Johannes Jansen: Poesiealbum 248

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Johannes Jansen: Poesiealbum 248

Jansen/Arietti-Poesiealbum 248

ALIBI

verläßt der ort
die monologe
ziehen die besorgten
den gürtel ums haus
verdunkelt der weitblick
die ferne die insel
ein käfig aus schatten
die fußspur
der grundriß für den spaziergang
und keinen schritt weiter
verschütten andere wege
das datum

geh übern berg
sagt die notiz im kalender
allein sind die städte
davor und danach
sind sie leer
sagt das gedicht

ein leeres zimmer
das fenster zum hof
ein stuhl und ein zettel
drei straßen entfernt
meine schritte
früh gegen halb zwei
ein kommen und gehen
zwischen den wänden der häuser
zwischen gebäuden aus milchglas und sand

 

Trennzeichen 25 pixel

 

Johannes Jansen

Er scheint der Magie der Bewegung zu erliegen, ist unruhvoll umhergetrieben, gerät an immer neue Punkte, die immer neue Eindrücke, aber auch Entfernung vom gerad Erfahrenen bringen. Wenn er nach Höhenflug und Absturz und Sekunden des Stillstands eine neue Gangart findet, dann bleiben im Gedicht Spuren seiner Wegsuche, dann ist das Gedicht eine vorläufige Bestandsaufnahme. Johannes Jansen ist jung an Jahren; hüllenlos, nicht hilflos, stellt er sich dem, was ihn bedrängt. Und mit dem Preis der Ernüchterung ist die klarere Sicht nicht zu teuer bezahlt.

Ankündigung in Schu Ting: Poesiealbum 247, Verlag Neues Leben, 1988

Verwirrungen,

deren nicht Herr zu werden ist, auch dadurch nicht, daß ihnen die Sprache des Gedichts einen Ausdruck gibt. Aber indem sie dies tut, gefaßt, wach, das Unheimliche beschreibend, benimmt sie ihnen das Nebelhafte und ungestalt Bedrängende. Berlin-Erfahrung; Armee-Erfahrung, Zeit-Erfahrung. Selbst-Erfahrung inmitten eines Raums, der Käfig und Kino ist. Assoziationsreich, oft in surrealistischer Bildhaftigkeit zeichnet Johannes Jansen Lebensreflexe eines jugendlichen Daseins auf, dem eine beunruhigende Sensitivität eignet und dem sich gerade deswegen eine Hoffnung problematisiert: die auf die Chance einer Biographie.

Bernd Leistner, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1988

Er scheint der Magie der Bewegung zu erliegen,

ist unruhvoll umhergetrieben, gerät an immer neue Punkte, die immer neue Eindrücke, aber auch Entfernung vom gerad Erfahrenen bringen. Wenn er nach Höhenflug und Absturz und Sekunden des Stillstands eine neue Gangart findet, dann bleiben im Gedicht Spuren seiner Wegsuche, dann ist das Gedicht eine vorläufige Bestandsaufnahme. Johannes Jansen ist jung an Jahren; hüllenlos, nicht hilflos, stellt er sich dem, was ihn bedrängt. Und mit dem Preis der Ernüchterung ist die klare Sicht nicht zu teuer bezahlt.

Verlag Neues Leben, Ankündigung

 

