Blaue Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Blaue Gedichte

Blaue Gedichte

AN NOVALIS

In dunkler Erde ruht der heilige Fremdling.
Es nahm von sanftem Munde ihm die Klage der Gott,
Da er in seiner Blüte hinsank.
Eine blaue Blume
fortlebt sein Lied im nächtlichen Haus der
aaaaaSchmerzen.

Georg Trakl

 

 

 

Nachwort

Was wissen die Armen, denen nie ein Blau aufging am Ziel ihres Herzens oder am Weg ihres Traums in der Nacht. Oder die Enthimmelten, die Frühblauberaubten.

Else Lasker-Schüler1

Kaum eine andere Farbe hat bis heute so viele Künstler und Dichter inspiriert, hat ihre Phantasie so beflügelt wie die Farbe Blau. Unzählige Male haben sie in Bildern und poetischen Texten dieser Magie suggestiven Ausdruck verliehen. Die Faszination scheint ungebrochen, denn gerade die Moderne hat eine erstaunliche Fülle von Kunstwerken hervorgebracht, die den Farb- und Stimmungswert Blau mit geradezu beschwörendem Gestus festzuhalten versuchen. Man denke nur an Picassos „Blaue Periode“, die Gemälde der Künstlergruppe Der Blaue Reiter oder an die in der Intensität ihres Farbausdrucks kaum noch zu steigernden Blau-Bilder von Yves Klein.
Wie in der bildenden Kunst2 so gibt es auch in der deutschsprachigen Lyrik – vor allem der des 20. Jahrhunderts – Dichter und Dichterinnen, die sich mit mehr oder minder obsessiver Beharrlichkeit den phänomenologischen und atmosphärischen Spielarten der Farbe Blau verschrieben und in immer neuen Versen die verschiedensten Blau-Töne und -Schattierungen klang- und bildmächtig besungen haben. Die vorliegende Anthologie enthält – einen Vers von Heinrich Heine aufgreifend – „ein Meer von blauen Gedanken“, d.h. eine kleine, beliebig zu vermehrende Auswahl von teils sehr bekannten, teils noch zu entdeckenden „blauen Gedichten“. In 18 Kapiteln wird jeweils ein lyrisches Blau-Thema vorgestellt, eingerahmt von einem ironisch-sprachspielerischen Prolog und einem düster-schwermütigen Epilog. Damit ist die Bandbreite des zwischen Ernst und Heiterkeit, zwischen Pathos und Komik wechselnden lyrischen Tons abgesteckt. Die Überschriften der verschiedenen Gruppen signalisieren nicht nur die außerordentliche Vielfalt an Blau-Themen und -Motiven, sondern auch das weite Spektrum an klanglichen und expressiven Möglichkeiten. Die Anordnung der Gedichte orientiert sich keineswegs strikt am Prinzip der Chronologie, sondern setzt bewußt kontrapunktische Akzente oder schafft durch die Sortierung interessante intertextuelle Bezüge.
Konrad Bayers litaneiartiges Poem topologie der sprache bietet insofern eine ideale Einstimmung in die Thematik, als es in lexikographischer Manier das Wortfeld „Blau“ mit seinen idiomatischen Wendungen und literarischen Topoi abschreitet. Daran schließt sich die erste Werkgruppe mit poetologischen Gedichten an, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema Inspiration befassen und Blau als Farbe der Poesie beschwören. Das folgende Kapitel mit dem von Paul Celan entlehnten Titel „O Blau der Welt“ versammelt Gedichte über das Blau als Farbe der Transzendenz, des Immateriellen und Spirituellen.
Diese beiden Gruppen einschließlich des Prologs legen gewissermaßen das Fundament für die nachfolgenden Kapitel, die sich konkret auf jeweils ein Motiv oder Thema beziehen. Karl Krolows Imperativ „Schau auf das Blau des Himmels…“ haben so viele Poeten beherzigt, daß hier aus den unzähligen lyrischen Gestaltungen dieses Themas nur einige wenige originelle Beispiele präsentiert werden können. Daran schließt sich eine Reihe von Naturgedichten über die „blauen Tage“ im Wechsel der Jahreszeiten beinahe nahtlos an.
Zu den Topoi der modernen Lyrik gehört die „blaue Stunde“, deren Magie von Stefan George, Gottfried Benn, Ingeborg Bachmann u.a. eindringlich evoziert wurde. Einen ironischen Schlußpunkt setzt in dieser Reihe Michael Zellers Gedicht „Blaue Minute“, in dem das Motiv bewußt profanisiert wird. Es folgt eine kleine Auswahl von Abend- und Nachtgedichten; sie beschließen den Reigen der am Tageszyklus ausgerichteten Lyrik.
Ebenfalls mit kosmischen Licht- und Lufterscheinungen beschäftigen sich die beiden nachfolgenden Gedichtgruppen über das „Fernblau“ (Oskar Loerke) und das Meeresblau. Sie vermitteln eine anschauliche Vorstellung von den ambivalenten Stimmungswerten der am Horizont sichtbaren Bläue, die das Auge gleichermaßen lockt und vor ihm zurückweicht. Den Anfang macht ein Gedicht von Goethe, der in seiner Farbenlehre die „sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung“ des Blau als Widerspruch zwischen „Reiz und Ruhe“ beschrieben hat:

Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht.3

Die undurchdringliche Tiefe und entrückende Ferne der Farbe Blau prädestinieren sie zur Projektionsfläche von Träumen, Sehnsüchten und Erinnerungen, lassen sie zur „Farbe der Utopie“4 werden, denn als „Fernfarbe“ bezeichnet sie nach Ernst Bloch „anschaulich-symbolisch das Zukunftshaltige, Noch-Nicht-Gewordene in der Wirklichkeit“.5
Wie sehr die Farbe Blau – von Gottfried Benn wegen ihres besonderen Fluidums und ihrer inspirativen Energien zum „Südwort schlechthin“ erhoben6 – zu Tag- und Wunschträumen animiert und Erinnerungen an bestimmte Menschen oder Gegenstände auslöst, zeigen auch die Gedichte, in denen blaue Kleidungsstücke im konkreten oder übertragenen Sinne Thema der dichterischen Phantasie wurden, oder die Verse, die von der Schönheit blauer Augen schwärmen. Von der Faszination blauer Tiere und Blumen geben die folgenden beiden Gedichtgruppen beredtes Zeugnis. Der Strauß von Blumengedichten wird ergänzt durch eine Reihe von Gedichten, die sich mit der Blauen Blume der Romantik auseinandersetzen und sich dabei mehr oder minder deutlich auf das Zentralmotiv in Novalis’ Roman Heinrich von Ofterdingen beziehen, – teils emphatisch-affirmativ, teils mit spöttischem Unterton. Poetische Hommagen an Dichter oder Maler mit ausgeprägter Vorliebe für die Farbe Blau enthält das mit einem abgewandelten Vers von Hans Dieter Schwarze überschriebene Kapitel „Dieses Blau – aus alten Meistern hervordestilliert“.
Daß nicht nur Literatur und Kunst schöpferische Kräfte freisetzen, stellen die letzten Gedichtgruppen unter Beweis, die die anregende Wirkung von Tabak und Alkohol auf den Produktionsprozeß preisen. Zum Schluß der Anthologie erklingt Peter Roos’ „AZULITOblues“, gefolgt von drei weiteren sprachmusikalischen Beispielen der Gattung „Blues“. Deren melancholischen Grundton aufgreifend, erreichen wir schließlich mit Conrad Ferdinand Meyers Epilog – sensibilisiert für Farbtöne – „die tiefe Bläue“.

