Bert Papenfuß: harm

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Bert Papenfuß: harm

Papenfuß-harm

RICHTUNG ZEITGENOESSISCHER DICHTERDICHTUNG

fliessbandelegien legen
fahrzeitueberbruekken bauen
kriminalsonette spinnen
schminktischgedichte lidstreichen
rocklyrics produtsieren
unfallmelodramen flennen
rezepterzaehlungen ferschreiben
pornografie fergutachten
ferdichtungen ausklammern

usw ich will mich hier am dikken ende
nicht noch unnuetz ausspinnen
was ich getan haette
wenn ich geschrieben haette
usw ich will mich hier am dikken ende
nicht noch unnuetz ausspinnen
was ich getan haette
wenn ich nicht die richtung wuesste

wueste

 

 

 

Einige kennen und schätzen ihn seit Jahren,

aber sein großes Manuskript Harm muß, als Buch verbreitet, die Anerkennung aller finden, die sich an neuer Lyrik in deutscher Sprache engagieren. Nur des unbeschränkt verbreitbaren Buches bedarf es noch, um Bert Papenfuß-Gorek als einen Dichter ersten Ranges sichtbar zu machen, einen Dichter, der die Düsterkeit unseres historischen Augenblicks in Versen von hoher Originalität festhält, einschneidend und herausfordernd wie experimentelle Poesie, zugleich, Brecht darin ähnlich, fußend auf dem Fundament der deutschen poetischen Tradition. Bitterkeit und dunkle Farbe, Dissonanz und aufgerauhter Ton, das möge allseits bedacht werden, sind nicht wegzudenken von Kunst, die es unternimmt, diese unsere Zeit in Aufrichtigkeit darzustellen. Zu den bedeutendsten Vorzügen des Lyrikers Papenfuß-Gorek gehört es, daß er sich weder auf ein Zukunftsbild beruft, welches, wie immer es aussähe, keinen ‚Wirklichkeitswert besäße, noch aus sich selbst und seiner Einsamkeit ein Modell macht, das für alle zu gelten hätte.

Ernst Jandl, Harm Erstausgabe, KULTuhr Verlag, 1985

Harm

Multatuli – Der Fidel Getragen Hat – nannte sich der niederländische Schriftsteller und Sozialkritiker Eduard Douwes Dekker (1820-1887), den Papenfuß für sich uns uns wieder entdeckt – hier & jetzt am kreuzweg im flieder – mutterseelennakkt und splitterallein. Indem sein Vers die verordnete Sprache assoziativ und skeptisch dreht und wendet, übt er unversehens Kritik an der faustschnauze Gesellschaft. Das Sprech-Gedicht nimmt auf seine Weise in Geste und Laut die Proteste voraus, wie sie später öffentlich werden – in einem atemzug nur gegenwaertz.

Arkdichtung 77 – „sein großes Manuskript harm muß, als Buch verbreitet, die Anerkennung aller finden, die sich an neuer Lyrik in deutscher Sprache engagieren“ – schrieb dazu Ernst Jandl.

Janus Press, Klappentext, 1993

 

harm

Der seltsame Titel gibt eine Vorahnung. Im Lexikon, dem Überich der Sprache, bedeutet er „Leid“, suggeriert aber eher einen Gegensatz von „harmlos“, also von Schwäche und Bravheit. In dieser „arkdichtung“ läßt der DDR-Dichter ein Sprachdickicht wachsen aus eingensinniger, doch organischer (weil phonetischer) Orthographie, Verballhornungen, Rotwelschfetzen und auch orthodoxer Stilmittel. Schon die stilistische Überwucherung und Verwilderung leisten Widerstand gegen die planierte Welt (wie auch gegen den Drüberhinwegleser). „Mittenmangst“, im Unterholz der Sprache, streunt der Dichter, Drude, Urmensch, Wegelagerer, und redet mehrdeutig Tacheles auch da, wo schon über Bäume zu sprechen zum Verbrechen erklärt wird. Verwandt mit Jandl und mit dem sowjetischen Dichter Chlebnikov, verwandelt Papenfuß-Gorek die Freudsche Fehlleistung zum bewußten, kompakten Kompositionsprinzip.
Die Gedichte sind keine leichte Kost für den Leser, von dem der Autor sich wünscht, daß er „nicht faul aber geduldig“ ist. Zur formalen Komplexität kommen inhaltliche Hürden: extreme Subjektivität bis zum zum Insiderwitz, dazu die Weigerung, den Leser an der Hand zu führen: „da du mit a alles gesagt hast / würdest du mit b alles widerrufen“. Dennoch, für den, der sich durchbeißt und der hinnehmen kann, nicht alles zu verstehen, bietet das Buch Nahrung. Die Texte handeln von Haß und Liebe, vom rausch der „Alkobolde“, von der Freundschaft und dem Verrat daran, von der Erotik und – „heut lebt und stirbt keiner hoechstens an krebbs“ – von der Absage an den lauen Wahnsinn einer genormten Gesellschaft. Sie entfalten ihren Humor und ihre Musik am besten, wenn sie laut vorgelesen werden.
Papenfuß-Gorek, der 1978 noch Beiträge im DDR-Lyrikdebütanten-Jahrbuch Auswahl hatte, wurde seitdem in seinen Veröffentlichungsmöglichkeiten beschnitten. Druckgenehmigungen wurden wegen „falscher“ Orthographie und Satzbau verweigert, Lesungen reihenweise wegen „Rohrbrüchen“ abgesagt. Er verlegte sich auf handbemalte Poesiealben und Punk- und Rockliedtexte. Im Westen erschienen Texte von ihm im Freibeuter und KULTuhr, und, mit Co-Autor Sascha Anderson, ein Schauspiel im Verlag Autorenagentur. In der neuen Anthologie der DDR-Lyrik-Szene Berührung ist nur eine Randerscheinung zeigt sich, daß andere Schreiber seine Methoden aufgegriffen haben. Papenfuß-Gorek wurde schon in den USA, in Kanada und in Belgien entdeckt und übersetzt(!) veröffentlicht. Mit harm liegt nun endlich ein Band von ihm in Deutschland vor.

Mitch Cohen, Zitty, Heft 17, 1985

sinnfielteilung

− Bert Papenfuß. Gesammelte Texte 1-3, naif, till, harm. −

Bert Papenfuß-Gorek muß man heute nicht mehr vorstellen. Zwar war er ein Jahrzehnt lang ein Geheimtip derer, die Literatur nicht nur aus den gedruckten Werken der Verlage wahrzunehmen gewillt waren, doch inzwischen liegen elf Publikationen von ihm vor – bei Oberbaum, bei Aufbau, bei Steidl, bei Galrev und bei Janus press von Gerhard Wolf, der nun eine Werkausgabe beginnt, deren erste drei Bände erschienen sind.
Gesammelte Texte 1-3 steht unter den Titeln naif, till und harm, sie versammeln Texte aus den Jahren 1973 bis 1977. Die drei Bücher zur Hand zu nehmen bietet schon Genuß. Die von Martin Hoffmann in der wunderbar fließenden Rotis-Schrift von Otl Aicher gestalteten Bände sind mit Recht von der Stiftung Buchkunst als „schönste Bücher“ prämiert worden.
Was man in ihnen nun nachlesen kann, sind die Anfänge eines Dichters. Und hier stößt man auf etwas durchaus Ungewöhnliches. Kein zögerliches und unsicheres Tasten und Versuchen kennzeichnet diesen Anfang; dieser Dichter war gleichsam von Anfang an ganz da. Bereits in den ersten Gedichten spricht sich der Papenfußsche Ton aus, der bis heute seine Texte charakterisiert.
Papenfuß hat von Anfang an, also seit 1973, in Zyklen und „Büchern“ geschrieben. Und dies nicht etwa aus dem eitlen Ehrgeiz eines verkannten Genies, sondern weil die zyklische Struktur von Anfang an seinem Schreiben inhärent ist. Natürlich sind einerseits das Wort, gar die Silbe und der Laut/Buchstabe die kleinsten Einheiten seiner Texte, doch andererseits öffnet der Verzicht auf den Eigenwert des Einzelgedichts sein Schreiben hin zur Komplexität und Widersprüchlichkeit heutiger Weltwahrnehmung. „sinnfielteilung“ (harm) im und am Text, in der Überkreuzung der Wahrnehmungs- und Sprachschichten, im wuchernden Spiel mit den Unter- und Obertexten, der Verquickung von individueller Kundgabe, sexuellem Begehren und sozialem Engagement – „sinnfielteilung“ könnte als Motto über diesem Schreiben stehen.
Es ist nicht damit getan, die kleinen boshaften Diamanten aus seinen Texten aneinanderzureihen (es gibt sie zuhauf, jeder mag sie selbst aus den Texten schürfen), um zu zeigen, wie produktiv seine Verfahren der Wortverfremdungen und Morphem-Spiele immer wieder sind. Doch wem läuft nicht ein Schauer über den Rücken etwas bei folgender Zeile, in der nur ein winziges „s“ weggelassen wurde: „doch dies vergas man“ (naif) oder einem Wort wie „harlekriegskinder“ (till).
Das erste Gedicht seines ersten Buches lautet:

wegwort

atens
der vorwurf
dass ich lüge

otens
der hinweis
dass ich ver
dichte

(naif). Bereits hier sind deutlich die Züge Papenfußschen Sprachspiels ausgeprägt: „Wegwort“ als Wort auf den Weg, aber auch als Wort, wegzukommen, „Wägwort“ schwingt ebenso mit wie „Wortweg“, also Etymologie. Das A und O, Alpha und Omega, Anfang und Ende des griechischen Alphabets, spannen den Bogen zwischen Lüge und Dichtung. „beschoenige nichts aber betoenige wichtiges / die sprache ermoeglicht die luege / die schrift auch die faelschung“, heißt es später (harm). Papenfuß warnt den Leser: Lüge und Fälschung sind Möglichkeiten der Sprache – Skepsis also Lektüre-Tugend. Doch nicht darum geht es primär, sondern um „tumultane Zügellosigkeit“ (Manifest zoro in skorne, 1984), also den Entwurf anarchistischer individueller Lebensmöglichkeiten.
Die ständigen erweiternden und verändernden etymologischen Anreicherungen der Worte und Wortfragmente sind für Papenfuß nicht nur Methode, um seinen Texten historische Horizonte zu öffnen. Sie sind zugleich auch Motor des Schreibens, Verknüpfungselemente sprachlicher Sequenzen, Augenblickseinfall oder einfach nur Textstrategie der „sinnfielteilung“, die das Material weiter wuchern läßt. Erk Grimm hat diesen wilden Eklektizismus einmal sehr schön als „Ostberliner Legoismus“ bezeichnet (Zeitschrift für Germanistik, 1/1992). Wie beim Spiel mit den Lego-Bausteinen wird der Leser mit jeder neuen Kombinatorik aus dem Textkontinuum herauskatapultiert, zurück und kreuz und quer verwiesen, um sich in neuen semantischen Figurationen zu verlieren. Auch darum die Orientierung auf den zyklischen Groß-Text.
Till Ulenspiegel (till) oder der niederländische Dichter Multatuli (harm) können in diesem Zusammenhang sogar eher zufällig Anknüpfungspunkte sein; sie sind jedenfalls keineswegs stringente Traditionslinien, auf die der Dichter sich beruft. Er selbst hat sich ausdrücklich nicht in die Tradition der Hochkultur, sondern in die einer „häretischen Kultur“ eingeordnet, was seine frühen Texte eindringlich bestätigen. Sie changieren wild umher zwischen Selbstzuspruch und anti-moralischem Elan, Sentimentalität und gelegentlichem Grobianismus, zwischen kunstvoller Verdichtung und Kalauern, anarchistischer Kampfansage und Verflüchtigung ins Klandestine. Zu dieser häretischen Tradition gehört ganz zweifellos ein spezifischer Humor, jener Humor, der sich weigert, das Große als erhaben anzusehen, das Politische als etwas Fremdes und das Gemeine als etwas, wozu nur die anderen fähig sind.
Auch wenn einiges manchmal etwas posenhaft daherkomt („wolfsmenschen in der stadt“, harm) – das streichen wir; und manches auch ein wenig maniriert klingt (wenn die Geste zu groß ausfällt und zu abgekärt) – seine Stärken und seine Schwächen sind aus derselben Quelle: Mecklenburg, norddeutscher Humor und norddeutsche Sturheit. Und zugleich wird bei der Lektüre dieser rund zwanzig Jahre alten Gedichte klar, zumal wenn man sie auch in den Kontext seiner heutigen Arbeiten stellt, daß ein Dichter wie Papenfuß (und einige andere wie Stefan Döring oder Jan Faktor) durchaus nicht nur unter sozialistisch-realistischen Bedingungen jene Entwicklungen der klassischen Moderne nachholte, die zu dieser Zeit längst ausgeschrieben waren. „Bildende Unkontrollierbarkeit“, „mahlende Entstaatlichung“, „Abschaffung des poetischen Staates im Autor“ – die Utopien aus dem oben zitierten Manifest haben natürlich eine Tradition. Doch sie haben sie deshalb, weil sie universelle Utopien sind. Papenfuß hat sich mit seiner anarchischen Sprach- und Dichtungskonzeption bereits in den frühen Texten ein eminent politisches Instrumentarium geschaffen, nutzbar im individualistischen Kampf „gegen imperiale Sprachkonzepte“ (led saudaus). Ein Kritiker hat ihn einmal einen „besessenen Wortschamanen“ genannt, einen der „poètes maudits“ unseres Jahrhunderts. Das ist er bis heute geblieben.

