wos hängt
henkt & hinkts
durch die seiten in die büsche
schlägts zurück
& voraus verrechtets recht
& billig den klotz
ans bein genagelt zum trost
trostlos eingewohnt &
land vermessen ausgewandert
von irgend nach wo aufn weg
verfahren bei leibe
nicht willens
wenig mehr
oder weniger
aufgetakelt abgeschminkt
die wehs & achs
dir & mir zu liebe
im fremden eigen
im eignen
fremd hier wie dort
Frank Lanzendörfer gab nicht gern seine Adresse preis. An seiner Wohnungstür hing kein Namensschild, er versuchte zeitlebens, unauffindbar zu sein. von irgend nach wo aufn weg, schreibt er im Gedicht. Doch in seinen Texten und Bildern ist dieser Künstler auffindbar, wenn auch eher im permanenten Übergang denn in festgeschriebenen Positionen. Er entwickelt Text, und läßt ihn geschehen.
Manchmal scheinbar ohne Anfang und Ende, Momentaufnahmen einer flüchtigen Existenz. Vor unseren Augen arbeitet eine Textmaschine, deren Dynamik sie des öfteren zu zerreißen droht. Seine Texte sind Anläufe zu Aussagen über seine Texte, zu Sprüngen auch über diese Zeit hinweg. Der Name „flanzendörfer“, unter dem er schrieb, ist unter anderem auch Anspielung an die Einbrüche einer nicht-städitschen Ordnungslosigkeit in die Grammatik unserer urbanen Existenz. Als ich ihm eines der letzten Male begegnete, im Herbst 1987 in Dresden, sprach er vom Leben in einer Blockhütte irgendwo im Erzgebirge. Dieser ordnungslose Text war er auch selbst. Vier Jahre nach seinem Tod ist er kaum noch zusammenhängend zu rekonstruieren. Denn schon beginnen einige Spuren zu verlöschen. Wir haben mit Freunden und Bekannten gesprochen. Die Auskünfte über ihn sind widersprüchlich, die Erinnerung sehr unterschiedlich. Flanzendörfer, der sich gelegentlich auch lanzer und dörfler verdoppelte, hat allerdings auch selbst dafür gesorgt, die Spuren zu verwischen. Sein Dasein war rastlos, mit ständig wechselnden Wohnsitzen, einer Fülle begonnener und abgebrochener Beziehungen, ein Wanderleben mit periodischen Ausbrüchen aus der Enge, in die er sich getrieben fühlte. In den letzten drei Jahren seines Lebens mußte er zudem einen verschleißenden Kampf gegen den Kraken ‚Staatssicherheit‘ führen.
Sehr viel Aufbruch und häufiger Abbruch liegen im Leben und in seiner Arbeit als Autor und Künstler beieinander. Beides ist Fragment geblieben. Aber auch eine enorme anarchische Bewegtheit, eine permanente ästhetische und politische Rebellion, eingeklemmt zwischen provinzieller Herkunft und Dauerkonflikt mit der staatlichen Unterdrückungsmaschine. ich / lebe um leben / zu täuschen, schrieb er, seinen Versuch der Selbstbehauptung zusammenfassend. Doch seine Spuren sind seine Texte und Zeichnungen, die er verstreut hinterließ. Früh schon nannte er, was ihm erreichbar schien, wrackmente. Vor seinem Tod hat er alle ihm erreichbaren Arbeiten in der Wohnung eines Freundes verbrannt.
Daher muß aber auch dieses Buch, das erstmals seine Arbeiten aus dem Nachlaß sammelt, fragmentarisch bleiben. Was uns erreichbar war, wurde zusammengetragen, um es ins Archiv der Literatur aufzunehmen.
Ein Text Flanzendörfers, der den Titel ich trägt, ist sowohl Erinnerung an die eigene Geburt, das schmerzhafte Ankommen in der Welt, wie auch Zustandsbericht aus der Gegenwart des Schreibers: es ist kalt hier / wo bringt ihr mich hin… Der Ort des Geschehens heißt Oberpoyritz, liegt hinter Pillnitz, hinter Dresden. Am vorletzten Tag des Jahres 1962 wird Flanzendörfer als fünftes von sieben Geschwistern hier geboren. Oberpoyritz. Ein Gebiet, dessen Weinberge und ummauerte Gehöfte auf alte Besiedlung schließen lassen. In den sechziger Jahren allerdings sind die Weinberge kahl, die Terrassen zerfallen. Zur Elbe hin fällt das Land hinab. Ein Ort wie eine verlassene Filmkulisse. Hinter Pillnitz, hinter Dresden – Flanzendörfers Kindheit ist geprägt vom Aufbegehren gegen die alles umfassende Prägung durch die Abgeschiedenheit dieser DDR-Provinz. Die Gewaltsamkeit seiner verschiedenen Aufbrüche hat hier ihre Wurzeln.
In der Nähe des elterlichen Anwesens gibt es einen Steinbruch, von dessen Rändern man in die Tiefe springen kann. Die Flugversuche des Kindes werden ihn in seinen späteren Arbeiten immer wieder beschäftigen. Es ist eines der wiederkehrenden Grundmotive in seinem Leben.
In den siebziger Jahren wird Oberpoyritz ein beliebter Ausflugsort der Dresdner Maler-Avantgarde. Stangl, Graf, Herrmann und Penck mieten sich in die billigen, zum Teil leerstehenden Bauernhöfe ein, arbeiten hier und feiern exzessive Feste. Denkbar, daß das Kind am Zaun stand. Doch Ende 1976 ist, wie so vieles in den kulturellen Szenen des Landes, auch das zu Ende.
Eine Spur Flanzendörfers führt nach Dresden. Nach dem Abitur 1981 und der Armeezeit, in der er mit dem Malen und Schreiben beginnt, lebt er seit Mai 83 hier. Eine Adresse steht auf der Rückseite eines frühen Gedichts. R.-Renner-Str. 2. Durch den Kreis um den Maler Reinhard Sandner, den er auch später noch als Freund und Lehrer achtet, bekommt er Kontakt mit Lothar Fiedler, dem Musiker, Komponisten und Herausgeber der in je 15 Exemplaren hergestellten und, einer der ersten unabhängigen Literatur- und Kunstzeitschriften in der DDR. Bevor die Zeitschrift verboten wird, ist Flanzendörfer im letzten Heft mit einem Text vertreten. Etwa zur gleichen Zeit, im Frühjahr 84, ist er beim „ersten inoffiziellen Schriftstellerkongreß der DDR (Jan Faktor), der „Zersammlung“ in Berlin-Prenzlauer Berg dabei. Eine Woche lang werden hier, im Atelier der Malerin Uta Hünniger in der Lychener Straße, im anarchischen Zirkel Texte gelesen und diskutiert, die auf keine Veröffentlichung in den Medien der DDR hoffen können. Kurz darauf, im Frühsommer 84, verläßt er Dresden, fluchtartig, und besetzt in Berlin eine Wohnung in der Straßburger Straße, am Rande des Prenzlauer Bergs.
Berlin ist ein zweiter Schwerpunkt der labyrinthischen Bewegungen Flanzendörfers durch das Land. Vier Jahre lang lebt er ein nomadenhaftes Leben an verschiedenen Orten der Stadt. Die Straßburger Straße, ein Jahr lang die Christburger Straße, dann der Rettigweg in Pankow, wo er die Wohnung des Dichters Johannes Jansen bewohnt, die Schönhauser Allee, die Gleimstraße, die Lychener Straße, erneut die Straßburger (aber eine andere Wohnung), die Schwedter, wiederum die Straßburger, zum Schluß der Weinbergsweg in Mitte – das sind die Stationen. Im November 85 wird sein erster Sohn geboren, im August 87 ein zweiter.
Flanzendörfer arbeitet intensiv. Er schreibt, zeichnet, malt, stellt sich in Performances und Malaktionen dar, überzeichnet und übermalt seine Skripten zu bizarren und großangelegten Collagen. Vieles hat Skizzen- und Fragment-Charakter, ist aber zugleich auch Dokument einer unablässig arbeitenden Kreativität. leib eigen & fremd, der Titel eines seiner Zyklen, ist die Klammer, aus der er sich durch Kunst zu befreien sucht. Er stellt seine Texte häufig in Zyklen zueinander, mehrmaliges Überarbeiten kennzeichnet sein Schreiben. Sein künstlerisches Tun ist existentiell. Er ringt um eine schreibhaltung die mich einschließt, wie er es doppeldeutig nennt. Der Text, das bist du selbst. Und dieser Text ist fließend. Er thematisiert seine Geburt und früheste Kindheit, als wollte er hinter ein Geheimnis kommen, das er in dieser Zeit verloren glaubt. Schreiben als Suche nach einem Ursprung, einem Kern, einer Reinheit, die er in frühester Lebenszeit vermutete. Seine umfangreichste Arbeit, die Text-Collae Garuna ich bin, die er im April 87 beendet, zeugt davon. Diese Haltung schließt das Experiment ein, auch das mit dem eigenen Körper. Die Texte beziehen hieraus das Authentische, Momenthafte, wenn auch oft Fragmentarische. Auf einer Vielzahl von Fotos ist seine enorme Wandlungs- und Verwandlungsfähigkeit dokumentiert. Immer wieder verändert er krass sein Äußeres, wie um Festlegungen zu entgehen.
Er dreht eine Reihe von Super-8-Filmen, die allerdings bei einem Umzug fast vollständig verlorengehen. Die Anekdote ist symptomatisch: Beim Verlassen der Wohnung im Rettigweg im Frühjahr 87 schleppt Flanzendörfer eine Kiste mit Filmen auf die Straße. Als er mit einem Handwagen wiederkommt, um sie abzutransportieren, sind sie verschwunden. Bauarbeiter hatten die Kiste wohl für Abfall gehalten.
Einige der Filme, die Momentaufnahmen, Skizzen, Vorfilme für seinen größeren Film Eisenschnäbelige Krähe waren, sind zuvor noch in der Wohnungs-Galerie von Jörg Deloch vorgeführt worden. Im Mai 87 in der Straßburger Straße und am 13. Juli dann wiederum bei Deloch wurde dieser Film, der als einziger Film in einer Videoaufzeichnung erhalten ist, gezeigt. Auch dies ist typisch für die Bedingungen von Flanzendörfers Arbeit: die Videokamera wurde von einer jugoslawischen Diplomatin ins Land gebracht und die Kassette wieder herausgeschmuggelt. Der Film sollte später bei einem no-budget-Festival im Westen gezeigt werden.
Der Film ist ein traumhaftes Selbstporträt des Autors, auf verschiedenen Ebenen – der Versuch vielleicht auch, seine (Alp-)Träume zu bannen. Von der ersten Szene bis kurz vor den Schluß durchzieht ihn das Motiv des Springens und Fliegens. Das Ende löst die fixierte Individualität allerdings wieder auf, bringt in ruhiger Einstellung fließendes Wasser.
Über die „Zersammlung“ hatte Flanzendörfer Kontakt zur Berliner Literaturszene gewonnen, die sich damals noch im „Wiener Cafe“ in der Schönhauser Allee traf. Gemeinsam mit Leonhard Lorek und Johannes Jansen gehörte er im Spätsommer 1984 zu den Initiatoren und Mitbegründern der inoffiziellen Zeitschrift schaden, dessen Name seine Idee war. Diese Heftedition wurde, wie auch andere in Berlin, Leipzig und Dresden, von jüngeren Autoren als künstlerische Kommunikationsform in eigener Verantwortung herausgegeben. Doch als das Heft, das später zum „Zentral-Organ der jungen Autoren und Maler vom Prenzlauer Berg“ (Gerhard Wolf) erklärt wurde, nach und nach seinen pur anarchistischen Charakter verlor, zog er sich davon zurück. Eine Redaktion – das war ihm schon zu institutionalisiert. Das heißt aber nicht, daß er die gemeinsame Arbeit mit anderen nicht weiterhin gesucht hätte. Mehrere Gemeinschaftstexte und –grafiken mit Johannes Jansen, mit der Malerin Mita Schamal Text-Graphik-Editionen und Malaktionen, wie die in der Galerie von Jörg Deloch im Januar 86, oder auch die Filmarbeit mit Volker Barndt zeugen davon. Einiges ist erhalten oder auf Fotos dokumentiert, anderes, wie zum Beispiel eine Reihe von ‚Bettlakenbildern‘ muß – bis auf Ausnahmen – als verloren gelten.
Doch trotz des Ausstiegs aus der Redaktion waren der schaden und die in Dresden von Micha Brendel herausgegebene u.s.w., neben den im Selbstverlag hergestellten Siebdruck- und Typoskriptheften, für lange Zeit seine einzigen regelmäßigen Publikationsorte. Nachdem der schaden im Herbst 1987 von der Redaktion eingestellt wurde, kommen noch einige Beiträge in anderen Zeitschriften zustande, zum Beispiel in der Edition Bizarre Städte von Asteris Kutulas, der ihn besonders in der letzten Zeit zu literarischer Arbeit ermunterte.
Die einzige reguläre Veröffentlichung hatte er 1986 erlebt, als Elke Erb, die längere Zeit seine wichtigste Gesprächspartnerin in literarischen Dingen war, vier Texte von ihm ins Luchterhand-Jahrbuch der Lyrik 1986 aufnimmt. Zwar druckte die FDJ-Zeitung Temperamente 1986 ebenfalls zwei Texte von ihm, die er zuvor zum „Poetenseminar“ in Schwerin eingereicht hatte. Aber dies geschah letztlich gegen seinen Willen, zumal im gleichen Heft auch zwei Texte von Leonhard Lorek unter dem Namen des befreundeten Musikers Michael Zickert erschienen, nachdem sie unter dem richtigen Autorennamen abgelehnt worden waren. Es gab, den „Prenzlauer Berg“ betreffend, weniger eine literarische als vielmehr eine personenbezogene Zensur, die mit solcher Partisanentaktik wenigstens nachgewiesen werden konnte.
