Werner von Koppenfels (Hrsg.): Aus den Kerkern Europas

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Werner von Koppenfels (Hrsg.): Aus den Kerkern Europas

Koppenfels (Hrsg.)-Aus den Kerkern Europas

GEFÄHRTEN

Als ich in dumpfes Träumen heut versank,
sah ich die ganze Schar vorüberziehn:
die Yorck und Moltke, Schulenburg, Schwerin,
die Hassell, Popitz, Helfferich und Planck –

nicht einer, der des eignen Vorteils dachte –
nicht einer, der gefühlter Pflichten bar,
in Glanz und Macht, in tödlicher Gefahr,
nicht um des Volkes Leben sorgend wachte.

Den Weggefährten gilt ein langer Blick:
sie hatten alle Geist und Rang und Namen,
die gleichen Ziels in diese Zellen kamen –

und ihrer aller wartete der Strick.
Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt.
Dann sinds die besten Köpfe, die man henkt.

Albrecht Haushofer

 

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Der Dichter und seine Henker

die Lippen rühren sich, ihr könnt sie mir nicht nehmen.

(Ossip Mandelstam)

,Gegen eine Wand reden‘, so heißt die altvertraute Wendung für ein Sprechen, das trotz oder gerade wegen seines Nachdrucks den Adressaten nicht erreicht, für einen Sprechakt der Aussichtslosigkeit. Ganz unmetaphorisch verstanden, ist dies die Situation des Dichters im Kerker: Die Wand der Zelle – undurchlässig, unverrückbar, Licht-ausschließend – ist sein Gegenüber, wirft den Schall seiner Stimme auf ihn selbst zurück, lädt allenfalls dazu ein, Worte darauf zu kritzeln, die nicht nach außen dürfen. Die Wand vertritt das gesellschaftliche System, dem er, einzeln, in hoffnungsloser Asymmetrie, gegenübersteht und das ihn zum Schweigen bringen will. Das Machtwort seiner sogenannten Richter, wenn es sie denn gab, hat er hinter sich; die Wand vor ihm steht für den Willen eines feindlichen Kollektivs, ihn stumm zu machen, seinen Wortspeicher ein für allemal zu löschen; für den Tötungswillen dem freien Wort gegenüber, das heißt generell für den Henker und für das Grab – neben der Hölle die zentrale Gefängnismetapher der hier versammelten Texte.
Ob wegen freier Worte verfolgt oder aus anderen Gründen verhaftet, ob zum Tod verurteilt oder lebendig begraben auf Zeit, ob hinter Mauern oder Stacheldraht (die KZ-Variante), in extremis wächst dem Wort des Dichters eine eigene Dringlichkeit zu. „Essential Oils – are wrung“, sagt Emily Dickinson: Essenz kommt durch Pressung, sie ist ein Geschenk der Schrauben („a gift of screws“), Ausdruck ist Aus-Druck. Man muß deshalb nicht den Kerker als Generator poetischer Hochspannung zelebrieren, und schon gar nicht sich voyeuristisch über die sprachgewordenen Agonien seiner Insassen beugen. Auch mit poésie pure ist nicht zu rechnen.
Das Entscheidende ist das Kassiber-Wunder, der Wille und die Fähigkeit der Texte, die Mauer zu durchdringen, die Außen- und Nachwelt zu erreichen. Der deutsche Freund, der Campanellas Texte als Konterbande aus dem Neapolitaner Kerker in eine Frankfurter Druckerei transportierte, Théophiles Klageverse, aus dem Turm der Conciergerie geschmuggelt und auf dem Pont Neuf unters Volk gebracht, Nadeschda Mandelstam, die die Gedichte ihres Mannes im Gedächtnis aufbewahrte, die Kladde mit den Moabiter Sonetten in der Manteltasche des in der letzten Minute des Dritten Reiches noch ermordeten Haushofer: Gegen alle Wahrscheinlichkeit suchen und finden solche Verse ihre Leser.