Peter Böthig, Neue Deutsche Literatur, Heft 1, 1995

Machtferne Sprachkunst

− Das Frühwerk von Bert Papenfuß. −

Endlich liegt es vor, das Frühwerk des 1956 geborenen Ost-Berliner Anarcho-Poeten Bert Papenfuß, der, obgleich in jüngsten Jahren bereits ein unverwechselbarer Dichter, über ein Jahrzehnt für Schubladen und Cliquen schreiben mußte.
Gerhard Wolf, der 1989 erstmals eine grössere Öffentlichkeit auf diesen Befürworter der „unvollstaendigkeit“ und seine machtferne Sprach- und Lebenskunst aufmerksam machen konnte, indem er den Querschnitt dreizehntanz als ersten Band seiner Aufbau-Reihe ausser der reihe publizierte, veröffentlichte nach dem Fall der Mauer im eigenen Verlag, der Janus press, LED SAUDAUS, nun die Gesammelten Texte 1-3, nämlich naif, till und harm, und im Herbst ein weiteres Buch Routine in die Romantik des Alltags, mit Zeichnungen von Helge Leiberg. Bei Aufbau, Galrev und Steidl erschienen andere Bände des gerne zyklisch arbeitenden Unpop-Dichters.
naif und till entstanden zwischen 1973 und 1976 (!) und waren damals in der DDR nicht publikationsfähig: für diesen noch nicht 20jährigen, der sich als „ein schwarzer freier wortsender“ empfahl und herumrotwelschte, war kein Platz. Auch nicht im Westen, wo ein biederer Lyrik-Geschmack en vogue war. Papenfuß’ aufgerauhte Flapsigkeiten, Kalauer, Sprachzertrümmerungen und Lebensweisheiten standen ziemlich einsam in der Landschaft. Seine zentralen Techniken standen ihm schon vor dem 20. Lebensjahr zur Verfügung, und auch sein Lebensgefühl ist hier genauso stark zu spüren wie in den späteren Texten:

besser man tut was man eigentlich wild will
besser man tut was man gelegentlich will wild

Aber seit Mitte der achtziger Jahre ist in der Lyrik viel passiert, und so wirken diese beiden frühen Papenfuß-Bände nicht mehr ganz so aufregend.
Sie sind nicht so kraftvoll wie der dritte Band, harm, 1977 geschrieben, 1985 von Norbert Tefelski in seinem KULTuhr-Verlag in West-Berlin gedruckt, mit einem Vorwort von Ernst Jandl, der ihn als „Dichter ersten Ranges“ dekorierte. Ein wichtiges Buch, das aber im Literaturbetrieb kaum beachtet wurde (drei Insider-Publikationen in Folge mit Hauptvertretern einer neuen Lyrikergeneration: im Jahr davor erschien Menz von Peter Waterhouse bei Droschl, im Jahr darauf erprobung herzstärkender mittel von Thomas Kling in der Eremiten Presse).
Nun also, auf ein Neues, bei Janus, die „unmutstoene“ und „klartekste“ des sinn- und unsinnstiftenden Sprachrebellen: „es geht um die fertonung des orts & der zeit“, um die Liebe, die Bullen, die „schleimschmekker feinscheisser“, die „arkdichter“ und was sie ankotzt, und „achtung hier werden einige wortspare eingespielt“, um die Sprache, um „die durchsicht der beherrschenden ordnungen und das aufbrechen ihrer sprachlichen konventionen“ (Michael Thulin). Drumherum ein vitalistisches Kinderland mit der „buhlprincessin beatriest“, wo der „zwoelffingerige zauberer der laute“ auftreten kann; Minne, fahrendes Volk, immer wieder „gegenwaertz“ – „alle ausreiseanträge nach gegenwaertz werden abgelehnt“ −, DDR-Realität:

blokkmeister aller riegen & meister des spotts hans beier sagt
es ist nicht so dass wir stets mit hohen leistungen brillianten
so nicht eins zwo nicht so eins zwo so nicht eins zwo sondern
dass sich alle beteiligen & freude am schiessen finden

& den feind finden diesen lämmerlichen feind finden

Oder, ganz ohne den liebenswerten „ark“-Schnickschnack, sein Dreizeiler „deutschland dunkelhell“:

mensch kleingeschrieben durchgestrichen grenze
mensch grossgeschrieben untergestrichen grenze
anführungsstriche mensch abfuehrungsstriche

harm bezeichnete Papenfuß im Gespräch mit Egmont Hesse (Sprache & Antwort, S. Fischer 1988) als sein Popalbum, als Beginn seiner aktivistischen Phase, in der er mehr Leute erreichen wollte, ein Experiment, das gescheitert sei, und spricht von relativer Oberflächlichkeit. Dem muss man sich nicht anschliessen. Wären nur alle seine Bücher so kompakt und intensiv wie harm

Dieter M. Gräf, Basler Zeitung, 8.4.1994

„aber arkdichter…“

− naif, till und harm, drei Bände Von Bert Papenfuß. −

Gerhard Wolf bleibt mit der Veröffentlichung von naif, till und harm, der ersten drei Bände der geplanten Werkausgabe von Bert Papenfuß, seinem Ruf als Mentor und Weggefährte einer neuen Literaturgeneration treu. Es ist ihm zu danken, daß interessante neue Texte in einer Einheit mit wichtigen Werken der DDR-„Untergrundliteratur“ einen Verleger gefunden haben. Mit der Veröffentlichung der Werkausgabe von Papenfuß gibt uns Gerhard Wolf die Möglichkeit zu vergleichen, den „etablierten“ Papenfuß und den Lyriker, der den DDR-Oberen, wenn man nach seiner Stasiakte urteilt, so schwer im Magen lag, nebeneinander zu stellen.
Bert Papenfuß, Jahrgang 1956, gehört heute sicherlich zu den wichtigsten Vertretern der neuen deutschen Literatur. Bereits seit Anfang der siebziger Jahre betreibt er, lange Zeit von der breiten Öffentlichkeit unbeachtet, die „Sabotage der Sprachregelung der Herrschenden“ (Brecht). Für Papenfuß ist Sprache mehr als ein Stilmittel, er spielt mit Orthographie und Grammatik und setzt so akustisch und optisch Zeichen. Nicht zufällig wurden seine frühen Werke häufig von Rock- und Punkbands mit unüberhörbarer Lautstärke zu Gehör gebracht.
Der Band naif enthält die ersten Versuche von Bert Papenfuß, eine Sprache zu finden, noch naiv zwar, aber mit deutlichem Hinweis auf die später zur Perfektion getriebene Verbindung von hintergründigem schwarzen Humor und politischer Stellungsnahme. „Land-Schafts-Beschreibungen“ wechseln mit Liebesgedichten von erfrischend enterotisierender Wirkung und ersten gesellschaftlichen Themen. Papenfuß setzt in naif vor allem auf Figurengedichte, die im Gegensatz zu seinen späteren Werken deutlichen Bezug zu Kurt Schwitters und Ernst Jandl haben. Schon in dieser Zeit fällt der eigene Stil, so zum Beispiel die Favorisierung des Buchstabens „f“ statt „v“ oder die Eliminierung des Wortes „und“, später mit großer Konsequenz betrieben, auf. Papenfuß war siebzehn Jahre alt, als er die ersten Gedichte dieses Bandes schrieb. Und so zeigt das Buch einen, der widerspenstig aufbegehrt und lustvoll den Umgang mit der Sprache übt.

… for meinem fenster schleichen die toeter, der taeter
: die schwarzgeschleimte witwenschaft hinktenein
und ringelt sich an meinem körper empor
fluestert fergesellschaftende worte
worte die schwarzes geschleim entwahrlokken…

Die Entstehung von till, des zweiten Bandes der Ausgabe, wurde angeregt durch die Person Till Ulenspiegels. So wie Ulenspiegel oft die Worte wörtlich nahm, um seine Umwelt zu brüskieren, spielt Papenfuß mit ihnen. Er verdreht, zer-setzt, kämmt sie, liest rückwärts oder zankt mit ihnen, es gibt keine Regeln der Sprache für ihn. Bert Papenfuß wehrt sich in seiner Dichtung gegen jeden Zwang, Worte als Aneinanderreihung von Buchstaben sind für ihn Mittel zum Zweck. So in „schwaeren erin merlin & scheisswald“ :

… greifswald: die nordtageswinde die wehn
lange haare ich konnt nichts mehr sehn
aber mir deftig blieb zu gehn for
ruekkentuekkentzuekkenwindendungdingen
& deren schmachthaelsen & machthabern

Besonders deutlich wird hier das bewußte Ignorieren jeder Regel, als Stilmittel von Papenfuß gezielt eingesetzt. Er rüttelt an den Grundfesten der deutschen Sprache, will sie öffnen für Neues, auch für gesellschaftliche Veränderung. Für ihn ist, wie für den Maler der Pinsel, Sprache ein Handwerkszeug das man benutzt, ein Mittel des Widerstands gegen ein verkrustetes System, welches versucht, Andersdenkende durch Sprachlosigkeit zu ersticken.

der nachbarssohn traegt ein gewehr geschultert
begastert & tatendurstig in der hand ein katapult
die nachbarstochter schwenkt einen plastikstahlhelm
ob die bilder zumutbar sind oder nicht entscheide ich

Der Band mit den weitaus politischsten Texten ist harm, entstanden 1977. Hier randaliert Papenfuß mit Wonne durch die damals schon marode kulturpolitische Landschaft der DDR. Viele der Gedichte sind als Antwort auf die Reaktion des Publikums bei „konspirativen Treffen“ entstanden. Der Autor versucht immer wieder, die Leser mit „Unerwartetem nach Erwartetem“ zu schockieren, sie zu bewegen, die eingefahrenen Denkgeleise zu verlassen. Dabei greift er mitunter zu drastischen Mitteln.

aber aberarkdichter schreiben seit jahren
nur fon & ueber was sie ankotzt
& ueber eine gesellschaft
die sie forwiegend auskotzt

Papenfuß ist nie der resignierende Aussteiger. Mit ungebrochener Vitalität, aber auch im Bewußtsein seiner eigenen Grenzen schreibt er sich durch die Probleme eines Landes hindurch, von dem damals viele sagten: „Das ist unser Land“. Die experimentelle Lyrik von Bert Papenfuß aus diesen Jahren erinnert an den unvergessenen Erich Arendt, konnte aber trotzdem in der DDR mit wenigen Ausnahmen nicht veröffentlicht werden. So ist uns mit dieser Werkausgabe die Möglichkeit gegeben, ein wichtiges Stück DDR-Kultur neu zu erleben, unser „Heimatbild“ ein Stück weit zu revidieren. Fazit: Eine gute und wichtige Ausgabe – von der Frankfurter Stiftung Buchkunst mit der Auszeichnung „Eines der schönsten Bücher 1993“ geehrt – nicht nur für Lyrikliebhaber ein absolutes Muß.

