FLUCHTEN
meine toten haben sich in worte gekleidet. wind
ergraut in den bäumen. in ihren geräuschen ist
das knackende eis gefrorener flüsse zu hören.
menschen schleppen sich zwischen zäunen durch
den schnee. ihre augen sind ohne gedächtnis und
voller schritte, die ins leere gehen. kläffer springen
gegen gitter. ihre echos irren durch die köpfe.
große zelte sind in schneestürmen abgebrannt,
vater und mutter über die Oder gekommen.
sie waren noch kinder. kälber grasen auf der weide.
die ernte ist eingefahren. feuer dringen in die kalte haut.
immer wieder sind hubschrauber zu hören. tiere kommen
im menschen zum vorschein. weiße schmetterlinge
fallen vom himmel. gräber vereinsamen auf friedhöfen.
noch leuchten die kranichschreie in der nacht.
doch mit jedem tag werden sie dunkler.
Andreas Altmanns Gedichtband Weg zwischen wechselnden Feldern lebt von der eindrücklichen Fülle poetischer Klänge und einer zwischen Magie und Melancholie schwebenden Bildhaftigkeit. Selten hat der 1963 geborene Lyriker die Elemente seiner Dichtung in eine prägnantere Struktur überführt. Es ist ein Plateau aus Feldern entstanden, die in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen. Sie reichen von Wetterfeldern über Geisterfelder bis zu Marienfeldern und bilden die thematische Topographie des Bandes.
„Träume wildern in der Wirklichkeit“, heißt es in einem der Gedichte. Umgekehrt gilt, dass die Wirklichkeit der Gedichte von so beklemmenden wie zauberhaften Träumen durchwoben ist und den Leser mit ihren Panoramen in den Bann zieht. Es ist die Faszination einer mit allen Sinnen erkundeten und wiedererkundbaren Welt, in der Kranichtänze und Schlafnarben, Pappelschnee und Wolfsspuren zu entdecken sind.
Poetenladen, Ankündigung
– Der Hainichener Autor Andreas Altmann geht in seinem neuen Gedichtband traurig einen Weg zwischen wechselnden Feldern auf einer verzweifelten Suche nach Menschlichkeit. –
Andreas Altmanns neuer, im Leipziger Poetenladen erschienener Gedichtband ist ein langer, vielstimmiger und doch in sich homogener Klagegesang. Die melancholische Trauer um Verluste war schon immer ein bestimmendes Moment in Altmanns Gedichten, aber in seinen neuen Texten erreicht sie noch einmal eine neue Qualität. Vielleicht, weil er sich wieder mehr den Menschen zuwendet, dem Leben und Sterben, dem Fliehen und Suchen in einer Welt, in der sicher geglaubte Werte wie Menschlichkeit, Solidarität, Hilfsbereitschaft, Freundschaft und Zuverlässigkeit wieder in Frage gestellt sind.
„menschen schleppen sich zwischen zäunen durch / den schnee. Ihre augen sind ohne gedächtnis und voller schritte, die ins leere gehen“, heißt es in „fluchten“.
und an den grenzen
sterben kinder in den nächten, schlafen
in den schreien ihrer mütter ein. die meute
brennt und ihre masken stehn in flammen.
darunter reißen die gesichter an den mäulern.
Wie immer gelingt es Andreas Altmann, durch klugen, sensiblen Zeilenfall den Worten eine Melodie zu geben, sie vielstimmig klingen zu lassen. Ausgehend von Begriffen, Gegenständen, Tieren, Bildern, selbst aus der Tagespolitik bekannten Szenen, die dem Leser vertraut sind, schafft der 1963 in Hainichen geborene, schon viele Jahre in Berlin lebende Dichter in seinen Versen eine poetische Wirklichkeit, die nichts mit agitatorischen Kommentaren zur Zeit zu tun hat und doch ganz in dieser Zeit verwurzelt ist. Und so sterben die mit ihren Müttern fliehenden Kinder nicht nur an Ländergrenzen, sondern auch an den Grenzen, die Menschen ihrer Barmherzigkeit, ihrem Vermögen zu helfen und zu teilen, gesetzt haben oder zu setzen bereit sind oder gezwungen werden zu setzen. Und dann sind da die „vielen“ auf dem „bahnhof“, so heißt ein weiteres Gedicht:
… die gesichter. es sind so viele, die sich ähnlich sind.
sie tragen fahnen, die in ihren schreien wehen.
… der bahnhof ist bewacht
von dutzenden soldaten. die scheinwerfer sind grell
und nehmen den gewehren ihre schatten ab.