Der Winter 85/86 bringt eine Zeit intensiver bildnerischer Arbeit. Flanzendörfer hat sich in der Wohnung Mita Schamals eingemietet, eine Vielzahl von Bildern entstehen hier. Er malt in Öl auf Leinwand, zum Teil auf Keilrahmen, die ihm die Malerin Christine Schlegel, die er aus der Dresdner Zeit kante, bei ihrer Ausreise nach Westberlin zurückgelassen hatte. Die meisten Bilder müssen allerdings als verloren gelten, nur wenige werden von Freunden aufbewahrt. Erst in den Februar 1986 fällt sein literarischer Wiedereinstieg. Er fliegt für einige Tage nach Leningrad, seine einzige größere Reise ins Ausland übrigens und schreibt dort einen längeren Text. Von Jansen hatte er sich zuvor einen Wintermantel geborgt. Er selbst besaß keinen.
Später reist Flanzendörfer mit dem Filmemacher Volker Barndt zu Filmaufnahmen durchs Land, nach Halle, nach Eberswalde, zum Schiffshebewerk Finow. Aufnahmen entstehen in der Natur, in den Gestängen des Schiffshebewerkes, im Gewitterlicht. Bei Eberswalde macht Flanzendörfer eine Entdeckung, die ihn und andere Künstler, Autoren und Filmemacher aus der Berliner Szene beschäftigen wird. Auf dem Sportplatz einer Kaserne der Roten Armee, der über Umwege durch ein Waldstück zu erreichen ist, stehen die überlebensgroßen Bronzegüsse zweier bekannter Muskelprotz-Skulpturen des prominenten Nazi-Bildhauers Arno Breker. Noch weitere Schmuckstücke der NS-Bildhauer-Riege zieren den Platz: zwei Schlachtrösser Joseph Thoraks, die aller Wahrscheinlichkeit nach das Kriegsende noch vor der Neuen Reichskanzlei erlebt hatten, und zwei schwülstige weibliche Aktplastiken von Klimsch – ein Ensemble, zusammengehalten durch markige Wehrkraftsprüche. Selten nur ist auf so sinnfällige Weise die ästhetische Verschwisterung von Diktaturen erlebbar. Die Ästhetisierung der Gewalt, aber auch die Todesverfallenheit des Körpers, dargestellt an den Bronzeleibern Brekers, sucht Flanzendörfer in einem Kurzfilm voller ambivalenter Gefühle zu fassen, von dem Teile ebenfalls in Eisenschnäbelige Krähe einmontiert werden.
Flanzendörfer ist in dieser Zeit der intensiven Suche nach Bildern erneut weit von der Sprache entfernt, auch vom gesprochenen Wort. Er und Barndt wechselten bei ihrer gemeinsamen Arbeit zwei Wochen lang kein einziges Wort.
Ein dritter Raum, in dem sich die Spuren Flanzendörfers verlaufen, ist ein Innenraum. Es ist der Innenraum der Sprache einerseits, auch ein Innenraum der Träume und Bilder. Die meisten Fotos zeigen ihn in geschlossenen Räumen, in seinem Film taucht in langen Einstellungen der weiß getünchte Raum eines Turmes auf – der Wasserturm im Berliner Prenzlauer Berg. Er nannte ihn „Zeitturm“, mythisierte ihn zum Kubin’schen Ort. In diesem Raum, reichlich ausstaffiert mit Kerzen, vollführt er verlangsamte Körperbewegungen, Flugversuche. Beschwörungsrituale, in die Vergangenheit gerichtet, wie in Tarkowskis Nostalghia. Bilder, die er auch in den Garuna-Zyklus einmontiert.
Sein Verhältnis zur Sprache war geprägt sowohl von mönchischer Askese, als auch von schwelgerischem Spiel. Freunde berichten von sehr frühen, größtenteils verlorenen, Texten Flanzendörfers aus der Dresdner Zeit, die reine Klangbilder waren. Viele Texte der Berliner Zeit dagegen sprechen eine fast klaustrophobische Sprache. Seine Gedichte leben im Zeitraffer. Kurze Brüche und Sprünge, Überlagerungen von Redewendungen, Satzteilen, Lauten, Gedanken, Wendungen. Das Tempo der Straße in der rush hour liegt ihnen zugrunde, deren diesige, stickige Hektik, Aktivität, Energie, Motorik. Selbstdefinition im Weitergehen, in ständig veränderten Räumen.
Ein enormer Druck lastet auf ihnen, macht sie zu explosiven Gebilden. Texte, denen die Bewegtheit noch anhaftet, die selbst Momente von Bewegtheit sind und in ihren Strukturen einer raschen, gleichsam flüchtigen Intelligenz angehören. Der Kampf um die Wörter ist ihnen noch anzumerken, sie sind zwar behauene, doch oft noch gleichsam rohe Klötzer, mit scharfen ungeschliffenen Kanten. Die Worte ragen ineinander wie die verschachtelten Wrackteile eines Autos nach dem Frontalunfall. Frontal war sein Verhältnis zu den Dingen, zu den Worten, zur Welt. Wie sehr ihm innere und äußere Realität in den Worten verschmilzt, zeigt seine Formulierung am Ende eines Gedichts: gestrickt wie Scherenschnitte / alternd die Nacht mittendurch / die Mauer des Sich. Flanzendörfer wußte, was er schrieb. Text als indirekter Zustandsbericht eines einzelnen. Keine Repräsentanz.
Der ‚lingustic turn‘ in der jungen Poesie der DDR der 80er Jahre wird auch von Flanzendörfer mitgetragen. Doch diese Veränderung der Poethologien ist so überdeutlich, daß sie leicht den Sachverhalt verdeckt, daß gerade, wo sich Sprache in den Vordergrund spielt, von einer bedingungslos auf Subjektsuche drängenden Individualität die Rede ist. Die Texte gehen den Spaltungen, Ver-viel-fältigungen des Ich in seine verschiedenen Sprachen nach, versuchen sie einzufangen, zu fixieren.
Flanzendörfer besaß die damals neue Rimbaud-Übersetzung von Therre und Schmidt (bei Matthes und Seitz) mit ihren Bildern und Kommentaren. Er kante also Rimbauds Wort vom Poeten als Vervielfältiger der Veränderung. Was ihm vielleicht fehlte, war der spielerische Ansatz, mit dem andere Autoren immer wieder eine Distanz zwischen sich und den Text schieben können. Mit dem Namen des Dichters Papenfuß spielend, nennt er sich daher an einer Stelle papenbarfüssig. Er fühlte sich hingezogen zu den unbehausten Dichtern Hölderlin, Böhlendorff und Kafka, zu Heinar Kipphardts Alexander März und zu Syd Barrett, den legendären Gründer von Pink Floyd. Dies ist aus Zitaten und Textanspielungen nachweisbar. James Joyce’ Ulysses hatte er gelesen, an seiner Wohnungstür spielte er mit dessen Namen.
Und doch war sein poetisches Denken, in einem mehrdeutigen Sinne, linear. Er suchte die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, das Unüberbrückbare zwischen zwei Dingen, zwei Menschen, zwei Worten zu überbrücken. Das Wissen um die Unmöglichkeit führte ihn nicht zur Resignation, eher zu Wut, zu Gewaltsamkeit und Abbruch,. Er fühlte sich der Punk-Szene nahestehend, die Risse der Zeit gingen durch sein Denken und seinen Körper. Wie diese reagierte er mit aggressiver Energie.
Der vierte und letzte Ort Flanzendörfers ist die Umgebung Berlins. Eberswalde, die Schorfheide, Waldesruh bei Mahlsdorf, Bernau, eine Mühle bei Marienwerder im Randgebiet Berlins. Seit Ende 1987 zieht er sich immer öfter aus Berlin zurück, offensichtlich immer bedrängter. Es gelingen ihm während dieser Rückzüge noch einige Textzyklen, die zufällig erhalten und auch in diesen Band aufgenommen sind. In diesen letzten Texten sind bemerkenswerte Veränderungen in seinem Stil festzustellen. Sein Interesse wird breiter, die Texte lassen Assoziationen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zu. Er beschäftigt sich mit faschistischer Kunst, mit der Geschichte der RAF, mit hellenistischen Emblemen. Es scheint so, als ob Flanzendörfer neben der Aufarbeitung seiner Kindheit immer wieder und in verschiedenen Richtungen nach Neuansätzen für sein Schreiben gesucht hat. In diesen letzten Texten ist mit der Auflösung der Form auch eine gewisse Befreiung spürbar.
Mit das gehetzte (tier) liegt sogar ein regelrecht erzählender Text vor. Möglich, daß hier künstlerische Perspektiven gelegen hätten. Zugleich aber scheint er sich auf einer immer konfuseren Flucht zu befinden, sein Lebensgefühl verengt sich zum Tode hin. Und es ist nicht auszuschließen, daß er in diesen Tod getrieben wurde.
Im März 1988 kommt es im „Club International“ in der Berliner Karl-Marx-Allee zu einer Fotoausstellung von Volker Barndt, der die Standfotos aus dem gemeinsamen Film zeigt. Dies ist eine der ganz wenigen Gelegenheiten, sich im offiziellen Rahmen als Künstler zu präsentieren. Zu diesem Zeitpunkt aber war Flanzendörfer daran schon nicht mehr interessiert. Der Bruch zu jeder Art offizieller Kultur war bereits zu tief. Ein früherer Versuch, sich in die literarische Öffentlichkeit der DDR einzumischen, war schon grotesk gescheitert. Im Sommer 85 war Flanzendörfer, gemeinsam mit Jansen, zum jährlich von der FDJ organisierten „Poetenseminar“ nach Schwerin eingeladen worden. Die Bevormundung und das kollektive Analysieren seiner Gedichte konnte er, der keinerlei Distanz zu seinen Texten hatte, nicht ertragen. Entsetzt, voller Hohn und Ekel kehrte er vorzeitig zurück.
Kurz darauf hatte er einen Ausreiseantrag gestellt, in dem er auch auf die Nichtintegrierbarkeit seiner Kunstauffassung in die staatlich dirigierte Kultur hinwies. Zudem war er in diesem Herbst von einer Reservisteneinberufung bedroht, die er verweigerte. Nach Besuchen durch die Staatssicherheit mußte er beide Formulierungen zurücknehmen. Der Antrag lief zwar weiter, von Flanzendörfer aber ohne Enthusiasmus betrieben. Ein möglicher Bescheid der Behörden hätte ihn auch gar nicht erreichen können, da er keine Adresse mehr besaß.
Seit dieser Zeit, d.h. seit Mitte 85, war Flanzendörfer einer permanenten Verfolgung durch die Staatssicherheit ausgesetzt. Die Methoden der ‚Bearbeitung‘ waren so vielseitig wie pervers. Eine mehr oder minder konsequente Überwachung der Post und der Telefone bei Freunden, auch ein z.T. tagelanges Verfolgtwerden durch unauffälig-auffällige Herren waren noch am leichtesten zu ignorieren. Der Stasimann „Gröger“ spezialisiert auf den ‚literarischen Untergrund‘, besuchte ihn und versuchte ihn auszufragen.
Gewöhnlich nannte sich das Verhör ‚Gespräch‘. Dieser Mann, der auch andere Autoren aus dem Umkreis des schaden und anderer Zeitschriften aufsuchte, kam wohl aus einer speziell zur Aushöhlung der Berliner Szene gegründeten Abteilung. Er machte zwar eine eher klägliche Figur, wenn er aus seinem Aktenkoffer einen Teebeutel fischte und um ein ‚ungezwungenes Gespräch‘ bat. Aber zur Überwachung kam die Zermürbung. Mit gezielten Nachstellungen und Diffamierungen sollte zur Mitarbeit gezwungen werden. Zum Beispiel tauchte „Gröger“ und ein weiterer Stasimann bei Kutulas auf, als Flanzendörfer gerade zu Besuch war. „Tag Herr L. na wir kennen uns ja“, begrüßten sie ihn betont vertraulich. Man muß das Halbdunkel kennen, in der die inoffizielle Literatur- und Kunstszene in der DDR zu existieren hatten, ihre permanente Gefährdung und auch ihre Abschottung. Paragraphen, jeden mit Ordnungs- oder Gefängnisstrafen zu belegen, waren stets verfügbar. Nur so ist zu begreifen, wie existenzbedrohend diese Art Ankumpelei sein konnte.
Und zur Zermürbung kam die direkte ‚Bearbeitung‘. Mehrfach wurde er abgeholt und nach ‚Gesprächen‘, Einschüchterungen und Drohungen irgendwo am Stadtrand wieder abgesetzt. Schließlich wurden bei einer Haussuchung Manuskripte und Bilder beschlagnahmt – und nach seinem Tod an Freunde zurückgegeben.
Es ist bis heute ganz und gar ungesichert, in welcher Form es Flanzendörfer gelang, sich diesen Erpressungen zu entziehen. Er war, mehr als andere, ungeschützt und gefährdet, als Einzelgänger bestens geeignet, isoliert und ins Zwielicht gerückt zu werden. So wurden Opfer produziert. Die literarische Szene vom Prenzlauer Berg mit ihrer gewollten Ignoranz gegenüber der Stasi, die verhängnisvoll war, konnte ihn nicht schützen. Das Ausmaß der Mittäterschaft der in den literarischen Kreisen arbeitenden IM’s ist zur Zeit noch nicht abzusehen. Wenn demnächst auch diese Akten zugänglich sind, wird sich hier möglicherweise ein perfides Szenario abzeichnen. Jedenfalls scheint es nicht übertrieben zu behaupten, daß die Stasi einen Anteil an seinem Freitod hatte. das gehetzte (tier) hießt einer seiner letzten Zyklen. Und nach seinem Tod lief Stasimann „Gröger“ herum und erkundigte sich, z.B. bei Jansen, ob es in der Szene Gerüchte gäbe, Flanzendörfer habe sich wegen der Stasi umgebracht.
Wo wollen wir bleiben?
Der Fels ist zu Weide gut,
das Trockne zu Trank.
Das Nasse aber zu Speise.
Will einer wohnen,
so sei es an Treppen,
und wo ein Häuslein hinabhängt,
am Wasser halte dich auf.
Und was du hast, ist
Atem zu holen. …
Diese Verse Hölderlins werden in seinem Film eingeblendet. Sie betrafen ihn fast wörtlich.
