AN EINEN VERLEGER… AUSSCHNITT
Die Zerstörung ist dir anzusehen.
Für deine unbekannten Musiken. Sorgfalt &
aaaaaVertrauen
Unbedacht. Wie ein Axtmord
Oder ein flacher Pfannkuchen. Die Nacht ist kalt &
aaaaageschlechtslos
Ein langer, keimfreier Mond leckt am naßkalten
aaaaaHudson.
Das Ende eines Sterns. Das Wasser eher als alles
Andere. Wir sind hier verwurzelt. Seurats
Wahnsinn. Diese Art von Witz. Isolierte
Landlebewesen in einer nassen unfreundlichen Welt.
Wir müssen stark sein, (Balkan Sobranie rauchen)
Die Leute werden denken, du seist der einzige mit Geschmack
In dieser Familie hier. Manche werden dein Gesicht streicheln.
Bessere Haltung ist etwas anderes. Schau dir Peanuts an,
mit ihm wird es ein böses Ende nehmen / Ein Knacki / Ein Beatnik / Ein
Typischer New Yorker Klugscheißerknabe. „X“ wollte mit mir wetten,
daß Charlie Brown die meiste Zeit damit verbringt, an seinem
Dödel zu spielen, oder eine sonderbare Beziehung
zu seinem dämlichen Hund pflegt (obwohl das
eine absolute Verbesserung ist, gegenüber „Wau Wau“ & dieser
dreckigen kleine Lesbe, mit der er herumhängt.)
Als ob uns irgendeine Sorgfalt helfen könnte. Uns verteidigen.
Rette uns vor dir, Kleiner Liebling. Oder mir, was schlimmer ist.
„Ich mache etwas viel, viel Schlimmeres / als ich je zuvor getan habe.“
Stopf dir das in deine Pfeife & paß auf die Gendarmen auf.
Die sperren die Leute für weniger ein als das. Für weniger
als das, wozu wir jemals fähig wären. Jegliche Art von Aufrichtigkeit
garantiert völlige Nichtbeachtung. Völlige Geringschätzung.
„Muß mit meinen Fingern graben / weil mir niemand eine Spitzhacke
aaaleihen oder verkaufen will.“ Er schlag den Mann mit der Axt, der eine besitzt.
aaaHellzapoppin. Die Stars werden sich heute wohl nicht sehen lassen…
aaa& wer verflucht kann daran etwas ändern?? He,
aaaMilord / Milady / Die nette Dubarry war gar nicht nett. Sehr raffiniert.
Aber wer bin ich, jemanden zu lieben? Ich nehme den Bus zur 14th St.
jeden Tag… lese Huineng / Raymond Chandler / Olson…
Ich habe mit beinahe jeder mittelmäßigen farbigen Frau
Auf der 23rd St. geschlafen… Immerhin, konnten gut miteinander reden. Und
Erschrocken über das Fehlen jeden echten Austauschs
Verfaßte ich mehrere parfümierte Nachrichten an Onkel Don
& stopfte sie ins Radio. In den Nachrichten steckten,
Natürlich, plumpe Verabredungen, unanständige Andeutungen,
Diagramme neuer Methoden für Päderasten, anzügliche Gedichte,
Gereimt. WENN ER DIE DOCH NUR IM RADIO VORLÄSE.
(Es gibt andere Dinge, die mein Denken von diesem Kinderspiel
ablenken könnten… aber nichts davon ist annähernd so interessant.)
Ich sehne mich danach, ein Bergsteiger zu sein
& auf 8000 Fuß Höhe zu winken.
Außer Sicht & schneeblind / das zerfetzte
Sternenbanner in den neuen Gipfel gesteckt.
& später herunterzukommen, Clipper an meiner Seite,
Zu neuem Reichtum & ewigem Ruhm. Diese
Art von Sorgfalt. Ich könnte grüne
Cordjacken tragen & Tirolerhüte aus Filz
Bis ans Ende meiner Tage; & zu Clubs gehören.
Größe in Kühnheit. Groß & ohne Vernunft wie der Wind.
Aber so entzückend. Wer versteht diese Art von Schwindel?
