Bertolt Brechts Gedicht „Soldatengrab“

BERTOLT BRECHT

Soldatengrab

Bei den Soldaten drunten
Ist auch mein Freund dabei.
Ich hab ihn nicht rausgefunden.
Es ist auch einerlei.
Hat einst gekämpft und gesungen
Mit allen in einer Reih
Hat mit allen den Säbel geschwungen
Und ist mit allen verklungen
Und liegt nun drunten dabei.
Der Wind geht abends darüber
Und singt eine Melodei.
Die macht traurig. Ich weiß nicht worüber;
Es ist auch einerlei.

1916

aus: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 13: Gedichte 3. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1993

 

Konnotation

Das Wechselspiel, das Rhythmus und Inhalt innerhalb eines Gedichts miteinander veranstalten können, lässt sich sehr schön wahrnehmen an Bertolt Brechts (1898–1956) „Soldatengrab“. In trochäisch-daktylischen Versen wird darin der Verlust eines Kameraden empfunden. Der wehmütige Ton der Strophen wird jedoch vom Rhythmus konterkariert.
Soldatengräber, so suggeriert das Anfang 1916 entstandene Gedicht, sind nie Gräber Einzelner. Am Rand stehend und herunterblickend, findet der Kamerad seinen Kameraden unter den Toten nicht wieder, er erkennt ihn nicht. Es bleibt nicht bei der konventionellen Totenklage, der Verlust reicht weiter. Als fände hier ein blendendes Stück Verdrängung statt, kann das Ich des Gedichts nicht mehr sagen, worüber es klagt, kann aber der stimmungsvollen Geste elegischen Trauerns nicht entbehren, wie die Zuspitzung der beiden letzten Verse andeutet.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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