Seit Anfang 88 hat Flanzendörfer vier Mal gefastet. Sein Fasten war, wie alles, was er tat, radikal. Er hat weder gegessen noch getrunken. Das erste Mal in der Straßburger Straße, das zweite Mal, im Mai 88, in einem Gartenhaus am Weinbergsweg, diesmal bereits 13 Tage. Nach etwa 10 Tagen setzten die Halluzinationen ein, die er wohl gesucht hat. Dort hat ihn der Filmemacher Gino Hahnemann besucht. Alle Türen standen offen, auf einer Matratze lag eine abgemagerte Gestalt, umgeben von beschriebenem Papier und Zeichnungen. Er erkannte ihn nicht, und fragte nach Flanzendörfer. Dessen Antwort war: „Der ist seit 25 Jahren tot“. Ähnlich wie bei der Niederschrift des Zyklus ich zog er sich in vollständige Isolation zurück, nicht um den Tod zu suchen, sondern, wie er behauptete, das Lebendige in sich selbst. Das Experiment mit dem Körper konnte in ein sprachliches übergehen und umgekehrt. Doch anders als zuvor hat er aus diesen letzten Experimenten, die unschwer als Fluchtbewegungen zu entziffern sind, nicht zurückgefunden.
In kurzen Abständen fastete Flanzendörfer zwei Mal im Sommer 1988, zuletzt auf dem Grundstück bei Marienwerder, unmittelbar vor seinem Tod im August. Im Sterben wiederholt er, 25jährig, ein letztes Mal sein Kindheitserlebnis: er springt von einem Feuerwachturm, unweit des Grundstücks. Freunde von ihm warteten in der Nähe.
Peter Böthig, Nachwort, Januar 1992
der sich „flanzendörfer“ nannte, zeichnete, malte, schrieb, drehte Super-8-Filme. Seine Arbeitshaltung ist existenziell. Er entwickelt Text, und läßt ihn geschehen, manchmal scheinbar ohne Anfang und Ende, Momentaufnahmen eines flüchtigen Daseins. von irgend nach wo aufn weg, schreibt er im Gedicht.
Vor unseren Augen arbeitet eine Textmaschine, deren Dynamik sie manchmal zu zerreißen droht. Seine Gedichte leben im Zeitraffer. Kurze Brüche und Sprünge, Überlagerungen von Redewendungen, Satzteilen, Lauten, Gedanken. Das Tempo der Straße in der rush hour liegt ihnen zugrunde, deren diesige, stickige Hektik, Aggressivität, Aktivität und Energie. Selbstdefinition im Weitergehen, in ständig veränderten Räumen
Sein Leben und Schreiben war eng mit der Künstler-Szene in Berlin/DDR verbunden. Als er mit 25 Jahren seinem Leben ein Ende setzte – war dies auch das Zeichen eines weitergehenden Scheiterns?
Er hat an den Worten gelitten. Jedes seiner Gedichte zeugt davon. Die Worte ragen ineinander wie verschachtelte Wrackteile eines Autos nach dem Frontalunfall. Frontal war sein Verhältnis zu den Dingen, zu den Worten, zur Welt.
Flanzendörfers umtriebiges Arbeiten weist auf eine permanente Fluchtbewegung hin, auf eine tiefe Verunsicherung und ein gewaltsames Aufbäumen. Kunst ist für ihn radikale Selbstaussage, Text der indirekte Zustandsbericht eines einzelnen.
Janus Press/BasisDruck Verlag, Klappentext, 1992
… Ein geordneter Nachlaß war nicht vorhanden, Texte und Bilder sind verstreut, nicht weniges scheint der Autor vernichtet zu haben: Frank Lanzendörfer, der sich Flanzendörfer nannte, schied 1988 aus dem Leben, der 25jährige sprang in Bernau von einem Feuerwehrturm. Peter Böthig und Klaus Michael haben Texte, Bilder, Fotos von ihm unter dem Titel unmöglich es leben zusammengestellt. Das ist ein außergewöhnliches Buch geworden, opulent ausgestattet, dabei keine Prachtausgabe, vielmehr ein Lese- und (Ge)Denkbuch in handhabbarer flexibler Broschur: Erinnert wird an einen kreativen Menschen, der Kunst als radikale Selbstsuche und Selbstaussage brauchte.
Gleich die Text-Foto-Collage „Garuna ich bin“, mit der der Band beginnt – eine poetische Biographie vom Mutterleib bis zur Gegenwart −, zeugt von einem Schreiben „auf tod komm raus“ und der „zulassung aller bewußtseinsschichten“. Flanzendörfer war auf der Suche nach dem „was war was bleibt was kommt / lebendes leben & / getöteter tod in / ankunft & ursprung“, wie es in einem Text von 1984 heißt. Es verwundert nicht, wenn man in einem anderen auf die brahmanische Formel „tat twan asi“ (das bist du) stößt, die von der Einheit aller Wesen in einer unsichtbaren Substanz kündet.
Der „Garuna“-Zyklus, so vermerkt der detaillierte Editionsbericht, „entstand 1986 als Versuch poetischer Wiedergeburt nach einer längeren Phase des Hungerns“. Leibliche und Wortexistenz verschmelzen auf beängstigende Weise im Experiment. Häufiger Wechsel des Wohnorts, mehrmaliges Fasten, der Versuch, unauffindbar zu sein, der Wunsch nach grenzenlosem, also flüchtigem Dasein, der Traum vom Fliegen schließlich sind von tödlicher Konsequenz. Doch sind nicht Peter Böthigs Hinweise auf die Repressalien der Staatssicherheit zu vergessen, denen Flanzendörfer ausgesetzt war. Dieser Druck konnte das Gefühl „unmöglich es leben“, nur verstärken.
Wenn so wie hier Leben und Schreiben beziehungsweise Malen, Filmen zu einer Aktion werden, wird die Unterscheidung von Entwurf (manches ist Skizze und Fragment) und „Werk“ fraglich, muß Literaturkritik über den Geltungsbereich ihrer Urteile nachdenken. Ich habe versucht, Flanzendörfers „wrackmente“ quasi ohne Vorwissen zu lesen. Auch dann können sie nur auf den ersten Blick als freies Assoziieren in und mit der Sprache beschrieben werden, denn dieses ist zugleich der Ausdrucks- und Seelenlage dessen verhaftet, der die Sprache gebraucht – existentiell braucht. Böthig bemerkt in seinem eindringlichen Nachwort, daß Flanzendörfer der spielerische Ansatz fehlte, mit dem andere Autoren immer wieder eine Distanz zwischen sich und den Text schieben können. Körper und Sprache, Wort, Bild und Leben, hier sind sie ein Unteilbares. Tat twan asi. …
Jürgen Engler, 1992
− Befremdlich und erschütternd: Die gesammelten Werke des Ost-Berliner Dichters Flanzendörfer. −
Sieben Jahre versuchte er sich als Künstler. Lebte in kleinen Zimmern in Dresden und Berlin. Publizierte in verbotenen Zeitschriften des DDR-Untergrunds. Nach mehrjähriger staatspolizeilicher Verfolgung, mehrmaliger Verhaftung durch die Stasi, nach mehreren selbstauferlegten Hungerwochen, sprang er im Sommer 1988, ein Jahr vor dem Ende der DDR, von einem Feuerwachturm in Berlin. Der sächsische Schriftsteller, Zeichner, Maler und Filmemacher Frank Lanzendörfer, 1962 in Oberpoyritz, nahe Dresden, geboren, wurde nur 25 Jahre alt.
Während seines Dienstes beim Militär 1981/82 begann er, Gedichte zu schreiben. Als Künstler nannte er sich seither schlicht Flanzendörfer. Er zog für ein Jahr nach Dresden, übersiedelte 1984 nach Berlin.
Vier Jahre tauchte er in die Künstlerszene am Prenzlauer Berg ein, wechselte, als wäre er unentwegt auf der Flucht, rastlos die Adresse. Für die Arbeit suchte er die Isolation, die Einsamkeit. In den wenigen Jahren bis zu seinem Tod entstanden einige Bild- und Textzyklen, ein paar Dutzend kürzere Texte, Gedichte und Prosa. Soweit sie nicht von ihm selbst wieder vernichtet wurden, sind sie nun auf knapp 200 Seiten gesammelt. Photos und Reproduktionen von Bildern (zum Teil in Farbe) ergänzen den Band, der einen erschütternden Einblick gibt in ein ernstes und radikales Künstlerleben dieser Generation. Früher hätte man eine derartige Haltung wohl „existentiell“ genannt, denn sie setzt in jedem Text, in jeder künstlerischen Gebärde die eigene Person rückhaltlos ein, als gelte es, sich selbst darin auf Leben und Tod zu prüfen.
Der Dichter Flanzendörfer bietet dem Leser keine vergnügliche, keine unbeschwerte Lektüre. Für ihn paßt auch nicht der Terminus vom frühvollendeten Schriftsteller, den man nach seinem Tod rasch vereinnahmen kann. Verzweifelte, schmerzhafte Selbsterkundung, etwa der eigenen Kindheit, dominiert in dem Zykls „garuna, ich bin“. Die lyrischen Texte sind mit übermalten Photos, Zeichnungen und Collagen ergänzt, der Assoziationsradius ist oft schwer nachvollziehbar. Manchmal haben diese expressiven Texte auch etwas vom spätpubertären Hinausschreien des Kindheitselends, wie es von gewissen Selbsterfahrungsrezepten verlangt wird.
Eine Literatur, die die eigene Biographie und die innerste seelische Verfassung des Autors ausbeutet und zum Thema macht, hat ihre Grenzen. Auch diese Begrenztheit kann man dem Buch ablesen.
Die wilden, düsteren, scheinbar unkontrollierten Notizen einer künstlerischen Selbsterkundung, in denen Motive des Abschieds, Tod, Fremdwerden, Den-Schatten-Verlieren et cetera häufig vorkommen, bringen aber auch eine tragische Schönheit hervor. Ein Beispiel dazu:
die ursprüngliche unbeholfenheit
die fähigkeiten der überanstrengung
aufschwünge der niedergeschlagenheit
kann man modifizieren, transformieren
stilisieren, nicht jedoch berappen
& wenn; streckt stolz dich nieder
totenkult gut – alles gut oder
aber die toten träumen uns nur
Viele der in diesem Buch gesammelten Texte sind skizzenhaft, fragmentarisch, gleichen kurzen Notizen einer unablässigen Lebensdokumentation in Spurenelementen.
Sprachspielerische Versuche, die an Ernst Jandl erinnern, finden sich darin ebenso wie die umgangssprachlich durchsetzte Prosa, die Arno Schmidt zum Vorbild haben dürfte. Und natürlich lassen sich die Analogien zu den Texten von Bert Papenfuß-Gorek, des bekanntesten Dichters der Ost-Berliner Szene dieser Jahre, nicht übersehen.
Flanzendörfers verzweifelter Versuch, seinem Leben als Künstler Sinn zu geben, läßt sich zugleich auch als Ausdruck eines Lebensgefühls dieser Generation von DDR-Jugendlichen begreifen. Man kann an Hand dieser Texte authentisch das Zerbrechen eines (sprachlichen) Zusammenhangs mit der älteren Generation in der DDR ablesen. Die im Westen anerkannte Literatur der DDR, ihre Themen und Traditionen, hat in diesen Gedichten, dieser Prosa keinerlei Spuren hinterlassen.
Nach all den Berichten, Dokumentationen und Anthologien über die junge Künstlerszene der achtziger Jahre in der DDR könnte man an Hand der Texte und Bilder von Flanzendörfer erleben, wie diese Welt der jungen Künstler Ost-Berlins wirklich, das heißt von innen, aussah. Denn fernab von allen Erklärungen, die den Blick eher verstellen, sprechen hier Biographie, Texte und Bilder eine Sprache, die über den einzelnen, konkreten Fall hinaus Einblick gibt in die tieferen Schichten der „Prenzlauer-Berg-Künstlerwelt“.
Allerdings wird man dabei das Gefühl nicht los, ein Voyeur zu sein. Zu befremdlich, zu erschütternd sind die Dinge, die sich einem bei dieser Erkundung zeigen.
Gerhard Wolfs Berliner Verlag Janus press, in dem einige der bedeutendsten Autoren der jüngeren Ost-Berliner Literaturszene verlegt werden (Bert Papenfuß-Gorek, Jan Faktor, Gabriele Stötzer-Kachold und andere), hat mit großer Einfühlung und gestalterischer Genauigkeit den sächsischen Dichter Flanzendörfer vor dem Vergessenwerden gerettet.
Klemens Renoldner, Die Presse, 7.11.1992
Die literarischen und bildkünstlerischen Arbeiten eines Unbehausten, eines rastlosen jungen Mannes „on the road“ lassen sich nicht im Kaminsessel konsumieren, goutieren schon gar nicht. Frank Lanzendörfer (1962 bis 1988), der sich Flanzendörfer, Lanzer oder Dörfler nannte, ließ sich nicht fangen, war immer „von irgend nach wo aufn weg“, existierte autonom – in der DDR nannte man es wohl „asozial“. „Marode malocht kriegt sich jeder genug / vom großen Kuchen satt & sittsam besoffen“ – die Satten und Sittsamen hatte er gefressen.
Sein anarchischer Protest äußerte sich als ästhetischer und wurde als politischer verstanden – vielleicht auch, weil die Staatshüter seinen brillanten Wortspielen nicht zu folgen vermochten. Folgenreich war also sein Lebenswandel, der ihn zu einem Gehetzten machte: „Der Biber, vom Jäger verfolgt, beißt sich seine Hoden ab & wirft sie ihm (dem Jäger hin).“ Als listenreiches Tier schlug sich der Dörfler durch den Großstadtdschungel: „Ich / lebe um leben / zu täuschen.“ Hinter all den Aufbrüchen und Abbrüchen mag sich aber auch die Sehnsucht nach der Blockhütte im Erzgebirge gehalten haben, das Ideal der selbstbestimmten Existenz: „Angst haben & / lieren können & / Lust winnen & / Unfugnes treiben & / Sinne brauchen & …“ Statt dessen Beklemmung und Verkrampfung, wildes Sich-Ausleben, immer auf der Flucht. Und schließlich der letzte Fluchtpunkt: „tropfend da fiel ein / Engel herab und / zerschellte vorm / Haus / ich sah ihn und / suchte meinen Schatten / vergebens“.
Frank Lanzendörfer hat in gewisser Weise bewußt auf den Tod zugelebt. Seine Experimente hatten ihn bereits mehrfach an die Grenzen der physischen Existenz geführt, und irgendwann erschien es ihm dann endgültig „unmöglich (es) zu leben“. Ein letztes Mal verwirklichte er seinen auf ein Kindheitserlebnis zurückgehenden Traum vom Fliegen, vom freien Fall.
