Gerhard Kaiser: Zu Günter Eichs Gedicht „Fußnote zu Rom“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Günter Eichs Gedicht „Fußnote zu Rom“ aus Günter Eich: Zu den Akten. –

 

 

 

 

 

GÜNTER EICH

Fußnote zu Rom

Ich werfe keine Münzen in den Brunnen,
ich will nicht wiederkommen.

Zuviel Abendland,
verdächtig.

Zuviel Welt ausgespart.
Keine Möglichkeit
für Steingärten.

 

Möglichkeit für Steingärten

Diese Zeilen gelten einem zweitausendjährigen literarischen Thema. Die europäische Rom-Dichtung hat diese Stadt ebenso eindringlich als Inbegriff der Macht, des Lebens und der Schönheit wie als Sinnbild der Todesverfallenheit gedeutet. Günter Eich formuliert lediglich noch eine Fußnote zu Rom. Die so viel Beschriebene ist für das Gedicht zur bloßen Schrift, zum Text geworden, den man mit einer Anmerkung versieht. Eichs Fußnote entwirft nicht mehr Welt durch Sprache wie etwa Goethes Römische Elegien. Sie ist Kommentar, beiläufige Meinungsabgabe.
Es ist ein alter Brauch, in die Fontana di Trevi in Rom eine Münze zu werfen als Zeichen der Hoffnung auf Rückkehr. Das Ich, das sich bei Eich so schroff vorstellt, will nicht mehr wiederkommen. Die beiden einzigen vollständigen Sätze des Gedichts, durch Parallelismus der Satzglieder hervorgehoben, sind Verneinungssätze. Sie bilden die erste Strophe. Die zweite und dritte, zwei- und dreizeilig, bestehen aus Ellipsen, wiederum im Parallelismus, der nun die Strophen aufeinander bezieht. „Zuviel Abendland…“; „Zuviel Welt…“. Trotz der Gleichläufigkeit sind die Motive der Verneinung beide Male entgegengesetzt.
Zuviel Abendland bezeichnet eine Überfülle, die das nachgestellte Adjektiv für verdächtig erklärt; deshalb die eigene Wortkargheit. Die reale Überfülle abendländischer Geschichtszeugen in Rom wird vom Gedicht gleichgeschaltet mit der Abendland-Ideologie. Realitäten sind in unwirsch hingeworfenen Halbsätzen zum Geschwätz und Geschreibe erklärt. Zuviel ausgespart – hier nun bezeichnet das nachgestellte Partizip einen Mangel. Rom, die Stadt der Lebensfülle, ein Ort der Aussparung? Diese Feststellung ist verblüffend und bezieht sich witzig sowohl auf das Vorhergehende wie auf das Kommende. Zuviel Abendland ist zuwenig Welt – weil Abendland Geschwätz ist und auch, weil Abendland sich dem Morgenland gegenübergestellt hat und wenig vom Orient weiß. Damit ist die Schlußpointe angelegt, die als letzte Verneinung, abermals rückbezogen, untergründig eine Bejahung enthält. „keine Münzen…“; „Keine Möglichkeit…“. Die geheime Bejahung wird auf sparsamste Weise erzielt: „Keine Möglichkeit für Steingärten“ ist so auf zwei Verse verteilt, daß „für Steingärten“ mit stillem Nachdruck für sich steht. Dadurch klingt an: für Steingärten, gegen den Rest. Auch daß dieser Vers überzählig ist bei sonst zweizeiligen Strophen, hebt ihn heraus – ein kleiner Überschuß an Zustimmung bei so viel Ablehnung.
Steingärten in ihrer Vollendung, minimalisiert in räumlicher Ausdehnung und Quantität der Bestände, finden sich in Japan. In zenbuddhistischen Klöstern wird der Steingarten zur letzten Verfeinerung gebracht, Garten aus nichts als Steinen zu sein. Aus Steinen aber, die in äußerster Abstraktion und zeichenhafter Verdichtung auf kleinstem Raum die Totalität der Welt in sich fassen. An diesen Abstraktionen vergegenwärtigt sich dem Meditierenden das All; fern dem Geschwätz, dem Pathos, dem Auftrumpfen, der Selbstinszenierung der westlichen Kultur, fern der Aufdringlichkeit der Geschichte und des Tages.
Rom spart zuviel Welt aus, indem es etwas so Kleines ausspart wie Steingärten. Es spart zuviel Welt aus, weil es die falsche Abstraktion ist. Rom spart auch dadurch zuviel Welt aus, daß es das höchste Paradox nicht kennt und deshalb den Steingärten nicht nur keine Wirklichkeit, sondern nicht einmal eine Möglichkeit einräumt. Steine und Gärten – wo sind sie herrlicher als in Rom. Aber der Stein-Garten ist die Welt auf ihren harten Kern gebracht, der doch die Utopie in sich enthält. Im Wort „Steingarten“ ist der Stein Garten und umgekehrt. Eichs Steingarten: dieses Gedicht.

Gerhard Kaiseraus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Elfter Band, Insel Verlag, 1988

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