Als würde dich jeden Tag, nach dem Frühstück, irgendwer fragen,
„Was willst du denn werden, wenn du mal groß bist??“ &
tagein, tagaus unterdrückst du ein Rülpsen.
Einige Anmerkungen zu den Gedichten
Die meisten dieser Gedichte entstammen einer Periode von 1957 bis 1960, die letzten paar Gedichte wurden in diesem Jahr (1961) geschrieben. Ich habe die Gedichte in diesem Buch, so gut ich es vermochte, in chronologischer Reihenfolge angeordnet… aus Gründen, die jungen (?) Dichtern bestens bekannt sein dürften.
L. J.
Ich bin in einem, der mich haßt
Über LeRoi Jones, den Dichter, wurde viel geschrieben. Ebenso über LeRoi Jones, aka Amiri Baraka, den Mitbegründer des Black Arts Movement, den radikalen Regierungskritiker, die Identifikationsfigur. Und doch ist LeRoi Jones, der Mensch, nur schwer zu fassen – und umso schwerer, je mehr man sich mit ihm beschäftigt.
aaaLeRoi Jones.
Beat-Dichter. Begabter Schriftsteller. Bohémien.
aaaBourgois im Innersten. Brutaler Egoist. Kleinlicher Besserwisser.
Weiberheld. Frauenhasser.
aaaStändiger Fremdgeher. Eifersüchtiger, besitzergreifender Macho.
Galionsfigur im Kampf gegen Rassismus.
aaaUnd selbst ein unerträglicher Rassist.
Als nichtschwarzer, weiblicher Mensch über LeRoi Jones zu lesen, erweist sich als eine Achterbahn widerstreitender Gefühle. Über ihn schreiben zu wollen als Aberwitz.
Wie die Entfernungen überbrücken? Die Entfernungen der Kontinente, der Zeitpunkte in der Geschichte, der gesellschaftlichen Realitäten?
Wie den Abgrund überbrücken, der zwischen den eigenen Wahrnehmungen klafft? Dem Abgestoßensein von Rassismus, Antisemitismus, Misogynie und Gewalt einerseits und dem Berührtwerden, vor allem in den frühen Gedichten, von einer Stimme, die auch da ist und eine andere, parallele Geschichte erzählt. Einer Stimme, die von einem sensiblen, zweifelnden Blick auf die Wirklichkeit und in das eigene Innere spricht, von tiefer Zerrissenheit zeugt und die Welt noch nicht in Gut und Böse einteilt. Mit dieser Stimme läßt sich Zwiesprache halten, ihr will man zuhören, folgen – auch dorthin, wo es weh tut.
Später dann spricht diese – selbe? – Stimme von Maschinengewehren, herausgerissenen Zungen und Schlagringen in den Gesichtern jüdischer Matronen. Sie zweifelt nicht mehr, sondern ist von gnadenloser Gewißheit. Anstelle poetischer Bilder bedient sie sich der Rhetorik des Rassen- und Klassenkampfs. Am Ende bleibt die Frage: Was ist schwerer zu ertragen? Der Haß oder die Selbstgerechtigkeit?
* * *
Geboren wird LeRoi Jones am 7. Oktober 1934 als Sohn einer bürgerlichen schwarzen Familie in Newark, New Jersey; der Vater ist Postbeamter, die Mutter Sozialarbeiterin. Er studiert Philosophie und Religionswissenschaften, zuerst an der Rutgers University New Brunswick, später an der Howard University. An der Columbia University und der New School for Social Research belegt er ebenfalls Kurse, ohne jedoch einen Abschluß zu machen.
Er geht zur US Airforce, wo er es als Maschinengewehrschütze bis zum Rang eines Sergeants bringt. Während seiner Stationierung in Puerto Rico arbeitet er in der Bibliothek der Militärbasis, was ihm viel Zeit zum Lesen läßt: Er vertieft sich in Melville, Flaubert, Proust, D.H. Lawrence, buddhistische Texte und das Kommunistische Manifest. Er entdeckt die Beat Poets und beginnt selbst Gedichte zu schreiben. Nachdem ihn ein anonymer Brief an seinen Kommandanten als Kommunisten denunziert und man bei ihm die Zeitschrift Partisan Review gefunden hat, wird er zuerst degradiert und zur Gartenarbeit eingesetzt, schließlich unehrenhaft entlassen.