Christian Scherfling, Neues Deutschland 21.1.1994

 

Bert Papenfuß-Gorek

Biographisches
Papenfuß wurde 1956 in der Reuterstadt Stavenhagen geboren. Die Schulzeit in Greifswald schloß er mit der zehnten Klasse ab. Von 1972–1975 erlernte er den Beruf des Elektronikfacharbeiters. Mit seinen Eltern verbrachte er ein Jahr in Leningrad. Sein Vater ist Militärarzt, seine Mutter medizinisch-technische Assistentin. Papenfuß arbeitete von 1975–1976 als Beleuchter am Staatstheater Schwerin. Dann ging er in derselben Branche ans Theater der Freundschaft nach Berlin. Von 1977–1980 gehörte er zu den Mitarbeitern des Berliner BAT, dem Arbeiter- und Studententheater. Seit 1980 ist er freischaffender Schriftsteller. Dabei wird er, auch finanziell, von Karl Mickel und Christa Wolf unterstützt. In der Armee war er von 1982–1983. Er ist verheiratet und wohnt im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain. Seine Tochter heißt Anastasie (1. arab., hebräisch: die Nacht / 2. griech.: die Auferstandene). In Dichtern wie François Villon (… bezogen auf das Rotwelsch), und Multatuli (… Pseudonym des holländischen Schriftstellers Eduard Douwes Dekker, 1920–1887…), findet Papenfuß seine Vorbilder
In seinen zum Teil grafisch gestalteten Texten sind Hinweise auf seine Ausbildung zum Elektroniker zu entdecken (z.B. das Zeichen für Widerstand = Ohm). Literarisch arbeitet er mit Kolbe, Anderson und Stefan Döring zusammen. Grafisch mit Ralf Kehrbach (Totenreklame, rotbuchverlag, 1983) und Cornelia Schleime (Litfass 21, Piper Verlag, 1981).
Da Papenfuß schon immer musikalisch interessiert war, verwundert es nicht, daß vor allem in den vergangenen Jahren sein Name in Punkkreisen bekannt wurde. So schrieb er auch Texte für die Punk-Band Rosa Extra (Markenname für Damenbinden in der DDR). Als die Band an der Kunsthochschule Weißensee diese Texte singen wollte, wurde ihr der Auftritt untersagt.
Überhaupt hatte Papenfuß selten Erfolg, wenn er seine Texte veröffentlichen wollte. Mit der Begründung „das sind ja keine Sätze“ wurde auch seine Mitwirkung bei der Gestaltung einer Grafikmappe der Dresdener Obergrabenpresse verboten.
In der bedeutendsten Galerie der DDR-Hauptstadt finden regelmäßig zum Teil sehr interessante Ausstellungen statt. Im dazu gedruckten kleinen Katalog sind auch Texte von Schriftstellern zu finden. 1980 stellte der Objektkünstler Willy Wolff aus. Zwei Gedichte von Papenfuß wurden im Ausstellungskatalog abgedruckt. Auf Anordnung wurden sie jedoch anläßlich der Eröffnung wieder herausgetrennt.
Mit dem in Westberlin lebenden Amerikaner Mitch Cohen erarbeitete Papenfuß Texte in Deutsch und Englisch.
Der Schriftsteller nennt sich Papenfuß, oder Gorek, oder Mandragorek, oder er setzt diese Namen zusammen. Bei einer Lesung gemeinsam mit Uwe Kolbe, die in der Wohnung von Maaß stattfand, stellte er sich unter dem Namen Papenfuß vor. Ein Zuhörer fand seine gelesenen Texte ganz gut. Er hatte jedoch bereits ähnliche und sogar bessere derselben Richtung in Dresden gehört. Und zwar von einem gewissen Gorek. An diesem sollte sich der Dichter Papenfuß mal orientieren.
Für den Autor war das natürlich eine sehr angenehme Form der Kritik.

Umwege sind Zuwege
Was die Aussage der Texte von Papenfuß betrifft so bestehen zu Uwe Kolbe gleichlaufende Intentionen.
Nur daß hier neben Veränderung der Worte auch das Bild die Form mit großer Gewalt bearbeitet werden.
Auch von anderen Autoren wurden bereits Versuche unternommen, sich von der Herrschaftssprache zu lösen oder zumindest auf ihre verlogenen Strukturen hinzuweisen. So führte Stefan Heym unter dem Motto „Je voller der Mund desto tiefer die Wirkung“ eine Fallstudie am Nachrichtenprogramm des DDR-Fernsehens durch:

Veränderung                    ist immer        tiefgreifend
Verwirklichung                                         zielstrebig
Gedankenaustausch                                 umfassend
Atmosphäre                                               schöpferisch
Anliegen                                                     vorrangig
Beratung                                                   eingehend
Beschluß                                                    weitreichend
Fundament                                               unerschütterlich
Vertrauensverhältnis                             unzerstörbar
Bekenntnis                                               eindrucksvoll
Verwirklichung                                       vollinhaltlich
Stärkung                                                  allseitig
Voraussetzung                                       grundlegend
Anerkennung                                          weltweit
Wachstum                                              dynamisch
Zustimmung                                          millionenfach

Papenfuß würde dazu sagen „thelmann das nicht weiter“ (nach dem Namen Ernst Thälmann).
Die literarische Ausdrucksweise von Papenfuß hat sich, ebenso wie bei Kolbe, mehr und mehr vom Zustand der Aggression entfernt, und zwar im Sinne einer Verschiebung von Angriff zur Lust des Dagegenangehens. Bei Matthies ist das ähnlich wenn er etwa „sneewitchen“ in Kindersprache wiedergibt, kommt aber oberflächlich betrachtet nicht so deutlich zur Geltung.
Während die beiden anderen ihre Aggression auf das „Hineingeboren“ lenken, hatte Matthies mehrheitlich die sekundären Folgen, nämlich den Alltag, im Sinn. 1975 schrieb Papenfuß zu Beginn und Ende eines „Sprechspiels“:

zuweis
an den hoerer den seher
du brauchst eigene seidene wege
stiel dich dafon suche keines wegs
aber ferschiedene zeitgruende
& bau diese geschichte spiel auf

(…)
1 dichtung hat nur einzwei ziele
2 aufzuhoeren dichtung zu sein
3 aufzuhoeren lichtung zu sein
4 also hieb aufn spiellein

Wo Dichtung also gelichtet wird, hört sie auf „dicht“ zu sein. Papenfuß geht an den Ursprung der Worte zurück, verändert, manchmal nur ganz gering, ihre bekannte Form und läßt somit den eigentlichen Sinn, den Wahrheitsgehalt, den „Beginn“ unserer Sprache wieder deutlich werden. Entdeckungen werden nach stundenlangem Nachdenken über diese Verse möglich sein. Manchmal finden sich verblüffende Lösungen schon nach einem schnellen Überlesen der Zeilen. Aber immer ist bei der Beschäftigung mit diesen Gedichten, beim Lesen, beim Begreifen, ein Gefühl des Glückes zu verspüren.
Über diese Wirkung seiner Verse ist Papenfuß sicherlich wie jeder „normale“ Dichter zufrieden. Doch zusätzlich steckt in der Kraft, in der Aussage der Texte regelrecht „Wegbildendes“, ist mehr zu finden als der „hieb aufn spiellein”.

Wie eine Aufschlüsselung dieser Sprache geschehen könnte, läßt sich an den letzten drei Zeilen des Gedichtes „schwaeren erin merlin & scheisswald“ (Schwerin, Berlin und Greifswald) aufzeigen:1

„zwar bin ich in absagen begriffen“ – er sagt also dem Staat und damit dem geforderten Lebensstil ab – „aber wo ich jetzo bin ich“ – Absagen bedeutet also nicht Verschwinden, ein Flüchten, ein Untertauchen (wenn es aus Bewußtheit geschieht), sondern Widerstand aufbauen. Nicht im Sinn von GEGEN, sondern einfach DA sein (seht her, ich bin). Dann fragt er noch kurz und ironisch (aber) – „wo ich nun auch sei bin ich inbegriffen“ – gleichgültig, wie dieser Ort, dieses Land genannt wird. Papenfuß ist nunmal da. Es muß mit ihm gerechnet werden. (Eine andere Variante wäre: mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Er sitzt mitten drin. Jederzeit für diejenigen greifbar, die es so haben wollen.) Da kann es nur noch heißen:2

champagner hilft nich drueber weg cherry
auf die dauer ist das leben erschoepflich
auf der lauer ist das leben ergoetzlich
auf der mauer ist das leben ploetzlich
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaazu ende

Mit dem Blick auf diese drastische Sprache und der Suche nach Vorbildern gerät man in die Nähe der Texte von Thomas Brasch, der einem verständlichen Irrtum unterlag, der durch die hier vorgestellte Literatur (und Lebensweise) aufgehoben wurde: 3

„Alle wern gleich sein morgen und
niks wird mehr richtig genannt.
Ich werd hingehn, wo ich hergekomm
bin, wenn morgen vorbei is.“

Als Antwort von Papenfuß, mit einem speziellen Hinweis auf den sich ähnelnden Rhythmus, könnte folgende Nachricht genommen werden:4

„Nachricht 19hundert Unferbindlich“

Wher Mher Sein Will Ist Weniger
aaSagt Der Fiel Getragen Der Maks
aaaaWher Mher Wiegen Will Ist Weniger
aaaaaaIn Dieser Ferkeherten Wellt Sagt Till
Doch Ich Hab Dir Andere Dinge Zu Sagen
aaDies Alles War Zwischensatz Sagt Maks
aaaaDoch Ich Hab Dir Andere Dinge Zu Sagen
aaaaaaDies Alles War Zwischensatz Sagt Till
Der Eine Hat Fiel Getragen
aaEin 2ter Hat Fiel Weit Getragen
aaaaEin 3ter Ist Ferdammt Gestorben
aaaaaaEin 4ter Hat Mit Fielem Was Angefangen
Ein 5ter Hat Es Weitergefuehrt Entfuehrt
aaEinen 6ten Hat Es Ganz Alle Gemacht
aaaaEin 7ter Hatte Nur Pech Damit
aaaaaaEin 8ter Hat Sich An Einen 9ten Gewandt
Dann Haben Beide Auf Die Kakke gehaun
aaDas Hat Wohl Weit Gespritzt Aber
aaaaEs Ist Nichts Dabei Herausgekommen
aaaaaaDann Ist Ein 10ter Zu Ihnen Gestossen
Es Wurde Geredet Gebettelt Gebombikt
aaDann Hamse Erstmal Alle Ferknastet
aaaaEiner Floh Zwei Wurden Erschossen
aaaaaa& Der Floh Hat Sich An Alle Gewandt
Die Haben ES Eingesehen Siehst Du
aa& Einen Teil Dafon Durchgesetzt So
aaaaDann Wurde ES Praechtig Gefeiert &
aaaaaaDann Kam Die Zeit Nach Der Umwaelzung:
Wher Mher Sein Will Ist Mher
aaDas Ist Jetzt Die Folksmeinung
aaaaWher Mher Wiegen Will Isst Mher
aaaaaaIn Dieser Ferkehrten Wellt Sagt Till

In diesem Text sind Zitate nach Multatuli enthalten. Dieser Holländer aus dem vorigen Jahrhundert schrieb aufklärend zur Verbesserung der Lebensumstände. Seine Bücher wurden verboten er wurde betrogen und belogen und lebte deshalb auch finanziell unter erbärmlichen Umständen. Seinen Mut, die Wahrheit über gesellschaftliche Zustande ans Licht zu bringen, schüchterten diese Bedingungen nicht ein. Aber nicht nur allein aus diesen Gründen wird er ein Vorbild für Papenfuß gewesen sein. Auch Multatuli mußte in einem schmerzlichen Vorgang die Identifikation mit seiner bisherigen Klasse aufgeben. Nicht zuletzt wirkte sich das auf die Sprachgestaltung und Aussagekraft seiner Werke aus. Für damalige Zeiten war sie, den Wahrheitsgehalt betreffend, herausragend:5

Geschichte von der Autorität
Eine Dienstmagd ging aus mit den Kindern des Herrn. Sie erhielt den Befehl, sie gut zu bewachen. Aber siehe, die Kinder waren ungehorsam und liefen fort, so daß ihre Aufsicht umsonst und ihre Sorge eitel war. Darauf schuf sie aus dem Nichts einen schwarzen Hund, der jedes Kind beißen sollte, das nicht in ihrer Nähe bliebe. Und die Kinder waren in Furcht vor diesem Hund und wurden sehr gehorsam und blieben bei ihr. In der Überlegung ihres Herzens sah sie den Gott an, den sie gemacht hatte, und siehe, er war sehr gut. Doch die Kinder wurden wahnsinnig aus Furcht vor diesem Hund.
Und das sind sie geblieben bis auf den heutigen Tag.

Das bisher von Papenfuß-Gorek angefertigte (leider nicht gesammelt vorliegende) Werk ist derart umfangreich daß hierfür eine eigenständige Einschätzung angebracht wäre. Und das nicht nur unter literarischen, sondern auch linguistischem Aspekt. Bereits 1977 schrieb Richard Pietraß von ihm als einem Autor der zwei dicke Bände bereit liegen habe. Doch erst 1985 ist ein erstes schmales Bändchen von Papenfuß in West-Berlin erschienen. Ernst Jandl schrieb dafür das Vorwort, wo er abschließend feststellt:

Zu den bedeutendsten Vorzügen des Lyrikers Papenfuß-Gorek gehört es, daß er sich weder auf ein Zukunftsbild beruft welches, wie immer es aussähe, keinen Wirklichkeitswert besäße, noch aus sich selbst und seiner Einsamkeit ein Modell macht das für alle zu gelten hätte.6

In diesem Buch findet sich auch der Text „Les Art Des Zirkus“, der wie eine Beschwörungsformel endet:

(…)
Moder Des Diwell Fon Gelderland
Die Jungen Reifen Des Uniwersumpfs
Widersetzen Sich Dem Alten Machthalter
Alles Age Mischief Les Art Magike.

Michael Meinicke: „Junge Autoren“ in der DDR 1975–1980, drei-Eck-Verlag, 1986

Wortlaut

klartext

eine gesprächsaufzeichnung, die sich, wie folgende, um eine authentische wiedergabe des wortlautes bemüht, bedarf kaum atmosphärischer voraussagen. ihre kommunikationsfähigkeit befindet sich diesseits autonomer sprachgebiete. als wortgetreues abbild spricht es für sich. unerhebliche oder zu weitschweifende äußerungen wurden gestrichen. weitere kürzungen sind denkbar, aber das gespräch muß fließen. es ist nicht überflüssig und nicht doppelt. auch dann nicht, wenn erst zwei gespräche einen umfassenden text ergaben. da bert papenfuß-gorek den zweiten und ich den ersten gesprächsteil vom tonband übertragen haben, entstanden, überraschenderweise, voneinander abweichende diktionen, und der ton macht den text. „beschoenige nichts aber betoenige wichtiges“ war unverkennbar eine verbindliche arbeitsanleitung. nicht ausgesprochene oder unverstandene stellen sind andeutungsweise durch drei punkte gekennzeichnet, ansonsten gilt „jedes wort ist antwort“. daß es überhaupt möglich war, bert papenfuß-goreks arbeit außerhalb „ferdichteter“ texte zu erfassen, ohne ständig aus seinen gedichten zu zitieren (ein interview ohne autor schien mir anfangs beinahe denkbarer), betrachte ich als bemerkenswertes zeichen von offenheit.
auskunft über die wahrgenommene gesprächssituation möge eine im anschluß an das erste interview geführte verständigung geben. die entsprechende passage sei abschließend zitiert.