Es gibt auch vertraute Motive in dem neuen, wie immer sorgfältig editierten und komponierten Band. Erinnerungen an die Eltern, Träume, Landschaften, Beobachtungen des falschen Lebens im richtigen: „viele / wechselten ihre kleidung und schminkten die spiegel“; Erinnerungen an die Zeit des „volkseigen“:
die maschinen übertönten alles,
bis sie sich selbst nicht mehr hören konnten.
in aller stille sinkt die fabrik in den boden.
Sicher einer der Gründe für die heutige Angst der vielen. Und viel Hoffnung bleibt nicht:
das land verblutet
an den fremden toten, dem alle spiegel ein
geschmolzen sind. die meute wächst und
frisst sich selber auf. nicht alle
waren schuldig, wird in der geschichte stehen.
Aus seinen Versen spricht weniger Wut als Enttäuschung: „tiere kommen / im menschen zum vorschein“ ist in der Altmannschen Poetik fast schon ein schwaches Bild – umso wichtiger muss es ihm gewesen sein, wenn er es benutzt. So wichtig und so traurig-schön, wie es der gesamte Gedichtband ist.
Andreas Altmanns Gedichte erinnern mich immer an Häuser oder Wege, etwas in dem man wohnen, auf dem man gehen kann. Sie begleiten mich schon seit Jahren. Ich kenne ihren Rhythmus, ihre Bilder und lese sie doch immer wieder neu.
Es gibt machmal, nicht oft, diesen magischen Moment in einem Gedicht, wo man als Leser einen Schritt zuviel macht und ins Taumeln gerät. Für einen kurzen Augenblick ist man das Gedicht dann selbst. In Andreas Altmanns Gedichten gibt es viele solcher Momente.
Weg zwischen wechselnden Feldern ist Andreas Altmanns Lebensbuch, nicht mehr und nicht weniger. Es ist die Summe all seiner Gedichtbände bisher. Er ist kein junger Dichter mehr und noch kein alter. Er hat alles hineingelegt in diese Gedichte, nichts ist überflüssig oder dekorativ. Man spürt die Anwesenheit des Dichters in jeder Zeile.
Die fast strenge Schönheit seiner Sprache legt sich über die Landschaften der Kindheit, erzählt von unweigerlichen Verlusten und von der Doppelbödigkeit unseres Lebens. Denn schließlich ist alles so wie es nicht war.
Bleibt noch zu sagen, dass Gedichte wie diese das Salz in der deutschen Lyriksuppe sind. Und genau deshalb sollte man den Löffel durchaus noch ein wenig länger in der Hand behalten.
Es gibt ein Gedicht von Andreas Altmann, in dem jemand mit einem Koffer, in den er alle seine Habe gepackt hat, am Bahnsteig steht und in der Ferne einen Zug sieht, der jedoch nicht näherkommt. Die Stimmung ist spätherbstlich düster, neblig-verraucht, und dann steht da der Satz:
so vergingen die jahre.
Der Zug hat ihn nicht mitgenommen, aber die Worte, die er wie seine Welt in diesem Koffer trägt, glänzen. Und alle paar Jahre, wenn wieder ein Gedichtband erscheint, öffnet Andreas Altmann diesen Koffer.
Weg zwischen wechselnden Feldern heißt das jüngst erschienene Buch. Es führt vor Augen, auf welche Weise die Jahre vergangen sind. Eines dieser Felder, im übertragenen Sinne, ist die Kindheit. Im Gedicht „zeit“ etwa betrachtet sich Altmann als das „kind…, nachdem ich immer gesucht habe. / ich sitz auf dem hochstand und sehe den fuchs durch gras / wellen schwimmen.“ Wer dem Autor in den über zwanzig Jahren, in denen seine Gedichte erscheinen, gefolgt ist, wird die fiebrigen Dörfer, düsteren Bäume und schattenhaften Vögel kennen, aus denen sich sein Kosmos zusammensetzt. Man begegnet da Milan und Fuchs in von grellen Kontrasten geprägten, winterlichen Szenerien, „schafe und wölfe“ oder „krähen und reiher“ lauten Gedichttitel seines Bandes, und „boote leuchten auf dem meer“. Oft findet er schon zu Beginn sehr ausdrucksstarke Bilder, die den Leser in die Gedichte hineinziehen: „ein faltiger wind weht über die havel“, beginnt „mutterseelenallein“ – es ist eine Art zu schreiben, die man als Altmann-Sound bezeichnen könnte: „pappeln rauschen sich wund“, „weiß flattert die luft / unter hastigen flügen der schmetterlinge.“ Wer so schreibt, hat nicht bloße Naturlyrik im Sinn. Eher sind es die inneren, die „Geisterfelder“ oder „Schlafrandfelder“, von denen aus der Autor das Ergebnis seiner Lebensaussaat betrachtet. Das Motiv der Schlaflosigkeit durchzieht den ganzen Band: „stare schreien einen kirschbaum leer, fliegen / den himmel schwarz“, schreibt Altmann im Gedicht „hitzefieber“, und die letzte Zeile, „ich bin so müde, dass ich nicht mehr schlafen kann“, liest sich wie eine Übersetzung der lyrischen Bilder.