Noch im gleichen Jahr übersiedelt er nach Greenwich Village. Er arbeitet in einem Schallplattenlager, entwickelt ein ausgeprägtes Interesse an Jazz und entdeckt die Black Mountain Poets sowie die Dichter der New York School. Hier lernt er auch Hettie Cohen kennen, die er 1958 heiratet und mit der er zwei Töchter bekommt. Gemeinsam mit ihr gründet er den Verlag Totem Press, in dem er Werke befreundeter Beat-Dichter (wie Jack Kerouac und Allen Ginsberg) veröffentlicht. Die beiden gründen auch die Literaturzeitschrift Yūgen, die zwischen 1958 und 1962 insgesamt achtmal erscheint. Die Wohnung der Jones’ wird zu einem Treffpunkt für Schriftsteller, Musiker und Maler; man diskutiert, feiert Parties, unterstützt einander und will die Welt verändern. Doch die Ehe ist von Anfang an belastet: Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen werden selbst im „Village“ nicht von allen gebilligt, und die beiderseitige Untreue macht es nicht leichter; LeRoi hat zahlreiche Affären, vor allem mit weißen Frauen, aber auch Hettie „läßt nichts anbrennen“, zum Teil wohl auch, um sich über seine Untreue hinwegzutrösten.
Eine dieser außerehelichen Beziehungen dauert mehrere Jahre: Mit Diane di Prima gibt LeRoi Jones von 1961 bis 1963 die Zeitschrift The Floating Bear heraus; im Herbst 1961 gründen die beiden gemeinsam mit den Choreographen Fred Herko und James Waring sowie dem Schauspieler Alan S. Marlowe das New York Poets Theatre. Neben ihren literarischen Projekten haben die beiden auch eine gemeinsame Tochter – Diane und Hettie begegnen einander auf der Straße, beide einen Kinderwagen vor sich herschiebend; Diane zieht dann auch noch in eine Wohnung ganz in der Nähe. Hetties Eifersucht gilt nicht bloß der sexuellen Rivalin, sondern mindestens ebenso sehr der Tatsache, daß Diane di Prima ihr literarisches Talent auslebt, während sie ihren Wunsch zu schreiben erst Jahrzehnte später verwirklichen kann.
Ein einschneidendes Erlebnis wird für Jones eine Reise nach Kuba, die er 1960 unternimmt (und die er später in seinem Essay „Cuba Libre“ verarbeitet): Hier lernt er Künstler kennen, die aktiv für die Revolution arbeiten und ihm vorwerfen, ein feiger bürgerlicher Individualist zu sein, der mehr damit beschäftigt sei, sich einen Namen zu machen, als den Unterdrückten zu helfen.
Die Begegnung mit Kuba löst eine dramatische Wende in seinem Schreiben aus – die letzten Gedichte in seinem 1961 erscheinenden ersten Band Preface to a Twenty Volume Suicide Note weisen bereits darauf hin, daß sich sein künstlerisches Weltbild entscheidend verändert hat. So heißt es etwa in „Betancourt“, wer an seinen alten Gedanken festhalte, sei ein Narr.
aaaaaaaaaaaaaaDenk
drüber nach! Wie schon
dies, jetzt, eine
Abkehr. (Ich meine, ich glaube
jetzt zu wissen
was ein Gedicht
ist) Eine
Abkehr…
von dem was
es war
was uns
bewegt hatte…
aaaaaaaaaaaaEin
Wahn.