Bert Papenfuß-Gorek: Ich kann mich emotional sehr gut mit jemandem verständigen und wir reden über das Wetter. Es ist wirklich wichtiger Wie als Was. Das enthält für mich mehr Informationen als der Gegenstand der Erörterung.

Egmont Hesse: Das macht unser Gespräch z.B. schwierig.

Papenfuß-Gorek: Schwierig ist, daß du weißt, daß ich so denke.
Dynamische Aspekte in dem Gespräch, Gestik und Mimik können wir leider nicht aufnehmen, ich hatte mir das so vorgestellt, aber da wir da auch nicht allzuviel an den Tag legen, ist das nicht erheblich. In dem Gespräch hätten z.B. Beschreibungen auftauchen müssen wie: sucht händeringend nach dem Wort, raucht die ganze Zeit. Das wären Hinweise auf die Eigendynamik gewesen, die das Gespräch hat. Mich interessiert nicht ein hinterher irgendwie festgelegtes Statement, sondern der Prozeß des Gesprächs, als Indiz für seine Dynamik.

1. Gespräch

Hesse: Ist Sprechen für dich eine Kunst, die buchstäblich der „sagart“ deiner Texte entspricht?

Papenfuß-Gorek: Beim Schreiben ist es so, daß … also, man arbeitet irgendwie konzentriert an einem Gedanken, an einem Gefühl, während, in normalen zwischenmenschlichen Kommunikationen läuft alles viel diffuser ab, du achtest auf die Gestik, Mimik, daraus erfährt man mehr als aus dem, was gesagt wird. Also aus dem Wie erfährt man eigentlich viel mehr als aus dem Was, Und beim Schreiben ist ja kein, kein Gesprächspartner da und die Gefühle können sich klarer artikulieren ohne diese diffuse Gesprächssituation.

Hesse: Die Ablenkung ist…

Papenfuß-Gorek: in dem Sinne ist es Ablenkung. Aber eigentlich ist diese Ablenkung das Leben, das Wichtige, was wirklich auch entscheidend ist, so zwischenmenschlich. Aber beim Schreiben gilt das eben nicht, da ist man allein, und kann insofern viel konzentrierter arbeiten an dem Gefühl; das man ausdrücken möchte, und darum gehts ja.

Hesse: Es geht darum, ein Gefühl ganz klar und deutlich auszudrücken, ohne Ablenkung?

Papenfuß-Gorek: Ja, mit der dem Gegenstand adäquaten Ablenkung. Also ich, wenn ich ein Gefühl ausdrücke, dann ist da nicht nur ein Gefühl, sondern oft auch ein Geflecht von Sachen, oder es werden Sachen gegeneinander gestellt, das könnte man auch als Ablenkung bezeichnen, aber das ist dann eben eine gewollte oder gemachte Sache, ’ne komponierte, wenn du so willst.

Hesse: Das ist dann das, was den Text auch weiterbringen soll, ihn auffächert?

Papenfuß-Gorek: Ja.

Hesse: Und…

Papenfuß-Gorek: Emotion bedeutet ja Hinausbewegung, also daß man, was drin ist, raus bringt. Und danach … dann kommen die Gedanken. Und die Gedanken wiederum komponiert man, später kommt dann vielleicht auch ein anderes Gefühl dazu, und die werden zueinander in Beziehung gesetzt.
Aber das hat eben seine eigene Gesetzmäßigkeit, seine Eigendynamik.

Hesse: „Eigendynamik“, das ist sicherlich ein Wort, das hier zutrifft. Hast du einmal verfolgt, wie sehr dich da was … also wie klar ein Text von vornherein in dir ist, bevor du ihn aufschreibst?

Papenfuß-Gorek: Shelley sagt, daß man, was ich auch glaube, daß man das Gedicht, was man schreiben wollte, nie schreiben wird. Man wird nie ein Gedicht so schreiben, wie man’s gefühlt hat.

Hesse: Das Gedicht existiert als Phantom, dem man hinterherjagt?

Papenfuß-Gorek: Und zwar mit unzulänglichen Mitteln, mit rationalen Mitteln, und die sind eigentlich unverhältnismäßig.

Hesse: Das leuchtet ein, obwohl man sich wahrscheinlich auch davor hüten sollte, genauer zu beschreiben, was das Gedicht vorm Gedicht ist. Davor ist es ein Gefühl…

Papenfuß-Gorek: davor ist es ein Gefühl. Das ist sehr schwer mitteilbar, vielleicht nur Leuten mitteilbar, die man sehr gut kennt, und die können das wahrscheinlich auch eher an der Gestik und Mimik erkennen, denn Worte sind dafür, glaube ich, unzulänglich. Schreiben ist eigentlich wirklich nur, … ist irgendwie ein Kampf um … was, um Liebe, es geht um Liebe, prinzipiell glaube ich, aber mit unzulänglichen Mitteln, also mit rationalen Mitteln. Du weißt genau, du wirst mit den auch sonstwie geschickt angewandten Worten nicht das bekommen, was du möchtest. Und, aber der Prozeß des Schreibens ist natürlich auch wichtig, dabei entstehen neue Sachen, das ist eben das, was ich mit der Eigendynamik meine, die das Ganze dann bekommt.

Hesse: Und daß es dann so ist, daß zutrifft „in gedichten kann man radikal fuehlen lernen“. Das ist so ein Satz, der doch bedeutet, daß man…

Papenfuß-Gorek: daß man sich im Prozeß des Schreibens eigentlich auch über den Ursprung der Gedanken klar wird, über das Gefühl, daß man das Gefühl genauer lokalisieren kann durch das Um-Schreiben. Weißt du, durch das Umschreiben kann man das Gefühl genauer lokalisieren, wenn man es will, aber man will es nicht immer. Ich bin … tendiere mehr dahin, es zu wollen, aber bei anderen Leuten ist es durchaus so, daß sie das nicht einkreisen wollen, sondern die haben viel mehr Spaß am Umgang mit Masken. Und mein persönlicher Wahnwitz besteht eben darin, daß ich wirklich immer, meistens jedenfalls, versuche, die Sache zu umschreiben und für mich zu lokalisieren.

Hesse: Und warum willst du… umschreiben heißt… heißt das auch eine Sache zu treffen?

Papenfuß-Gorek: Man kann die Sache nicht genau treffen, das ist eine Emotion, ich kann sie nicht genau treffen und das ist das Handicap der rationalen Methode.

Hesse: Ja, und sind… rationale Methode. Gibt es Möglichkeiten der Aufhebung z.B. durch Lesen, Aktionen mit Gedichten? Wäre das eine Möglichkeit oder ein Versuch?

Papenfuß-Gorek: Das Agieren der Gedichte? Schon eine ganz normale Lesung, die ein Dichter macht, ist bereits ein Agieren, weil, du hörst die Modulation der Stimme, das Tempo, du kannst ihn auch sehen, wie er sich bewegt, wie unsicher er an bestimmten Stellen ist, wie sicher an anderen und sowas, all das enthält doch Informationen, umschreibende Informationen, die sich in dem Fall mehr oder weniger direkt mitteilen können im Zwischenmenschlichen, das ist wichtig daran, deshalb habe ich auch immer gern Lesungen gemacht.

Hesse: Wie…

Papenfuß-Gorek: ich wollte einfach das Ganze erlebbar machen, das war, glaube ich, auch der Impuls dafür, als ich damals anfing, mit den Musikern zusammenzuarbeiten, daß mir aufgefallen war, daß die Leute rational zu viele Barrieren haben, an die Texte ran zu kommen, und dann war meine Idee, einfach das Ganze erlebbar zu machen. Jetzt nicht in dem Sinne, daß ich so ein Happening, mehr oder weniger inszenierte Sachen mache, sondern, daß … ich meine, beim Happening und diesen Sachen wird mit viel Brimborium gearbeitet, mit vielen Masken, ich will das nicht negativ abwerten oder so, aber darauf kam es mir nicht an, ich habe nicht besonders viel Spaß am Umgang mit Masken, ich bin, ich habe es schon gesagt, jemand, der es wissen will, wobei Wissen eine unzulängliche Methode ist.

Hesse: Du müßtest eigentlich etwas anderes machen als schreiben?

Papenfuß-Gorek: Hm.

Hesse: Gab es, oder gibt es diese Alternative beim Schreiben, was sich dagegen wehrt? Und nicht nur wehrt, sondern auch einen (unterbewußten) Eigenkampf führt? Der Kampf mit der Sprache, dieses „in den kampf zmetter-lingue“, ist das am Ende nicht doch ein Anrennen gegen Windmühlen?

Papenfuß-Gorek: Schreiben ist für mich verhaltene Zwischenmenschlichkeit. Jede Gesellschaftsformation hat eben bestimmte kommunikative Konventionen, ich glaube, daß viel von dem, was Dichter sich seit Jahrtausenden bemühen auszudrücken, in diesen Kommunikationskonventionen nicht auszudrücken ist, deswegen probieren sie es mit Gedichten, insofern ist es natürlich wirklich ein Kampf gegen Windmühlen, weil jeder weiß, sollte es wissen, oder die meisten ahnen oder wissen es auch sehr genau, daß es wirklich die unzulänglichen Mittel sind, die man einsetzt. Im Laufe der Jahre wird man aber mehr oder weniger geübt im Umgang mit Sinnlosigkeit. Also man … jeder entwickelt so seine Methode, mit dieser Sinnlosigkeit umzugehen, man kann es stilisieren, man kann es zum System machen, man kann anfangen, mit Masken zu arbeiten oder… oder eben nicht. Dann ist es aber schwieriger, das ist, glaube ich, das was ich tue, das ist mein Experiment, das ist mein Leben, mit dem ich experimentiere, ich sehe mich nicht als Experimentator an der Sprache, sondern das ist mein Leben. Diese Art der Entäußerung sind Sachen, die ich ansonsten nicht mitteilen könnte, wofür ich keinen Gesprächspartner habe, wofür es wahrscheinlich auch gar keinen gibt.

Hesse: War das mit Beginn deines Schreibens, vor nun fast 15 Jahren, schon so? Ich könnte mir vorstellen, daß es da noch größere Chancen zur Kommunikation gab, warst du doch im Umgang mit dem Material von Sprache noch nicht so „ferdichtend“ weit gegangen?

Papenfuß-Gorek: Ich wollte damals meinem Lebensgefühl Ausdruck geben, eigentlich nicht nur meinem Lebensgefühl, sondern auch dem meiner Bekannten, des Freundeskreises, und das ist mir nicht gelungen. Bis 18/19 ist es mir überhaupt nicht gelungen, Sympathien für diese Art Entäußerung zu bekommen von den Leuten, die ich damals kannte, deren Anerkennung wichtig war oder worum es ging.
Wir waren eine recht angenehme Gesellschaft, wir haben uns prima verlustiert die Zeit über, aber, diese Anerkennung der Schreiberei, die für mich damals wichtig gewesen wäre, kam nicht von den Leuten und nicht in der Zeit, das kam später von Literaten. Und ich war … damals war es auch so… also ich habe meinen Entwurf dieser Entäußerung für so kühn gehalten, daß er niemals, meiner damaligen Meinung nach, mit Kunst in Verbindung gebracht werden könnte, das war für mich Lebensgefühl, und Kunst ist für mich eine Kategorie des Oberbaus und ich war Anarchist und ich wollte auch nicht daß es Gedichte sind. Deswegen habe ich in der frühen Zeit alle Bezeichnungen dieser Art abgelehnt.

Hesse: Und dafür neue, wie z.B. unmutstoene, gefunden?

Papenfuß-Gorek: unmutstoene, das ist aus einer späteren Zeit, das ist ja aus dem Popalbum, Unmutstöne sind Reimformen, die Walther von der Vogelweide benutzt hat, um seinen Unmut auszudrücken, das ist ein tradierter Begriff aus der Literaturwissenschaft, das war später, von der Zeit rede ich jetzt aber nicht. Damals, wenn ich gefragt wurde, was ich tue, was das soll, was ist das, habe ich gesagt: das ist ARK.

Hesse: Das war der erste Begriff…

Papenfuß-Gorek: Das war das Wort, das ich dafür benutzt habe.
Mit meinem 2. Band till ließ die Kühnheit aber irgendwie nach, beim 3. Band harm habe ich schon das Wort ARKDICHTUNG benutzt, dann war es nicht mehr weit, das ARK überhaupt wegzulassen, was ich dann infolge getan habe.

