Beim Übersetzen; zum Übersetzen ( I.19 )

Beherrschen muss ich die Sprache nur dann, wenn ich sie brauchen will, brauchen dazu, um etwas außerhalb der Sprache Liegendes zu besprechen; wohingegen in der Dichtung, wo Sprache sich selbst aussprechen soll und folglich in sich selbst übersetzt werden muss, kann ich nichts anderes wollen, als mich von ihr beherrschen zu lassen.

Der Übersetzer wisse gemeinhin mehr, als der von ihm übersetzte Autor gewusst hat oder hat wissen können, und er wisse „es“ in der Regel auch besser. Diesem apodiktischen Votum von George Steiner geht ein merkwürdiger (d.i. ein bemerkenswerter) Satz voran: „Paul Celan hat all seine Gedichte ins Deutsche übersetzt.“

Ebenso bemerkenswert (und ebenso merkwürdig) ist das nachfolgende Diktum von Rudolf Pannwitz aus dessen Streitschrift über „Die Krisis der europaeischen Kultur“; hier heißt es nämlich (in originalem Zeichensatz): „Unsre übertragungen auch die besten gehn von einem falschen grundsatz aus sie wollen das indische griechische englische verdeutschen anstatt das deutsche zu verindischen vergriechischen verenglischen. sie haben eine viel bedeutendere ehrfurcht vor den eigenen sprachgebräuchen als vor dem geist des fremden werks. […] Der grundsätzliche irrtum des übertragenden ist dass er den zufälligen stand der eignen sprache festhält anstatt sie durch die fremde sprache gewaltig bewegen zu lassen. er muss zumal wenn er aus einer sehr fernen sprache überträgt auf die letzten elemente der sprache selbst wo wort bild ton in eins geht zurück dringen er muss seine sprache durch die fremde erweitern und vertiefen man hat keinen begriff in welchem masze das möglich ist bis zu welchem grade jede sprache sich verwandeln kann sprache von sprache fast nur wie mundart von mundart sich unterscheidend dieses aber nicht wenn man sie allzu leicht sondern wenn man sie schwer genug nimmt.“
Überzeugende Zeugen dafür: Rilke, Pasternak, Tuwim, Celan.

„Man meint“, so meint Martin Heidegger in seinem „Parmenides“, „das Übersetzen sei die Übertragung einer Sprache in eine andere, der Fremdsprache in die Muttersprache oder auch umgekehrt. Wir verkennen jedoch, dass wir ständig auch schon unsere eigene Sprache, die Muttersprache, in ihr eigenes Wort übersetzen. Sprechen und Sagen ist in sich ein Übersetzen, dessen Wesen keineswegs darin aufgehen kann, dass das übersetzende und das übersetzte Wort verschiedenen Sprachen angehören.“ Und das Fazit: „Erst aus der so gegründeten Achtung vor der Sprache können wir die meist leichtere und begrenztere Aufgabe übernehmen, fremdes Wort in das eigene zu übersetzen.“

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

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