Die reine Beschäftigung mit Ästhetik, mit der eigenen Psyche, scheint ihm jetzt sinn- und zwecklos; Kunst ohne politische Agenda „ein Wahn“. Diese veränderte Haltung führt auch zu seiner Hinwendung zum Schwarzen Nationalismus, einer politischen und sozialen Bewegung, die von der Einheit eines schwarzen Volkes in den USA ausgeht und die Selbstbestimmung aller schwarzen Menschen in einer eigenen Nation fordert. Ihre Anhänger setzen auf einen schwarzen Separatismus, die Beibehaltung und Förderung der eigenen schwarzen Identität – und unterscheiden sich in vielen ihrer Forderungen von der Bürgerrechtsbewegung und den Ideen Martin Luther Kings, die eine Gleichberechtigung (equality) der schwarzen Bevölkerung anstreben. Für den Schwarzen Nationalismus kann Gleichheit nicht das Ziel sein, würde sie doch bedeuten, daß sich die Schwarzen unter die weiße Mehrheit – und damit unter den Feind assimilieren.
Je mehr LeRoi Jones in der Bewegung aufging, desto mehr geriet er in einen inneren Zwiespalt, was seine Beziehungen außerhalb seiner eigenen Rasse anging. Während einer ersten, vorübergehenden Trennung von Hettie versucht er, eine „Männergruppe“ ins Leben zu rufen, die „Organization of Young Men“. Die Clique (darunter auch Archie Shepp und Steve Cannon) besteht hauptsächlich aus schwarzen Männern, die weiße Ehefrauen oder Partnerinnen haben. Jones ist jedoch nicht nur mit zahlreichen Jazz-Musikern befreundet, er beschäftigt sich auch intensiv mit ihrer Musik und wird zu einem der bedeutendsten Musikwissenschaftler auf diesem Gebiet. 1963 erscheint Blues People. Negro Music in White America, eine Analyse schwarzer Musik und ihrer Entwicklung von der Sklaverei bis zum modernen Jazz.
Während dieser Zeit entstehen auch eine Reihe von Gedichten mit eindeutig antisemitischem Inhalt. Kritiker vermuten, die spezielle „Giftigkeit“ seines Antisemitismus sei zum Großteil dem inneren Psychodrama geschuldet, in dem er versucht, seine engen emotionalen Bindungen zu individuellen Juden in „downtown bohemia“ zu durchbrechen – zu Freunden, Künstlerkollegen, und allen voran zu seiner Frau Hettie. Seine Beziehung zu ihr wird nach der Premiere seines Theaterstücks The Dutchman (1964) zunehmend zerrüttet, und seine Affären mit anderen Frauen werden immer zahlreicher. Das Stück, in dem eine weiße Frau in der U-Bahn einen jungen schwarzen Mann zuerst anmacht und schließlich tötet (sein Frauenhaß und sein Rassismus treten darin deutlich zutage) wird mit dem renommierten Obie Award für das „Beste Amerikanische Theaterstück“ ausgezeichnet. Eine Kritikerin der New York Times bezeichnet Jones als „König der Lower Eastside“ und „einen tollwütigen Rassisten, der Weiße Haßt, Neger Haßt, Intellektuelle Haßt, Liberale Haßt“. LeRoi ist umstritten, aber er ist bereits ein Star.
Im gleichen Jahr erscheint auch sein Gedichtband The Dead Lecturer, der von einer immer tieferen Verstricktheit in Gewalt und Selbstekel zeugt. In dem Gedicht „An Agony. As Now.“ drückt er die innere Zerrissenheit ganz deutlich aus:
Ich bin in einem, der mich haßt
Ich sehe durch seine Augen.
Rieche die Fäulnis in seinem Atem
Liebe seine erbärmlichen Frauen.
Nach der Ermordung von Malcolm X (1965) verläßt Jones seine Frau und seine beiden Töchter, weil es nicht politisch korrekt ist, mit einer Weißen zu leben („wie kann man mit dem Feind verheiratet sein?“) und diese Ehe seinen Status als schwarze Identifikationsfigur gefährdet. Wie weit die persönliche Geschichtsfälschung geht, zeigt eine Passage im Vorwort zu einer Neuauflage seiner Biographie, in der er Hettie bezichtigt, sie habe es öffentlich und privat darauf angelegt, ihm zu schaden.
