Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Kehraus mit Celan (Teil 4)

Kehraus mit Celan
Eine revisionistische Lektüre

Teil 3 siehe hier

Für mein Rückkommen auf Paul Celan wähle ich einen ungewöhnlichen, bisher vernachlässigten Zugang – seinen umfangreichen literarischen Nachlass, der in zwei kommentierten Editionen vorliegt (1997; 2003). Qualitativ wie quantitativ steht das Konvolut dieser Hinterlassenschaft kaum hinter dem zu Lebzeiten des Autors publizierten Werk zurück. Denn bei den knapp 500 unveröffentlichten Gedichten handelt es sich nicht um misslungene oder fragmentarische, sondern um voll ausformulierte Texte, welche die weithin bekannten Lyrikbücher – von «Mohn und Gedächtnis» (1948/1952) bis «Lichtzwang» (1970) – gleichwertig ergänzen und deshalb ohne irgendwelche Einschränkungen als Teil des Gesamtwerks zu betrachten sind. Celan hat diese Gedichte (im Unterschied zu verlorenen, vergessenen oder bewusst vernichteten Texten) sorgsam datiert und aufbewahrt, wodurch ihre Gültigkeit auch durch ihn selbst bezeugt ist.
Vorab stellt sich bei Celan die allgemeine Frage der «Dunkelheit», mithin das Problem der bewusst eingeschränkten Verständlichkeit dichterischer Rede. Jedes seiner Gedichte, auch das leichter zugängliche Frühwerk ist von solcher Dunkelheit zumindest partiell verschattet. Der Celan’sche Hermetismus ist denn auch in der Sekundärliteratur ad libitum abgehandelt worden.
Ich selbst stütze mich bei meinen diesbezüglichen Überlegungen vorzugsweise auf den Autor, der dazu in seiner Dankesrede für den Büchnerpreis («Der Meriridian», 1960) alles Wesentliche verlautbart hat. Unverständlichkeit durchzusetzen, wird bei ihm zum Prinzip dichterischer Rede überhaupt. In paradoxaler Argumentation legt er dies in einem geschlossenen rhetorischen Zirkel mit grosser, geradezu existenzieller Dringlichkeit dar.
Dichterische Rede bewährt sich in der Verweigerung offener Kommunikation zu Gunsten einer «grauen», aus dem Stottern und Brabbeln erwachsenden Verssprache, die als beredtes Schweigen zu begreifen, bedeutungsmässig jedoch kaum zu verstehen ist. Diese urtümliche Dichtersprache ist gleichermassen primitiv und artifiziell, schwankend zwischen kleinlautem Raunen und auftrumpfendem Pathos. «Vielleicht ist das Gedicht von da her es selbst… «, mutmaßt Paul Celan, «und kann nun, auf diese kunstlose, kunstfreie Weise, seine anderen Wege, also auch die Wege der Kunst gehen – wieder und wieder gehen? – Vielleicht.» Und mit mehr Gewissheit: « – das Gedicht zeigt, das ist unverkennbar, eine starke Neigung zum Verstummen.»

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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