Geblieben sind „wrackmente“, Fotos, Texte und Zeichnungen, sofern er sie nicht vernichtet hatte. Einen „Nachlaß“ im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Peter Böthig und Klaus Michael haben die flanzendörferschen Lebenszeugnisse mit beinahe detektivischem Aufwand aufgespürt, und gesammelt, Martin Hoffmann hat das wertvolle, einmalige Buch unmöglich es leben gestaltet. Gerhard Wolf hat es in seinem Janus Press Verlag erscheinen lassen. Ein Stück „Literatur der DDR“ wurde damit bewahrt.
Peter L. Zweig, Neues Deutschland, 13./14.6.1992
− Frank Flanzendörfers Nachlaß. −
Er pfiff darauf, verstanden zu werden und widmete sich lieber dem Anarchismus und Okkultismus. Als sich der 25jährige ostdeutsche Poet Frank Lanzendörfer – der sich Flanzendörfer nannte – im August 1988 nach radikalem Fasten von einem Feuerwachtturm stürzte, wußte nur eine Handvoll Künstler in Ostberlin über Werk und Schicksal des jungen Mannes zu berichten. Selten war er in Erscheinung getreten: als Maler, Filmemacher und Autor. „An seiner Wohnungstür hing kein Namenschild, er versuchte zeitlebens, unauffindbar zu sein“ – so der Berliner Essayist Peter Böthig. Und Böthig hat jetzt, zusammen mit Klaus Michael, postum, das erste umfassende Flanzendörfer-Buch herausgegeben.
Darin ist der junge Mann abgebildet: punkig-aggressiv, oder frisch rasiert im Nadelstreifenjackett – dann selbstübermalt. Er veränderte sein Aussehen aus Prinzip und verwischte seine Spuren mit Sorgsamkeit. Ein junger Dichter auf der Suche nach seiner Identität, im Dauerkonflikt mit der staatlichen Unterdrückungsmaschine“ (Nachwort), von der Stasi bewacht, verhört, gepeinigt. Natürlich – so einer schreibt, zumal sehr jung, aus existentiellen Gründen und als Überlebensübung. Die Botschaft ist das Eigene: Sie liegt auch in der spröden Anziehungskraft der Flanzendörfer-Dichtung.
Keine Sprachverweigerung, wie sie von DDR-Dichtern dieser Generation in den Prenzlauer-Berg-80ern betrieben wurde. Der stille Dichter nahm sich selbst zum lauten Thema, ohne in den Vordergrund treten zu wollen. Seine Verse sind zum Teil erschreckende Dokumente von Unfreiheit und Seelennot.
Er hat es sich in seinen künstlerischen Arbeiten nicht leicht gemacht. Er suchte von Anfang an das Experiment und schloß konsequent seinen eigenen Körper mit ein: So fastete er bis zur Besinnungslosigkeit, begab sich in Halluzinationszustände und rauschhafte Delirien. Der radikale Poet fordert sich seine Authentizität mit harten Methoden selbst ab.
1984 druckte das POE-SIE-ALL-BUM „Zersammlung“ zwei Texte von ihm – die Ausgabe wurde beschlagnahmt. Flanzendörfer publizierte von da an vereinzelt in den inoffiziellen Kleinzeitungen wie schaden. Schließlich ein Lichtblick: Die Lyrikerin Elke Erb setzt sich für ihn erfolgreich ein: Ins Luchterhand -Jahrbuch der Lyrik 1986 werden seine Texte aufgenommen.
„im fremden eigen / im eigenen / fremd hier wie dort“, schreibt er. Seine Sätze sind ungeordnete, sind nichts verkündende Dada-Punk-Trümmer, ganz in sich gekehrt, aus unterschiedlichstem Material bestehend. Weich und zerbröckelnd, wenn er im Gedicht „Ich“ seinen Lebenslauf thematisiert: „unerträglichkeit, die nicht abgebaut / fortgesetzt nach / Objekten sucht“. Altbekannt, im Szenejargon, der sprachspielerisch-ehrgeizige Zyklus „achkrach kuckbuck“. Und glühend, wenn er sich im langen, erzählenden Gedicht „der bau“ – angelehnt an Kafkas Erzählung dieses Titels −, Terrorismus und Blixa Bargeld halbherzig streifend, ein Leben in einer eigenen, selbstgeschaffenen Welt herbeisehnt.
Zwischen dem unsteten und sich selbst verwandelnden Künstler Flanzendörfer und seinen Texten, Bildern und Filmen, fehlt jede Distanz. Inneres ist Äußeres und umgekehrt: „gestrickt wie Scherenschnitte / alternd die Nacht mittendurch / die Mauer des ich“.
Das Fehlen von Improvisation und sprachlichem Kitt zwischen Dichter und Werk wirft auf das Gesamtwerk ein tragisches Licht. Deutlich tritt die Bedrohung des Schreibenden durch Staat und Stasi zu Tage: „trostlos eingewohnt & / land vermessen ausgewandert / von irgend nach wo aufn weg“.
Das Buch unmöglich es leben ist ein beeindruckendes Dokument, das erstmals einen Einblick in die schwer zugängliche Welt des Frank Flanzendörfer ermöglicht. Doch die beiden Herausgeber sind bei der lebendigen Buchkonzeption, der Manie unterlegen, alles was sie von Flanzendörfer ausfindig machen konnten, publizieren zu müssen: So steht Starkes neben Schwachem, und der eigentliche Kern der Texte ist kaum zu entdecken: „leib eigen & fremd“.
Ekkehart Baumgartner, Süddeutsche Zeitung, 18./19.7.1992
− Das unmögliche Leben Frank Lanzendörfers in Gedichten und Dokumenten. −
In Gerhard Wolfs Verlag Janus press ist ein Buch erschienen, das sich einreiht in die zahlreichen Veröffentlichungen über die unabhängige Szene des Prenzlauer Berges der 80er Jahre, aber sich auch deutlich von diesen unterscheidet. Der Band stellt die Ergebnisse künstlerischen Schaffens eines Autors vor, dessen Lebenswerk abgeschlossen, aber Fragment geblieben ist.
Frank Lanzendörfer, Jahrgang 1962, beginnt in den frühen 80er Jahren zu schreiben. Er nennt sich flanzendörfer, findet Kontakte zu Dresdner Autoren und Künstlern, veröffentlicht in der dortigen unabhängigen Künstlerzeitschrift UND. 1984 geht er nach Berlin und hinterläßt vielfältige Spuren seiner Kreativität. Zusammen mit Freunden gründet er die Künstlerzeitschrift SCHADEN und veröffentlicht regelmäßig in ihr. Er gibt Künstlerbücher heraus und dreht Super-8-Filme. Es entstehen Bilder und Zeichnungen, die er in Wohnungsgalerien ausstellt. Es die Zeit des Ostberliner Punk. Er spielt Schlagzeug und gestaltet Performances.
Und dies bei häufigem Wohnungswechsel, permanenter Geldnot, anhaltendem Abgang von Freunden in den Westen, ständiger Bedrängnis durch die Staatssicherheit. Wie Peter Böthig im Nachwort schreibt: Sehr viel Aufbruch und häufiger Abbruch. Diesem setzt flanzendörfer im August 1988 ein Ende, nicht ohne vorher die ihm erreichbaren Arbeiten zu verbrennen, und springt in der Nähe Marienwerders von einem Feuerwachturm.
Das Buch stellt sämtliche verfügbaren Arbeiten flanzendörfers vor. Es ist Werkübersicht und Dokument zugleich. Auf knapp 200 Seiten wird das verzweifelte Ringen um Leben anhand von Texten, Zeichnungen, Bildern und Fotografien vorgeführt. Flanzendörfer sucht nach Erklärungen und versucht zu verstehen. Geburt, Kindheit, Eltern, Schule, Beziehungen sind unter anderm Themen. Später dann Kunst und Nazi-Kunst, die RAF sowie die Mythologien. Und immer wieder sein ich:
ich
ich bin du
du bist
das bist du
Original-Typoskripte und Handschriften stehen neben Zeichnungen und Grafiken. Fotografien, Fotoübermalungen, Einzelbilder und Bildsequenzen belegen den Aktionscharakter seiner Arbeit. Gerade dieser Wechsel der Formen im Buch schafft einen Kontakt zu flanzendörfers Existenz und bringt dem Leser seine künstlerische Vita näher.
Die Herausgeber Peter Böthig und Klaus Michael haben sämtliches ihnen zugängliches Material von flanzendörfers Freunden und aus eigenen Archiven zusammengetragen, gesichtet und zugeordnet. Das Nachwort fächert notwendigerweise das Leben flanzendörfers auf und erleichtert dadurch deutlich den Umgang mit den Texten.
Uwe Warnke, Berliner Zeitung, Nr. 53
− Flanzendörfer-Texte bei janus press erschienen. −
Im August 1988 stürzt er sich von einem Turm zu Tode: Frank Lanzendörfer, ein Fünfundzwanzigjähriger, dessen künstlerische Experimente ihn gleichsam getrieben haben und die in immer dichterer Form Zeugnis geben von seinem eigenwilligen ästhetischen Weg. Nebenprodukt seiner fortgesetzten Wortspiele und Kombinationsversuche ist das Pseudonym: Flanzendörfer. Unter diesem Namen ediert Gerhard Wolfs Verlag janus press nunmehr die Hinterlassenschaft des in Dresden Gebürtigen. Der Titel des Bandes: unmöglich es leben.
Poesie – und nicht nur sie – bedeutet Flanzendörfer Bruch mit der Tradition, Selbstsuche, Sinnsuche, Distanz zu den Elaboraten rasch etablierter Kunst, Absage an das Verlogene der Angepaßten: „wie / immer stehen alle herum, leblos, schein- / tot“ („ich“). Der künstlerische Zickzackweg führt ihn ins Dickicht der Signa. Was die Schule gepredigt hat, stereotype (Schein-)Moral, Getue, stößt er von sich. Die Tatsache, beobachtet zu sein, die unauffällig-auffällige Präsenz der Stasi sind ein Moment der Katapultierung ins Aus.
Die innere Not des unsteten indes sitzt tiefer: Geburt und Tod, Sinn und Nonsens, Atem und drohendes Nichts: ewige Gegensatzpaare. Er balanciert sie auf der Zunge, unvollkommen und genial in einem. Seine tiefe Verwunderung. „WAS IST WIRKLICHKEIT?“ Auf seinem labyrinthischen Such-und-Fluchtweg gelangt der Experimentator seiner selbst in den Kreis der jungen Künstler des Prenzlauer Bergs um Bert Papenfuß-Gorek.
Er sucht Kontakte, löst sie aber gleichwohl, wechselt die Aufenthaltsorte, löscht Spuren, vernichtet seine künstlerischen Zeugnisse: Texte, Collagen, Filme, Grafik… Weniges nur liegt vor. Eine Sammlung, die die ästhetischen Schalenstadien erkennen läßt. Arbeiten, flankiert außerdem von solchen des Freundes, Johannes Jansen.
So ist ein durchaus erhellender Kontext entstanden aus bereits Veröffentlichtem, aus Hinterlassenem, Zyklen, Fotosynthese, aus Bild und Text. Künstlerische Schaffenszeichen und Lebensbeweise, die Papenfuß-Gorek, Kutulas, Jansen und andere bewahrten. Wertvoll auch die Biographie „leib eigen und fremd“ zu Flanzendörfer von Peter Böthig und der editorische Bericht Klaus Michaels, eine zum Verstehen mancher Zusammenhänge geeignete Hilfe.
Mit Flugversuchen, die der Künstler als Kind, springend von den Rändern eines in der Nähe zum elterlichen Anwesen gelegenen Steinbruchs unternimmt, hängt seine poetische Vision zusammen. Durch eines seiner Wortspiele, ein Wortquadrat, scheint er selbst zu dringen: „dertot wärtotdertot … wärnot“. Die sich anbietenden Sinnelemente mit sich ziehend, gibt er sich das unausweichliche Ziel:
inschei
dung aufdemfeld dungaufdem
feld held fälltheld feld s
ooooooooooooooooooooooooo.
Schaffensimpulse, die von Eigen-Sinn zeugen. „Im Sterben“, so ist aus dem Lebensbericht zu erfahren, „wiederholt er… ein letztes Mal sein Kindheitserlebnis: er springt von einem Feuerwachturm … Freunde von ihm warteten in der Nähe.“
Eine seltsame Konstellation, als sei der Beweis anzutreten, daß einer über die Fähigkeit verfügt, mittels innerer Kräfte über die Alltagsoberfläche zu steigen gleich Baudelaires Albatros.
Peter Gehrisch, Sächsische Zeitung, 11.6.1992
− „flanzendörfer“ schrieb, malte, zeichnete und schwieg. −
Fast vier Jahre nachdem sich Frank Lanzendörfer mit fünfundzwanzig das Leben nahm, wurde ein erstes Dokument, veröffentlicht. Für den Autor, der sich flanzendörfer nannte – wahrscheinlich um seine Verwandtschaft mit pflanzlichen und dörflichen Existenzen zu assoziieren −, war Schreiben eine zum Extrem verbogene Lebensform.
Ich lernte Lanzendörfer bei der Arbeit an der „inoffiziellen“ Zeitschrift BIZARRE STÄDTE kennen. Für deren ersten Band gestaltete er GARUNA, ICH BIN, eine Collage aus Texten, Fotos, Grafiken und Überarbeitungen – Autobiographie eines anonymen ICH, so unentschieden zwischen Lanzendörfer und flanzendörfer, daß der Autor mit drei Kreuzen unterschrieb. Mit dieser Collage beginnt das Buch. Ein Text voller abgründiger Melancholie und seltsam unironischer Sehnsucht nach Harmonie:
ich bin krank
… die stimme der mutter: alles wird
wieder gut. ein vogel, es ist winter, das leben,
ist herrlich. & es ist der väterliche stammplatz,
sonst ihm vorbehalten, nun darf ich &
kein gezeter, glücklich sein.