In Banden frei: nicht einsam und doch einsam sitz ich hier stumm,
doch meine Glocke klingt,

läßt Herders Übertragung, in einem Wortspiel mit dem Namen des Dichters, den eingekerkerten Campanella sagen, und die Übersetzung trägt den Glockenton weiter.
Die Haltbarkeit solcher Gedichte kommt nicht von ungefähr. Sie sind verbale Konzentrationsübungen der besonderen Art, Versuche der Sprachmächtigen, in der äußersten physischen Bedrohung und ganz zurückgeworfen auf sich selbst, eine Summe der eigenen Existenz zu ziehen – Vermächtnis und Epitaph zugleich, für frömmere Geister und Zeiten auch Gebet und Beichte. Der Schrei aus der Tiefe, das De profundis der Klagepsalmen gehört ebenso zu den Stilmustern dieser Texte wie der lapidare Ausdruck stoischer Gefaßtheit oder die flammende satirische Empörung. Das Ringen ihrer Autoren um Sammlung, Fassung und Endgültigkeit läßt sie nach den festen Strukturen von Vers und Reim greifen, nach epigrammatischer Prägnanz, der Geschlossenheit des Sonetts und dem Regelmaß der strophischen Gedichtform. Die Schattenexistenz der Häftlinge, ihr Ausgeschlossensein von Natur und Menschenwelt durchtränkt viele dieser Gedichte mit einem intensiven Gefühl der Sehnsucht: Sehnsucht nach Wärme und Licht aus dem kalten Dunkel, nach weiteren Horizonten als

dem Flecken Blau,
dem kleinen blauen Zelt,
das der Gefangene Himmel nennt,
den Himmel seiner Welt…

 

(Oscar Wilde);

Sehnsucht nach menschlicher Liebe:

Sand der Wüste
bin ich: Wüste aus Durst.
Die Oase dein Mund,
dort darf ich nicht trinken.

 

(Miguel Hernández):

Sehnsucht danach, gehört zu werden.

Der poète maudit François Villon – wer sonst? – führt, an der Schwelle der Neuzeit, mit seiner unüberbietbaren Mischung aus Frömmigkeit und schwarzem Galgenhumor in diese Anthologie ein, gefolgt von zwei Landsleuten, die sich aus der freien Luft der Renaissance unversehens in die Ketzerecke verschlagen fanden, Clement Marot und Etienne Dolet (Marot hat übrigens die Gedichte Villons herausgegeben, Dolet diejenigen Marots). Danach in bunter Reihe, im Zeichen weltlicher und geistlicher Machtkämpfe der Epoche: Aristokraten, Glaubensstreiter, unbotmäßige Denker; dann die Atempause der Aufklärung. Ihr Debakel hat André Chénier in Erwartung der Guillotine eindrucksvoll protokolliert.
Die Deutschen haben sich in diesen früheren Zeiten nicht bei der Verfolgung von Dichtern hervorgetan. Ihr einziger poetischer Märtyrer, Quirinus Kuhlmann, wurde 1689 außer Landes, in Moskau, als Schwarmgeist dem Feuer übergeben. Schubart auf dem Hohenasperg gilt bei uns als einsamer Dichterzeuge der alten Fürstenwillkür. Freiheitsdurstige Geister vom Schlage Büchners und Heines entzogen sich dem Zugriff der Ordnungsmacht, die sie zu gern hinter Gittern gesehen hätte.
All das änderte sich bekanntlich im 20. Jahrhundert, als sich zwölf Jahre lang der Haß auf das freie Wort sadistisch austoben durfte. Die Rachejustiz gegen die sozialistischen Literaten Toller und Mühsam (die später durch Selbstmord und Mord zu Nazi-Opfern wurden) nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik kann man als Vorgeschmack auf Kommendes sehen, auf die rechtsfreien Räume von Gefängnis und Schandlager, in denen der schiere Leidensdruck manche zu Dichtern machte. Stalin und Franco trugen ihr gerütteltes Maß zur Dichtung hinter Gittern und Stacheldraht bei. Hier wie dort wurde freilich den Opfern nicht immer Zeit und Gelegenheit für Gefängnislyrik gegönnt. Ein Lorca bekam sie nicht.
Das Ende des Weltkriegs setzte keinen Schlußpunkt unter die traurige Sequenz. Der Gitterkäfig im Straflager von Pisa steht in anschaulicher Symbolik für die Rache Amerikas an dem poetischen Irrläufer Ezra Pound. Namen wie Jannis Ritsos, Walter Kempowski und Joseph Brodsky zeugen stellvertretend für viele andere von der Dauer des Übels. Orte wie Mandelstams Woronesch und Brodskys Norinskaja bürgen für die Kontinuität einer Freiheitsberaubung auch ohne die äußerlichen Requisiten von Gitter und Stacheldraht.
Die vorliegende Anthologie, zu deren Auswahl Hiltrud Häntzschel, Ralph Dutli und Peter-Christian Hall durch willkommene Anregungen beigetragen haben, bietet ein denkbar europäisches Potpourri aus fünfhundert Jahren. Zur Überheblichkeit angesichts der anderswo unverändert gängigen Verfolgung von Autoren besteht kein Anlaß – wohl aber zum Widerspruch.