Die Chance einer Biographie

Es waren die ersten Gehversuche, schwankend, voll Pubertät und Fuselrausch. Die Armeezeit lag hinter mir. Man hatte mich in eine Uniform gesteckt und mir gezeigt, daß der größte Feind des Menschen der Mensch selbst ist. Das wußte ich nun, aber trotz der Erfahrung wollte ich es nicht glauben. Meine Gedichte handelten von diesem Widerspruch zwischen Erfahrung und Ungläubigkeit. Mein lange zurückliegender Ausflug in die FDJ-Poetenszene war beendet, und die gesellschaftlichen Verbindungen schienen soweit wie möglich gekappt. Ich lebte relativ frei in einem Land, das in dieser Zeit Freiheit zuließ, wenn man keine Ansprüche stellte. Und es gab Netze, Austausch in den Abrißvierteln der Stadt mit Gestalten, die auch nur ihre Kunst leben wollten, unter subversiven Aspekten zumeist. Mit ihnen fühlte ich mich verbunden. Ein Markt war nicht vorhanden, denn Geld spielte kaum eine Rolle, und eine Öffentlichkeit schuf man sich selbst, indem man das, was man tat, auch selbst verteilte mit einem Anflug von Illegalität. Blauäugig, wie ich war, zählte ich mich also zu den Realisten, was ja Romantik nicht ausschloß. Ich wollte meine Bücher machen und weitergeben, ohne eben an Kapital denken zu müssen.
Da kam das Angebot der sehr engagierten Herausgeberin der von Bernd Jentzsch begründeten Reihe Poesiealbum, in diesem Rahmen ein Heft zu produzieren. Texte wurden zusammengestellt, und eine offizielle Genehmigung wurde erteilt. Ich fragte nicht nach. Ich war eher schlafwandlerisch veranlagt. Aber der Grund der Genehmigung war mir etwas schleierhaft. Literaturhistoriker könnten ihn sicher ergründen, denn in der DDR hatte ja bekanntlich alles einen Grund. Trotzdem war es ein würdiger Beginn. Der Kontext: Weltliteratur gemischt mit einigen Debütanten, für 90 Pfennig jeden Monat ein Dichter an jedem Zeitungskiosk. Die Latte lag hoch. Und in einem dieser Monate konnte ich nun an den Zeitungskiosken Ost-Berlins das Ergebnis meiner Arbeit betrachten, gelagert zum Beispiel zwischen der Monatszeitschrift Weltbühne und der Tageszeitung Neues Deutschland. Das war Erfolg. Fürs erste…
Das kleine Vorwort von Bernd Leistner problematisiert an Hand der Texte die Chance einer Biographie. Diese Ausgangslage hat mich begleitet und mir hin und wieder auch angst gemacht. Aber seither wurde vieles an Biographie gestiftet. Nicht alles wäre nötig gewesen. Doch die Prägung macht Erfahrung und schafft einen wachsenden Raum, der mich zwar verschleißt, aber auch am Leben hält, weil er mein Stoff ist.
Die wirre Klarheit des Vergangenen. Einsicht, die mich aus den krankhaften Bildern in die üppige Sandwüste treibt. Das Wissen um die Schutzlosigkeit jeder Formulierung, aber auch um ihre Lebbarkeit. In vielem waren die Texte mir voraus. Die Erfahrung kam später, eben der Horror in den Details dieser Bildwelt, die mich schließlich zu verzehren schien, als ich sie als Beschreibung von Realität begriff. Texte, in die die Wahrnehmung einen hineintreibt. Heute wirken sie auf mich wie Leitfäden für das Kommende, das ich damals natürlich nicht überblicken konnte. Sie wußten schon, warum ich sie schrieb. Sie haben die Verwerfungen meiner Landschaft überlebt. Sie geben mir recht. Ich kann mich auf meine Texte verlassen.

Johannes Jansen, aus: Renatus Deckert (Hrsg.): Das erste Buch, Suhrkamp Verlag, 2007

 

Leonhard Lorek: ICH GEHE AUF FUEHLUNG AN DEN FUSSOHLEN…

Im Papiland mit Johannes Jansen & Frank Lanzendörfer | Asteris Kutulas Blog

„Ohne Zweifel ist alles, was ich versucht habe anzustellen, das Dokument einer Beunruhigung.“ Dichterporträt: Johannes Jansen. Jan Böttcher sprach mit ihm am 27.8.2020 in der WABE.

Lukas Nils Regeler: „kunst im biotop“. Schreib- und Lesegemeinschaften im Prenzlauer Berg der 1980er Jahre. „Berlin im Cut-Up: Vers- und Prosagedichte von Johannes Jansen“ ab Seite 297.

 

PROLET UND KELLNER
AUF DEM WEG ZU EINER LESUNG

Du siehst aus, sagte
mein Dichterfreund Johannes,
wie ein Prolet, der sich in
Schale geworfen
hat. Und ich dachte: gar kein
schlechtes Kompliment
von einem, der wie
der Ober eines Bahnhofsrestaurants
gekleidet ist.

Florian Günther

 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdecktInterview
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Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram + ErinnerungIMDb
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde OhlbaumAutorenarchiv Susanne Schleyer + Galerie Foto Gezettt + IMAGOKeystone-SDA
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Jansen“.

 

Johannes Jansen: kein richtig, kein falsch. Die Masken meiner totgesagten Freunde
Lesung im Heiner Müller Transitraum im Institut für deutsche Literatur, Humboldt Universität Berlin
Moderation: Kristin Schulz

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