AUGUST VON PLATEN
Mein Herz ist zerrissen, du liebst mich nicht!
Du ließest mich’s wissen, du liebst mich nicht!
Wiewohl ich dir flehend und werbend erschien,
Und liebesbeflissen, du liebst mich nicht!
Du hast es gesprochen, mit Worten gesagt,
Mit allzugewissen, du liebst mich nicht!
So soll ich die Sterne, so soll ich den Mond,
Die Sonne vermissen? du liebst mich nicht!
Was blüht mir die Rose? was blüht der Jasmin?
Was blühn die Narzissen? du liebst mich nicht!
1822
Das Ghasel lässt sich bis in die klassische arabische Lyrik zurückverfolgen. Doch erst im Mittelalter wurde das Wort für die klar definierte Gattung eines Gedichts verwendet, das sowohl die irdische Liebe, als auch die mystische Himmelserotik zum Thema macht. Das Reimschema dieser Gattung ist hoch kompliziert: Sowohl die Halbverse reimen sich, als auch die ganzen Verse, wobei letztere fast durchgehend aus einem Reim gebildet werden. August von Platen (1796–1835) war ein Meister dieser Form.
Die melodische Virtuosität, mit der Platen die starre Ghaselen-Form füllen kann, ist erstaunlich. Das Klanggefüge, in dem ein unglücklich Liebender sein Los beklagt, wirkt an keiner Stelle angestrengt oder überfrachtet. Platen schafft es sogar, in das Muster einen Regelverstoß als Klangnuance einzubauen. „Wiewohl ich dir flehend und werbend erschien“: Der auf „flehend“ endende Halbvers reimt nirgends, als würde er damit das vom Gedicht thematisierte Nicht-Erhört-Werden suggerieren.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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