Werner von Koppenfels, Nachwort

 

Wenn die Sprache den Kerker besiegt

– Letzte Instanz: Werner von Koppenfels sammelt poetische Kassiber aus fünf Jahrhunderten. –

Platon mochte bekanntlich die Dichter nicht; er meinte, sie gefährdeten den Staat. Doch wenigstens heute gelten Dichter als harmlos. „Wir sind zu viele“, hat William Butler Yeats über die Zunft gesagt. So haben wir in der sogenannten Lyrikszene wieder jene vierhundert jungen Lyriker, über die schon Brecht spottete. Darüber mag vergessen werden, dass das Dichten ein gefährliches Metier sein kann: die Zahl der Opfer von Exil und Verbannung, Kerker und gewaltsamem Tod ist groß genug. Dichter also als weltliche Märtyrer – Werner von Koppenfels zeigt sie uns in seiner Anthologie Aus den Kerkern Europas.
In dem Band versammelt er „poetische Kassiber“, also in Gefängnissen und Lagern entstandene Gedichte über die Willkür der Macht und die Selbstbehauptung des Geistes. Diese Kassiber reichen von François Villon, der dem Strick knapp entging, bis zu Gertrud Kolmar, die in Auschwitz ermordet wurde. Doch auch der Mussolini-Anbeter Ezra Pound fehlt nicht, den sein Starrsinn in den Gitterkäfig des amerikanischen Strafcamps von Pisa führte. Der Anglist Koppenfels ist für eine solche Sammlung bestens disponiert: als Mitherausgeber großer Anthologien sowie als Übersetzer Emily Dickinsons und des dunklen Briten Geoffrey Hill.
Das Frontispiz ist quasi die didaktische Allegorie für dessen zentrale Aussage. Es ist ein Kupfer aus Friedrich von der Trencks „merkwürdiger Lebensgeschichte“ von 1787 und zeigt den Dichter in schweren Ketten, auf dem eigenen Grabstein stehend, jedoch in freier und aufrechter Haltung. Dieser Trenck, Ordonanzoffizier des preußischen Königs Friedrich II., wurde zum Justizopfer, wie es sie auch in der Aufklärung gab. Vermutlich wegen einer Liebesaffäre mit Amalie, der Schwester des Königs, saß er zehn Jahre in der Feste Magdeburg und kam erst auf Fürsprache der österreichischen Kaiserin Maria Theresias frei. Im Gedicht „Todesgedanken im Kerker“ hat er mit seinem Leben bereits abgeschlossen:

Des Kerkers Türen öffnen sich:
der Tod kommt und errettet mich –
ich habe schon gesieget.