Hesse: Mittlerweile hast du also eine Vorstellung von Dichtung gewonnen?

Papenfuß-Gorek: Ich glaube, was mich unterscheidet von anderen, die schreiben, ist das Fehlen einer literarischen Beflissenheit, die für die anderen wichtig ist.

Hesse: Was meinst du mit literarischer Beflissenheit?

Papenfuß-Gorek: Daß sie sich nicht nur, wohin ich tendiere, um ihre eigenen Erfahrungen kümmern – Kümmern! das ist eigentlich auch ein tolles Wort −, sondern um Literatur überhaupt. Das bringt verschiedene Sachen mit sich, dann macht man Nachdichtungen, dann wird man Herausgeber, dann wird man aktiv. Dieser Aktivismus, den ich selbst auch einige Jahre lang an den Tag gelegt habe, ist eigentlich nicht mein Metier. Die Geschichte meiner ersten drei/vier Bände ist im Prinzip die Geschichte eines Kompromiß und des Nicht-Ausleben-Könnens und des Verfallens in Aktivismus, deswegen haben wir ja vor Jahren diese ganzen Veranstaltungen gemacht, deswegen habe ich mich daran beteiligt. Die anderen hatten andere Motive.

Hesse: Wolltest du in dieser Form etwas nachholen, was in den Bänden nicht enthalten war oder lebendiger werden sollte? War es womöglich sogar notwendig, aufgrund deiner damaligen Texte, diesen Aktivismus entstehen zu lassen?

Papenfuß-Gorek: Dieser Aktivismus begann für mich mit dem 3. Band 1977, da begann für mich auch diese aktivistische Phase, du weißt, von dem Manuskript rede ich heute als Popalbum, das ist der Band harm, der da erschienen ist, es ist nicht so, daß ich den nicht gut finde. Es ist auch nicht gelogen darin, aber es ist zuviel darin unterschlagen, ich habe die Publikumserwartungen kennengelernt, ich wußte, daß eine bestimmte Abgründigkeit oder Tiefgründigkeit, die mir eigen ist, ich nicht mitteilen kann, deshalb habe ich die unterschlagen und rede somit von harm als meinem Popalbum. Nur wegen dieser relativen Oberflächlichkeit war es möglich, damit aktivistisch hervorzutreten, Lesungen zu machen, lyrisch-grafisch zu arbeiten oder Gemeinschaftslesungen zu machen. Es gab ’ne Zeitlang bei mir die Bestrebungen, mehr Leute zu erreichen. Das Experiment betrachte ich heute als gescheitert.
Mit den Heften TrakTat zum ABER oder den Poe-sie-all-ben, die wir gemacht haben, ging es weniger um mehr Leute, natürlich wurden die Sachen verkauft, wir hatten ja auch kein Geld, aber eigentlich ist es ein mitteilsameres Produkt als ein Buch.

Hesse: Durch die Aktualität, das Authentische?

Papenfuß-Gorek: Durch diese ganze Griffigkeit. Das ist kein kommerzielles Produkt, sondern etwas, wo noch andere als merkantile Sachen eine Rolle spielen. Du hast es wirklich eine Weile in den Händen gehabt und daran gearbeitet, auch manuell. Das ist etwas Entscheidendes, das ist wie ein Geschenk oder ja … der Unterschied zwischen Ware und Geschenk. Nun kann natürlich eine Ware zum Geschenk werden, wenn ich sie mit bestimmten subjektiven Sachen versehe, aber diese Hefte waren immer mit sehr vielen subjektiven Sachen versehen, das war das Interessante für mich, ich mag Manuskripte viel lieber als Bücher, auch heute. Wenn Stefan Manuskripte von sich gibt, dann ist das wichtiger, als wenn er, in mehreren Jahren nehme ich an, wird er das tun, ein Buch von sich gibt. Ich bin ein bißchen faul im Abtippen, aber ich selbst gebe lieber Manuskripte von mir weg. Der Charakter der Gabe ist da noch ziemlich unverhüllt.
Natürlich ist in einem konventionellen Gedichtband auch die Gabe enthalten, sie ist drin irgendwo, während die Manuskripte oder kleinen Hefte doch insgesamt eine Gabe waren, und Gabe wiederum ist für mich eine entscheidende Sache beim Schreiben, weil, wenn ich etwas schreibe oder geschrieben habe, dann ist das eine Gabe, und ich erwarte eigentlich auch, etwas dafür zurückzubekommen, und ich bekomme auch irgendetwas zurück, natürlich nie das, was ich wollte, das ist, was ich vorhin beschrieben habe mit der Sinnlosigkeit. Das ist so ein Harren auf eine Rückgabe, von der ich genau weiß, daß sie niemals stattfinden wird.

Hesse: Außer vielleicht durch das Gedicht selbst, das dir sein, ich weiß nicht was, zurückgibt?

Papenfuß-Gorek: Nein, das Gedicht gibt mir nichts. Nein, nein, ich möchte kommunikative Sachen zurückhaben, Kommunikation ist sehr viel, Zwischenmenschlichkeit im weitesten Sinne, es gehört alles dazu: Sexualität, Verständnis, Sympathie, ganz einfach Liebe. Ja, das ist es, worum es hier geht, glaube ich. Später, nachdem man herausgefunden hat, daß man das nicht bekommt, dann kann man sich auch mit Geld bescheiden, dann findet man eine Möglichkeit, mit Geld umzugehen, sich ersatzbefriedigen zu können.

Hesse: Ein sehr pophaftes Verhalten.

Papenfuß-Gorek: Das ist vielleicht auch noch ganz interessant. Was man auch in meiner Schreiberei spürt: die Ambivalenz zu Pop. Auf der einen Seite scheint populäre Kultur für mich eine große Rolle zu spielen, also ich laufe rum wie ein Rockmusiker z.B., konsumiere relativ viel Pop, und man kann mich gar in Kaffees Schlager mitsingen hören, also nicht die ganz schlechten, aber doch relativ schlechte. Was ich jedoch tue, ist relativ Unpop, ich nehme sogar an, daß es gar nicht zu populären Zwecken ausschlachtbar wäre. Das ginge, glaube ich, nicht. Das liegt wohl in der Natur des Pop. Meiner Meinung nach kann man mit Pop gar keine Gefühle ausdrücken, ich will aber Gefühle ausdrücken. Pop, sagen wir Popkultur, es gehört viel dazu, auch Dichtung gehört zu Pop, aber für mich das Charakteristische ist, daß Pop nicht so sehr am Ausdruck des Gefühls interessiert ist, sondern am geschickten Umgang mit Attitüden. Da sind eben die Popstars mehr oder weniger geschickt. Mick Jagger ist sehr geschickt. Bei anderen bewundere ich, daß neben den Attitüden noch ein Gefühl existiert, zwar ein sehr diffuses, das mich aber trotzdem trifft, meine Bestrebungen sind eigentlich diametral dazu. Nicht geschickt mit Attitüden umgehen, obwohl ich ständig dazu gezwungen bin, Sprachmuster sind irgendwo natürlich Attitüden, aber daneben-oder-darüber-hinaus-oder-eigentlich geht es mir nicht um die Attitüden, sondern um das, was dahinter ist.

Hesse: Und wenn du sie benutzt, dann…

Papenfuß-Gorek: muß man sie sehr geschickt benutzen.

Hesse: Worauf es dir ankommt.

PAUSE

Hesse: Wir haben ausgehend von dem Satz „in gedichten kann man radikal fuehlen lernen“, eine ganze Menge über Gefühl, Sinnlichkeit gesprochen und könnten bei der Frage nach dem Über- oder „abersinn“ angekommen sein.

Papenfuß-Gorek: Welche meinst du?

Hesse: Die letzte auf dem Zettel. Ist Sinnlichkeit ein Über- oder „abersinn“ papenfußscher Literatur. Ich meine, wir müßten noch etwas über Sinn und Sinnlichkeit sagen. Welche Beziehungen zwischen diesen beiden Polen menschlichen Ausdrucks existieren. Ein Wort wie „abersinn“ verführt dazu, diese Problematik daran festzumachen.

Papenfuß-Gorek: Ich muß mich immer befleißigen zu erklären, wie ich das Wort Vernunft verwende. Vernunft ist für mich die totale Sinnlichkeit. Es ist, bedeutet das Vernommene, das, was man mit allen Sinnen wahrnimmt, den Augen, Ohren, … aber auch mit der Rationalität, so verwende ich diesen Begriff, deswegen ist für mich Verstand, Verstand setze ich für Rationalität, ein Bestandteil von Vernunft. Über und Aber. „Aber“ hat in der deutschen Sprache sowieso meist die Bedeutung von „über“.

Hesse: „Aber“, das ist doch ein sehr wichtiges Wort für dich. 1981-86 hast du diskontinuierlich am TrakTat zum ABER geschrieben.

Papenfuß-Gorek: Ja, innerhalb meines Denkens spielt dieser Begriff eine Rolle. Ich glaube, ich bin darauf gestoßen bei dem Wort „Aberglaube“, als ich mich vor Jahren damit beschäftigt habe. „Aberglaube“, bei dem Wort ist es so, daß „aber“ für „über“ steht, also Überglaube. Es ist vielleicht… wir haben über Sinnlichkeit, Vernunft gesprochen… es gibt aber noch die sogenannten übersinnlichen Phänomene, das, was über den Rahmen der individuellen totalen Sinnlichkeit hinausgeht und was mich darüberhinaus noch interessiert, das ist für mich eine ganz wesentliche Sache, daher auch diese abstrusen Beschäftigungen, mit Okkultem z.B. Ich bin aber kein Okkultist und habe keine Ambitionen dazu, aber da darin Symbole sind, die über die Sinnlichkeit hinausgehen oder den Rahmen der Vernunft erweitern können, ist das interessant für mich. Deswegen spielt das „Aber“ so eine Rolle.

Hesse: Was du mit dem Übersinnlichen angeführt hast. Ist das nicht eine Gefahr? Du hattest vorher vom Erleben gesprochen, während du das Okkulte immer nur rational wahrnimmst.

Papenfuß-Gorek: Man kann Es überhaupt nur sehr schwer leben. Da hast du schon recht, aber wesentlich für mich ist, daß sich darin die Sehnsucht ausdrückt, Grenzen zu sprengen. Bescheidenheit, über Sachen bescheidzuwissen, Sachen erfahren zu haben, Grenzen abgesteckt zu haben, das ist es, was Bescheidenheit meint, aber jeder ist in sich verklemmt. Man kann nur weniger gut oder schlecht damit umgehen, ich möchte nicht damit umgehen, sondern einfach mehr erfahren, deswegen das Interesse an Übersinnlichem oder ein so starker Akzent auf dem Wort „Aber“, das ist nur ein Symbol dafür.

Hesse: Hier bestände jetzt die Möglichkeit, am Beispiel des TrakTat zum ABER über einen Zyklus deiner fünf Bände zu sprechen.

Papenfuß-Gorek: Das ist ganz gut, wir können darüber sprechen, das macht es nur noch plastischer, was wir eben gesagt haben. Es gab zu Anfang einen Grundkorpus von Texten für dieses Traktat. Das TrakTat zum ABER habe ich dreimal abgetippt. Es hat sich immer erweitert, deshalb hat es solche Einschübe wie Text 27 b, daraus wird nur ersichtlich, daß der später eingeschoben ist.

Hesse: Ich kann mich gar nicht erinnern…

Papenfuß-Gorek: Das kommt darauf an, was du für eine Ausgabe hast, das, was vor dir liegt, ist die Dritte. Dazu habe ich vor einiger Zeit offene feldarbeit geschrieben, als einen Appendix zum TrakTat zum ABER, und jetzt schreibe ich den Affen zum Appendix zum TrakTat zum ABER. Also auch in der Struktur immer noch darüber hinaus, es kommt ein Appendix und zu dem Appendix ein Affe.

Hesse: Und was ist ein Affe?

Papenfuß-Gorek: Affe. Ich denke, ich bin darauf gekommen, durch die Redewendung: man hat einen Affen, man hat sich irgendetwas aufgeladen, oder es wird auch für Rausch benutzt, man ist besoffen, das ist ein Rotwelschwort übrigens, Aph ist hebräisch, Zorn heißt das eigentlich. Wird aber im Rotwelsch benutzt für Betrunkenheit, „einen Affen haben“ ist aber auch soetwas wie sich unnütz Probleme aufgeladen zu haben oder eben meschugge zu sein, das meint man auch damit. Dann dieses TrakTat zum ABER oder dieser. Ich habe mich immer noch nicht entschieden. Es ist ja beides möglich.

Hesse: Mußt du dich da entscheiden?

Papenfuß-Gorek: Ich glaube, ich werde es irgendwann müssen, weil, wenn ich jetzt das endgültig abtippe, wird es eine Vorbemerkung geben, da habe ich dann keine Lust, den Artikel zu umgehen. Ich muß mir noch einmal darüber Gedanken machen. Im deutschen wird benutzt der Traktat und das Traktat. Ich tendiere aber mehr dazu, die Traktat zu benutzen. Es ist ja auch so geschrieben: „Trak“ und dann das T noch einmal groß.

