ICH IN MEINEM KULTURKREIS
in meinem ewig
unbekannten land
dem grund meines schlundes
wo Christus
dem demütigen
im schutz der dunkelheit
das kreuz bricht
lebe ich ein ewiges nu
dem schönen götterfunken
in einem haus
aus gedroschenen worten
ein räusperer der wirklichkeit
wirft ewig vor ausbruch des feuers
mich zurück in den pfuhl der illusionen
ist Ausgangspunkt für seine Ausflüge durch die Welt des Alltags – der Ort, in der Tiefe der inneren Stille, die Welt in einem anderen Licht zu sehen.
Lassen Sie sich ein auf die komplexe, zum Teil surrealistische Bilderwelt der Lyrik Günter Abramowskis.
elbaol verlag hamburg, Klappentext, 2012
Da fliegt es heran und will landen, als flöge es erst seit gestern, aber es ist heute. Es ist die Zeit, die uns atmen lässt und Günter Abramowski holt Erinnerung und Realität zusammen, atmet ein und aus.
Da winkt es und erinnert, da warnt es und lächelt und es geht der Mensch weiter, einfach so weiter. Ob er vom Turm springt? Vom Turm, so der Titel dieses aufschlussreichen Büchleins. Obwohl, oder gerade, weil es Gedichte sind, gepressste Gedankenblumen mit ihrem eigenen Duft, ist so vieles enthalten, ein ganzes Leben sozusagen.
Wer mag das alles deuten, wer geht an die Arbeit der Entdeckung? Denn es ist immer eine Wegbereitung für den Leser das Gedicht.
Der Autor verrät sich, und das zu Recht. Und die Leser können sich einlassen oder nicht.
Viele Gedanken werden gesagt, kurze Skizzen und auch etwas längere Gebilde. Die Nacht trägt ihn, den Autor, der Tag auch und alles zusammen sind Erfahrungen, Hoffnungen und ein klein wenig blitzt Humor „wie einst nach drittem ki- ke ri“. −
„Vom Turm II“ ist nach einigem Suchen mein Lieblingsgedicht, obwohl aus dem „kulturkreis“-Lied „ein ewiges nu“ leuchtet. Das ist nun schon gewaltig, um nicht zu sagen schön.
Ein Sprachkünstler der ausgewählten Art, dem Genitiv zugeneigt und klingend durch eine Zeit, die der wahren Kultur in den Fernsehmedien gar zu oft den Garaus macht, öffnet uns Augen und Ohren für eine schöne Weile.
Da flattert einem so manches um die Ohren und wenn man möchte, kann man es aufheben und lesen, was drauf steht, was drinnen steckt. „Hallo, hier bin ich“ ruft es und noch mehr steht dann wohl drauf und beim Blättern fällt einem dies und das ein und wie Derek Walcott ein ganzes Werk in Lyrik schrieb und unlängst Christoph Ransmayr in Der fliegende Berg auch und dass man diese Gebilde eigentlich ganz gerne las.
Aber wenn man mit anderen an Literatur Interessierten sprach, dann waren es Romane zeitgenössischer Autoren, die im Schwange sind, nicht von der Art, die einen umhaut, ganz gewiss nicht, den Fantasy ist nicht jedermanns Geschmack, denke ich.
Hier in vom turm nun ist ein Lyriker am Werk, der vielleicht ein wenig versteckt leben mag und den man nicht sogleich sieht, deswegen schreibt er und verrät sich dezent.
Kurze Stücke, Lieder fast, längere Gedichte und eines davon ist mein Lieblingsgedicht, nämlich:
VOM TURM II
rauch weht ein vom roten Mond
die fünf schlitze meines turms
sind wunden mir
die angst verblühen
deren sonderbarer duft
mein centrum leert
achtsamkeit trägt mich zur zinne.
blendend glanz der schwarzen sonne
des herzens wille ist zu sehen
verzichte auf den schild der zeit
das verborgne zu gestehen
was den stern zum blender macht
liegt an der freiheit meiner sinne
dem geiste freien raum zu stiften
verbundenheit neu zu vermessen
wie einst nach drittem ki ke ri
ich wütend schrie wer lacht da wer
nun einen meiner toten brüder
weil ich von herzen lieben lernte
über diesen berg geschleppt
mir dabei alle knochen brach
der geist mir seine flügel lieh
ihn in des phönix reich zu tragen
in heilge asche ihn zu betten
über den welten heimat haben
gefährlich diese einsamkeit
deine liebe wird zur liebsten
im licht hinter dem tier kreiszeichen
vom schlachtfeld will ich nicht berichten
Ohne Satzzeichen, in Kleinschrift diese Schönheiten und verständlich für jeden, der einigermaßen Lyrik liebt und es versteht, damit umzugehen. Ist eigentlich unnötig, mehr darüber zu reden, nur immer wieder lesen, meine ich und sich einwiegen lassen geistig wie auch im Gefühl der wichtig aufscheinenden Verbundenheit mit uns. Ja, das ist es, das wäre es, zu fühlen, was die Welt singt und die anderen ein wenig zu tragen.
