Ich will einen Teil meiner überquellenden Bibliothek bei einer Sicherheitsfirma unterbringen, mache mich mit einer Bananenschachtel voller Bücher auf den Weg, komme zu einem finstern Gebäude mit Panzertür, Sicherheitsanlage, Videoüberwachung; eine unauffällige sympathische Frau öffnet die Tür, ich habe eine mündliche Empfehlung von Rado Rakusa, darf eintreten; die Schachtel mit den Büchern bleibt draussen auf dem Gehsteig, ich schreite lange Korridore ab, erreiche ein Grossraumbüro, altmodisch eingerichtet, überfüllt mit Regalen, zusammengeschobnen Schreibtischen usf.; Platz gibt es für meine Sachen nicht, die Frau zeigt mir ihre Handbibliothek, lauter ökonomische Fachliteratur, wir kommen ins Plaudern, die Zeit vergeht, die Frau muss weg; wir verlassen gemeinsam das Haus, sind nun in der Grendelgasse, gehen langsam nebeneinander her bis zur Nummer 24, dort steht vor dem Gartentor ein Fahrrad aus Schmiedeisen, ich habe es selbst gebastelt nach Bauhausdesign; wir verabschieden uns, die Frau fällt mir um den Hals, gibt ganz viel Wärme her, schaut aus ihrem runden Gesicht aus nächster Ferne zu mir auf, will Liebe; ich lade sie zu einem gelegentlichen Kinobesuch ein, zum Essen, zum Vorlesen, aber bitte nah am Kind, gibt sie zur Antwort; drinnen meine Verwandten, Eltern, Schwestern, der Tisch im hallenartigen Vorraum ist gedeckt, ich greife nach einem halbvollen Wasserglas, das Wasser schmeckt herrlich; ich bitte um die Flasche, blicke gleichzeitig hinüber zur Ausgangstür, die prallen Waden der fliehenden Migrantin schimmern im Halbdunkel des Korridors.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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