Sprache hat die Fähigkeit, Mauern zu durchdringen.
Koppenfels eröffnet seine Sammlung mit Gedichten François Villons, der als Mitglied einer Diebesbande zum Galgen verurteilt, doch später begnadigt wurde. Damit trat nicht ein, was sein eigenes Epitaph vorauseilend befürchtet:

an einem klafterlangen Strick gehenkt
spürt bald mein Hals, wie schwer mein Hintern wiegt.

Man liest das in der Übersetzung K.L. Ammers, die bekanntlich Brecht sehr beeinflusste. Der Ruhm dieser Verse hindert Koppenfels nicht daran, hier – wie auch in anderen Texten – Besserungen anzubringen. So etwa in einer Ballade mit dem Refrain „wollt ihr, daß seine Marter ewig währt“. Wo K.L. Ammer unscharf von Schweinen redet, „die in Haufen / bei einem Lärm, eins hinterm andern, laufen“, setzt Koppenfels das prägnante Verspaar „wie’s selbst die Schweine machen, die in Haufen, / wenn eines schreit, sogleich zu Hilfe laufen“.
Solche Bänkeltöne werden später selten. Der Großteil der Anthologie hält sich an die Zeugnisse von Existenznot unter den Übergriffen der Macht. Ergreifend ist eine Gedichtfolge aus dem Umkreis der unglücklichen schottischen Königin Maria Stuart. Sie beginnt mit dem anrührenden Sonett „Abschied von der Welt“, das Maria in Erwartung ihrer Hinrichtung schrieb. Dichter aus ihrem Umkreis sahen in Maria „eine Märtyrerin des Glaubens“. So schrieb Chidiock Tichborne, Teilnehmer an der missglückten Verschwörung zu ihrer Befreiung, ein Gedicht „Am Vorabend seiner Hinrichtung“. Robert Southwell, der als jesuitischer Seelsorger der Königin nach dreijähriger Kerkerhaft durch Hängen und Vierteilen umkam, überschrieb ein Gedicht:

Dum morior, Orior: Ich erstehe, da ich vergehe.

Ähnliche Zeugnisse für die moralische Widerständigkeit der Dichter und die ästhetische ihrer Sprache reichen von Agrippa d’Aubigné und Tommaso Campanella bis zu Schubart und Wilde. Sie belegen das Credo des Herausgebers:

In extremis wächst dem Wort des Dichters eine eigene Dringlichkeit zu.

Im zwanzigsten Jahrhundert ist das Leiden millionenfach und allgemein geworden, der individuelle Terror zur allgemeinen Vernichtungsmaschinerie. Wenn der Glaubensrückhalt fehlt, bleibt dem Dichter einzig die Instanz der Sprache. Ossip Mandelstam, der wegen eines satirischen Stalin-Gedichts in sowjetischen Lagern schmachtete und an Entkräftung starb, schrieb:

die Lippen rühren sich, ihr könnt sie mir nicht nehmen.

Zu den großen Stimmen – also auch zu Achmatowa, Brodsky und Kolmar, zu Ezra Pound und Jannis Ritsos – fügt von Koppenfels die Zeugnisse einiger wenig bekannter Autoren; so von Ilse Blumenthal-Weiss, die Theresienstadt, oder Franz Hackel, der Auschwitz überlebte. Sie belegen, dass Sprache Überstehen möglich machen konnte – auch für den später erfolgreichen Walter Kempowski. Von einem sowjetischen Militärgericht zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, musste er acht Jahre in Bautzen absitzen. Seine Gedichte wurden erst postum veröffentlicht. Dort findet man Zeilen wie diese:

Den Kopf gepreßt zwischen die Gitter,
die quellenden Wolken!
Hoch oben zwei Vögel,
kreisend.
Keiner stürzt ab.

So auch nicht, der solches schreibt. Die Sprache besiegt den Kerker. Es ist das „Kassiber-Wunder“, von dem Werner von Koppenfels’ schöne Anthologie spricht.

Harald Hartung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.1.2015

 

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + Kalliope + DAS&D
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