Ihre Strategie, mich zu schikanieren und zu unterminieren war, sich bei meinen Eltern (und bei vielen Menschen, von denen ich mich losgesagt hatte) einzuschmeicheln und damit mein öffentliches Leben, meine Ehe zu stören und zu unterminieren und mir meine Eltern zu entfremden.
Ziemlich viel Unterminierung in einem Satz… Die Übeltäterin schreibt dagegen in ihrer eigenen Biographie, Vater und Mutter Jones (immerhin die Großeltern ihrer Töchter) hätten von sich aus den Kontakt zu ihr gesucht und gemeint, sie hätten sich ja wohl nicht von ihr scheiden lassen und würden gerne weiter Kontakt zu ihr und den Kindern haben.
Die Befreiung der Schwarzen wird von nun an zu Jones’ Hauptthema. Er übersiedelt nach Harlem, wo er die Black Arts Repertory Theatre/School gründet. Sie bietet Kurse in Dichtung, Geschichte, Malerei, Musik und Kampfkünsten, und ihr Ziel ist, eine Kunst zu erschaffen, die in der schwarzen Befreiungsbewegung zur Waffe wird. Er wendet sich kritisch gegen das pazifistische und integrationistische Civil Rights Movement und distanziert sich von den durchweg weißen Beats. Deren Tradition der glühenden Bekenntnisdichtung führt er jedoch fort. Im Gegensatz zu den sexuellen, spirituellen und psychologischen Bekenntnissen z.B. eines Allen Ginsberg sind seine Bekenntnisse allerdings die einer inneren soziopolitischen Realität, ehrlich bis zum Punkt der Selbstverdammung. Und die grüblerischen Gedichte der frühen 60er Jahre weichen einem neuen Ton. Während Preface to a Twenty Volume Suicide Note von schleichender Melancholie durchdrungen war, platzt das Anfang 1966 erschienene Gedicht „Black Art“ förmlich vor Wut. Es ruft nach „Gedichten, die töten“, nach „Mördergedichten“, Gedichten, „die Bullen in Hintergassen zerren / und ihre Waffen nehmen und sie tot zurücklassen / die Zungen herausgerissen und nach Irland geschickt“. Das Gedicht wird innerhalb kurzer Zeit zum politischen Manifest des Black Arts Literary Movement. Das Gedicht „A Poem für Black Hearts“, als Antwort auf die Ermordung von Malcolm X, schlägt in dieselbe Kerbe und fordert den gewaltsamen Aufstand, nicht nur die literarische Empörung.
Die Ermordung von Malcolm X ist nach der Kubareise das zweite einschneidende Erlebnis in LeRoi Jones’ Leben und Schaffen. Er konvertiert zum Islam und heiratet seine zweite (diesmal schwarze) Frau, Sylvia Robinson. Die beiden betreiben das „Spirit House“, eine Mischung aus Theater und Künstlerwohnhaus mit dem Ziel, den schwarzen Massen von Newark politische Ideen und revolutionäre Kultur zu bringen.
1967 hält LeRoi Jones Vorlesungen an der San Francisco State University, sein zweites Buch über Jazz, Black Music, erscheint und er gründet das Plattenlabel Jihad (das jedoch nur drei Alben herausbringen wird). Im gleichen Jahr besucht er Maulana Karenga, einen bedeutenden Protagonisten der Black Power Bewegung in Los Angeles, und gerät unter den Einfluß von dessen Kawaida – einer afrikanischen Philosophie, die seinem eigenen kulturellen Nationalismus entgegenkommt. Er nimmt den Namen Imamu Amear Baraka an, den er später zu Amiri Baraka vereinfacht (Imamu bedeutet „geistlicher Führer“, Amear steht für „Prinz“ und Baraka bedeutet „Segen“ im Sinn von göttlicher Gnade); seine Frau nennt sich von nun an Amina Baraka. Sowohl er selbst als auch seine Anhänger beginnen Dashikis (farbenfrohe westafrikanische Gewänder) zu tragen, und es entwickelt sich ein Personenkult um den „Maximum Leader“, zu dem es gehört, Buttons mit Barakas Foto zu tragen und offizielle Feiern zu seinem Geburtstag zu veranstalten. Kawaidas Einfluß führt aber auch zur Gründung einer afrikanischen alternativen Schule, was Baraka zeitlebens als einen seiner wichtigsten Erfolge ansieht.
