Heinz Piontek: Klartext

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heinz Piontek: Klartext

Piontek-Klartext

AN DIE SCHÜLER HEISENBERGS

Spanisch
mag euch meine Arbeit
vorkommen.

Mit dem Gänsekiel.

Von den Ergebnissen eurer
unbegreiflichen Apparaturen
denke ich:

Überholbar.

Nichts wissend,
zeigen wir uns gegenseitig
die kalte Schulter.

Getrennt
nähern wir uns dem
übereinstimmenden Grund.

 

 

 

Lakonismus und Ironie

Heinz Piontek, 1925 in Oberschlesien geboren, war, als er 1952 mit seinem Gedichtband Die Furt die Oeffentlichkeit überraschte, der erste Schriftsteller seiner Generation, der zu artikulieren verstand. Sein Weltempfinden, determiniert durch eine deutliche Abwendung von der Geschichte und ihren Grausamkeiten und Abstrusitäten, war skeptisch, doch nicht allzu introvertiert; hinter den von der Historie bescherten Trümmern tat sich das Sein auf, das unsentimental erlebt und beschrieben wurde, manchmal in Brueghelschen Farben. Aber die Natur war für Piontek mehr als vitales, sinnliches Sujet. Sie diente ihm in seinen reifsten Gedichten wie „Die Furt“, „Lauingen an der Donau“ und „Bootsfahrt“ nur als lyrischer Vordergrund, als eine erste flächige Dimension, die er perspektivisch zu vertiefen verstand, indem er ihr philosophische beziehungsweise metaphysische Verlängerungen gab:

Schmal überm Dickicht die Föhre –
was wir nicht träumen, wird sein.

Knarren die in Dollen? Ich höre
mich tief in das Lautlose ein.

Es waren solche transzendierenden Verse, die Pionteks junge dichterische Stämme van Anfang an zu etwas Singulärem machten. Und als dann weitere Gedichtbände folgten (Die Rauchfahne 1953, Wassermarken 1957, Mit einer Kranichfeder 1962, Randerscheinungen 1965), konnte der Ruf eines literarischen Einzelgängers, der – unbekümmert um Moden und Gruppen – sich realisierte, nur gefestigt werden. Zwar wandelte sich Pionteks Kunst, gewisse naturmagische Themen wurden aufgegeben, dafür kam anderes auf die lyrische Palette; doch so sehr Piontek sich auch entwickelte: insofern als er stets ein an einer individuellen geistigen Welt Bauender war, blieb er sich selber treu. Seine neuen Gedichte nun sind lakonischer als alle vorangegangenen. Die Ironie, früher schon gelegentlich erprobt, ist jetzt zu einem häufigen und „sicher gebandhabten Mittel geworden:

UM 1800

Zierlich der Kratzfuss
der Landeskinder,

während wer fürstlich
aufstampft.

Gedichtzeilen.
Stockschläge.

Viele träumen,
dass man sie verkauft.

Die Tinte leuchtet.

Deutschlands
klassische Zeit.

Das ist ein vollkommenes und ein absolut modernes Gedicht. Der Ton ist nicht mehr lyrisch angehoben; er ist beiläufig, syntaktisch einfach. Das Besondere ist hier nicht Schönheit oder metaphorische Erlesenheit, sondern Präzision. Der Inhalt – und mit ihm das Vokabular – ist genau selektiert. Kein Reim, kein Versmass zwingt zu einem verbalen – und somit zu einem gedanklichen – Umweg. Antipodisch, dialektisch wird das Gedicht aufgebaut, wird der frappante Einfall entwickelt, dass in der Zeit, in der sich in Deutschland die Klassik ereignete, politisch noch Zustände herrschten, die so katastrophal waren, dass die Untertanen mancher Fürsten davon träumten, man möge sie etwa nach Amerika verkaufen, wo sie es gewiss besser hätten. Das Gedicht hat seine architektonische Höhe genau in der Mitte, wo mit den Worten

