W. W., den ich nach vielen Jahren zufällig wieder traf, ist inzwischen alt – betagt! – genug, um sich an die grosse Stimme des Dylan Thomas zu erinnern, der noch in den frühen 1950er Jahren, kurz bevor ihm sein Tod das Werk vollendete, am britischen Radio mit zahlreichen Lesungen eigner und fremder Texte auftrat. Mit Thomas, sagt W. W., sei der Barde wiedergekehrt, er habe seine Verse intoniert, gewaltig und zärtlich zugleich, als gelte es, «das Steinherz eines Königs zu rühren». Mehr denn um Rührung und Steinerweichen ging es Dylan Thomas wohl darum, das Gedicht kraft der eignen Stimme zu konkretisieren, darum auch, den Text beim Vorlesen jedesmal als Original neu hinzustellen. Hinzustellen als ein immaterielles Monument, das aus lauter Schwingungen, aus Klängen, Rhythmen sich aufbaut. W. W. fügte dann, nachdenklich und enthusiastisch zugleich, ein paar Sätze hinzu, die ich hier annähernd wörtlich wiedergebe; diese: «Ein Sprecher, dem beim Sprechen die Sprache das Gemeinte abnimmt und es vorträgt. Und manchmal bleibt’s im Dunkeln, unverständlich – verständlich nur als Musik.» Das ist es, was vielen so schwer verständlich ist, dass nämlich Sprache, die gemeinhin auf Mitteilung angelegt ist, unabhängig vom Gesagten wahr zu nehmen sei, auch wenn sie unverständlich bleibt.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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