Hesse: Ein wesentlicher Aspekt ist die Tat, ganz klar.

Papenfuß-Gorek: Tat ist für mich relevant aus der anarchistischen Agitationssprache, womit ik oft arbeite. Die Tat, die Bewegung usw., das sind Worte, die einen sehr interessanten Verlauf haben.

Hesse: Geschichtlich?

Papenfuß-Gorek: Ja, ja, erst von ’ner ganz revolutionären Bewegung benutzt wurden, dann adaptiert von den Faschisten, bis zur Vergasung ausgeschlachtet, und wie man heute damit umgeht, das interessiert mich daran. Also dieser TrakTat zum ABER, ich habe immer wieder Texte dazu geschrieben und wußte immer genau, daß diese Texte ins Traktat müssen, habe aber jetzt erst nach vier/fünf Jahren Klarheit, was das für Texte sind. Das sind Texte, die frech sind, wo für das auszudrückende Gefühl eine formale Grenze erreicht ist. Ich komm formal nicht weiter, und dann gibt es Grenzüberschreitungen, Frechheiten oder so was, die aber nicht konstruktiv sind, sondern provozieren, die bis zu der Grenze versuchen, die Grenze zu überschreiten, dann ist aber Schluß.

Hesse: Brechen dahinter zusammen?

Papenfuß-Gorek: So ungefähr. Oder, einmal ist mir diese formale Grenze aufgefallen und das andere, daß ich, … daß ich mehr gar nicht aus mir herausholen konnte. Die andere Begrenzung, die innere Begrenzung war eben meine psychische Konstitution, da konnte ich irgendwann nicht mehr tiefer, denn das ist eine sehr schmerzhafte Sache, wer mit Analyse oder so Erfahrung hat, wird wissen, daß es irgendwann einen Punkt gibt, den man dann doch nicht überschreiten möchte, das ist die innere Begrenzung und die äußere, die formale bis zur Destruktion hin, dann aber nichts danach, deswegen ist der TrakTat auch der erste Zyklus in dem Band, den ich schreibe, also das Konstruktive kommt danach. Der nächste Zyklus heißt dann Kanalisation in’s Darumsonst, was schon so etwas wie eine Direktive enthält.
Gut, jetzt habe ich ungefähr den TrakTat lokalisieren können. Das war für mich wichtig, irgendwann auf den Gedanken zu kommen und nicht nur… das geht mir aber oft so, daß ich intuitiv, emotional handle, auch schreibe und daß die rationale Reflexion irgendwann viel später kommt.

Hesse: Was ließe sich hier jetzt anschließen…

Papenfuß-Gorek: „in gedichten kann man radikal fuehlen lernen“. Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen. Dieses „radikal“ hat auch diesen Aspekt, es ist ja auch etwas, das erst mal tief ist, radikal – Radix – die Wurzel … daß man zu dem Ursprung der verbalen Aussage zurückkehrt, was heißt, zurückkehrt, ich bin doch niemand, der sich hinwendet oder zurückwenden will, ich will nicht zurück irgendwohin, sondern schon …

Hesse: Du willst es einfach mitnehmen?

Papenfuß-Gorek: Hm, ja.

Hesse: Du kannst es nicht vergessen oder zurückstellen, wo es in seinem Ursprung lag. Radikalität in einem anderen Zusammenhang ist doch etwas sehr Heutiges und für dich Entscheidendes?

Papenfuß-Gorek: Der Aspekt der Attacke gegen Konventionen ist mir ebenso wichtig wie der Aspekt der Tiefe, des Verwurzeltseins.

Hesse: Wir haben Attacke gegen Konventionen, und wir hatten den Kampf mit der Sprache. Der Aspekt des Militärischen in deinen Texten fällt mir da ein…

Papenfuß-Gorek: Wo stand das hier… Geraten dir als „selbstferteidiger form hohen gericht der geheimlichen gegensaetzer“ Gedichte paramilitärisch (so lautet deine Frage)? Ich würde sogar sagen militant, Rhetorik ist Militanz, und Auseinandersetzung mit Militanz ist für mich permanent, das hat ewig stattgefunden und findet auch jetzt statt. Ich weiß nicht, ob du das auch gelesen hast, ich habe ein Gedicht geschrieben über meine Herkunft, „klassen-abkunft“ heißt das, glaube ich, Gedichte, aus der militärischen Intelligenz, also ich kann meine Eltern nicht verleugnen, es war für mich auch eine wichtige Erfahrung, selbst beim Militär zu sein. Ich konnte mir klar werden über meine eigene Militanz und mein Verhältnis dazu. Nun ist das Brachiale der militärischen Militanz nicht das subtile der Rhetorik, aber es gibt viele Parallelen.

Hesse: Wo würden die liegen? Das ist für mich doch schwer nachvollziehbar.

Papenfuß-Gorek: Also bei der Gefühlsentäußerung wird irgendwann ein Punkt erreicht, wo die Intensität so groß ist, daß… Unanständiges nicht nur vernachlässigt, sondern auch unterdrückt wird. Das ist eigentlich schon Militanz, egal, ob man Leute unterbricht oder abkanzelt oder bestimmte Sachen in sich selbst verdrängt, was ähnlich negative Auswirkungen hat, wenn man Leuten das Wort verbietet oder sie überredet, wird man mit Folgen zu rechnen haben, aber auch mit jeder persönlichen Verdrängung wird man irgendwann konfrontiert werden. Das ist eine Gefahr, die hohe Intensität mit sich bringt. So hat das für mich eine Rolle gespielt.

Hesse: Dagegen wird auch angekämpft?

Papenfuß-Gorek: Es wird versucht, damit umzugehen.

Hesse: Es scheint ja etwas zu sein, was zu deinem Wesen gehört?

Papenfuß-Gorek: Die Militanz spielt für mich eine Rolle, ich setze mich damit auseinander und halte das auch für wichtig, ich glaube, es wäre besser, wenn mehr Leute über ihre Militanz mehr wüßten. Dann ist es natürlich auch so, daß dieses ganze Vokabular, dieses militante Vokabular enorm interessant ist, von der verdrängten Sexualität mal abgesehen, aber z.B. ach ja, man betont etwas „mit Nachdruck“. Nachdruck ist ein Wort, das kommt, im Mittelalter gab es diese Schweizer Spießgesellen, die waren berühmt, weil sie sehr gut gekämpft haben, die haben sich eingeigelt z.B., auch daher kommt das Wort „einigeln“. Viele Worte, auf „Nachdruck“ komme ich gleich noch einmal zurück, aus dem militanten Sektor sind eigentlich Worte für Gefühle, sie werden zur Beschreibung von Gefühlen benutzt. „Nachdruck“ war, wenn die Reihen marschierten, die erste Reihe hat dann die Spieße gesenkt und geht auf den Feind los, und die zweite Reihe übt auf die Vorderen einen Nachdruck aus, und die erste Reihe braucht diesen Nachdruck zur psychologischen Unterstützung, die müssen spüren, daß die anderen auch zum Kampf vorwollen, das ist der Nachdruck, das haben die Spießer damals als Nachdruck bezeichnet. Wenn eine Abteilung der Spießer abgesprengt wurde, dann haben die sich eingeigelt, d.h., sie haben sich zu einer Gruppe zusammengestellt und ringsherum ihre Speere aufgerichtet. So etwas interessiert mich, wie Worte aus dem militanten Sektor zur Beschreibung von Gefühlen benutzt werden oder… für Sexualität ist es auch ganz offensichtlich. Dafür gibt es sehr viele Beispiele, z.B. wird eine Frau „genommen“ wie eine Festung.

Hesse: Im Ganzen eine starke Verbindung von…

Papenfuß-Gorek: Diese verdrängte Emotionalität findet irgendwo ihre Heimstatt in der Militanz, der Armee. Die Armee, so ein Zuhause, ein abgeschlossenes System, das versorgt, nährt, kleidet.

Hesse: Fast wie eine Mutter.

Papenfuß-Gorek: Ja, natürlich, klar. Die Armee ist die Mutter.

Hesse: Du setzt dich mit politischen Phänomenen auseinander, was ist mit dem politischen Engagement?

Papenfuß-Gorek: Das ist nicht weniger geworden, aber auch nicht mehr, das war von Anfang an, es ist aber keine politische Dichtung in dem Sinne, weil … politische Dichtung setzt sich mit irgendwelchen sozial-politischen Sachen auseinander und sieht erst mal nur die Sachen und setzt sie zueinander in Beziehung. Bei mir entsteht das aber immer aus subjektiven Sachen heraus, inneren Prozessen, die sich irgendwann in gesellschaftlichen Prozessen niederschlagen und umgekehrt zwischen gesellschaftspolitischen Machtstrukturen auf das Individuum. Deswegen Texte, die einerseits sehr subjektiv sind und andererseits politisch engagiert, das Engagement ist natürlich radikal, es könnte nicht anders sein. Nun ist es aber auch nicht so … das mag alles einen sehr anarchistischen Eindruck machen, aber … ich denke nicht, daß ich Anarchist im landläufigen Sinne … landläufig ist sowieso ein ganz herrliches Wort, land-läufig. Ich bin mir erst vor kurzem darüber klar geworden, ich habe oft gedacht, daß hieße eigentlich langläufig und habe irgendetwas mit langweilig zu tun, so in meiner kindlichen Auffassung. „Landläufig“, durch Anarchismus war ich irgendwie darauf gekommen, ich glaube, es ist eher noch … obwohl ich ja inzwischen fast mehr ein Monarchist bin, zwar Monarchist des Herzens, aber immerhin. Nein, das war Quatsch, Spaß beiseite. Das Dialektische ist sehr wichtig für mich und die Auseinandersetzung. Ja/Nein, nein interessiert mich eigentlich gar nicht so, sind Endpole, ich habe schon über Grenzen gesprochen, Grenzen haben nun mal diese magische Anziehungskraft, gebrochen werden zu wollen. Und Anarchismus hat eine starke Radikalität im Anfechten, und das ist, glaube ich, das, was mich daran interessiert.

2. Gespräch

Hesse: Wir haben beim TrakTat zum ABER von Worten gesprochen, die einen für dich sehr interessanten (geschichtlichen) Verlauf haben. Arbeitest du mit der Behauptung: eine Zukunft des Wortes ist seine Herkunft?

Papenfuß-Gorek: Ich bin kein Philologe und kein Linguist, habe auch gar nicht die entsprechenden Nachschlagewerke zur Verfügung. Ich interessiere mich natürlich für die Etymologie, aber nicht in jedem Falle, und ich glaube auch dann nicht landläufig wissenschaftlich. Was mich an „landläufig“ (im 1. Gespräch) interessiert hat, war nicht sein etymologischer Aspekt, den kenne ich gar nicht; da spielt für mich ’n Bild ’ne Rolle. In anderen Fällen ist es anders, aber in diesem erst das Bild, ein Bild von Bosch, das’n Strolch zeigt, der sich ab- & Neuem zuwendet, es heißt Der Landlaper. Das war für mich ’ne Inspiration …

Hesse: Das ist bei dem Wort so, du hattest gesagt, daß du eventuell sogar ’n Gedicht drüber schreiben würdest, was könnte dann außer dem Bild noch inspirierend wirken?

Papenfuß-Gorek: Ich spreche über’n Text, den ich noch nicht geschrieben habe, und wo gar nicht hundertprozentig feststeht, ob ich den schreibe, aber, als mir das Wort auffiel, war eben dieses Bild vom Landloper da, ein anderer Aspekt ist die Läufigkeit, also Geilheit, in diesem Sinne wohl Geilheit auf ’was Neues (landläufig auch Neugier genannt), vielleicht auch läufig in dem Sinne, daß man Altes nicht verdauen will und kann und sich deswegen Neuem zuwendet. Läufigkeit ist mit negativen Aspekten belastet, läufig wie eine Hündin … läufig – geläufig, diese Eingeschliffenheit. Ich hab Notizen dazu, ich muß mal kucken.
Hier sind Notizen, die sich auf mittelalterliches beziehen, die, wenn ich den Text überhaupt schreibe, gar nicht drin stehn müssen, hier steht z.B. „Hanfkrause“ und „Holzstoß“; mit einer Hanfkrause wurden Hexen oft gebrandmarkt, ihnen wurde eine Hanfkrone aufgesetzt, die mit Öl oder Benzin oder was getränkt und dann angesteckt (wurde), von den Verbrennungen wurden sie oft wahnsinnig. „Holzstoß“, Scheiterhaufen also, … die andere Notiz dazu ist „wan ich ein fant war / wan ich den knüttel schwang“ – das sind Sachen, die sich auf den Landloper beziehen. Hanfkrause ist auch deswegen interessant, weil natürlich Hanf im Mittelalter für Stricke verwendet wurde, in vielen Metaphern aufkreuzt, die irgendetwas mit Hängen zu tun haben, „hanfene Braut“ z.B., der Strick, den der Delinquent umgelegt bekam, und andererseits ist Hanf natürlich Haschisch, auch der mitteleuropäische ist ja durchaus …

Hesse: … genießbar, und all diese Sachen spielen dann darein und grenzen es thematisch ab, es ist ja alles sehr (unverständlich), es ist das Mystische der Hexen drin, es ist…

Papenfuß-Gorek: es ist ’ne ziemlich diffuse emotionale Skizze, der Anstoß war das Wort „Landlauf“, dann, was relativ selten vorkommt, daß ich gleich ’n Bild dafür hatte, dann Assoziationen dazu und daraus ergibt sich erstmal nur dieses diffuse Etwas, dem ich, wenn ich in nächster Zeit über genügend Energie verfüge, nachgehen werde, vielleicht werde ich abgelenkt, vielleicht wird es auch einfach ’n schlechter Text, in dem Sinne, daß die Umschreibung nicht trifft, dann muß ich’s verwerfen.