Lanzendörfer litt an seinem Einzelgängertum und an der ihn umgebenden Vormundschaft. Im Mai 1988 kam es in meiner Pankower Wohnung zu einer denkwürdigen Begegnung, als zwei Stasi-Leute auftauchten und Lanzendörfer, der mich besuchen wollte, augenzwinkernd grüßten: „Ach, Herr Lanzendörfer, Guten Tag!“ Ich fragte verdutzt: „Sie kennen sich?“ Der jüngere Mann erwiderte: „Kennen ist gut gesagt, was Herr Lanzendörfer?! Ich dachte, sie sind schon längst weg!“ Er spielte auf den zurückgezogenen Ausreiseantrag Lanzendörfers an. Die beiden Stasi-Leute wurden unsicher, wie immer, wenn ihnen die konspirative Grundlage genommen war. Ich schwieg; Lanzendörfer saß stumm kippelnd auf einem Stuhl, das Schweigen dem Raum regelrecht aufzwingend. Nach fünf Minuten unerträglicher Stille standen die beiden Stasi-Leute auf und gingen fort.
Dieser Terror der Stille gehörte zu den beliebten „Instrumenten“, deren sich Lanzendörfer bediente, um Spannung in den sonst trostlosen Augenblick zu holen. „telepathie eine leichtigkeit“ schreibt er irgendwo. Ähnliche Szenen, in ganz anderen Zusammenhängen, erlebte ich mit ihm immer wieder. Aber Lanzendörfer experimentierte vor allem an sich selbst und an allem um sich herum – abstands- und kompromißlos.
Rigorosität näherte die Motivation und beeinflußte die Methodik seines Schreibens: „Er schlägt auf den vergangenen satz. / der satz bricht zusammen, ersteht von neuem“ heißt es im Text „unmöglich es leben“, der dem ganzen Buch den Titel gab, ein Titel, der heute so symbolisch wirkt, daß ich ihn gern austauschen würde. Denn eigentlich paßt er zu gut zu den wehmütigen und zugleich abgehackten poetischen Bildern flanzendörfers:
sonstwie & so
dope verfressen hineingeraten staaten
verlost & eingelocht fürs überzeug
auszuziehn unter grund lodernde
vögel &s meer steine hulahula
kannibalisch behufen
& eileicht loki & heidrun lokal &
abort tatort zum vergiss
mich kerl halleluja das rote
tischtuchthälmanntinnef rotztrotzklotz ich
verselbständiger eigensverstand hinter
treffen hinter zimmer &s.fern
& so fort attentätertaten not
geboren im schuttschmand simpel
& simplex weiß schwarz mann frau
spiel flegelbekehrt ichdu
zu sagen wir sagbar gewimmel bimbam
lebens trümmer tod im wüsten
land niemands spur weberknecht
durch treten & tretmühlen über morgen
gestern entfernt eben
bürtig & heikel das zweischneidige
selbst wandler & wandelbar aus
ein ander in ander grate
verborgen dem gang nach
gutböser gefahr
Asteris Kutulas, Die Wochenpost, 27.8.1992
− Aus dem Nachlass des Dichters, der sich flanzendörfer nannte. −
„versehe ich von ganzen worten die hälften“, heisst es am Anfang von unmöglich es leben. Gerhard Wolf stellt in seiner noch jungen Janus press mit Frank Lanzendörfer, der sich flanzendörfer nannte, einen bemerkenswerten Vertreter der anarchischen Underground-Literatur vom Prenzlauer Berg vor, der mit seinen Sprachwölfen, seinen Zertrümmerungen scheinbarer Ordnung und fragwürdiger Konvention auf ein Ordnungssystem reagierte, das ihm nicht entsprach. 1988 nahm sich flanzendörfer 25jährig das Leben; sein erstes Buch ist eine Auswahl aus dem Nachlass.
„gekrümmt im mutterleib, bin vollendet, will raus, / durchkommen“, schreibt flanzendörfer in seinem Zyklus „Garuna ich bin“, einer Kombination von Text mit handschriftlich bearbeiteten Bildcollagen, eine poetische Biografie, von den Herausgebern des Bandes, Peter Böthig und Klaus Michael, an den Anfang gestellt. Dieser zentrale Text, der in der Version „ich“ auch am Ende steht, ist der wohl eindrucksvollste Beleg für die Begabung des jungen Dichters, der von sich behauptet: „ich bin alles, bin die welt & / schrumpfend gehe ich meiner bestimmung entgegen“. Die „ich“-Version beginnt mit der Geburt, dann: Sequenzen aus der Kindheit; traumnah, traumatisch skizziert er sein Anderssein, die Entfernung von den anderen:
(…)
immer stehen alle herum, leblos, schein-
tot. ich gehe durch sie, durch alle,
ich gehe hindurch&da ist er
wieder, der flusz, schoenes klares
fliessendes wasser. ich ziehe mich
aus, gehe ins wasser, schwimme
hindurch. (…)
Beim Schwimmen: ein Verschwimmen der Kontur, und dann, beim Tauchen.
(…) & dort
die toten, massenhaft. ich rufe,
keine antwort; hall im kloakentunnel.
spaeter in der s-bahn die aufbahrung
eines jungen maedchens. ich zuende
alle kerzen an, ein kindersarg.
schwebend im raum, energiebuendel
aussendend, das entstehen einer neuen
sonne (…)
Wolfs Janus press und die beiden Herausgeber haben bei unmöglich es leben Vorbildliches geleistet: Ein sehr schön aufgemachtes Buch gibt dem Interessierten die Möglichkeit, den früh verstorbenen flanzendörfer aus verschiedenen Blickwinkeln wahrzunehmen. Als Autor, dem es um Existentielles geht, der, was insbesondere am Prenzlauer Berg charakteristisch war, sich nicht nur mit einer künstlerischen Ausdrucksform zufriedengab, sondern Texte mit Bildern, Montagen verband, oder, ganz losgelöst von der Sprache: zeichnend, malend, filmend – „cross over“, entgrenzend, Und im Nachwort stellen Böthig und Michael neben dem Werk auch die Person vor: flanzendörfer als ein Mensch mit nomadenhaftem Leben, ständig wechselnden Adressen, der auch mit seinem Körper experimentiert hat. Durch radikales Fasten bis zur Halluzination. Als sein Kollege Gino Hahnemann ihn in dieser Verfassung besuchte, aber nicht erkannte und nach flanzendörfer fragte, sagte er: „Der ist seit 25 Jahren tot“.
Dieter M. Gräf, Basler Zeitung, 28.8.1992
− Den Namen Frank Lanzendörfer kennt kaum jemand. Auch in der Literaturwissenschaft gehört er nicht zum Kanon der Autoren von wissenschaftlichem Interesse. Selbst die Diskussion, die durch Sascha Anderson um den Prenzlauer Berg entfacht wurde, trugen nicht dazu bei, ihn bekannter zu machen, und das, obwohl er mit seinen radikalen sprachlichen Experimenten, mit seinem fast manischen Bedürfnis, sich als Künstler auszuleben, zu malen, Unmengen von Texten zu produzieren, einer der konturiertesten Vertreter der Alternativ-Kultur der DDR war. Lanzendörfer ist tot. Er starb im Sommer 1988, gerade erst 25 Jahre alt geworden. −
Zur Zeit sieht es so aus, als seien die Chancen gut, daß sein Name nicht völlig in Vergessenheit gerät. Peter Böthig, der wesentlich daran beteiligt war, die künstlerischen Werke des toten Autors und Malers ausfindig zu machen, hat in der ZEIT im März einen biographischen Essay über Lanzendörfer veröffentlichen können, der inzwischen auch in Lanzendörfers gesammelten Werken, die gerade unter dem Titel unmöglich es leben erschienen sind, mitabgedruckt ist. Und Fritz J Raddatz hat im Mai in einem Rückblick auf die sogenannte „alternative Literaturszene der DDR“ Lanzendörfer immerhin nicht übersehen. Bis Lanzendörfers Texte an Universitäten und Schulen gelesen werden – falls überhaupt – werden noch Jahre vergehen. Vielleicht ist das auch gut so.
Lanzendörfer, der sich selbst flanzendörfer nannte, hatte mit gesellschaftlichen Institutionen, mit allem, was nach Staat aussah, roch oder seine Embleme trug, am liebsten gar nicht zu tun. Die DDR war ihm ein Unland. Fremd hat er sich dort gefühlt und je länger dieses Gefühl anhielt, umso schlimmer wurde es. Aus der Wut über die Konformität einer nach außen hin stromlinienförmig sozialistischen Gesellschaft wurde schließlich die Resignation: Anfangs suchte Lanzendörfer noch den Austausch mit anderen Künstlern, die gemeinsame Auseinandersetzung. Am Ende seines Lebens suchte er nicht mehr in dieser Richtung, wollte sich zurückziehen in eine Blockhütte im Erzgebirge, sich verabschieden von einer Gesellschaft, die für unangepaßte, eigen-willige Künstler keinen Platz ließ.
Die DDR-Kulturpolitik sah Künstler wie ihn nicht vor, machte ihn zum Opfer, verurteilte ihn auf ihre Weise. Die kulturpolitischen Mauerschützen sind nicht mehr auszumachen, werden nie verurteilt werden. Umso wichtiger ist es, ihre Opfer ernstzunehmen. Im Fall von Lanzendörfer lohnt sich das allemal. Seine Lyrik ist fast durchgehend unpolitisch und ohne „Botschaften“. Flanzendörfer war kein Reiner Kunze der Subkultur, kein Oppositioneller in diesem Sinn, aber doch einer, der sich verweigerte, der politisch und sprachlich nicht mitspielte, seinen eigenen Weg ging und dabei literarisch eben doch einiges zu Papier brachte, was die eilige Verurteilung der Alternativ-Kultur am Prenzlauer Berg oder gar solche Vorwürfe, dabei habe es sich um „dadaistisches Gemurkse und poststrukturalistisches Geschwätz“ gehandelt, Lügen straft. Es stimmt: auch bei den Literaten am Prenzlauer Berg hatte die Stasi ihre Finger im Spiel. Und wer dort seine politischen Helden suchte, mag jetzt enttäuscht sein, daß Sascha Anderson eben doch ein Arschloch ist. Das heißt aber noch lange nicht, daß diese Subkultur der DDR nichts literarisch Lesenswertes hervorgebracht hätte. Lanzendörfer ist da ein Einstieg.
Er hatte keine Berufschance, keine Galerien, keine Medien. Wenn er je veröffentlicht wurde, dann in winzigen Zeitschriften aus der Alternativszene, ignoriert vom verordneten Mainstream des Kulturbetriebes, chancenlos, mißtrauisch beobachtet von der Stasi, die – soweit sich das rekonstruieren läßt, seine Post und sein Telefon überwachte, versuchte, ihn zu diffamieren, in Verhören mürbe zu machen. Ob das der Grund für seinen Selbstmord war, bleibt dahingestellt. Daß die Bedingungen in dem Land, in dem er lebte, ihn keine Zukunft sehen ließen, kann als sicher gelten.
Kurz vor seinem Tod hat Frank Lanzendörfer alle seine Texte, die für ihn greifbar waren, verbrannt. Nichts sollte übrig bleiben, nichts davon hielt er selbst für wichtig. Die Herausgeber seines Nachlasses haben es geschafft, dennoch eine ansehnliche Anzahl seiner Texte ausfindig zu machen, solche, die bereits gedruckt waren, in Untergrundzeitschriften meistens oder solche, die Lanzendörfer an Freunde verschenkt hatte. Zusammengekommen ist eine ganze Menge. Viele Fotos gehören dazu, die Lanzendörfer zeigen und auf denen man ihn dennoch nicht erkennt: immer sieht er anders aus, immer hat er sein Gesicht verändert, die Frisur, die Mimik, als wolle er dem Objektiv seine Identität nicht preisgeben. Der kleine Verlag janus press hat nicht abgewinkt, auch graphische und malerische Arbeiten mitaufzunehmen, unschöne, schmerzvolle Bilder, die Zerstörung, Wut oder Angst thematisieren. Die literarischen Texte lassen sich von den bildnerischen Arbeiten gar nicht trennen, sind oft genug in Collagenform mit ihnen verbunden. Die ältesten erhaltenen Texte Lanzendörfers stammen aus dem Jahr 1981. Damals war er 19 und mußte zur Nationalen Volksarmee, zum „verheerenden dienst“, wie er selbst es nannte.
winter
kälte brennt in dem gesicht
mit verwunderten Augen
betrachte ich
das warme
haus
Das ist das älteste Gedicht, das sich in unmöglich es leben findet, noch nicht sehr originell und im Vergleich zu Lanzendörfers späterer Spiellust geradezu einfallslos. Schon bald ließ Lanzendörfer die Verse tanzen, spielte mit der Ambivalenz von Wörtern, nutzte die Möglichkeiten des Enjambements bis zum Exzeß und mit immer wieder verblüffenden Ergebnissen.
Lanzendörfer haßte Zeichensetzung ebensosehr wie Großschreibung. In seinen Gedichten verzichtete er darauf. Seine Lyrik war ein Versuch, die Regeln der Sprache zu durchbrechen, wo immer es ging. Oft hat er sich an graphischen Gedichten versucht, in denen die Syntax überhaupt keine Rolle mehr spielte. Seine Lyrik ist nicht primär auf Verständigung angelegt. Lanzendörfer teilt sich mit, indem er die Sprache aus sich rausläßt, ohne sie im Hinblick auf andere zu zügeln.
Lanzendörers Texte sind ein Suchen wie sein Leben. Ständig zog er um. Behördenpost erreichte ihn schließlich nicht mehr, er hatte keine eigene Adresse. Sein Leben wurde zum Rückzug. Seit Beginn des Jahres 1988 begann er regelmäßig zu fasten: er aß nichts und er trank nichts mehr, solange bis Halluzinationen einsetzten. Im Sommer des Jahres stürzte er sich im Glauben, fliegen zu können, von einem Feuerwachturm. Als man ihn fand, war er tot.
Andreas Heimann, Diabolo, Magazin aus Oldenburg, 8/1992
− Das „agora-Projekt“ mit Texten von flanzendörfer. −
Der Erker im Saal des Literaturhauses ist mit Plastikfolie drapiert. Vier Stühle aus dem Café, drei Deckenstrahler aus dem Haus: eine spartanische Bühne, ein starkes Stück. Das agora-Projekt, aus einem langjährigen Lee-Strasberg-Workshop hervorgegangen, hat einen literarischen Text fürs Theater erobert. Drei Frauen spielen Sprache: „leib eigen & fremd“, sprechen stammeln, kichern Sätze, setzen Wort Schritt für Schritt mitten ins Auge und direkt ins Ohr, Worte, die dort noch lange rumoren nach „unmöglich es leben, szenen nach texten von flanzendörfer“.