Im Juli wird Baraka im Zuge der Newark Riots wegen angeblichen Waffenbesitzes und Widerstands gegen die Staatsgewalt verhaftet (wobei er den Waffenbesitz, auch in späteren Interviews, stets leugnet). Im Jänner 1968 ruft das „Committee on Poetry“ – bestehend aus John Ashbery, Gregory Corso, Robert Creeley, Diane di Prima, Robert Duncan, Lawrence Ferlinghetti, Allen Ginsberg, Kenneth Koch, Denise Levertov, Michael McClure, Charles Olson, Joel Oppenheimer, Peter Orlovsky, Gil Sorrentino, Philip Whalen und John Wieners – in einem offenen Brief zur Unterstützung Amiri Barakas auf. Das Urteil wird wenige Monate nach seiner Verhängung aus Mangel an Beweisen wieder aufgehoben.
1974 distanziert sich Baraka vom Schwarzen Nationalismus, erklärt sich fortan zum Marxisten/Leninisten und wird zum vehementen Unterstützer der Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“. 1979 wird er Dozent an der State University of New York at Stony Brooks, wo er den Mangel an schwarzen Professoren als Rassismus anprangert und in Folge dieses Protests zuerst eine befristete Assistentenstelle im African Studies Department und später eine Daueranstellung als außerordentlicher Professor erhält.
(Den Rassenkampf immer wieder auch zum eigenen Vorteil zu nutzen bzw. berufliche Rückschläge auf Rassismus zurückzuführen, gehört offenbar auch zu seiner Persönlichkeitsstruktur: 1990 wird Barakas Bewerbung um eine Festanstellung als ordentlicher Professor an der Rutgers University abgelehnt, da er die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Fakultätsmitlieder nicht erhält; daraufhin bezeichnet er das Komitee wiederholt als „Ivy League Goebbels“ und als „powerful clansmen“ (mächtige Mitglieder des KuKluxKlan).
Im Juni 1979 wird Baraka erneut verhaftet. Laut Zeugenaussagen hat er im Zuge eines Streits im Auto seine Frau Amina geschlagen. Amina dagegen leugnet diese Darstellung und bezeichnet ihren Mann als „politischen Häftling“. Baraka wird zu 90 Tagen Haft auf der Gefängnisinsel Riker’s Island verurteilt, darf diese jedoch an 48 aufeinanderfolgenden Wochenenden in einer offenen Vollzugsanstalt absitzen, damit er seiner Lehrverpflichtung nachkommen kann.
1980 veröffentlicht Baraka in der Zeitschrift Village Voice einen Essay mit dem Titel „Confessions of a Former Anti-Semite“ (Geständnisse eines ehemaligen Antisemiten), in dem er behauptet, der Antisemitismus in seinen früheren Werken sei „vorübergehend und nie ganz wirklich“ gewesen. Ein großer Teil seiner Feindseligkeit habe „mit diesen jüdischen Intellektuellen“ zu tun gehabt, die „in der Lage waren, ins gelobte Land amerikanischer Privilegien überzutreten“, die ihren Fokus jedoch „weiter auf die Geschichte ihrer eigenen Unterdrückung“ gerichtet hatten, anstatt auf ein echtes Bemühen um die Gleichheit aller Menschen.