Hesse: Hm, mehr könnten wir sicherlich erstmal über Inspiration und ähnliches nicht sagen…

Papenfuß-Gorek: Inspiration, du meinst auch Inspiration zum Schreiben überhaupt?

Hesse: Ja, genau.

Papenfuß-Gorek: Also auch Leute, die mich inspiriert haben…

Hesse: Na ja, ich möchte ja nun nicht wieder die Väterreihe aufgemacht wissen, schon gar nicht von dir selbst.

Papenfuß-Gorek: Das ist auch gar nicht besonders wichtich für mich, sicherlich war irgendwann mal ’n Autor wichtich für mich, irgendwann dann vergeß ich sie wieder, es sind zentrale Figuren, die für mich ’ne Rolle spielen, also Till Eulenspiegel auf der einen Seite, ’n Extremist in Trauer und Lust, und ’n anderes Bild ist Shelley, jemand, der gute Beziehungen zu Gott hat, Gott in dem Sinne, daß das Entäußerte, das Gefühl, daß Gott überhaupt ein Gefühl ist, man hat nicht direkt ’ne Beziehung zu Gott, sondern: man hat Mittler dafür, Elementargeister, Elfen sind Medien zwischen Innen und Außen, sie sind nur Mittler, aber als solche natürlich wichtig.

Hesse: Sie tauchen sehr oft und in regelmäßiger Folge in deinen Texten auf, da haben sie auch diese Bedeutung?

Papenfuß-Gorek: Ja, ’ne andere Inspiration, also das kreuzt sich jetzt mit dem, sind Drogen, Drogen machen wiederum Kontakt zu den Elementargeistern, mit bestimmten Drogen erzielt man bestimmte Phänomene, wenn ich z.B. die Drogen nehme, die im europäischen Mittelalter genommen wurden, Atropin, Fliegenpilz, dann bekomm ich Kontakt zu den Mittlern, die damals verwendet wurden, dann seh ich die Wesen, die Bosch gemalt hat, nicht nur ich sehe sie; wenn man nicht besonders verschreckt ist, sondern damit umgehen kann, dann kann dieser Umgang was aus einem hervorholen, es ist durchaus eine Inspiration.

Hesse: Du hattest schon mal das kollektive Unterbewußtsein genannt.

Papenfuß-Gorek: Ich denke, daß es eine Schicht gibt, eine vielleicht spezielle europäische Verdrängung, die durch die Droge angesprochen wird, die Wesen dieser Region, die Elfen, Zwerge und auch oft gräßlichen Wesen können Kontakt machen zu Gott, also zu dem Gefühl, das ist aber eigentlich der Weg zu sich selbst, also: das Gefühl adäquat ausdrücken, sich über sich sicher zu werden, sich über sich sicher zu werden, sich Über-Sich…

Hesse: Sich über sich, ja, und da sind wir schon bei diesem „egozentrischen weltbild“. Ist das ein Stichwort für eine poetische Kosmogonie? Gott, … Begriffe die gefallen sind, die aus der Erkenntnis resultieren, daß du schreibst „ich fühle mich im ganzen wohl“.

Papenfuß-Gorek: Wo steht das mit dem „egozentrischen weltbild“, weißt du, in welchem Text?

Hesse: Von manchen hab ich’s mir aufgeschrieben, aber wo das her war…

Papenfuß-Gorek: Na gut, wir müssen’s jetzt nicht suchen. Es war ironisch gemeint, vielleicht können wir den später noch finden und ein Zitat daraus einschieben – („toilette, toilette an der wand / wer ist denn nun der beschissenste / im ku-klux des egozentrischen weltbildes“ aus rundlauf in hut) −, es war eigentlich eher ein Vorwurf, aber ich habe den Begriff verwendet „egoist aus leidenschaft“, der ist subjektiv in dem Sinne, daß ich mich anderen gegenüber nur dann adäquat verhalten kann, wenn ich mir über mich sicher bin, es heißt in dem Gedicht, mein credit ist das, „egoist aus leidenschaft“ und als Gegenpol dazu „ihr altruisten aus neidsucht“.

Hesse: Also werden Positionen aufgemacht. Tja, was fehlt jetzt noch?

Papenfuß-Gorek: Meine wichtigste Inspiration fehlt noch, die werde ich aber erst bekanntgeben, nachdem ich mir ein weiteres Bier geholt habe.
Nein, nicht das Bier, sondern: Ent-Täuschung, ich hab mich mit dem Begriff lange beschäftigt in den Zyklen, die du weniger kennst, also Kanalisation in’s Darumsonst, AtionAganda und dieses, wie hieß das noch, schaum & rauch (pest sowohl als strom), also Ent-Täuschung in dem Sinne, daß ’ne Täuschung durchschaut wird, man klar sehen kann. Ich hab, als ich anfing zu schreiben, ’ne Floskel mit mir rumgeführt, die lautete „mit Tränen in den Augen kann man klarer sehen“, egal ob Tränen des Lachens oder Tränen des Schmerzes, und ganz abgesehen davon, daß ich natürlich kurzsichtig bin und sowieso irgendwelche Linsen brauche. Die Enttäuschung ist sehr wichtig und auch ihre verschiedenen Aspekte, die Befreiung auf der einen Seite, und der Schmerz, der auf der anderen damit einhergeht, ’n bißchen Masochismus gehört zum Schreiben schon dazu, Verzicht ist wohl ein besseres Wort dafür.

Hesse: Sadismus, Masochismus, es gibt kaum was an Gefühlsäußerungen durch Schreiber…

Papenfuß-Gorek: Ja, daher rührt auch meine maßlose Überschätzung von Dichtung. Ich seh’s fast als Primärkunst, hab oft Schwierigkeiten im Umgang mit den anderen Sparten, weil das Fühlen des modernen mitteleuropäischen Menschen sehr geprägt wird von Worten. Honza hat’s auch formuliert, er regt sich darüber auf, er sagt „und auch Sex wird letztendlich durch Worte nur gestört“. Seine Formulierung ist o.k. Nicht nur unser Denken wird stark durch Worte geprägt (die Passage, in der ich erzähle, wie mir 16jährigem Heidegger über’n Weg lief, ist irgendwie aus dem ersten Gespräch verschwunden), sondern auch unser Fühlen. Mir passiert es, zu merken, daß dieses Gefühl, daß ich gerade habe, ein Troubadour gemacht hat, im 12. Jahrhundert. Auch Stefan ist sehr prägnant in der Wortwahl, und so geschickt, daß ich mich bei Gefühlen ertappte, die er gemacht hat.
(Das alles ist unzulänglich genug, lassen wir’s damit aufschließen, bzw. bewenden.)

Dieses Gespräch wurde im Januar 1987 geführt.
Erschienen in: Egmont Hesse (Hrsg.): Sprache & Antwort. Stimmen und Texte einer anderen Literatur aus der DDR, S. Fischer Verlag, 1988.

 

Meine Leute im Osten

(…)

Mit dem Dichter Bert Papenfuß-Gorek wurde ich über eine vielgliedrige Kette von Freunden und Freundesfreunden bekannt gemacht. Papenfuß, damals mit Haaren bis zur Hüfte, mit seinem Interesse für Kelten, Rockmusik, Captain Beefheart und Okkultismus, erinnerte mich angenehm an die sechziger Jahre, die Zeit, als ich Schüler in Sacramento war. Es war wohl dieses Verjüngungsgefühl, nicht etwa nüchternes literarisches Interesse, das Bert zu meinem engsten Freund in Ostberlin werden ließ, denn mit Berts außergewöhnlichen, herausfordernden Texten konnte ich zunächst nichts anfangen. Doch Bert war bereit, seine Methoden, Absichten und Spiele am Textdetail zu erläutern. Ich merkte bald, daß dieselben Qualitäten, die mich an ihm faszinierten, auch in seinen Texten sind. Ich bilde mir gern ein, durch den Kontakt mit Berts „Arkdichtung“, wie er damals seine Schreibweise nannte, mein eigenes Repertoire an Stilmitteln erweitert zu haben.

Freiheit ist die Entdeckung, daß etwas möglich ist (Fritz Perls).

(…)

Einmal gab eine kleine Privatdruckerei in Dresden Bert den Auftrag, eine Lyrik-Grafik-Mappe zusammenzustellen. Er bat mich, die Grafiken zu machen. Ich wollte immer ein Projekt durchführen, das Pharao Echnatons Sonnengott Aton mit dem Thema Sonnenenergie verbindet. Bert las gerade Freuds Der Mann Moses, das Moses und damit unsere Zivilisation von Echnatons Reformbewegung ableitet. Also entschieden wir uns, „Aton Notate“ anzufangen.
Unser Projekt war mit so vielen günstigen Zufällen gesegnet, daß ich fast abergläubisch wurde. Wir entdeckten, daß fast die gesamte erhaltene Kunstproduktion der Echnaton-Epoche in Berlin lagert, geteilt zwischen den östlichen und westlichen Ägyptischen Museen. Also waren wir in der einmaligen Lage, zusammen Eindrücke sammeln und Recherchen machen zu können. Unscheinbare Details im Alltag sprachen wie Zeichen zu unserem Thema, und das Projekt nahm wie von selbst Gewicht, Breite und Form an. Eine engere künstlerische Zusammenarbeit und eine vergnüglichere habe ich nie erlebt.
Wir wurden von den Druckern nach Dresden eingeladen und verbrachten mit ihnen Stunden im Gespräch über Lyrik, Malerei, Musik und unser Projekt. Die Kinder der Gastgeber fragten mich dauernd aus, wie in den USA die Schulen seien, wie die Musik, wie das Straßenbild, die Landschaft. Es war angenehm, ein Exot zu sein.
Bert verarbeitete unsere sprachlichen Ideen zu Texten, ich die visuellen zu Radierungen. Doch wir bekamen keine Druckgenehmigung, nicht einmal für eine 50er Auflage, wie sie für unser Projekt geplant war. Die erste Begründung dafür war, daß Berts Texte nicht aus „richtigen Sätzen“ bestünden. Der Amtsmann schlug ein zufällig herumliegendes Buch auf, um Bert zu zeigen, wie „richtige Sätze“ aussehen. Eine andere Instanz meinte, die Gedichte dürften gedruckt werden, aber nicht zusammen mit Grafiken von einem Künstler aus dem „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“, NSW abgekürzt. So druckte ich die Mappe in Westberlin.

 

ZWIESPÄLTIGES MUTUAL INNERVIEW
(Auszüge)
der Begegner Michoacan & Mandragorek
(in halbseidtigen Flaggen & übergreifenden Entworten)
verfasslt, abgejandlt, drunter- und drübergearbeitet

von Mitch Cohen und Bert Papenfuß-Gorek

Motten: 1) „Fragen ergaben keine befriedigende Antwort.“
(Petrarca, 26.11.1343)

2) „Antworten sind schon langweilig.“
(John Cage)

MICHOACAN                                                                MANDRAGOREK

2) Rhizome: Du wurdest mir über eine mehr-
gliedrige Kette angereicht. Daß ich anfangs mit
deinen Wortmutanten nichts anfangen konnte,
schrieb ich mangelnden Deutschkenntnissen zu.
Jetzt weiß ich, du schreibst nicht Deutsch. Meine
Nachdichtungen haben sich einer ent-sprechen-
den Unverständlichkeit angenährt.

Ja, die Ko-Ko-Kette (Koplowitz, Kolbe), ’79?, ich hatte noch meine alte Lederjacke. Mein „Gesamtverhalten“ (zu meiner Zeit, & ich vermute immer noch, Pflichtfach in Unter- & Oberstufe [nicht abgeschlossen, mangelnde Schulbildung?]!) ist ebenso un-deutsch wie meine Schriftsprache. Ich wurde & werde gefrugen & gefrägt, ob ich mich mit sanskr., hebr., gr., gäl., schwed., dän., fläm. „beschäftigt“ hätte; also begann ich, mich mit Rotwelsch zu „beschäftigen“. Leider hat mich die Etablierung des organisierten Gaunertums in sattelfesten Gesellschaftsschichten, & das damit einhergrassierende Aussterben des Rotwelschen, überholt (typischer Antichronismus?) & ich stehe weiterhin dumm (& zwar mit erwildertem poet. Wortschatz) da – ABER eigentliche Poesie ist nonverbal; da unsere Kommunikationsorgane un(ter)entwickelt sind, behelfen wir uns mit Worten: anfangs hat es mich Mut gekostet, solche „Mutanten“ aufzufächern, ich werde es immer wieder tun, das dazu!