Vom Turm nennt Günter Abramowski seinen neuen Lyrikband. Das Buch ist schmal, es enthält 50 Gedichte, die meisten sind recht kurz und sehr kompakt.
Oft verzichtet der Autor auf Reim und Versmaß. Konsequente Kleinschreibung, der weitgehende Verzicht auf Interpunktion und die Verwendung des „&“ anstelle des „und“, dazu meist recht kurze Zeilen prägen die Optik der Texte und zwingen zum langsamen Lesen und immer wieder zum Innehalten. Manchmal finden sich nur Satzfragmente und kurze Assoziationen, manchmal werden Lebensweisheiten und Sinnsprüche laut wie „kälte ist bitter solange man friert“, „wer nichts will / der hat schon“ oder Zitate aus Laotses „Tao Te King“.
Gern lässt Abramowski religiöse Themen anklingen. Er schreibt über die Leiter aus Jakobs Traum, den gekreuzigten Jesus, über Engel, doch oft alles andere als christlich-fromm und still. Man trift auf einen Christus, der „dem demütigen / im schutz der Dunkelheit / das kreuz bricht“, man hört die Schlange zischen oder findet Verse wie: „der engel hat meinen kopf / mit einem stein zerschmettert“.
Sehr intensiv schildert der Autor Natur und Meeresstimmung wie im Gedicht „engel in möwen“:
wenn die see den himmel trinkt
das unsichtbare verdorrt
am salz des wassers
verwandeln sich engel in möwen
ewige meister der stürme
wollen dich als sicheren fels
verwehte geheimnisse schreien
sie dir als zuflucht ins mark
Insgesamt ist vom turm ein sehr vielschichtiger Gedichtband, für den man sich trotz seines geringen Umfangs ein wenig Zeit nehmen sollte. Es lohnt sich, die Texte ein zweites Mal zu lesen.
Der Autor dieses kleinen Büchleins mit Gedichten sandte mir sein Werk einfach so zu.
Die Nähe zu Hölderlin ist in Titel und Bild auf dem vorderen Bucheinband unverkennbar. Auf meinen Einwand, die Gedichte seien doch etwas düster, antwortete mir der Autor:
Nun ja, Sie haben recht, ein wenig düster sind die Gedichte schon. Da ich aber nicht in meinem Turm verbleibe, dem Ort der Kontemplation, sondern aus meiner Versenkung, meinem Verließ hinaufsteigen will, der Liebe wegen über das Ego hinausgehen will, vom Turm da hin zu fliegen wünsche, wirds brenzlig:
− Das Mögliche geschehen lassen zu wollen, fordert eine Aufmerksamkeit, die unser Ego außer acht läßt – und schon befinden wir uns in „Gefahr“.
− Wie düster es jetzt für uns aussieht, liegt halt im Auge des Betrachters. (Auch im Auge derer, die uns betrachten.)
Ich sehe es so: Hinter der Melancholie liegt die verborgenste unserer Sehnsüchte. Dass wir aber allein damit umgehen müssen, halte ich für falsch. Wir sollten uns öffnen, dass wir einander und uns selbst näher kommen. Wir können unsere Bilder und Erfahrungen gedanklich austauschen.
Betrachtet man die großen Philosophen und Geistesgrößen dieser Welt, so stellt man fest, wie wir an anderer Stelle bereits schrieben, dass viele von schwarzen Gedanken heimgesucht wurden – und daraus so manches Mal Werke von Weltbedeutung entstanden. Wer viel Zeit hat, kommt eben auch leicht ins Grübeln.
ein vogel sagt
einsamsein heißt
eine welt befrieden können
Und im Gedicht lässt sich manches sagen, was man so im Klartext eher nicht schreiben würde.
Im kleinen und, wie soll ich sagen?, etwas eigenartigen elbaol verlag hamburg, ist ein Büchlein mit Gedichten von Günter Abramowski erschienen. vom turm heißt der schmale Band, ist zum Schleuderpreis von 5,95 Euro zu haben und auch in Ihrer Buchhandlung bestellbar.
