weiche Grau sind erlesene Farbkontraste der Zurückhaltung. Einer Zurückhaltung, die dem Abschied eigen ist, seiner ihm innewohnenden objektiven Trauer, der Unabänderlichkeit sowohl der Einsichten als auch der Lagen. Die späten Rosen, Gebilde nobler Blässe, verwelkten „noch nicht ganz“. Man weiß, dieses „noch“ hat gezählte Stunden, und danach wird keiner mehr des anderen Traum bewohnen. Doch das Pathos des Abschieds duldet keine Zerstreuung. Noch im Schmerz besteht er auf Haltung, Erhaltung, Schönsein. Der geflochtene Kranz der Erinnerungen bindet schöne Täuschungen und Versprechen, die nun den Moderduft letzter Astern haben, mit dem Purpurlaub wilder Reben, ausgeglühter Schwüre und Küsse ohne Früchte, in leiser Festlichkeit zusammen. Auch was noch übrigblieb von Gefühlen, kleinen untilgbaren Hoffnungen, vom grünen Leben des Liebes-Herbstes läßt sich „verwinden“, einwinden in den Kranz der unwiderruflichen Niederlage die der Herbst des Gefühls seinem Sommer bereitet.
Leser dieses Gedichts, Bürger einer erotischen Kultur, die sich an die Entlastungsmechanismen der Konfliktvermeidung und der Wegwerf-Rechtfertigung gewöhnt haben, werden es schwer haben mit diesen zwölf Versen, auch wenn sie das Lesen, das historische Verstehen solcher Haltungen nicht verlernt haben. Solche Haltung ist Trauer, die Tochter der Erkenntnis, weggehen und wegschicken zu müssen, wenn man menschlich sein, wenn man leben will. Doch auch Trauer zählt zu Vorrechten der Seele, die im Privilegiensturz der letzten Jahre verkommen sind. Der totgesagte Park ist tot.

Rainer Gruenteraus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiter Band, Insel Verlag, 1977

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