2001 gerät Baraka jedoch neuerlich in die Schußlinie, als er als Antwort auf die Anschläge des 11. September das Gedicht „Somebody Blew up America“ veröffentlicht, mit dem er sich zu einem der umstrittensten und am meisten geschmähten Dichter Amerikas macht. Er stellt darin einen Wirbelsturm an – absolut nachvollziehbaren – Fragen nach der Natur des Bösen und nach seinen Verursachern:
Wer ist von den Plantagen reich geworden
Wer hat Völkermord begangen an den Indianern
[…]
Wer hat die Bomben gemacht
wer die Gewehre […]
Allerdings deutet er auch an, Israel habe von den Anschlägen vorab gewußt, und 4.000 in den Twin Towers beschäftigte Juden seien an diesem Tag nicht zur Arbeit gekommen („Who told 4.000 Israeli workers at the Twin Towers / to stay away from home that day“). Während die jüdische Anti-Defamation League Zeter und Mordio und „Antisemitismus“ schrie, behauptete Baraka, das Gedicht sei nicht antisemitisch, sondern antizionistisch, und bestand darauf, es weiterhin öffentlich zu lesen. Die Unterscheidung ist berechtigt, und die beiden Zeilen aus dem Zusammengang zu reißen, ist tendenziös; nur wenige Strophen vorher heißt es nämlich „Wer hat die Juden in Öfen gesteckt / und wer hat ihnen dabei geholfen / Wer hat gesagt „America zuerst“ / und die gelben Sterne gebilligt.“ Die Juden werden in dem Gedicht also ebenso als Opfer des weißen Amerika gesehen wie Indianer, Afrikaner und der Rest der Welt. (Für alle mit USA-kritischen Tendenzen – und für alle Nicht-Anhänger Donald Trumps – könnte dieses Gedicht zu einer Art negativer Hymne werden: „Who? Who? Who?“ Und jedes „Who“ eine hingeschleuderte Anklage.) Baraka geriet mit diesem Gedicht jedoch nicht nur in die öffentliche Kritik, er verlor damit auch seine Position als Poeta Laureatus von New Jersey, die ihm ein Jahr zuvor verliehen worden war. Ironisches Detail am Rande: Da man ihm die Position nicht aberkennen konnte, schaffte man sie kurzerhand ganz ab.
Von seinem ersten Engagement für den Schwarzen Nationalismus bis zu seinem Tod im Jänner 2014 war LeRoi Jones/Amiri Baraka stets eine umstrittene Figur. Daß weiße Literaturwissenschaftler eher dazu tendierten, seine negativen Eigenschaften hervorzuheben, und schwarze ihn teilweise zu einer Lichtfigur hochstilisierten, ist nicht wirklich überraschend; mit seinem umgekehrten Rassismus und seinem Hang zur Gewalt erntet er aber auch Kritik aus den eigenen Reihen. Ebenso konträr ist die Einschätzung, was die Qualität seines Werks betrifft. Kenneth Rexroth, einer der „Väter“ der Beat Generation, schrieb zum Beispiel, Baraka sei „der Versuchung erlegen, ein professioneller Race Man der verantwortungslosesten Art zu werden“ und sein Verlust für die Literatur sei schlimmer als jeder literarische Verlust des Zweiten Weltkriegs. Für Arnold Rampersad (den Biographen von Ralph Ellison und Langston Hughes) dagegen ist Baraka „eine der acht Gestalten, die am meisten Einfluß auf den Verlauf der Afro-Amerikanischen literarischen Kultur hatten“.
Judith Pouget, November 2018, Nachwort
LeRoi Jones, aka Amiri Baraka,
zählte zu den umstrittensten US-amerikanischen Dichtern des 20. Jahrhunderts. Er war leidenschaftlicher Kämpfer für die Sache der Schwarzen in Amerika, engagierte sich für den Zugang zu Bildung und Kunst, propagierte aber zunehmend offen Gewalt als Mittel zur Veränderung und entwickelte sich zum Haßprediger gegen die weiße Übermacht USA. Als Regierungskritiker bediente er sich scharfer und schonungsloser Worte, er irritierte aber auch mit misogynen, homophoben und antisemitischen Äußerungen. Diese versuchte er zwar später als „Jugendsünden“ zu deklarieren und zurückzunehmen, doch er blieb bis zum Ende seines Lebens eine kontroverse Figur, an der sich die Geister bis heute scheiden – unabhängig von ihrer Hautfarbe.
Stadtlichter Presse, Klappentext, 2020
Fakten und Vermutungen zur Übersetzerin
Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram + IMDb + Pennsound
LeRoi Jones liest aus „Somebody blew up America & other Poems“ mit Rob Brown Saxophon am 21.2.2009 im Sanctuary for Independent Media in Troy NY.








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