Gedichtzeilen.
Stockschläge.

die Welt der Realität und die des Geistes schockartig konfrontiert werden.
Pionteks neuer Gedichtband enthält – wie auch schon frühere Bände – wieder einige Arbeiten in dem von ihm für unsere Zeit neu entwickelten und diffiziler gemachten Romanzenstil. Aber das Buch demonstriert auch Expeditionen in formloses und substantielles Neuland, etwa in der Abteilung „Parolen“, wo sich poetische Maximen finden:

Die Jäger fallen. Die Vögel bleiben.

Oder:

Mit jedem Schritt verlängere ich mein kürzer werdendes Leben.

Aber auch in den anderen Stücken seiner neuen Verssammlung bekundet Piontek eine Vorliebe für Sentenzen, die lakonisch zupacken und scharf diagnostizieren. So heisst es zum Beispiel von andalusischen Pferden:

Sie scharren nach der
eben verschwundenen Sonne.

Und anderweitig ironischer:

Er reagierte mit der Genauigkeit
eines hypochondrischen Thermometers.

Keine Frage, Heinz Piontek hat mit seinen neuen Gedichten, die konzis, parabelhaft, didaktisch und spöttisch sind, eine neue Bewusstseins- und Fernstufe erreicht, eine intellektuelle und artistische Höhe, die ganz und gar unseren unsicheren, aber zur Selbstanalyse neigenden Zeiten entspricht.

Hans-Jürgen Heise, die Tat, 10.9.1966

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Richard Exner: Das Schweigen überbrücken
Die Zeit, Nr. 48, 25. Nov. 1966

Norbert Nargorsen: Piontek gibt Klartext
Münchner Merkur, 26./27. Nov. 1966

Lothar Baier: Klartext mit dem Gänsekiel
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.1.1967

Lothar Streblow: Menschlichkeit ist aktuell
Deutsche Volkszeitung,12.7.1968

 

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Alexander von Bormann: Amsel und Vollmond
Die Zeit, 29.11.1985

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Manfred Moschner: Das Gedicht ist ein Fernrohr
Rheinischer Merkur / Christ und Welt, 9.11.1990

Curt Hohoff: Wenn die Schönheit zur Partisanin wird
Die Welt, 10.11.1990

Peter Mohr: Zu Lebzeiten ein Klassiker
General-Anzeiger, Bonn, 15.11.1990

Wolfgang Schirmacher: Der Einzelgänger
Rheinische Post, 15.11.1990

Thomas Cornelius Becker: Die Schönheit der Stille
der literat, Heft 3, 1991

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Wolfgang Ignée: Siegen in der Niederlage
Stuttgarter Zeitung, 15.11.1995

Eckart Klessmann: Stunde der Überlebenden
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.1995

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Ludwig Steinherr: „Das All nur eine schmale Tür“
Stimmen der Zeit, Heft 11, 2000

Peter Mohr: Überzeugter Traditionalist: Heinz Piontek wird 75
General-Anzeiger, 15.11.2000

Dietz-Rüdiger Moser / Marianne Sammer (Hrsg.): Heinz Piontek zum 75. Geburtstag
Sonderausgabe Literatur in Bayern, 2000

Nachrufe auf Heinz Piontek:

Harald Hartung: Keine Bürgen für einen besseren Tag
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.10.2003
Auch in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 2003, Wallstein Verlag, 2004

Kristina Maidt-Zinke: Die Kälte der Mitwelt
Süddeutsche Zeitung, 29.10.2003

Neu: Gedichte der Gegenwart
Stuttgarter Zeitung, 29.10.2003

Peter Härtling: Adieu, Piontek
Die Zeit, 30.10.2003

Peter Dittmar: Ich lernte, dass man vor seinem Gedächtnis nie sicher ist
Die Welt, 29.10.2003

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Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Schollenpiontek“.

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