Flanzendörfer? Kennt hier jemand einen Franz Lanzendörfer? Daß niemand ihn kennt, überrascht nicht. Wer aber will ihn kennenlernen? Ich zähle. Eine Fußballmannschaft und die Auswechselbank. Mehr nicht. „Und lassen sich im wenigen gut gehen.“ Ist das die Antwort? Sind diese Worte der dritten Frau die Erklärung für den erschreckenden Mangel an Neugier?
neugier, was noch kommt, das wenige, bleibend das andere, aufgehoben, weder romantik: die häufige wiederkehr von natur, abgebildet: meer, sonne auf, sonne unter, vögel, gibt mir zu denken, obenauf: es stinkt! versenkung geschieht im mehr: lunamond, gaia die erde. deportation von götzen, luftangriff, atemnot – warten, daß es schlechter wird, warten, daß es besser wird, warten auf zauberfrau/-mann, zeit vergeht, embryonal & in sich verschlungen. längst dem fruchtwasser entstiegen träumen sie heldisch (mann), hexend (frau) & lassen sich im wenigen gut gehen…
Laßt es euch heldisch & hexend gut gehen an euren Stammtischen, beschwört Utopien, befrachtet die Zukunft und schwört ihr ab, der Gegenwart. Lamentiert: über das müde Gekicke in Dresden und darüber, daß nichts los sei in der Stadt.
ich deute alles um & in grenzen funktionierts, bis die pleite kommt – durchgefallen! du denkst an morgen, träumst von besseren zeiten, vergangenheit überwältigt, klarzukommen: deine zeit sei noch nicht gekommen, deine zeit sei die, die war, gleichzeitig, die, die sei & wird: utopien werden beschworen, zukunft befrachtet, gegenwart abgeschworen – lieber nichts als das…
„Unmöglich es leben“. Recht geschieht es euch! Aber geschieht es Thomas Beckermann recht, der den Autor flanzendörfer und das agora-Projekt aus dem Drüben gefischt hat, Perlen für die Buch- und Messestadt Frankfurt? Stell dir vor, es gibt was zu entdecken, bloß: keiner geht hin. Und in den Stammkneipen?
freiwillig gehen sie mit, stellen keine
fragen. wie zu einem fest geht es zu
einem punkt irgendwo im land. in langer
überlieferung zählt das gesetz: gibt es
nichts, ist es gleichgültig. ihr auf-
trag bleibt in ihnen, wissen sie auch
nicht worin er besteht
Ist er doch selbst schuld, der Beckermann.
Wie kann man einen vorstellen, der Frank Lanzendörfer heißt, der sich flanzendörfer nennt, auch mal pflanzer und dörfler? Haben wir uns denn die schicke Villa, das Literaturhaus, erkämpft, damit dort Ostler in einer Theater-Performance einen Ostler vorstellen, den niemand kennt? Dazu noch einen der tot ist, einen, der, ein Einzelgänger, von der Staatssicherheit gehetzt, zum Opfer nicht mal taugen mag?
der biber, vom jäger verfolgt, beißt sich seine hoden ab & wirft sie ihm (dem jäger) hin. trifft er danach erneut auf ihn (den jäger), dreht er sich um (auf den rücken), damit er, der jäger, sieht, daß er, der biber, seine hoden schon geopfert hat (die der gesellschaft als zaubermitttel von ihm, dem jäger, dargebracht werden).
Lanzendörfer, Jahrgang 1962, aufgewachsen in einem Ort hinter Dresden, einem Ort wie eine verlassene Filmkulisse, ist tot. Er hat sich , nach 25 Jahren Fluchtbewegung das Leben genommen.
Seine Spuren sind Texte und Zeichnungen, „wrackmente“, die er verstreut hinterließ (alle ihm erreichbaren Arbeiten hat er vor seinem Tod vernichtet), die im Buch unmöglich es leben versammelt sind. Versenkung im mehr oder weiterhin lieber nichts als das?
Rainer Zufall, Frankfurter Rundschau, 19.10.1992
Ein Text in drei Teilen:
1. Vorspann zum Anlauf, 2. Anlauf zum Text, 3. Text zur Wirklichkeit
(ein Abschnitt aus dem Teil 3:)
ich habe aber – also was die Angelegenheiten des Gesprächs oder Nicht-Gesprächs betrifft – zum Beispiel auch im Fall von Frank L. etwas mehr als wenig Schuld auf mich geladen \
ich habe mal in einem für ihn vielleicht entscheidenden Augenblick oder Zeitabschnitt eine durch seine auf mich gerichteten, eindringend leuchtenden Augen übermittelte Bitte freundlich, aber entschieden mißachtet \
zwar geschah das nur aus Ratlosigkeit, es war mir aber damals schon sofort bewußt, daß meine Nichtachtung seiner Bitte eine traurige Sauerei war und daß ich das kleine bißchen Mitgefühl, das in diesem Moment für die Herstellung des Kontakts mit ihm nötig gewesen wäre und das in mir ansonsten präsent ist – manchmal mehr, manchmal eben weniger gut greifbar −, nur hätte kurz mobilisieren müssen \
weil ich aber die ganzen Jahre, wo es möglich gewesen wäre, ihn näher kennenzulernen, mit ihm nie direkt oder kaum zu tun hatte, ihn zwei oder drei Jahre – oder noch länger – vor dieser letzten, gerade erwähnten Begegnung überhaupt nicht zu Gesicht bekam, und kaum wußte, wie er die ganze Zeit lebte, wo er sich aufhielt …, also weil die ganzen Jahre, in denen ich ihm persönlich hätte näher kommen können, nichts dergleichen möglich wurde – durch Zufälle nicht und auch nicht durch Vermittlung, also durch Dritte −, und auch weil Frank L. selbst auch nie Versuche unternahm, mit mir direkt Kontakt aufzunehmen, konnten sich zwischen uns auch keine auf etwas Gewesenes sich bindenden Verpflichtungsgefühle verwurzeln \
es gab hier also erstmal keinen unmittelbaren Druck, mir um ihn in einer für ihn wie auch immer kritischen Situation persönlich Sorgen zu machen \
für einen Impuls, daß für seine zarte Person – und am besten sofort – jemand Verantwortung übernehmen müßte (im Notfall nun also eben ich), fehlte mir das nötige Vorwissen, wie es in ihm und in seinem Leben um ihn herum funktionierte – ich durfte im Prinzip ahnungslos bleiben und mich mit der Annahme zufrieden geben, Frank hätte sicher genügend andere Menschen an der Hand, die ihm näher standen als ich und die sich um ihn schon kümmern würden, wenn es wirklich nötig sein solle \
Frank überfiel mich – trotz des unausgefüllten, unklaren Verhältnisses zwischen uns −, überfiel mich an dem Abend aber regelrecht – ich muß es wirklich so benennen (es ging alles sehr schnell und seine Blick-Attacke war massiv), er überfiel mich ganz überraschend mit einem plötzlichen, leider etwas unangenehm saugartigen Versuch, sich meine Person zu greifen, sich meine auch zarte Person vorzunehmen, sich mich im Stück – diese Angst tauchte auch kurz auf – ohne jegliche Vorwarnung oder Vorfühlung einzuverleiben; so spät, dachte ich, zu einem so späten Zeitpunkt, nach so vielen Jahren, in denen zwischen uns überhaupt nichts, sagte ich schon überhaupt nichts passierte \
er überfiel mich mit einem seltsam überexponierten, bis heute für mich relativ klar erinnerlichten Gesichtsausdruck, der wegen der verdeckten, aber nicht ganz verborgenen dunkleren Unterschichten als einer der Not gedeutet werden konnte \
er verstrahlte seine Not nicht ganz demonstrativ, dafür aber – trotz der Indirektheit – sehr intensiv; und daß er in Not war, muß bei mir als eine nicht nur unterschwellige Botschaft sehr schnell angekommen sein, auch wenn diese sich in mir als solche vielleicht erst mit einer kleinen Verspätung etwas klarer verfestigen konnte \
jedenfalls ist anzunehmen, daß diese Botschaft bei mir gleich zu Beginn unseres Blickkontakts in egal wie roher Form ankam \
und ich fürchte – die genauere Erinnerung an die Chronologie des Empfangs des Frank L. betreffende Informationen ist mir aber längst entwischt −, ich fürchte, ich wußte damals davon, daß er schon seit längerem schwierige Zeiten durchmachte; zwar nur vom Hörensagen, aber jemand hat mir höchstwahrscheinlich schon vor dieser unserer letzten Begegnung erzählt, daß er Frank – irgendwo in der Stadt seit längerem ein eigenartiges Ein-Zimmer- Leben lebte und dort seltsame Dinge trieb \
aber diese zusätzlichen, seinen Zustand – das nahm ich an – idealisierenden Geschichten, die über ihn erzählt wurden – also daß das, was mit ihm los war und wie verrückt er manchmal vor sich hinvegetierte, ganz eng zu seiner Kunst gehörte (gehören sollte), oder daß das Ganze sogar das Kernstück dieser seiner Kunst wäre – diese Teile der Geschichten nahm ich so, wie sie erzählt wurden, den Überbringern nicht ab \
also muß ich relativ gut gewußt haben, daß er einsam war und immer wieder dabei, in der Alltagsrealität – psychisch auf jeden Fall – ziemlich orientierungslos zu waten; oder daß er sie schon teilweise hinter sich gelassen hatte \
man erzählte beispielsweise, daß er tagelang – eine ganze Woche lang oder noch länger – hungerte, daß er sogar öfters seltsame Hungerexperimente veranstaltete, bei denen er zum Beispiel tage und nächtelang auf dem Bett lag und beobachtete, wie sich die sicher sowieso nicht mehr eßbaren – Lebensmittel auf dem Tisch vor seinen Augen veränderten; Butter war dabei, wurde erzählt, das weiß ich noch, Schimmelbrot auch \
\
sein Versuch an dem Abend, um den es mir hier geht; sein Versuch um Kontakt mit mir sah so aus, daß er mich erstmal mit einem überbreiten Lächeln von weitem anstrahlte – es war in Leipzig nach einer Gruppenlesung, die ein Mensch namens Asteris organisiert hatte und an der Frank hätte auch teilnehmen sollen oder wollen \
ich glaube, er sollte sogar als einer der Lesenden dabei sein, kam mit dem Zug aus Berlin aber zu spät an \
er war also da, saß da, wollte wenigstens hinterher wahrgenommen werden, denke ich, mehr vielleicht nicht; genauer weiß ich es aber nicht und habe es auch damals nicht gewußt \
der Umstand natürlich – das muß man sich klar machen −, daß er überhaupt kam, bedeutete einiges; es bedeutete zum Beispiel, daß er, der einsame Frank L., Öffentlichkeit offenbar doch haben und genießen wollte, daß er nicht ausschließlich für seine ranzige Butter hatte leiden wollen, denke ich \
Frank saß, während sich das Publikum langsam auflöste (die seltsame Lesung, bei der er fehlte, war gerade vorbei) …, Frank saß an einer der Bars in der Moritzbastei und hielt – es sah so aus – mit etwas irrer Intensität Ausschau; das erste, was ICH sah, also fokussierte – ich kam gerade heraus aus dem gewölbten großen Raum – waren nicht irgendwelche anderen Leute, die ich auch kannte, was ich sah, war gerade er, wie er mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Tür schaute; und er strahlte und lächelte, strahlte und lachte mich breit an \
plötzlich lachte mich da also ein Mensch an – und gab mir zu verstehen, daß es ihm unendlich viel Freude bereitet, MICH, gerade mich und niemanden sonst zu sehen; ich sehe ihn noch heute vor mir, und ich war nicht in der Lage, seine so verführerische Botschaft im allerersten Moment anders als so pur wahrzunehmen; und ich könnte sie (sie in diesem kurzen Moment) auch heute – rein äußerlich – nicht viel oder schwer anders beschreiben \
aber die Sachlage war, hoffe ich jedenfalls, doch etwas anders: ich konnte nicht der einzige gewesen sein, auf den er wartete, mit dem er eventuell vorhatte zu sprechen und dem er vorsorglich, voreilig zulächelte; dieses Lächeln hatte nicht von vornherein bin ich mir ziemlich sicher – einen bestimmten Adressaten, ich konnte nicht der einzige gewesen sein – auch wenn er bei seiner Lebensweise nicht sehr viele, die bei dieser Leipziger Lesung anwesend waren, gekannt haben konnte \
es ging ihm höchstwahrscheinlich also nicht speziell um mich an dem Abend, damit kann ich mich ohne größere Bedenken – glaube ich – trösten; gänzlich ausschließen kann ich es aber trotzdem nicht, da Frank gewußt haben mußte, wer bei der Lesung dabei war – und ich kann es nicht ausschließen, daß er ausgerechnet auf mich irgendwelche Hoffnungen setzte, mich meinte und eventuell tatsächlich auf mich wartete \
einigermaßen klar ist nur eins: er brauchte jemanden – darum ging es −, er brauchte jemanden, der ihm wenigstens ein bißchen vertraut war, oder bei dem ‘es eine gewisse Hoffnung gab, daß mit ihm wenigstens ein bißchen Vertrautheit hergestellt werden könnte \
soweit deutlich war die Sache schon \
er hatte mit mir an diesem Abend aber Pech – ausgerechnet nach der einigermaßen überstandenen, etwas zu groß geratenen Veranstaltung, bei der ich mich die ganze Zeit nicht ganz wohl fühlte, wollte ich niemanden mehr sehen und sprechen \
in dem entscheidenden Moment, wo ich auf seine Botschaft nicht reagierte, bei der Ablehnung seiner großen Bitte spielte es also keine besondere Rolle, daß ER das war, der mich brauchte \
das heißt – auch wenn es heute keinem mehr hilft: es ging in dem Moment nicht um seine, ein anderes mal eventuell einigermaßen auffangbare , kurzzeitig ertragbare Not \
die vom umtriebigen Asteris organisierte Lesung war ziemlich anstrengend und ich war noch voll unaufgelöster Spannung und ich wollte aus der unterirdischen Enge einfach schnellstens verschwinden, wollte niemanden mehr sehen; und einen, der mir zu alle dem noch versprach, zusätzlich neue Anstrengung zu verursachen, schon gar nicht \
das einladende, überweite, zerreißende Lächeln von ihm, konnte ich in dem Moment absolut nicht gebrauchen \