2) Die Hauptstadt der deutsch-Demo-Domäne
ist ein Periskop in weitere Zeiten & Weiten. Vom
ew’gen Glotzen angeschwindelt, hab ich mich
auf’s Zuhören verlegt bzw. verlogen lassen &
vertraue nurmehr deinen Sittenschilderungen.

Daß ein Fischkopf periskopiert, beweist, daß er kein Untergrundler oder Untertagelohner ist, sondern Untersehbootschafter und Sub-kulturbulenz. Wir sind füreinander Medium, schalt es ein! Wie ich dir Periskop, so du mir Kaleideskop, der mit nichtlinearen Brechungen und Widerspiel-gelungen in die undurchsichtig-gemachte Grauzone innere Sichtweiden eröffnet, Farben & Licht mandalaförmig entfacht. Als Theaterbeleichter in Schwerin lerntest du Licht auf Farcen werfen (krisensicherer Beruf!) und wirfst damit um dich. Was ich dir im Vertrauen unterbreite – Caveat Emptor! – denn wer weiß, „was wirr war und was wahr war“ (H. Hübsch). Nichtsdestotrotz und alles zum Trotz, unsere grenzübergreifende Eifer zu begreifen reift weiter: weil „ehrlich wehrt“.

3) Wenn ich wieder mal Geld erblicke, werde ich
es an mich reißen & dir diese Scheißpiß-Klemm-
mappen (das beste daran sind die Duden-widri-
gen drei „m“) kaufen.

Unerbittlich erbittest du von mir Dünen von Henna, Patchouliseen, exotische Platten, Bücher und was es noch für Siebensachen gibt. Das kostet mich zuallererst Mühe, nicht bloß die des Münzenerblickens und des Einkaufens, sondern vor allem die des Daran-denkens und auch die der Schabernackeln der Grenzübergangsters (wie du in Flagge 6 erwehnst). Wenn du dich deinerseits so widerwillig bemühst, fällt zwischen den Gefallen ein zu großes Gefälle, das gefällt mir keinesfalls. Ein Armutszeugnis ist ein Armutszeignis ist ein Armutszeugnis, aber du hast ja zumindest was von dem, was übrigbleibt von meinem Eintritt.

4) Das Auftauchen des ersten Amis, weizen-
keimeingeschworen & lautmalerisch die geistige
Form einer mexikanischen Provinz personifizie-
rend, bewies vorrübergehend die „reale Exi-
stenz“ Amerikas, aber: das du nun auch gleich
Tellerwäscher gewesen sein müßtest, ob nun für
die R.A.F. oder die U.S.-Luftwaffe, skeptizier-
te uns zusehends & Amerika verschwand dort-
hin, woher es uns gekommen war (Hollywood-
stock) & du wurdest ein Friedrichshainanrainer
kreuzbergianischer Anstammung, um nicht zu
sagen: ein Berliner.

Tellerwaschen ist absolut kein Beweis gegen die „reale Existenz“ Amerikas. Das arme Schwein macht seinen Weg, real, existent, so schal es muß. Ich wurde geboren innerhalb eines halbstündigen Autofahrtradius, sowohl von Hollywood als auch von Diesnie-land: Pop Drogen der ersten Stunde und Geburtsort werden schon eingehende Auswirkungen gehabt haben auf muttersprachlichen Ausdruck.

5) Du bleibst.

„aber nein! / sagte bakunin / und lachte laut“ p.p.zahl (aus „löcher im schleppnetz“) – Auf das mich kein Wortspiel fortspül: wir uns hier / ihr euch dort / genüge tun / zu überbieten (bezüglich: Plan, Gegenplan, Nulllösung, Auferlösung). Materieller Not darben, ungedruckt unterdrückt geduckt, von Behörden gemaßregelt usw. (bzw. so nicht weiter) kann man überall unterkommen; gehts allmählich doch allerorten beileibe nicht ums „Bleiben“, sondern-modern ums „Da-Sein“, Parolen Paroli zu bieten, bittesehr! Anfänglich: „du sollst nicht ausreisen“, späterhin eisenhündisch: „ich fühle mich in grenzen wohl“ (S. Döring), die Version „Ich fühle mich in deinen Armen wohl“ (Rosa Extra/Hard-Pop) entstank in Unerkenntnis der Sachlage!, doch jetzt zunehmend: „ihr sollt jetzt ausreisen“, sind wir betroffen?

5) Seifenblasen sind dir Lupen, deine gurkigen
Botten singen Lieder, du trägst große & kleine
Vollbärte, pfeifst die Straßen entlang, hast in
Deutschland „unamerikanisch“ „arbeiten“ ge-
lernt.

[…] Paradox Amerika: „alles möglich“ gegen „unamerikanisch“. Sehr amerikanisch ists, wegen „unamerikanischer Tätigkeiten“ (Tätigkeit = Arbeit) verdächtigt zu werden. Ohne Hexenjagd keine Zauberhaft?
„Arbeit macht frei“ ist deutsche Waisheit. (Hier giftet meine vollbartrabbinische Bitterkeit…) Ich will erstmal in Berlin bleiben, „Ohne Fleiß kein Preuß“.

6) Mürrisch bezahlst du Eintritt in unseren Akti-
vitäten-Zoo & hockst in den Tabernakeln der
Leibesvisitation. Rituale sind dir wertvoll, Werte
jedoch nicht schnelllebig genug, aber-aber: du
bist ursprünglich, wennauch in 2ter Linie, Ostpo-
le & Werte werden sich überhaupt erübrigen.

Meine Besuche im Paradies der W.tätigen (etymologische Anm.: „Paradies“ stammt vom altpersischen Wort für „umzäunten Garten“ ab) haben durchaus den Charakter vom Sabbat & Hexensabbat, also wie anders zu erwarten als mit Ritualen eingeleidet? Dennoch ists umkerkert der Falle; ich lege keinen Wert auf die Beichtstuhlzerremonie (zuviel der Ehre, danke); halte davon nichts und finde es nicht unterhaltsam, auf-, ab- und hingehalten zu werden und herhalten zu müssen. Die Scheine, welche mir eure reale Existenz aufschließen, bezahle ich dagegen ohne mit der Wimper ZU wimmern, solange zu entzücken mir bei euch die Möglichkeit nicht verbautzt wird und solange ich das abgetauschte Geld für Malzkaffee, Weizenkeime und Pfefferersatz verpulvern, in Inselbänder anlegen und vor allem in Klem³appen reinstecken kann. Dünkt ich mich mürrisch könnt ich zur Eintrittsstiftung folgende An-eck-dotierung beisteuern, um den gebührenden Hinternmännern eins aus- und abzuwischen und sie nochmals auszuzahlen: Vergil berichtet, daß, um den Styx zu überqueren und in der Unterwelt unterzukommen der Verstorbene eine Münze an Charon, den Fährmann, zahlen muß. Die Hölle: der Unannehmlichkeiten Anfang ist, auch noch dafür Eintritt zahlen zu müssen!

7) In Dresden spielte die Runde „Mein Onkel
aus Amerika“, du in Schlafsackfutter, ich in
Waschlappen gekleidet. Ich bin Niemandsonkel,
kriege dennoch Wunschlisten wie der Weih-
nachtsmann.

(Vielen Dank auch für das nur eine „f“ meiner Garderobe!) Ein mir seinerzeit bekannter (an nämlichen gewandt: „Wie gehts? Alter Elch!“), ebenfalls relativ „junger Mann“ (inzwischen ergreist) pflegte auf derartige Flaggen immer etwas von „Ostfäule“ zu murremeln & verfiel mit progressiver Ergeisung & sportlicher Versteifung vollends dem Westkult; mir fällt auf diese Flagge nichts ein, als ein „?“.

8) Du erringst erste kult.-pol. Preise. Was dir als
Zutrauen zufließt bzw. dich als Neid trifft, würde
mich hier als Mißtrauen hintergehen. Mein Land
ist ländlicher, die Revolution zieht ihre Kreise.

a. Mißtrauen säen ist nützlich.
b. Neid sucht und findet Gründe und Böden für Mißtrauen, überall, glaub mir.
c. Zu „Revolution“: Juden & Deutsche stellen Weichen, kaufen aber Papis Bahnsteigkarten. Aber die Griechen: Zeus putscht gegen Papa Chronos, Oedipus gegen Laios. Sokratische Skepsis ist sub-versiv, wie die Athener richtig erkannten.
d. In welchen Kreisen zieht sie?

9) Du hast die Armee überlebt. Die Armee dich
auch. Gräben ausheben oder Untergrabungen
ausleben.

Zwar hat auch sie mich überlebt, aber: untauglich ist sie geworden, seit sie ihre „besten Pferde im Stall“ nicht mehr ausspielen kann, ohne selbst weggerotzt zu werden. Sie könnte aufstecken, aber: sollmans jemandem übelnehmen, daß er vermeint, es sich als Feldwebel o. Generalmajor nicht übel leben zu lassen? Bedauerlicherweise sind einige Söhne vor ihren Vätern gestorben worden (im übrigen werden die Töchter, im Zuge ihrer Emanzipation, ihre Brüder rächen!), aber: einige Töchter & Söhne, wenngleich vorerst wenige (bemerkenswert wirrtuoser Umgang mit Agit-Prop-Floskeln!), sind unkontrollierbar wirksam. Wer, außer ihnen, soll Überhand nehmen? Siege, Macht, weg dynamit!

11) Anachronismus wird mit Anarchismus ver-
werkselt, alter Junge. Peinlich, in so eine Ecke
gedrängt zu werden, aber schon besser als andere
Nischen.

Was diese Flagge anbelangt, junger Mann, kann ik ihnen bloß erzgegnen, daß ungestüme Widerwart auf Kontrolle, Über-Erich & Administradition im allgemeinen so manches mal Gegnerschaft auf u.a. Raum (was zu verstehen noch allen leicht fällt), Wetter (siehe „Thesaurus Mandragorek“, Band 4, „SoJa“) & Zeit (& somit Tod, & wer von uns wäre nicht unsterblich?) bewerkstelligt. Ist das innige Widerspiel zwischen Anarchie („ohne is’ und muß!“ Körne! Schulz) & Antichronismus klipp?

11) Schlagsahnewaten in Wien, Guinnesgetor-
kel in Dublin, Drachenflug in Psylocibin, miet-
schuldenfrei in Berlin, was willst du mehr
können!

Ein Fischkopf sein in Stettin, zesamen Frieden öffnen in Palästin, bei 30 Grad wandern in Tallinn und Lenin-, Kokosnüssefressen, Getrommel hören, Satin tragen und Djinn trinken in Benin, Merlin in Marilyn. „Delta of Venus“ von Anais Nin hätt ich gern schreiben cunnin.

13) Wenn Fortschritt Gleichschritt gleicht,
schrei ich: fort mit den Wahrheiten und ihren
durchgelaufenen Schuhsohlen! Wir wollen uns
gleich frische Wirrheiten holen.

Ausverstanden, Mitch! Anywhere out of the void! Nichts, das mehr Revidierungen erfahren (& ihrer auch bedurfte) hätte, denn die sog. „Wahrheit“.

Aus Per Ketman (Hrsg.): Geh doch rüber!. Begegnungen von Menschen aus Ost und West, Hermann Luchterhand Verlag, 1986

 

Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring

Heribert Tommek: „Ihr seid ein Volk von Sachsen“

 

 

Mark Chaet & Tom Franke sprechen mit Bert Papenfuß im Sommer 2020 und ein Auftritt mit Herbst in Peking beim MEUTERLAND no 16 | 1.5.2019, im JAZ Rostock

 

Kismet Radio :: TJ White Rabbit presents Bertz68BirthdaySession_110124_part 2

 

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Lorenz Jäger: ich such das meuterland
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.1.2016

Zeitansage 10 – Papenfuß Rebell
Jutta Voigt: Stierblut-Jahre, 2016

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Thomas Hartmann: Kalenderblatt
MDR, 11.1.2021

Fakten und Vermutungen zum AutorInstagram +
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Porträtgalerie: Autorenarchiv Susanne Schleyer + Keystone-SDA +
Autorenarchiv Isolde OhlbaumDirk Skibas Autorenporträts +
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Einladungskarte zur Beerdigung von Bert Papenfuß

Einladungskarte zur Beerdigung von Bert Papenfuß

 

Nachrufe auf Bert Papenfuß: FAZ ✝︎ taz 1 & 2 ✝︎ BZ 1, 2 & 3 ✝︎
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Nachruf auf Bert Papenfuß bei Kulturzeit auf 3sat am 28.8.2023 ab Minute 27:59

 

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Papenfuß-Gorek“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Bert Papenfuß

 

Bert Papenfuß liest bei OST meets WEST – Festival der freien Künste, 6.11.2009.

 

Bert Papenfuß, einer der damals dabei war und immer noch ein Teil der „Prenzlauer Berg-Connection“ ist, spricht 2009 über die literarische Subkultur der ’80er Jahre in Ostberlin.

 

Bert Papenfuß, erzählt am 14.8.2022 in der Brotfabrik Berlin aus seinem Leben und liest Halluzinogenes aus TrakTat zum Aber.

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