Ich schreibe auch Gedichte. Ich liebe Lyrik. Ich bin mit Heinrich Heine persönlich befreundet, seit ich mit zwölf oder dreizehn Jahren im Kleinen Roten Schülerkalender „Krähwinkels Schreckenstage“ las. Ich kann Süverkrüpps Baggerführer auswendig und trinke gelegentlich mit Hölderlin Tee. In meinem Arbeitszimmer lungern Shakespeare, Borchert, Goethe und Villon herum; ganze Heerscharen Lyriker lümmeln sich auf den Regalbrettern und tanzen in meinem Kopf die modischen Tänze ihrer Zeit. Ich halte Polly Scattergood für eine singende Lyrikerin und nicht für eine poetische Sängerin. Aber moderne deutsche Lyrik? Die geht mir oft auf den Geist (oder Sack, Senkel, fällt mir auf den Wecker, wie immer Sie gerne sagen wollen). Da gibt es natürlich Ausnahmen. Alban Nikolai Herbst und seine Bamberger Elegien zum Beispiel. Aber das ist ganz eigentlich gar nicht neue deutsche Lyrik, sondern zeitlos. Oder Erich Fried, der auch aus allen Zeiten fällt und natürlich Franz Josef Degenhardt, dessen Lieder so oft Gedichte sind, die sich eine Musik gesucht haben, wie Sonne sich eine Anbeterin.
Sie dürfen mir also trauen, wenn ich Ihnen sage, dass Günter Abramowski, dessen Namen ich noch mehrfach wiederholen werde, damit er sich einprägt, sich in ein erhebliches Risiko begab, als er mir unverlangt seinen Gedichtband zusandte. Er war indes nicht eingeschweißt, also mit einer Shrinkfolie versehen. Das hätte seine Chancen gelesen zu werden gegen Null gedrückt. In den unteren Fächern meiner Regale stehen lauter verfolierte Bücher unbekannter Herkunft. So blieb er auf meinem Schreibtisch liegen. Bis ich darin blätterte. Dafür, das Bändchen aufgeschlagen zu haben, könnte ich mich knutschen. Ich bin so gut zu mir! Denn es ist ein gutes Buch! Eines voll der schönsten Gedichte. Der Tag, am Donnerstag war‘s, war trübe, langweilig… na so ein Tag eben, der vorbeigeht, als wäre er gar nicht dagewesen. Jedenfalls sah es so aus, bis zu dem Moment, an dem ich Günter Abramowskis Gedichte „vom turm“ aufschlug.
Das was als erstes auffällt ist, dass hier in der Tat verdichtet wird. Zusammengeschoben, reduziert. Und natürlich ist es wie dem Konkreten bei Hegel. Nicht der Tisch ist konkret, der ist abstrakt, sondern die Atome, die ihn bilden sind es. Und Abramowski zeigt dem Leser genau das: Die Atome, nicht das Möbel. Seine lyrischen Ichs sind immer auch lyrische Weltenausschnitte, die auf das Innere zielen. Und bei der, in dieser Form der Dichtung unvermeidlichen Semi-Manieriertheit der Sprache schießt er nie über das Unvermeidbare hinaus, spielt nicht mit Wörtern um der Wörter willen, sondern arrangiert sie des Inhalts wegen.
Das zweite, was auffällt ist, dass, bei aller Eigenständigkeit, diese Gedichte in der Tradition der Surrealisten zu stehen scheinen. Die Einschränkung erscheint mir wichtig. Denn sie sind nicht surreal im Sinne Naums oder Bretons. Dazu gibt es einen zu starken Einschlag, der an die Dunkelheit Georges oder Trakls Verengungen erinnert, aber auch an Däubler.
Manche Gedichte Abramowskis reimen sich verhalten, sind also zwar mit einem Reim versehen, aber nicht auf ihn fokussiert. Andere verlieren sich in einzelnen Wörtern, die über mitgedachte Assoziationsketten funktionieren. Manchmal sind sie aber auch ringelnatzig. Ich will aus dem Dichter ja keinen dunklen Gesellen machen.
Wenn Sie also Lyrik mögen, und ich hoffe, Sie mögen Lyrik, empfehle ich Ihnen sehr den Erwerb dieses schmalen Bändchens. Es lohnt sich.
Monika Stemmer: Günter Abramowski: vom turm
monalisablog.de, 26.5.2014
Schreibe einen Kommentar