CLEMENS BRENTANO
O kühler Wald
Wo rauschest Du,
In dem mein Liebchen geht,
O Widerhall
Wo lauschest Du
Der gern mein Lied versteht.
O Widerhall,
O sängst Du ihr
Die süßen Träume vor,
Die Lieder all,
O bring’ sie ihr,
Die ich so früh verlor. –
Im Herzen tief,
Da rauscht der Wald
In dem mein Liebchen geht,
In Schmerzen schlief
Der Widerhall,
Die Lieder sind verweht.
Im Walde bin Ich so allein,
O Liebchen wandre hier,
Verschallet auch
Manch Lied so rein,
Ich singe andre Dir.
1801
Das verlockende Rauschen des Waldes ist für die Romantiker die Begleitmusik für eine ungestillte Sehnsucht. In dem vermutlich 1801 entstandenen Gedicht Clemens Brentanos (1778–1842) singt nun ein Ich in die Tiefe des Waldes hinein, der hier ein Resonanzraum für die Wunschbilder des Subjekts ist. Die einzig mögliche romantische Antwort auf den Verlust der Geliebten ist der Versuch, all die Sehnsuchtsmelodien einer erfüllten Liebe noch einmal zum Klingen zu bringen.
Das lyrische Ich hat hier offenbar nicht nur die Geliebte, sondern auch die Lieder verloren, die zu ihrem Lobpreis gesungen wurden. So gilt die poetische Beschwörung dem „Widerhall“, bzw. dem Echo der Liebesgesänge, das wiedererweckt werden soll. In der letzten Strophe verordnet sich das Ich dann eine Leichtigkeit, die nach dem Trauergesang zuvor kaum zu überzeugen vermag. Denn einfach „andere Lieder“ zu singen – wie sollte damit die zuvor als endgültig verloren deklarierte Geliebte wiederzugewinnen sein?
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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