Dichtung als Schwarzkunst
Teil 9 siehe hier …
Als realisierte Dingsymbole für Weissheit gelten unter anderm der Schnee, die Milch, die Wolke, die Blüte, der Schwan. Andrerseits wird das Eigenschaftswort «weiss» automatisch mit Bedeutungen aufgeladen, die der Farbe Weiss äusserlich sind, also keinen Gegenstandsbezug aufweisen − Reinheit, Freiheit, Unschuld, Leichtigkeit, Grenzenlosigkeit, Höhe. Ungewöhnlich ist indes (zum Beispiel bei Rose Ausländer, bei Georg Trakl) die Evokation des «weissen Schlafs».
Im Deutschen werden die Assoziationsmöglichkeiten zu Weiss zusätzlich durch die Klangähnlichkeit von «weiss» und «weis(e)» sowie durch die Homophonie von «weiss» (Farbe) und «weiss» (zu «wissen») erweitert.
Ernst Jandl nutzt diesen Gleichklang für sein Gedicht «weissheit» (zu «Weisheit») und wandelt ihn zudem anagrammatisch ab im Wort «Wiese» (zu «Weise»); auch an andrer Stelle («weisses blatt», 1979) assoziiert er Weisse mit Wissen – und Reissen:
weisses blatt
ich bedecke dich
mit zeichen
wenn du spüren könntest
würdest du es spüren
wenn ich dich zerreisse
wenn du wissen könntest
würdest du es wissen
wenn ich dich nicht zerreisse
wenn du denken könntest
wüsstest du den grund
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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