… Spät, lange nach Mitternacht, hallte auf der Straße,
genau unter meinem Fenster, der Schritt eines
aaaaaPassanten; −
vielleicht ging so noch niemand unter dem Mond,
und vielleicht hat auch niemand außer mir solch
aaaaaeinen Schritt vernommen.
Es war der erste Mensch, der auf die Welt kam.
Es war der letzte, der aus der Welt ging. Und nie
war jemals jemand gekommen oder gegangen.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaWie gesagt,
die Welt war warm, flauschig, purpurrot – ohne einen Riß.
Nur der Mond kühlte den Flaum einer Wolldecke, die auf dem Balkon liegengeblieben war. …
… Alle drei hier abgedruckten Monologe entstanden während der Juntazeit, und vielleicht liegt der Pessimismus, der aus diesen Texten spricht, in Ritsos’ „Einsicht“ begründet, daß dieses anarchische und scheinbar so freiheitsliebende griechische Volk sich nicht wehrte gegen eine Handvoll von Marionetten, die ihm vorzuschreiben versuchte, was es zu sagen und zu tun hatte. Und die jene Griechen, die sich nicht daran hielten, in die Verbannung oder ins Gefängnis schickte. Darum vielleicht dann dieser jähe Wechsel im Duktus, dieser Überschwang im Ton des Dichters 1973, als im November die Studenten den Aufstand versuchten und Athen den Atem anhielt. Sechs Jahre brauchte es, bis die Griechen sich erhoben, und daß sechs Jahre lang kein wirklicher Widerstand sich regte, merkt man den hier abgedruckten Texten an, diesen nach innen gewandten „mythologischen“ Gestalten, die mit der Wirklichkeit abgeschlossen zu haben scheinen. … Denn der Einsame droht ver-rückt zu werden. Das einzige Mittel dagegen ist, nach innen zu schauen, „immer tiefer nach innen“. Das tun alle drei. Chrysothemis, die „Unscheinbare“, die Inkarnation des nach-innen-Sprechens. Iphigenie, die „Kranke unter Beaufsichtigung Dritter“. Agamemnon, der Sieger von Troja, der sich selbst demontiert, ein menschliches Wrack. In allen drei Monologen ist das Schicksal vorausbestimmt, der Fatalismus der Geschichte das Bestimmende. Und bedeutet die Rückkehr der Iphigenie eine Ankunft in einer Welt der Verinnerlichung, in der lauen, trostlosen Einsamkeit des Mythos, so bedeutet die Rückkehr von Agamemnon eine im Tod. Vielleicht ist das die eigentliche – maskierte – Botschaft in Ritsos’ Werk.
Asteris und Ina Kutulas, Aus dem Nachwort
des Griechen Jannis Ritsos (1909–1990) werden drei Prosamonologe vorgestellt, die sich antiken Stoffen zuwenden und doch nicht historisierend sind. Die Zeiten verschwimmen, wenn die altbekannten Figuren Agamemnon, Iphigenie und Chrysothemis in heutiger Gestalt wiederkehren, von Ereignissen einer zeitlosen Gegenwart sprechen. In Haltung, Gestus und Erleben gleichen sie ganz ihren antiken Vorbildern, und doch zeigen die Antiken-Monologe (entstanden zwischen 1967 und 1972) einen klaren politischen Bezug. Die Maskierung, das Hineinschlüpfen in andere, zumal mythologische Gestalten, war während der Diktatur der Militär-Junta für den Dichter Ritsos die einzige Möglichkeit, Dinge auszusprechen, die er sonst nicht aussprechen zu können glaubte. Die Ausgabe wird durch farbige Zeichnungen auf Stein aus dem bildnerischen Werk Jannis Ritsos’ ergänzt.
Insel Verlag, Ankündigung, 2001
Asteris Kutulas: Begegnungen mit Ritsos
Asteris Kutulas: Interviews mit Jannis Ritsos & Mikis Theodorakis
Asteris Kutulas: Jannis Ritsos & Mikis Theodorakis
Asteris Kutulas: Jannis Ritsos – Die Maske und der Kommunismus
Asteris Kutulas: Interview mit Elli Alexiou über Jannis Ritsos
Ein Dialog zwischen Asteris Kutulas und Peter Wawerzinek über die fabelhafte Welt des Jannis Ritsos
Bernd Jentzsch und Klaus-Dieter Sommer: Jannis Ritsos
Jürgen Werner: Gedichte als Waffen und Lobpreisung der Liebe
Neues Deutschland, 2.5.1984
Erasmus Schöfer: In allen Adern der Erde
die horen, Heft 134, 2. Quartal 1984
Asteris Kutulas / Uwe Goessler: Weg eines Dichters
Neue Deutsche Literatur, Heft 4, April 1984
Gerd Prokot: Jannis Ritsos – Künstler, Kommunist und Freund der DDR
Neues Deutschland, 27.5.1989
Gisela Steineckert: Gruß an Genossen Ritsos
Neues Deutschland, 27.5.1989
Armin Kerker: „Hast du dein Brot gegessen, konntest du sprechen?…“
die horen, Heft 153, 1. Quartal 1989
Jannis Ritsos: Epitaphios. Ein Dokumentarfilm über die Entstehung, Teil 1/2.
Jannis Ritsos: Epitaphios. Ein Dokumentarfilm über die Entstehung, Teil 2/2.
Jannis Ritsos: Epitaphios in der Version von Grigoris Bithikotsis und Keti Thimi.
Jannis Ritsos liest, Mikis Theodorakis dirigiert und Maria Farantourie singt aus dem Epitaphios.
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