aber sein Lächeln war auch objektiv unpassend – es war so überschäumend herzlich, daß es viel eher zu einem Treffen zweier langjährigen Freunde gepaßt hätte, die sich überraschender Weise – und nach wirklich langer Zeit, in der sie sich gegenseitig intensiv vermißten – zufällig begegneten \
\
ich kann mich an vieles aus der zweiten, also tieferen Ebene dieser Begegnung natürlich nicht mehr erinnern, einiges weiß ich eigenartigerweise aber doch ziemlich genau \
mein Eindruck von Frank – um noch auf die Nachwehen der ersten Sekunden der Begegnung zurückzukommen – war ausgesprochen irritierend; ich wußte plötzlich nicht recht, wie ich sein Lächeln deuten sollte; oder direkter ausgedrückt: wie er es selbst mit seinem Lächeln meinte, was er -, wenn er statt des Lächelns hätte sprechen können – vielleicht sagen würde \
es hätte sein können, kam mir in einem kurzen Moment plötzlich vor, daß er über uns vielleicht mehr wußte als ich selbst, daß er etwas – was uns beide betraf – wußte, wovon ich keine Ahnung hatte, wovon ich aber längst hätte wissen sollen; es hätte sein können, daß ich etwas relativ Unbedeutendes oder Flüchtiges, was für ihn wegen des Zusammenhangs mit mir aber eine viel größere Rolle spielte als für mich, wegen der Flüchtigkeit oder partiellen Bedeutungslosigkeit vergaß; und es hätte auch sein können, daß er das, was er wußte (und ich wirklich nicht wissen konnte), mir mit diesem Lächeln vorankündigen und es mir dann auch gleich mitteilen wollte \
und es hätte auch noch sein können, daß wir uns – mir kam kurz auch dieser beängstigende und durch einen schreckhaft plötzlichen Aussetzer meines Erinnerungsvermögens mögliche Gedanke – vielleicht doch mal näher gestanden hatten, als ich in dem Moment annahm beziehungsweise wahr haben wollte; daß zwischen uns früher mehr los war, als ich mich wegen der unangenehmen kurzzeitigen Schreckblockade eben erinnern konnte; ganz kurz blitzte es in mir als eine Möglichkeit auf, daß ich wirklich etwas hätte vergessen haben können (und es wäre nicht das erste Mal gewesen in meinem erwachsenen Leben), es blitzte in mir, als ob etwas da gewesen wäre – als ob ich eine wichtige Begegnung von uns beiden in der Zwischenzeit doch vergessen hätte \
sein Lächeln kann ich jetzt nachträglich, glaube ich, legitimerweise gerade deswegen als etwas irre bezeichnen, weil Frank darin – ohne es offensichtlich im geringsten zu ahnen – viel zuviel an unkontrollierten Bedeutungen beziehungsweise Deutungsmöglichkeiten hineinlegte; ich darf es, glaube ich, als etwas irre bezeichnen, weil er überfrachtend zerstörerisch, also auf einmal und im voraus sehr viel von seinen, in dem Fall an mich gerichteten Erwartungen publik machte, sie alle als diffuse Summe schon gleich im voraus verriet, ohne die Dosierung der Bekanntgabe seiner Hoffnungen oder Erwartungen wenigstens auf die ersten Rückkopplungssignale zu binden und sie erst allmählich preiszugeben \
ich sah ihn, sah sein Lächeln, ich lächelte auch, grüßte ihn freundlich – halb im Gehen \
und ich mußte mich dann in diesem winzigen Augenblick entscheiden – trotz der von mir empfangenen und gleichzeitig auch in mir aufgekommenen Widersprüche; und ich entschied mich schließlich (auf die Gefahr hin, daß ich etwas, was ich von ihm erfahren könnte oder sollte, nicht erfahre), ich entschied mich, nicht zu ihm zu gehen und mich nicht auf ein Gespräch mit ihm einzulassen \
sein Lächeln war von einer so verrückten Seltsamkeit, daß ich wußte, ich würde (und die Verantwortung für das egal wie kurze Miteinander würde hundertprozentig ICH übernehmen müssen, das war klar) auf keinen Fall in der Lage sein, in der Situation, in der ich mich aktuell befand, eine einigermaßen sinnvolle Begegnung mitzumachen und durchzuhalten – und zusätzlich eben auch noch aktiv zu gestalten \
in der nächsten gedanklichen Welle wurde ich mir dann zwar doch noch einigermaßen sicher, daß sein Lächeln eine Vertrautheit nur vorgetäuscht haben konnte, daß diese zwischen uns davor oder irgendwann früher doch nicht dagewesen ist …; es wurde dadurch also zwar klarer (mir klarer), daß Frank diese seltsame Art von Vertrautheit – als Notnagel, als Ausweg aus seiner Isolation – einseitig versucht hatte, um jeden Preis, auf gut Glück, einfach aus dem Nichts herzustellen; es war dann für mich aber längst schon viel zu spät, die in mir aufgekeimte Entscheidung noch zu kippen \
aber es war letzten Endes sowieso – und ich lag hier nicht ganz falsch, denke ich – es war sowieso vorauszusehen, daß es sofort nach dem Austausch der ersten formaleren Fragen und Antworten zwischen uns nur zu irgendwelchen Peinlichkeiten oder quälenden Leerläufen gekommen wäre, wenn ich zu seinem Krampf noch meinen Nachlesungskrampf dazugetan hätte; ausreichend schwierig reagiere ich schon bei viel harmloseren atmosphärischen Störungen, wie man sich vorstellen kann – und damals war es natürlich noch mehr der Fall als heute \
es war also klar, daß die Stimmung nach der einseitigüberfreudigen Eröffnung nur hätte abrupt absacken können, daß sie so strahlend höchstens eine halbe Minute zu halten gewesen wäre \
und unabhängig von all dem, was sonst noch in mir nach der gerade absolvierten Lesung gegen die Aufnahme des Kontakts mit ihm sprach – innerlich wäre ich höchstwahrscheinlich auch zu einem anderen Zeitpunkt nicht ohne weiteres in der Lage gewesen, Franks üppige (so üppige, wie an diesem Abend) Spannung abzufangen und zu verarbeiten \
und an diesem Abend eben auf gar keinen Fall \
speziell an diesem Abend hatte ich absolut keine Reserven für besondere Kraftakte, keinen Mut, das – egal wie geartete Gespräch – freundlich und geduldig in die Hand zu nehmen; geschweige denn länger als einen Satz lang so breit oder ähnlich intensiv zu lächeln wie er \
ich kann für ihn im Moment nicht viel machen, nichts machen, dachte ich in dem entscheidenden Quentchen Zeit, das mir vor meiner Flucht noch übrig blieb \
was dabei aber noch eine Rolle spielte (ich hätte es vielleicht rechtzeitig doch noch gesondert hervorheben, etwas früher in die Beschreibung der Zeitspanne vor der Flucht einbeziehen sollen) und was sehr wahrscheinlich ist: zu dem Fazit, daß ich für ihn nichts machen kann (nichts machen will), zu meiner klaren, kurz gefaßten Entscheidung zu verschwinden, kam ich nicht unabhängig von meinem egal wie leisen Wissen über seine – seine Lebensführung und Vereinsamung begleitenden Dauerdepressionen (oder was es war), sondern gerade wegen dieses Wissens \
damit will ich noch einmal anführen, daß ich – obwohl ich wirklich nicht mehr wissen kann, wann ich genau, wieviel und wie genau über seine Depressionen erfahren habe – eventuell damals schon einiges wußte und es nicht erst später, als Frank plötzlich ein größeres Gesprächsthema war, erfuhr \
die Logik der Chronologie der Informationsflüsse, also die Logik der Ankünfte der Informationen spricht also eher gegen mich, habe ich stark das Gefühl \
\
aber – Schluß jetzt, so kompliziert war es vielleicht doch nicht \
wir hätten natürlich reden können \
wir hätten über irgend etwas reden können; es hätte nicht unbedingt eine Rolle spielen müssen, daß ich über seine persönliche Situation – von den einigen extremen Geschichten abgesehen seit Jahren nichts Genaueres wußte \
es war also eine gar nicht so spektakuläre Begegnung und sie wäre mit etwas Geduld auch für mich vielleicht einigermaßen absolvierbar, auch weil sie wegen der nicht ganz einfachen Ausgangslage sicher einen etwas größeren Energieaufwand bedeutet hätte; es war eine Begegnung, in der er – und darum ging es eindeutig – derjenige war, der für kurze Zeit etwas Aufmerksamkeit und Zuneigung brauchte; um mehr ging es nicht \
meine Entscheidung für den leisen Abgang war ein kleines Verbrechen, will ich hiermit eingestehen; es war eine Sauerei, weil Frank von mir eigentlich gar nichts Besonderes wollte \
und ich hätte sein Lächeln trotz der Zeitknappheit in dem Moment der Entscheidung auch ganz anders, leichter und einfacher interpretieren können – und wenigstens kurz bei ihm bleiben \
ich habe ihn also – wie gesagt – nur freundlich und kurz gegrüßt und – wenn ich mich nicht irre – zur Erklärung noch hinzugefügt, daß ich in Eile wäre und weg müßte; und ich ging weiter \
verabredet war ich natürlich nirgendwo und besonders müde war ich auch nicht \
es war im Frühjahr … und einige wenige Wochen vor seinem Selbstmord \
Jan Faktor, aus: Zersammelt, Theater der Zeit, 2001
… nannte und schrieb sich flanzendörfer, wahrscheinlich um seine Verwandtschaft mit pflanzlichen und dörflichen Existenzen zu assoziieren, und gehörte zu den Wenigen, die ich kannte, für die Schreiben nichts anderes war, als eine ins Extrem verbogene Lebensform.
Lanzendörfer lernte ich 1987 durch Johannes Jansen bei der Arbeit an der in der DDR „inoffiziellen“ Zeitschrift BIZARRE STÄDTE kennen, für deren ersten Band er GARUNA, ICH BIN gestaltete, eine Collage aus Texten, Fotos, Grafiken und Überarbeitungen; die Autobiographie eines anonymen ICH – so unentschieden zwischen Lanzendörfer und flanzendörfer, dass der Autor mit drei Kreuzen unterschrieb. Er saß tagelang in unserer Pankower Wohnung und schrieb und malte an seinem Geburts-Epos, nachdem Johannes die erste Version des Textes in meinem Atari-Computer abgeschrieben hatte.
Lanzendörfer litt nicht nur an seinem Einzelgängertum, sondern auch an der von ihm so empfundenen, ihn umgebenden Vormundschaft – durch Freunde und Feinde. Im Mai 1988 kam es in meiner Pankower Wohnung zu einer Begegnung der dritten Art, als zwei Stasileute bei mir auftauchten, die Lanzendörfer, der gerade bei mir zu Besuch war, augenzwinkernd grüßten: „Ach, Herr Lanzendörfer, Guten Tag!“ Woraufhin ich verdutzt fragte: „Sie kennen sich?“ Der jüngere erwiderte: „Kennen, ist gut gesagt! Was, Herr Lanzendörfer! Ich dachte, Sie sind schon längst weg!“ Er spielte damit auf einen längst von Lanzendörfer zurückgezogenen Ausreiseantrag an. Die beiden Stasileute wurden unsicher, wie immer, wenn ihnen die konspirative Grundlage genommen war: Ich schwieg, da ich nichts von ihnen wollte, Lanzendörfer saß stumm kippelnd auf einem Stuhl, diese Stummheit dem Raum regelrecht aufzwingend. Nach etwa fünf Minuten einer immer unerträglicheren Stille standen die beiden Stasileute auf und gingen fort.
Diesen Terror der Stille – wie ich es nennen würde – kultivierte Lanzendörfer geradezu wie ein Beamter, der von seinen Papieren nicht aufsah und die Menschen warten ließ, ja diese Art des Terrors gehörte zu den beliebten „Instrumenten“, derer er sich bediente, um sich Spannung in den sonst für ihn langweiligen und trostlosen Augenblick zu holen; ähnliche Szenen, in ganz anderen Zusammenhängen, erlebte ich mit ihm immer wieder. Aber er experimentierte – vor allem – an sich selbst und an allen um sich herum, abstands- und kompromisslos. Damit, dass jemand scherzte, kam er kaum klar. Bis er abhob und sich in die Tiefe stürzte… als er hatte fliegen wollen.
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Ich erinnere mich, daß Lanzendörfer bei unserer ersten Begegnung ein rotes, weißgepunktetes Halstuch trug. Er reagierte, kaum in unsere Küche eingetreten, sehr allergisch auf das dudelnde Radio und forderte mich auf, es sofort auszuschalten. Später fiel noch der Satz, er stamme von Zigeunern ab. Schon während dieser ersten Begegnung beeindruckte mich sein flüchtiges Wesen; er besuchte mich noch ein paar mal, wir trafen uns manchmal auf der Straße, bei Lesungen, auf U-Bahnhöfen, vor allem auf U-Bahnhöfen – doch am „wirklichsten“ erschien er mir in seinen Texten, so wie in diesem hier:
ich treffe niemand
niemand sagt mir:
niemand zu hause
also gehe ich
&
niemand ist da
öffnet die tür
& ich
setze mich zu niemand
& sitze
sagt niemand zu mir:
geh, keiner da
bleibe, sagt keiner
ich gehe
Für Bizarre Städte schrieb er, wie gesagt, das „autobiographische Poem“, wie ich als Germanist sagen würde, doch besser nicht, Lanzendörfer hatte nichts mit Germanistik im Sinn, also er schrieb den Text GARUNA, ICH BIN!, ein großartiger Wurf, finde ich, der mir allerdings die meiste Kritik einbrachte, wenn es um den 1. Band ging; mit einigen wenigen Ausnahmen (Volker Braun zum Beispiel fand den Text als einer der wenigen hervorragend). Lanzendörfer arbeitete nicht nur verläßlich, es machte ihm sichtlich Spaß, einen Auftrag auszuführen, der ihm freie Hand ließ, sich so auszudrücken, wie er es wollte. So saß er stundenlang an meinem Computer bei mir zu Hause in Pankow und schrieb, druckte aus, malte, collagierte… Ich hatte ihn um einen zehnseitigen Beitrag gebeten, bekam von ihm aber eine 28seitige Collage im Din-A4-Format – bestehend aus Fotos, Grafiken, Schrift, verschiedenen Texten und Gedichten –, die mich so überzeugte, daß ich sie so, wie sie war, xerokopierte und in den 1. Band aufnahm.