Gabriele Sander, Nachwort

 

Blau wie der Himmel,

das Meer und die Sehnsucht! Die Farbe Blau in all ihren Nuancen und Schattierungen hat Dichterinnen und Dichter seit jeher inspiriert, und so versammelt diese Anthologie das Blaue vom Himmel – vom 18. Jahrhundert bis heute.

Philipp Reclam jun. Stuttgart, Ankündigung

 

Ein innovatives Konzept, dass überzeugen kann

Die 2001 von Gabriele Sander herausgegebene Anthologie Blaue Gedichte enthält zahlreiche Gedichte verschiedener Poeten, in denen das Blau in all seinen vielfältigen Bedeutungen und Assoziationen zum Ausdruck kommt. Die Werke in der Gedichtssammlung spielen mit Ausdrücken wie den „blauen Wolken“, der „blauen Blume“ oder „blauen Augen“, aber auch „blauem Fleisch“, „blauen Zähnen“ und „blauem Getier“. Ebenso werden auch Redensarten wie „ins blaue reden“, „blau machen“ oder „blau sein“ verwendet. Unter anderem finden sich in den Blauen Gedichten auch Werke bekannte Autoren wie beispielsweise Erich Kästner, Johann Wolfgang von Goethe, Ingeborg Bachmann, Wolfgang Borchert, Bertolt Brecht, Annette von Droste-Hülshoff oder Heinrich Heine.
Obwohl in allen Gedichten das Blau eine wichtige Rolle spielt, wird deutlich, wie unterschiedlich seine Bedeutungen sein können. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies:

Mit deinen blauen Augen
Siehst du mich lieblich an,
Da wird mir so träumend zu Sinne,
Dass ich nicht sprechen kann.
An deine blauen Augen
Gedenk ich allerwärts; –
Ein Meer von blauen Gedanken
Ergießt sich über mein Herz.
Heinrich Heine (S. 78)

 

Wolfgang Borchert: Gedicht
Blume Anmut blüht so rot,
Blume Huldvoll blaut daneben,
Blume Anmut ist das Leben,
Blume Huldvoll ist der Tod.
Süß und herbe ist das Leben,
herb die Lust und süß die Not.
Blume Leben blüht so rot –
Blume Tod blüht blau daneben.
Wolfgang Borchert (S. 96)

Bei dem Gedicht von Heinrich Heine verdeutlicht das Blau Verliebtheit, Träume, und Faszination. Bei Wolfgang Borchert dagegen werden damit die Trauer und der Tod symbolisiert. Die Bedeutung des Blaus variiert also von Gedicht zu Gedicht sehr stark.
Beim Lesen des Buches fiel uns sogleich auf, dass es sicherlich kein Buch ist, dass man einfach „dahinlesen“ kann, dass also der einfachen Unterhaltung dient wie beispielsweise ein spannender Roman. Vielmehr erfordern die einzelnen Gedichte häufig genaueres Nachdenken, um sie nachvollziehen zu können. Auch aus diesem Grund liest man in den Blauen Gedichten wohl eher in ruhigen, vielleicht sogar einsamen Momenten. Ein guter Zeitpunkt wäre z.B. abends in gemütlicher, aber dennoch konzentrierter Atmosphäre. Ein Lesen vor dem Schlafengehen ist aus den o.g. Gründen zumindest nicht bei allen Gedichten sinnvoll. Auch viel uns auf, dass es nicht unbedingt Sinn macht, das Buch „von vorne nach hinten“ zu lesen. Interessanter erschien uns ein Durchblättern, bei dem man nur interessant erscheinende Gedichte dafür intensiver liest. Unsere Meinung zu der Anthologie Blaue Gedichte ist, dass das innovative Konzept, „blaue“ Gedichte in einem Buch zu sammeln, in jedem Fall überzeugen kann. Wir könnten uns auch durchaus vorstellen, ein solches Buch zumindest selektiv zu lesen.

Ein Kunde, amazon.de, 20.10.2001

 

Fakten und Vermutungen zur Herausgeberin

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