Überhaupt haben die Texte von Weg zwischen wechselnden Feldern etwas Manisches. Das Zug-Motiv taucht beispielsweise an mehreren Stellen wieder auf, doch ist da nicht mehr ein einsamer Mensch auf dem Weg durchs Leben, sondern es sind Visionen von Lagern und Soldaten, von einer „meute“, von Maschendraht und brüllenden Lautsprechern, kein Wunder, denn „blut / ist geflossen“. Diese Traumsequenzen eines poetischen Sekundenschlafs bringen einen noch wenig gehörten Klang in die Gedichte:
ich schlag mir immer wieder ins
gesicht, um nicht zu schlafen, wenn die fänger kommen.
Neben seinen naturnahen Szenerien gewinnen auch Farben eine besondere Bedeutung, so kann man etwa die Farbe Grün, wie im Gedicht „aufwachzeit“, als Chiffre für Wahnsinn lesen:
die frau mit der grünen stimme ruft, atme, mein kind, atme
Das unbekannte, beklemmende Gelände der Seele hat Altmann sehr eindrücklich im Gedicht „die elbe im winter“ beschrieben:
ich geh durch gesperrte gebiete.
gebrochene bäume erzählen von stürmen.
So sind die Jahre vergangen, und „es dauerte lange, bis die trümmer verschüttet waren“. Diese Zeile aus dem Gedicht „raunächte“ verweist auf ein weiteres der wechselnden Felder, zwischen denen Andreas Altmann seinen Weg als Dichter geht. Denn es sind offenbar auch Jahre des Abschieds von seinen aus dem Schlesischen stammenden Eltern gewesen, denen er einige berührende Gedichte widmet. Etwa in „meine schweigsame mutter“, wo er beim Anblick blühender Kirschen die Biographie der in einem anderen Raum Aufgebahrten in wenigen jähen Sequenzen Revue passieren lässt und mit den Worten schließt:
die kirschen reifen in diesem jahr schnell.
Das fast qualvoll wiederholte „ich bin doch sein sohn“, mit dem der Autor an einer Stelle den Vater anruft, findet in einem anderen Gedicht seine Entsprechung in der lakonischen Feststellung:
gräber vereinsamen auf friedhöfen.
noch leuchten die kranichschreie in der nacht.
doch mit jedem tag werden sie dunkler.
Es ist eines dieser wunderschönen Bilder, mit denen er der Unerbittlichkeit des Vergessens und der vergehenden Zeit Ausdruck verleiht. Das gilt übrigens auch für seine eigene Zeit: „verwitterte gardinen / hängen hinter wunden fensterscheiben“, heißt es im Gedicht „volkseigen“. Da ist etwas zu Ende gegangen, aus einer schier psychischen Dynamik heraus:
die maschinen übertönten alles,
bis sie sich selbst nicht mehr hören konnten.
Die letzte Zeile lässt sich geradezu prophetisch lesen:
die regenrinnen sind übergelaufen.
Wie kaum ein anderer Dichter unserer Zeit bringt Andreas Altmann, der 1963 in Hainichen geboren wurde und seit 1990 in Berlin lebt, die Grundbedingungen des Menschlichen zur Sprache. „Jedes Wort in Altmanns Gedichten ist einfach und verständlich“, hat Marie Luise Knott einmal sehr zutreffend geschrieben und zugleich etwas Schwebendes, fast Magisches hervorgehoben, das von ihnen ausgeht. In Weg zwischen wechselnden Feldern hat der Autor einen Teil des Geheimnisses seiner Dichtung gelüftet.
Patrick Wilden, Ostragehege, Heft 90, 8.12.2018
Thorsten Schulte: Düstere Träume wildern in der Wirklichkeit
literaturkritik.de, September 2018
Marina Büttner: Andreas Altmann: Weg zwischen wechselnden Feldern poetenladen
literaturleuchtet, 19.8.2018
Armin Steigenberger: die weiden stehen im flammenlicht
signaturen-magazin.de
Jürgen Brôcan: Spürsam erschnüffelte Spuren
fixpoetry.com, 24.6.2018
Andreas Altmann liest sein Gedicht „ein mann ohne schlaf“.
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