Das werde ich nie vergessen: die Lesungen mit Lanzendörfer, seine zwischenmenschlichen Eskapaden, seine gnadenlosen Urteile über alles und jeden. Das war nicht jedermanns Sache. Ich mochte es sehr, obwohl seine eine für mich eher transzendendierende Welt war, also nicht unbedingt deckungsgleich mit meiner eher rationalistischen Sichtweise der Dinge. Sei standhaft, Frank, wo immer du auch sein magst, „techtels & mechtels“…
Asteris Kutuals, facebook, Bizarre Städte, 24.1.2012
Wo jedes Detail, das auf Misstrauen hindeutete, schmerzhaft war und die landesüblichen Verweigerungstechniken das Bild der Landschaft prägten wie der Klumpen, der sich im Halse festgesetzt hatte, bevor man etwas Wesentliches äußern konnte. Wie sieht eine Normalität aus, wollte man fragen, doch jene blutarmen Räume, in denen man sich befand, widersetzten sich hartnäckig jedweder Vorstellung von Ausgeglichenheit. So musste ich über die Jahre hinweg immer wieder an ihn denken, dem doch nichts anderes als ein Gleichgewicht vorgeschwebt war, vielleicht aus einem Geschrei gebürtig. Ich dachte an seine Hoffnung auf einen Zustand, der einen ungehindert eine Straße entlanggehen ließ. Ich dachte daran, da man jetzt ja nur noch so hüllen-, ja fast hautlos unterwegs sein konnte und die Konstrukte zur Rettung der eigenen Persönlichkeit immer irrsinniger wurden. Gefährdungen durch alles, was ihn umgab, aber damals in seiner Naivität nicht gespürt wurde, da es ihm vielmehr Spielzeug war, bis er das Unbezwingbare erkannte und sich selbst abschaffen wollte wie eine Thronfolge, die zu Ende zu bringen war. An einem Punkt ankommen mit der Gewissheit, fertig zu sein. Wie lebt es sich hinter dem Scheitern, hätte er fragen können, wo er die Klinke doch schon in der Hand hielt. Maßlose Mutmaßung angesichts der Kompromisslosigkeit seiner Haltung. Der Hast zu entkommen zog er sich in sich zurück. Wie eine Schnecke, die sich in ihrer Behausung selbst überholt, trat er durch sich hindurch und hinaus in eine Ferne, die er für machbar hielt – dieser Sturz, der nur als Flug zu begreifen ist. Nicht einmal eine Antwort auf die Widerwärtigkeit der Umstände, sondern einfach ein persönlicher Akt gegen jedwede Form der Unterwerfung. Wo andere sich ins Bett legen würden, um zu warten bis es vorbei ist, da trat er als Veitstänzer auf, im Sturmschritt gegen die ihn umgebenden Fassaden. Eine Grenze nach oben hin zu durchbrechen – Flugphantasie. Oder er verharrte still an einer ihm bedeutend erscheinenden Ecke, Eindrücke zu sammeln für ein Hinterher. Sich haltbar zu machen gegen ein Vergessen, das von Gestern kam und das er fürchtete. Sorgfältig verteilte er sein Werk an Stellen, wo er um seine Aufbewahrung wusste. Streng sich selbst und den anderen gegenüber schuf er ein Bild von sich, das Bestand haben sollte. Noch Jahre später schritt er korrigierend durch meinen Traum, gab Anweisungen zur Verbesserung einer Arbeit, die sich mit ihm beschäftigte. Wenn ich mich recht entsinne, so bat er um etwas, das ihm Einlass gewähren könne, eine Formulierung, die etwas Tröstendes hätte. Als er noch da war, schrieb er selbst an solchen Gebilden in der Hoffnung, Regeln für die eigene Existenz zu erfinden, etwas festzusetzen, einen Halt, einen einzigen Satz haltbar zu machen. Eine Konsequenz, die eindeutig war, sich ein Leben zu erschreiben durch die Arbeit am Text, die das Leben ist, schutzbedürftig, aber gewappnet gegen die Vorhaltungen einer Unzeit, die ihn mit Haltungsfragen bombardierte. So schien er plötzlich zum All-Menschen geworden zu sein, um so alles auf sich beziehen zu können, da alles der unmittelbare Ausdruck einer Menschlichkeit war, einer sehr vielschichtigen und abgründigen Menschlichkeit, die sich aber doch auf einen Kern reduzieren ließ, nämlich auf jenen All-Menschen, zu dem er nun geworden war und so beinahe ängstlich die Straßen abschritt in dem Bewusstsein, eine Mitte zu bedeuten, oder in dem Gedanken an die unbedingte Richtigkeit seiner Person sich dem Hunger hingab, der Einsicht provozieren sollte, Erinnerung an den Ort seiner Herkunft. Überhaupt schien ihm der Hunger etwas Existenzerhaltendes zu bedeuten, etwas, das ihm Substanz gab und ihn sich aufrichten ließ, unabhängig von körperlichen Schwierigkeiten, die er in Kauf nahm einer Klarheit zuliebe, die ihm kein anderer Vorgang bieten konnte. Oder sich in einer Geschichte aufgehoben zu fühlen, einfach als Figur zu überleben, gefährdet zwar, doch gesichert von einer Handlung, die durch Vergangenheit stützt. Aber es stützte eben keine Vergangenheit auch wenn sie sehr bildhaft schien, vor allem in den Momenten des Hungerns. Es half nichts, die Haut war weg, hatte sich aufgebraucht in den Jahren, und nun war nur noch dieses Gerüst mit lidlosem Blick, der in ein schlichtes Grauen gerichtet wahr. Täglich von neuem. Unmögliches Leben, ohne Aussicht auf einen Blickfang, der Ruhe beschwören könnte. Plötzlich nicht mehr zu wissen wie das geht, nicht mehr an den Leuten vorbeizukommen, der Raum, der plötzlich seine Ecken verliert, die Abmachung, die ihre Bedeutung einbüßt. All das überfiel ihn vermutlich, trieb ihn noch mehr in sich hinein, bis es kaum noch aushaltbar schien. Den Kreislauf zu durchbrechen, was ihm als Vorstellung vorgeschwebt war, besetzte ihn nun vollends, sodass er sich nur noch selbst als Endpunkt begreifen konnte. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, er sei an der Tristesse eingegangen, an den ödsinnigen Straßen, den Verhinderungs- und Selbstverhinderungstechniken seiner Umgebung. Ich denke, eingegangen wäre er so oder so, denn er war auf dem Weg, und es gibt ein Künstlertum, das eine äußerste Grenze markiert, und diese Grenze läuft quer durch alle Verhältnisse. Gefährdeten Geistes noch im Sturz an einem Halm sich zu halten. So viele Vorstellungen über ein Hinterher. Was macht die Welt mit denen, die auf ihr keinen Platz finden können? Sollen sie alle so gehen, oder ist dieser Abgang viel mehr eine Frage der eigenen Vollendung? Wenn schon nicht anders, dann so? Ich werde nicht klagen. Ich kann ihn gut verstehen, immer besser mit den Jahren. Aber etwas bleibt offen. Diese Frage vielleicht. Vielleicht auch nur die Feststellung nicht vorhandener Verbindlichkeiten…
Johannes Jansen, Konzepte, Heft 21, Dezember 2001
Martin Holz: 1. ,Von irgend nach wo‘ auf der Suche
aaaaaaaaaaa2. Text: flanzendörfer unruhe
aaaaaaaaaaaflanzendörferexperiment
flanzendörfer – Schauspiel von Willi van Hengel uraufgeführt am 2.9.2021 in der Brache Zukunft OpenAir in der Brotfabrik.
Bonn. Bundestag. Bei Nacht. Während einer Korrekturpause legte sich mein Auge auf einen Artikel im Feuilleton der Zeit. Ein DDR-Poet mit einem schönen Namen… Frank Lanzendörfer, der einfach das rank und das Leerzeichen danach löschte und sich Flanzendörfer nannte… nach ein oder zwei Zeilen eines seiner Gedichte wusste man schon um die Radikalität seiner Sprache, ebenso wie um seine Anarchie bis ins Komma hinein und über den Gedankenstrich hinaus… – Leider, schrie irgendetwas tief in mir damals in jener Nacht, obwohl ich doch noch gar nichts über ihn wusste. Außer dass er sich 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, das Leben genommen hatte, mit einem Sprung (Flug?) von einem Feuerwachturm. Er hatte also mehr als nur das rank in seinem Namen gelöscht. Und das machte mich irgendwie traurig und wütend zugleich. Denn ich hätte ihn gerne kennengelernt. Rein aus dem Gefühl heraus.
25 Jahre später – nun selber in Ost-Berlin lebend – sprang mich dieses Gefühl bei einer Lesung im Prenzlauer Berg wieder an. Ganz plötzlich, wie aus einem Hinterhalt. Also machte ich mich daran, ihm auf meine Weise zu begegnen. Und so haben „wir“ dieses Theaterstück entstehen lassen – aus unseren nächtelangen Einsamkeiten.
Willi van Hengel, aus dem Programmheft zum Stück
In dem Stück geht es um den in der DDR tätigen und heute fast in Vergessenheit geratenen Schriftsteller, Maler, Filmemacher und Poeten Frank Lanzendörfer (1962–1988), der am 30. Dezember 1962 im Dresdener Stadtteil Söbrigen geboren wurde. Von seiner Familie wurde er „Professor“ genannt – und er selber nannte sich „Flanzendörfer“. Nachdem er eine Zeit lang in einer Wäscherei gearbeitet hat, absolvierte er von 1981 bis Mai 1983 seinen Grundwehrdienst in Marienburg in Sachsen; eine Zeit, über die er nachher wenig geredet hat. In dieser Zeit verfasste er seine ersten Gedichte und bildkünstlerischen Arbeiten in Form von karikaturistischen und ironischen Selbstporträts. Er nahm erste Kontakte zur Dresdner Kulturszene um den später als Stasimitarbeiter enttarnten „Kiste“ auf und beginnt einen Abendkurs an der Dresdner Kunstakademie, den er aber aus politischen Gründen abbrechen muss. Seinen ersten Text veröffentlichte er im Januar 1984 in der inoffiziellen Zeitschrift UND. Mitte 1984 zog er dann dauerhaft nach Berlin, wo er – wohnhaft unter anderem in der Straßburger Straße – gelegentlich als Kinderbetreuer arbeitete. Ende Sommer 1984 gründete er mit den Schriftstellern Leonhard Lorek und Johannes Jansen die Literaturzeitschrift schaden und wirkte an der Zeitschrift Bizarre Städte mit.
Ab Juni 1985 wird Lanzendörfer ins Visier der Staatssicherheit genommen – eine inoffizielle Mitarbeit scheitert daran, dass er, laut Stasi, „nicht über die notwendigen subjektiven Voraussetzungen“ verfüge. In seiner Abwesenheit ist eine Wohnungsdurchsuchung erfolgt und es ist belegt, dass er von der Stasi mehrfach schikaniert wurde, um ihn als inoffiziellen Mitarbeiter zu rekrutieren. So wurde er etwa mit dem Auto 30 km außerhalb von Berlin gebracht und dort mitten in der Einöde ausgesetzt.
Frank Lanzendörfer fühlte sich ständig verfolgt und beobachtet, sodass er fortan immerzu unterwegs, von Freunden zu Freunden, war.
Am 10. November 1985 stellt er einen Ausreiseantrag, der abgelehnt wird. 1986 fliegt er nach Leningrad. Seine einzige Auslandsreise. Zuvor borgte er sich von Johannes Jansen einen Wintermantel. Er selbst besaß keinen.
Seine expressionistischen, teils dadaistischen Gedichte und Essays sowie Zeichnungen mit Texten werden zunehmend kryptischer und entziehen sich – auch unter Einfluss von Musik und Drogen – dem „normalen“ Verständnis. Ab Ende 1987 zieht sich Lanzendörfer mehr und mehr aus Berlin zurück und „verschwindet“ in die nähere Umgebung in eine völlige Isolation. So wie er mit seiner Sprache an die Grenze (des Verstehbaren) geht, geht er auch mit sich und seinem Körper um: Er fastet sich fast zu Tode. In seinen Halluzinationen vernichtet er einen Großteil seiner Arbeiten, worunter auch Performance-Aufzeichnungen und Super-8-Filme gehörten.
Am 5. August 1988 klettert er bei Marienwerder in einen Feuerwachturm – nachdem er monatelang an einer Holzkonstruktion gearbeitet hat, um dort hinaufzukommen – und springt in den Tod.
Bis heute ist ungeklärt, ob Freunde in der Nähe waren (wie Peter Böthig und Klaus Michael im Nachwort zu Flanzendörfer: unmöglich es leben schreiben) oder gar dabei (wie wikipedia.de schreibt) waren. Frank Lanzendörfer hinterließ zwei Söhne, Karl (geboren 1985) und Richard Ruben (geboren 1987). Mutter ist Beate Ruben.
Da eine Menge der Werke von Frank Lanzendörfer zu seinen Lebzeiten vernichtet und auch mal eine Kiste Super-8-Filme, die am Straßenrand stand, von der Müllabfuhr entsorgt wurde, sind wenige seiner Werke erhalten. Von seinen Filmen ist nur noch Eisenschnäbelige Krähe erhalten, im Mitschnitt einer jugoslawischen Touristin, die eine Vorführung mitgefilmt hatte. Seine Gedichte und Zeichnungen wurden postum in Flanzendörfer: unmöglich es leben 1992 bei Janus Press (Herausgeber Peter Böthig und Klaus Michael) und in einer Ausgabe der Jenaer Literaturzeitschrift Versensporn veröffentlicht.
Willi van Hengel – unter Mitarbeit von Jesse Garon und Jens Heuwinkel, aus dem Programmheft zum Stück
Flanzendörfer – Die goldenen Gitarren von Willi van Hengel
Eisenschnäbelige Krähe von Frank Lanzendörfer
Einzig erhaltener Film – aus dem Nachlass von Thomas Günther. Das Original (Super 8) wurde 1987 in der Galerie Jörg Deloch, Schönhauser Allee 50, gezeigt und mit Video-VHS-Kamera abgefilmt. Das Originalmaterial wurde von Frank Lanzendörfer verbrannt.
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